Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsfristen im Baugewerbe der neuen Bundesländer

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelrechtsstreit zu 4 AZR 47/92

 

Normenkette

TVG § 1 Baugewerbe; AGB-DDR § 55; GG Art. 3

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 20.01.1992; Aktenzeichen 12 Sa 79/91)

ArbG Berlin (Urteil vom 14.10.1991; Aktenzeichen 63 Ca 6098/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 20. Januar 1992 – 12 Sa 79/91 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Oktober 1991 – 63 Ca 6098/91 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, mit welcher Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen zu beenden ist.

Der Kläger war seit dem 2. September 1974 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Angestellter beschäftigt. Er war zuletzt als Meister für die Lagerwirtschaft verantwortlich für die ständige Aktualisierung des zentralen Artikelkataloges entsprechend der Verantwortlichkeit für Erzeugnis- und Leistungsnormative im ehemaligen Wohnungsbaukombinat Berlin. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 1.775,– DM.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag zur Überleitung des Rahmentarifvertrages für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes auf das Gebiet der fünf neuen Länder und des Ostteils des Landes Berlin vom 11. Februar 1991 (Überleitungstarifvertrag/RTV-Angestellte) Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).

Hierin heißt es in § 2:

„Grundsatzregelung

Der Rahmentarifvertrag für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin vom 12. Juni 1978 in der Fassung vom 27. April 1990 (RTV-Angestellte), der als Anlage beigefügt wird und Bestandteil dieses Vertrages wird, gilt in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem der Rahmentarifvertrag bisher nicht galt, soweit in diesem Tarifvertrag nicht abweichende Regelungen getroffen werden.”

§ 11 des Rahmentarifvertrages für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin vom 27. April 1990 (RTV-Angestellte) hat folgenden Wortlaut:

㤠11

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

1. Kündigung

1.1 Die Kündigungsfristen richten sich nach den gesetzlichen Vorschriften.

1.2 Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einmonatiger Frist zum Monatsende gekündigt werden. Eine Beendigung des Probearbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB bleibt hiervon unberührt.

1.3 Bei einer aushilfsweisen Beschäftigung bis zu einem Monat ist eine Kündigungsfrist von drei Tagen einzuhalten. Sofern die aushilfsweise Beschäftigung bis zu drei Monaten dauert, ist eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende einzuhalten.

1.4 Jede Kündigung muß schriftlich erfolgen.

1.5 Nach der Kündigung sowie vor Ablauf eines auf Zeit oder Zweck eingegangenen Arbeitsverhältnisses ist der Angestellte zur Bewerbung um eine neue Anstellung für eine angemessene Zeit von der Arbeit freizustellen. Dies gilt nicht für die nach Nr. 1.3 Eingestellten.”

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger mit einem auf den 31. Januar 1991 datierten Schreiben ordentlich aus betriebsbedingten Gründen zum 2. April 1991. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 30. Januar 1991 zu.

Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die am 22. März 1991 beim Arbeitsgericht einging.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, mit der Einführung des RTV-Angestellte für die technischen und kaufmännischen Angestellten in den fünf neuen Bundesländern und Ostberlin sei nunmehr des AngKSchG anzuwenden und daher bei zwölfjähriger Beschäftigungsdauer eine sechsmonatige Kündigungsfrist einzuhalten.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31. Januar 1991, dem Kläger zugegangen am 30. Januar 1991, nicht zum 2. April 1991, sondern erst zum 30. September 1991 aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, in den neuen Ländern seien weiter die Kündigungsfristen des § 55 AGB-DDR in der Fassung des Gesetzes vom 22. Juni 1990 anzuwenden. In der Anlage I des Einigungsvertrages sei das AngKSchG ausdrücklich von der Überleitung in die neuen Bundesländer ausgenommen worden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 11 Ziff. 1.1 RTV-Angestellte in Verbindung mit dem Überleitungstarifvertrag/RTV-Angestellte. Geltendes Gesetz im Sinne dieser Regelung könne nur § 55 AGB-DDR sein.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren Revision. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat auf die Kündigung der Beklagten mit dem 2. April 1991 sein Ende gefunden.

I. Die Beklagte hat dem Kläger mit ihrem Schreiben vom 31. Januar 1991 zum 2. April 1991 gekündigt, also entgegen der Regelung in § 55 AGB-DDR nicht zum Monatsende. Aus dem Gesamt Zusammenhang des Kündigungsschreibens ergibt sich jedoch, daß sie damit nicht den Kündigungstermin verändern wollte, sondern lediglich in fehlerhafter Anwendung des § 193 BGB dem Umstand Rechnung tragen wollte, daß im Jahr 1991 das Osterfest auf den 31. März und 1. April fiel. Im übrigen ergibt sich aus dem beiderseitigen Parteivortrag, daß sowohl der Kläger wie die Beklagte nur über die Frage streiten, welche Kündigungsfristen anzuwenden und sich für den Fall der Anwendbarkeit der Fristen des § 55 AGB-DDR einig sind, daß das Arbeitsverhältnis mit dem 2. April 1991 sein Ende gefunden hat.

II. Die von der Beklagten anzuwendende Kündigungsfrist richtet sich nach § 55 Abs. 2 AGB-DDR. Hiernach beträgt die Kündigungsfrist zwei Monate zum Monatsende, wenn der Arbeitsvertrag in demselben Betrieb oder Unternehmen mindestens zehn Jahre bestanden hat. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger nach Vollendung des 25. Lebensjahres eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 12 Jahren aufzuweisen.

III. Der Senat vermag dem Landesarbeitsgericht nicht darin zu folgen, daß für die Berechnung der Kündigungsfrist in dem Gebiet der neuen Bundesländer § 622 BGB und § 1 AngKSchG Anwendung finden.

1. Der Tarifvertrag zur Überleitung des Rahmentarifvertrages für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes auf das Gebiet der fünf neuen Bundesländer und des Ostteils des Landes Berlin (Überleitungstarifvertrag/RTV-Angestellte) vom 11. Februar 1991 enthält keine Regelungen über die Kündigungsfristen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer.

a) Nach § 2 des Überleitungstarifvertrages gilt der Rahmentarifvertrag für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin vom 12. Juni 1978 in der Fassung vom 27. April 1990 (RTV-Angestellte) in den neuen Bundesländern, soweit in den folgenden Bestimmungen keine abweichenden Regelungen getroffen sind. Wortlaut und Zweck des Überleitungstarifvertrages bestehen darin, im Bereich des Baugewerbes die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen, soweit im Tarifvertrag von diesem Grundsatz keine Ausnahmen gemacht werden. Die §§ 3 bis 7 des Überleitungstarifvertrages enthalten aber keine Regelungen über die Kündigungsfristen in den neuen Bundesländern.

b) Eine Regelung der Kündigungsfristen ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht daraus abzuleiten, daß in § 2 Überleitungstarifvertrag der RTV-Angestellte zum Bestandteil des Überleitungstarifvertrages gemacht worden ist. Hieraus läßt sich allein der Schluß ziehen, daß die Normen des RTV-Angestellte auch auf dem Gebiet der neuen Bundesländer gelten.

c) Zu folgen vermag der Senat nicht der Auffassung der Klägers, daß aus der Vorbemerkung Abs. 4 zur Anlage I des Einigungsvertrages Auslegungshilfen gewonnen werden können. In der Vorbemerkung heißt es, daß dann, wenn in übergeleitetem Bundesrecht auf andere Rechtsvorschriften der Bundesrepublik verwiesen wird, die Verweisung wirksam ist, wenn die in bezug genommenen Rechtsvorschriften nicht übergeleitet werden (BGBl. II S. 885, 907). Diese Rechtsgedanken sind aus mehreren Gründen nicht anzuwenden. Es ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß die gesetzliche Regelung auch für Tarifverträge anzuwenden ist. Darüber hinaus findet die Vorschrift schon nach ihrem Wortlaut keine Anwendung. Es besteht kein Streit, daß § 55 AGB-DDR aufrechterhalten worden ist.

2. Nach dem RTV-Angestellte richten sich die Kündigungsfristen nach den gesetzlichen Vorschriften. Gesetzliche Vorschriften auf dem Gebiet der neuen Bundesländer können nur die des § 55 AGB-DDR sein.

a) Der Wortlaut des RTV-Angestellte ist nicht eindeutig. Bei dem Abschluß des RTV können die Tarifvertragsparteien unter dem Begriff der gesetzlichen Vorschriften nur die Kündigungsregelungen in den alten Bundesländern verstanden haben, denn der Tarifvertrag stammt aus einer Zeit vor der Wiedervereinigung. Gleichwohl läßt sich hieraus nicht der Schluß ziehen, daß auch in der aufgrund des Überleitungstarifvertrages geltenden Fassung des RTV-Angestellte im Gebiet der neuen Bundesländer das Kündigungsrecht der Alt-Bundesländer angesprochen ist. Vielmehr muß im Wege der Auslegung ermittelt werden, was die Tarifvertragsparteien gewollt haben. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats sind bei der Auslegung der Wortlaut, der Gesamt Zusammenhang und der Tarifzweck zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 12. September 1984, BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 28. April 1988 – 2 AZR 750/87 – AP Nr. 25 zu § 622 BGB; BAG Urteil vom 25. November 1987 – 4 AZR 403/87 – AP Nr. 18 zu § 1 TVG Auslösung; BAG Urteil vom 9. März 1983, BAGE 42, 86 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dagegen ist der subjektive Wille der Tarifvertragsparteien nur dann und insoweit zu berücksichtigen, wie er in den Normen des Tarifvertrages seinen Niederschlag gefunden hat. Dies gilt vor allem auch dann, wenn sich die Tarifvertragsparteien nicht geeinigt haben. Aus einem Rundschreiben der Arbeitgeberverbände ergibt sich, daß schon bei den Tarifvertragsverhandlungen darüber Auslegungsstreit bestand, ob mit der gewählten Formulierung das Recht der alten oder neuen Bundesländer in Bezug genommen ist. Insoweit handelt es sich nicht um eine Regelungslücke der Tarifverträge, sondern um eine der Auslegung zugängliche Rechtsfrage.

b) Aus dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages ergibt sich, daß mit dem Begriff der gesetzlichen Vorschriften auf dem Gebiet der neuen Bundesländer die Regelung des § 55 AGB-DDR gemeint ist.

Die Tarifvertragsparteien haben sich in § 11 RTV-Angestellte grundsätzlich einer eigenständigen Regelung der gesetzlichen Kündigungsfristen enthalten und auf die gesetzlichen Vorschriften verwiesen. Sie haben lediglich eine eigene Sonderregelung für Probe- und Aushilfsarbeitsverhältnisse geschaffen. Dies war für Probearbeitsverhältnisse notwendig, weil diesen § 622 BGB keine Rechnung trägt. Dies war für Aushilfsarbeitsverhältnisse notwendig, wenn man die Kündigungsfrist festlegen wollte und dies nicht über § 622 Abs. 4 BGB der Einzelvereinbarung überlassen wollte.

Enthalten sich die Tarifvertragsparteien einer eigenen Regelung und verweisen auf die gesetzlichen Vorschriften, so ist nicht von einem eigenen Normsetzungswillen auszugehen. Eine derartige Verweisung hat allein deklaratorischen Charakter (BAG Urteil vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB, zu 2 c aa der Gründe; Urteil vom 27. August 1982, BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung).

Enthält § 11 RTV-Angestellte in den alten Bundesländern aber allein eine Blankettverweisung auf die gesetzlichen Vorschriften, so kann die Norm auch als Bestandteil des Überleitungstarifvertrages nicht konstitutiv die gesetzlichen Kündigungsregelungen der alten Bundesländer in die neuen Bundesländer übertragen. Gemäß Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschn. III Ziff. 1 a EV ist § 55 AGB-DDR im Gebiet der neuen Bundesländer in Kraft geblieben, Dagegen ist das Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten (AngKSchG) nicht gem. Art. 8 EV übergeleitet worden (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschn. I EV).

c) Die Verweisung auf die gesetzlichen Vorschriften des § 55 AGB-DDR widerspricht nicht dem Ziel der Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen in Ost und West nach dem Überleitungstarifvertrag. Die Tarifvertragsparteien haben in autonomer Regelungskompetenz keine schematische Angleichung der Arbeitsbedingungen in den alten und neuen Bundesländern vorgenommen, sondern, wie sich aus dem Überleitungstarifvertrag selbst ergibt, einen Angleichungsprozeß in Gang gesetzt, der zunächst einmal den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen Rechnung trägt.

d) Auch für Tarifverträge gilt der Rechtsgrundsatz, daß sie so auszulegen sind, daß sie möglichst den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Sie sind gesetzes- und verfassungskonform auszulegen. Im EV ist § 55 AGB-DDR aufrechterhalten worden (BT-Drucks. vom 10. September 1990 – 11/7817 S. 135 bis 136), weil § 622 Abs. 2 BGB und § 1 AngKSchG einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz enthalten (Art. 3 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß die gegenüber den für Angestellte geltenden kürzeren Kündigungsfristen für Arbeiter verfassungswidrig sind, wenn für die abgekürzten Kündigungsfristen keine sachlichen Gründe sprechen (BVerfG Beschluß vom 30. Mai 1990, BGBl. I S. 1727 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB). Es kann aber nicht angenommen werden, daß die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes die verfassungsrechtlich zweifelhafte Rechtslage der Alt-Bundesländer mit einer Blankettverweisung auf die neuen Bundesländer übertragen haben. Dies um so weniger, als die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum gleichen Zeitpunkt den Überleitungsvertrag BRTV Baugewerbe abgeschlossen haben, in dem sie in § 11 eine gegenüber den Grundkündigungsfristen des § 12 BRTV-Bau abweichende Kündigungsfrist von zwei Wochen ausdrücklich vereinbart haben, die der gesetzlichen Regelung in § 55 Abs. 1 AGB-DDR entspricht.

e) Der Senat vermag auch nicht der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte zu folgen, die in der Verweisung der Tarifverträge auf § 55 AGB-DDR einen Wertungswiderspruch sehen, weil während der Probezeit eine tarifliche Mindestkündigungsfrist von einem Monat und während des Aushilfsarbeitsverhältnisses eine Kündigungsfrist von drei Tagen einzuhalten ist, während die kürzeste Kündigungsfrist nach § 55 AGB-DDR zwei Wochen beträgt. Es mag sein, daß die Kündigungsfristen in einem Dauerarbeitsverhältnis regelmäßig länger als in einem Probearbeitsverhältnis sind. Gleichwohl kann dieser Umstand nicht dazu führen, daß die für die Auslegung von Tarifverträgen geltenden Grundsätze verletzt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der behauptete Wertungswiderspruch einen sachlich durchaus rechtfertigenden Grund haben kann. Im Recht der Alt-Bundesländer ist die ordentliche Kündigung in befristeten Probearbeitsverhältnissen ausgeschlossen, es sei denn, daß sie vorbehalten worden ist (BAG Urteil vom 29. Juni 1989 – 2 AZR 482/88 – AP Nr. 7 zu § 174 BGB = NZA 1990, 63, zu II 2 der Gründe). Es ist daher durchaus denkbar, daß mit der Verlängerung der Kündigungsfrist während der Probezeit den veränderten technischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Betriebe Rechnung getragen wird.

IV. Der Kläger rügt zu Unrecht, daß die unterschiedlichen Kündigungsfristen in den alten und neuen Bundesländern einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz enthalten.

1. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber eine willkürlich ungleiche Behandlung des in wesentlichen Punkten Gleichen. Der Gleichheitssatz ist daher dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt. Dem Gesetzgeber steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitgehend Gestaltungsfreiheit zu. Auch das Bundesverfassungsgericht überprüft nur die äußersten Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kommt daher nur dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen ungleich behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88; 81, 156, 205; 81, 228, 236; 82, 60, 86; 83, 238, 337; 83, 395, 401).

2. Der Gesetzgeber des Einigungsvertrages hatte sachliche Gründe von hinreichendem Gewicht, die Rechtseinheit auf dem Gebiet der Kündigungsfristen nicht herzustellen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 sind ungleiche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte verfassungswidrig. Es war daher durchaus sachlich gerechtfertigt, daß insoweit von der Übertragung des Rechts der Alt-Bundesländer abgesehen wurde. Überdies lassen die noch unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den neuen Bundesländern eine Differenzierung zu. Ob eine Differenzierung auf Dauer zulässig ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der Gesetzgeber muß für die alten Bundesländer eine Neuregelung treffen, und zwar unabhängig von dem Regelungsauftrag für ein Arbeitsverhältnisrecht des Art. 30 EV.

 

Unterschriften

Schaub, Dr. Wißmann, Schneider, Fieberg, Kamm

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079601

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