Leitsatz (amtlich)
Selbstverschuldete Arbeitsunfähigkeit i. S. des § 1 Abs. 1 LohnFG liegt dann vor, wenn sie die Folge eines Unfalls bei der Ausübung einer besonders gefährlichen Sportart ist.
Normenkette
LohnFG § 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 13.09.1971; Aktenzeichen 1 Sa 153/71) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 1971 – 1 Sa 153/71 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagte beschäftigt seit 3. November 1969 den Fernmeldemonteur Manfred St…. Am 30. August 1970 nahm St…-… an einem Moto-Cross-Rennen teil. Die Rennstrecke war vor dem Rennen von einer Sachverständigen-Kommission und der Polizei geprüft und freigegeben worden. Im Verlauf des Pflichttrainings geriet St… auf einer Kuppe der Rennstrecke in eine ausgefahrene Spur. Dabei stieß er mit dem Lenkrad an einen Holzpfahl, der als Begrenzung der Rennstrecke diente, stürzte mit seiner Maschine einen Abhang hinab und zog sich Verletzungen zu; insbesondere wurde das Schlüsselbein angebrochen. Auf Grund dieser Verletzungen war Manfred St… vom 31. August bis zum 21. September 1970 arbeitsunfähig. Die Klägerin hat St… für diese Zeit Krankengeld in Höhe von 512,16 DM gezahlt, nachdem sich die Beklagte geweigert hatte, den Lohn fortzuzahlen.
Gestützt auf den gesetzlichen Forderungsübergang, macht die Klägerin in Höhe des gezahlten Krankengeldes den Anspruch des Arbeitnehmers St… auf Lohnfortzahlung gegen die Beklagte geltend.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält den Anspruch für unbegründet, da St… die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet habe. Moto-Cross-Rennen seien, falls sie überhaupt als Sportausübung anzusehen seien, eine besonders gefährliche Sportart. Schon die Teilnahme an einem solchen Rennen begründe daher die Annahme des Selbstverschuldens. Mit sonstigen Sportarten seien Moto-Cross-Rennen, die in unebenem Gelände ausgetragen würden und leicht Unfälle zur Folge hätten, nicht zu vergleichen.
Die Rennstrecke habe sich im übrigen auch nicht in einem ordnungsmäßigen Zustand befunden. Durch das Abstecken mit Begrenzungspfählen aus Holz mit einem Durchmesser von etwa zwölf Zentimetern sei die Strecke besonders gefährlich geworden. St… habe diese Gefährlichkeit erkannt, jedenfalls aber erkennen müssen.
Nach der Ansicht der Beklagten könnten Moto-Cross-Rennen schließlich überhaupt nicht als Sport anerkannt werden, denn sie dienten nicht der Erhaltung der körperlichen Gesundheit. Man könne daher bei der Frage der Gefährlichkeit von Moto-Cross-Rennen nicht an die Grundsätze anknüpfen, die im Hinblick auf die Lohnfortzahlung für die sportliche Betätigung entwickelt worden seien.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, obwohl das Landesarbeitsgericht die nach den Lohnfortzahlungsgesetz gegebene Rechtslage an sich zutreffend beurteilt hat.
1. Das Landesarbeitsgericht irrt entgegen der Ansicht der Revision nicht, wenn es Moto-Cross-Rennen als eine Sportart ansieht. Dies gilt selbst dann, wenn man mit der Revision den Begriff des Sports auf solche Tätigkeiten begrenzen wollte, die der körperlichen Ertüchtigung und der Erhaltung der Gesundheit dienen. Denn Moto-Cross-Rennen erfordern eine erhebliche körperliche Gewandtheit. Die Motorräder müssen in schwierigem Gelände voll beherrscht werden; das gelingt nur bei erheblichem Einsatz auch des Körpers. Wer an Moto-Cross-Rennen teilnimmt, erprobt und erhöht zugleich seine körperliche Gewandtheit. In dieser Hinsicht sind Moto-Cross-Rennen etwa mit dem Schießen zu vergleichen, das keinen höheren körperlichen Einsatz erfordern dürfte als Moto-Cross-Rennen. Schießen gilt aber allgemein als Sport und ist sogar olympische Disziplin. Bei der Abgrenzung des sportlichen Bereichs darf die Verkehrsanschauung nicht außer Betracht bleiben. Die Verkehrsanschauung rechnet Moto-Cross-Rennen allgemein zu den Sportarten.
Abgesehen davon ist es aber auch zu eng, den Begriff des Sports allein unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung und Ertüchtigung der körperlichen Gesundheit abzugrenzen, wie das die Revision tut. Auch die Erhaltung und Ertüchtigung der geistigen Kräfte kann Ziel einer sportlich-spielerischen Tätigkeit sein. Aus diesem Grunde wird z.B. das Schachspiel nach allgemeiner Auffassung als Sportart betrachtet. Geistige Reaktionsfähigkeit wird aber bei Moto-Cross-Rennen – wie überhaupt bei allen motorsportlichen Veranstaltungen – in erhöhtem Maße gefordert.
2. Welche Auswirkungen eine Arbeitsunfähigkeit als Folge eines Unfalls bei der Teilnahme an Moto-Cross-Rennen auf den Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeiters hat, ist demnach nach denselben rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, die in dieser Hinsicht allgemein für sportliche Unfälle gelten.
Im Grundsatz ist – dies ist für alle gesetzlichen Lohnfortzahlungsregelungen anerkannt – dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer der Lohn auch dann fortzuzahlen, wenn die Arbeitsunfähigkeit die Folge eines Sportunfalles ist. Der Lohnfortzahlungsanspruch wird unabhängig von dem Anlaß gewährt, der die zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit hervorruft, also auch dann, wenn die Krankheit in der außerbetrieblichen Sphäre des Arbeitnehmers ihre Ursache hat.
Die einzige Einschränkung ist hierbei, daß die Arbeitsunfähigkeit nicht selbst vom Arbeitnehmer verschuldet sein darf. Diese auch in § 1 LohnFG ausgesprochene Einschränkung hat ihren inneren Grund in der Rücksichtnahme, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber schuldet. Ist die Lohnfortzahlungspflicht ein gesetzlich näher geregelter Ausfluß der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, so darf die hierdurch ihm aufgebürdete wirtschaftliche Last nicht durch unangemessenes Verhalten des Arbeitnehmers in unzumutbarer Weise vergrößert werden.
Auf diesem Grundgedanken aller gesetzlichen Lohnfortzahlungsregelungen beruht es, daß das Bundesarbeitsgericht die Arbeitsunfähigkeit ohne nähere Prüfung der Einzelumstände dann als selbstverschuldet anzusehen hat, wenn sie die Folge der Teilnahme des Arbeitnehmers an der Ausübung einer sogenannten gefährlichen Sportart ist oder wenn der Arbeitnehmer sich in einer seine Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigenden Weise sportlich betätigt (BAG 5, 307 = AP Nr. 5 zu § 63 HGB). In diesen Fällen erhöht der Arbeitnehmer kraft eines freiwilligen Entschlusses weit über das normale Maß hinaus das Risiko, durch Verletzungen arbeitsunfähig zu werden. Im Verhältnis zu seinem Arbeitgeber und gemessen an dem dargelegten Gebot der Rücksichtnahme handelt er dann leichtfertig; daher erscheint die Arbeitsunfähigkeit als durch eigenes Verhalten gröblich verschuldet.
Dem Landesarbeitsgericht ist zuzustimmen, wenn es sich der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch für das Lohnfortzahlungsgesetz angeschlossen hat und demgemäß die Arbeitsunfähigkeit als selbst verschuldet ansieht, sofern sie die Folge der Teilnahme an einer besonders gefährlichen Sportart ist. Der Verschuldensbegriff der früheren Lohnfortzahlungsregelungen entspricht dem Verschuldensbegriff des Lohnfortzahlungsgesetzes, wie bereits der Erste Senat ausgesprochen hat (Urteil vom 23. November 1971 – 1 AZR 388/70 –). Es würde also sachlich eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung bedeuten, wenn man die Teilnahme an einer besonders gefährlichen Sportart nicht als Verschulden im Sinne der Lohnfortzahlungsregelungen beurteilen wollte. Hierzu besteht kein Anlaß.
3. Rechtlich nicht haltbar sind jedoch die Darlegungen des Landesarbeitsgerichts zu der Frage, ob Moto-Cross-Rennen zu den besonders gefährlichen Sportarten zu rechnen sind. Das Landesarbeitsgericht hat dies mit folgenden kurzen Ausführungen verneint:
“Dies ergibt sich einmal aus den verhältnismäßig leichten Maschinen, die dabei gefahren werden, als auch aus den geringen Geschwindigkeiten, die erzielt werden. Auch ist nicht bekannt, daß die Teilnahme an einem solchen Rennen besonders häufig zu Verletzungen schwerer Art führt.”
Diese Wertung beruht rechtlich entscheidend auf der in der Revisionsinstanz voll nachprüfbaren Annahme eines Erfahrungssatzes von der generellen Ungefährlichkeit von Moto-Cross-Rennen. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Erkenntnisquellen sich das Landesarbeitsgericht bei der Annahme dieses Erfahrungssatzes gestützt hat; insbesondere nicht, ob das Landesarbeitsgericht selbst über genügend Sachkunde im fraglichen sportlichen Bereich verfügt. Der erkennende Senat selbst hat hier keine genügende Sachkenntnis und kann daher nicht selbständig über die mit Moto-Cross-Rennen allgemein verbundenen Gefahren und die Häufigkeit von Unfällen urteilen, wenn nach seiner Ansicht auch der erste Anschein für den besonderen Gefahrencharakter dieser Sportart spricht. Damit bleibt aber offen, ob nach allgemeiner Erfahrung Moto-Cross-Rennen zu den gefährlichen Sportarten zu rechnen sind oder nicht. Dies allein macht es erforderlich, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Der Rechtsstreit war zugleich an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Damit erhält das Landesarbeitsgericht Gelegenheit, nähere Feststellungen zu der prozeßentscheidenden Frage zu treffen, welche Gefahren im allgemeinen bei der Ausübung des Moto-Cross-Rennsports auftreten; insbesondere wird es erforderlich sein, sich ein genaues Bild über die Häufigkeit von Unfällen zu machen (vgl. hier die vom BAG für notwendig erachtete Aufklärung über die Häufigkeit von Unfällen beim Fußballsport in BAG 5, 307 = AP Nr. 5 zu § 63 HGB). Es läßt sich schwer vorstellen, daß der Tatrichter diese Frage ohne Mithilfe eines Sachverständigen befriedigend klären könnte. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis angebracht, daß sich für die erörterte Frage voraussichtlich auch die Erfahrungen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nutzbringend werden verwenden lassen können. Dabei wäre die Frage zu klären, ob und wieweit diese Versicherung das Haftpflichtrisiko bei Unfällen der Teilnehmer an Moto-Cross-Rennen übernimmt. Sollten hier Einschränkungen bestehen, so wäre dies ein wichtiger Hinweis für die allgemeine Beurteilung dieser Sportart unter dem Gesichtspunkt ihrer Gefährlichkeit.
Unterschriften
Dr. Schröder, Bichler, Siara, Schumacher, Seiler
Fundstellen