Entscheidungsstichwort (Thema)
Postdienstzeit. Berücksichtigung von Vordienstzeiten
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Rechtsprechung des Senats aus den Urteilen vom 30. Mai 1996 (– 6 AZR 632/95 – BAGE 83, 149 = AP Nr. 9 zu § 19 BAT-O) und vom 29. Januar 1998 (– 6 AZR 360/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen; – 6 AZR 423/96 – nicht veröffentlicht)
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: DDR; TV Ang-O § 16; Übergangsvorschriften zu § 16 Nr. 1 Buchst. a letzter Satz; GG Art. 3 Abs. 1; BGB §§ 812, 818 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 31. Mai 1996 – 3 Sa 142/96 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Feststellung, daß er nicht verpflichtet sei, Vergütungsbestandteile zurückzuzahlen, die von der Berechnung seiner Postdienstzeit abhängig sind.
Der Kläger war seit dem 1. September 1963 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Deutschen Post der ehemaligen DDR, tätig. Seit dem 1. Januar 1991 wurde er von der Beklagten, der Deutschen Telekom AG, als Sachbearbeiter in der Dienststelle Fernsprechentstörungsstelle, seit Ende 1992 als Einführungsberater S. weiterbeschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund außerordentlicher Kündigung durch die Beklagte mit Ablauf des 27. Juni 1994.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet (TV Ang-O)in seiner jeweiligen Fassung Anwendung.
Durch Tarifvertrag Nr. 401 e über die Anerkennung früherer Beschäftigungszeiten für die Angestellten im Beitrittsgebiet vom 5. Februar 1992, der rückwirkend zum 1. Dezember 1991 in Kraft trat, wurde folgende Regelung über die Postdienstzeit in den TV Ang-O eingefügt:
„§ 16
Postdienstzeit
(1) Postdienstzeit ist die bei der Deutschen Bundespost/Deutschen Post und der Landespostdirektion Berlin in einem Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist; …
Ist ein von den vorstehenden Regelungen erfaßtes Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis aus arbeitnehmerseitigem Verschulden beendet worden, so gelten die vor dem Ausscheiden liegenden Zeiten nicht als Postdienstzeit. Bei den Unternehmen Postdienst und Telekom kann die zuständige Direktion, bei dem Unternehmen Postbank kann die Generaldirektion Postbank jedoch solche Zeiten im Einzelfalle nach billigem Ermessen ganz oder zu einem Teil als Postdienstzeit anrechnen.
…
Übergangsvorschriften:
1. für Zeiten vor dem 1. Januar 1991
Von der Berücksichtigung als Postdienstzeit sind ausgeschlossen
- Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),
- Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR,
- Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.
…
Von einer Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen sind auch Zeiten, die vor einer Tätigkeit im Sinne der Buchstaben a, b und c zurückgelegt worden sind.”
Unter dem 15. Juni 1992 stellte der Kläger einen formularmäßigen „Antrag auf Anerkennung von Vordienstzeiten als Postdienst/Dienstzeit”. Der Vordruck enthält unter Nr. 1 die Rubrik:
„Angaben von Zeiten jeglicher Tätigkeit für das MfS/AfNS (einschließlich der Verpflichtung als informeller/inoffizieller Mitarbeiter)”
mit Raum für Angaben über „vom/bis” und „Art der Tätigkeit”. Der Kläger setzte auf den Vordruck handschriftlich das Wort „entfällt”. Der Vordruck enthält ferner folgende Erklärung:
„Ich bin darüber belehrt worden, daß meine Angaben der Wahrheit zu entsprechen haben und unwahre Angaben nicht nur dienstlich geahndet, sondern auch als Betrug strafrechtlich verfolgt werden können. Mir ist bekannt, daß ich aufgrund unwahrer oder unrichtiger Angaben erzielte(n) höhere(n) Vergütung/Lohn ggf. zurückzuzahlen habe.”
Die Beklagte erkannte daraufhin die Zeit seit dem 4. September 1963 als Postdienstzeit an.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR einen Einzelbericht über den Kläger mit. Danach war der Kläger in der Zeit von 1984 bis 1989 als IM (inoffizieller Mitarbeiter) für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig. Diese Tätigkeit für das MfS hat der Kläger eingeräumt.
Die Postdienstzeit des Klägers setzte die Beklagte im Hinblick auf die tarifliche Regelung in § 16 TV Ang-O in Verbindung mit den Übergangsvorschriften Nr. 1 Buchst. a und Nr. 1 letzter Satz auf den 1. Dezember 1991 neu fest. Bei dieser Verringerung der Postdienstzeit hätte dem Kläger eine geringere Vergütung zugestanden. Bei Nichtberücksichtigung der Zeit der Beschäftigung des Klägers vor 1984 hätte die Differenz zwischen der erhaltenen höheren und der tarifgemäß zu beanspruchenden geringeren Vergütung der Höhe nach unstreitig 20.831,21 DM netto betragen. Mit Schreiben vom 19. April 1995 forderte die Beklagte den Kläger auf, diesen Betrag an sie zurückzuzahlen.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Beklagte habe gegen ihn keinen Anspruch auf Rückforderung. Als Postdienstzeit sei die Zeit vom 4. September 1963 bis 1983 anzurechnen, die vor seiner Tätigkeit für das MfS gelegen habe (fortan: Vordienstzeiten). Soweit die Übergangsvorschrift Nr. 1 letzter Satz seine Vordienstzeiten von der Anrechnung ausschließe, verstoße diese tarifliche Bestimmung gegen höherrangiges Recht. Im übrigen berufe er sich auf den Wegfall der Bereicherung und auf Verjährung des Rückforderungsanspruchs.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte gegen den Kläger keinen Anspruch auf Rückzahlung eines Nettobetrages in Höhe von 20.831,21 DM hat.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie habe gegen den Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung der tarifrechtlich zuviel erhaltenen Vergütung. Die Einrede wegen Wegfalls der Bereicherung sei verspätet. Darüber hinaus gelte eine Verjährungsfrist von 30 Jahren.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung, daß die Beklagte gegen ihn keinen Anspruch auf Rückzahlung eines Nettobetrags in Höhe von 20.831,21 DM hat. Der Beklagten steht der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 BGB zu. Der Kläger hat die der Höhe nach unstreitigen Beträge ohne rechtlichen Grund erlangt, da die Zahlungen auf einer nicht tarifgemäßen Berechnung der Postdienstzeit beruhten. Die Zeit der Beschäftigung des Klägers vom 4. September 1963 bis zum 30. November 1991, bei deren Berücksichtigung als Postdienstzeit die dem Kläger gezahlte Vergütung der Höhe nach tarifgemäß gewesen wäre, ist von der Berücksichtigung als Postdienstzeit nach Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O ausgeschlossen.
1. Nach dieser Tarifbestimmung sind von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen Zeiten, die vor einer Tätigkeit i.S.d. Buchst. a bis c zurückgelegt worden sind. Der Kläger war in der Zeit von 1984 bis 1989 unstreitig als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit für das Ministerium für Staatssicherheit tätig und hat damit in dieser Zeit eine Tätigkeit i.S.d. Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften ausgeübt. Die Zeit vom 1. September 1963 bis 1984, die er vor seiner Tätigkeit für das MfS in einem Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post zurückgelegt hat und die zwischen den Parteien allein noch im Streit ist, ist deshalb von der Berücksichtigung als Postdienstzeit nach Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften ausgeschlossen.
2. Die tarifliche Bestimmung der Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften verstößt, soweit sie den Ausschluß von Vordienstzeiten in den Fällen einer Tätigkeit für das MfS vorsieht, nicht gegen höherrangiges Recht. Die von ihr betroffenen Angestellten werden gegenüber den Angestellten, die nicht unter diese Tarifnorm fallen, nicht ungleich behandelt. Dies hat der Senat zu der gleichlautenden Regelung in Nr. 4 Buchst. c letzter Satz der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O in Fällen der Übertragung einer Tätigkeit aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe im Urteil vom 30. Mai 1996 (– 6 AZR 632/95 – BAGE 83, 149 = AP Nr. 9 zu § 19 BAT-O) entschieden und mit Urteilen vom 29. Januar 1998 (– 6 AZR 360/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen und – 6 AZR 423/96 – n.v.) bestätigt. Dies gilt auch für die vorliegende Fallgestaltung.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden. Sie haben damit auch den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Dieser wird durch eine Tarifnorm verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BAGE 67, 264, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT, zu II 5 a der Gründe). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Letzteres gilt insbesondere bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen (BAGE 77, 137 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR). Aufgabe der Gerichte ist es jedoch nicht zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben. Die Gerichte haben jedoch zu kontrollieren, ob durch die tarifliche Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschritten werden (BAGE 70, 62, 69 = AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985, zu II 2 b bb der Gründe).
b) Die Tarifvertragsparteien haben durch die Regelung in Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften die Grenzen ihres normativen Gestaltungsspielraums nicht überschritten.
Durch den Ausschluß von Vordienstzeiten in den Fällen der Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften haben die Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer, bei denen Zeiten einer Tätigkeit als Postdienstzeit nach dieser Tarifbestimmung nicht zu berücksichtigen sind, mit den Arbeitnehmern gleichbehandelt, bei denen das Arbeitsverhältnis aus eigenem Verschulden unterbrochen war. Eine Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern, bei denen mangels eines Ausschlußtatbestandes nach Nr. 1 der Übergangsvorschriften eine ununterbrochene Tätigkeit als Postdienstzeit zu berücksichtigen ist, ist nicht geboten. Insoweit ist eine Nichtberücksichtigung der Vordienstzeiten sachlich gerechtfertigt.
aa) Nach § 16 Abs. 1 TV Ang-O ist Postdienstzeit die bei der Deutschen Bundespost/Deutschen Post in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist. Ist das Arbeitsverhältnis aus arbeitnehmerseitigem Verschulden beendet worden, gelten nach § 16 Abs. 1 Unterabs. 4 TV Ang-O die vor dem Ausscheiden zurückgelegten Zeiten nicht als Postdienstzeit.
Gegen diese Regelung bestehen keine Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifvertragsparteien sind danach nicht gehalten, die Anrechnung der Postdienstzeit in gleicher Weise bei Arbeitnehmern zu regeln, deren Arbeitsverhältnisse eine ununterbrochene Beschäftigung aufweisen wie bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse schuldhaft unterbrochen waren. Die Differenzierung bei der Anrechnung von Postdienstzeiten, die vor Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses liegen, je nachdem, ob der Angestellte aus seinem Verschulden ausgeschieden ist oder nicht, ist sachlich gerechtfertigt.
bb) In entsprechender Weise haben die Tarifvertragsparteien in den Übergangsvorschriften die Anrechnung der Postdienstzeit vor dem 1. Januar 1991 geregelt. In den Fällen der Nr. 1 Buchst. a haben sie aufgrund von Tatbeständen, die mit dem in § 16 Abs. 1 Unterabs. 4 TV Ang-O genannten vergleichbar sind, Zeiten von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen.
Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Ausschluß der Berücksichtigung dieser Vordienstzeiten ist – ebenso wie in der tariflichen Regelung in § 16 Abs. 1 Unterabs. 4 TV Ang-O – in den Fällen sachlich gerechtfertigt, in denen die Nichtberücksichtigung als Postdienstzeit auf dem Verschulden des Arbeitnehmers beruht. Hinsichtlich des Ausschlusses von Zeiten, die vor einer Tätigkeit für das MfS (Buchst. a) zurückgelegt worden sind, gilt nichts anderes. Ist ein Angestellter bewußt und gewollt für das MfS als einem der Hauptrepressionsorgane der ehemaligen DDR tätig geworden, so konnten die Tarifvertragsparteien diesen Tatbestand, ohne gegen höherrangiges Recht zu verstoßen, einem vom Arbeitnehmer verschuldeten Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gleichsetzen.
cc) Soweit der Kläger in der Regelung in Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften einen Verstoß gegen Art. 20 GG sieht, kommt ein solcher schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger vor Inkrafttreten des Tarifvertrages Nr. 401 e zum 1. Dezember 1991 keine geschützte Rechtsposition hinsichtlich der Berücksichtigung von Zeiten, die in einem Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR zurückgelegt wurden, als Postdienstzeit hatte.
3. Gegenüber dem Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus § 812 Abs. 1 BGB kann sich der Kläger nicht auf den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.
Der Kläger kannte den Mangel des rechtlichen Grundes für die auf der nicht tarifgemäßen Berechnung der Postdienstzeit vorgenommenen Höhergruppierungen, so daß der Entreicherungseinwand nach § 819 Abs. 1 i.V.m. § 818 Abs. 4 BGB ausgeschlossen ist.
Die Berechnung der Postdienstzeit, die die Beklagte aufgrund des Antrags des Klägers vom 15. Juni 1992 auf Anrechnung von Vordienstzeiten vorgenommen hatte, beruhte auf falschen Angaben des Klägers über eine Tätigkeit für das MfS. Dabei war ihm bekannt, daß er bei unwahren oder unrichtigen Angaben die dadurch erzielte höhere Vergütung zurückzuzahlen hatte.
4. Die vom Kläger erhobene Verjährungseinrede ist unbegründet. Vorliegend gilt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 195 BGB, da der Rückforderungsanspruch der Beklagten bereicherungsrechtlicher Natur ist (vgl. BAG Urteil vom 20. September 1972 – 5 AZR 197/72 – EzA § 195 BGB Nr. 1).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Armbrüster, Gräfl, Bepler, Lenßen, Beus
Fundstellen