Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsausschluß bei Arbeitsunfall

 

Orientierungssatz

Nach § 539 Abs 2 RVO nimmt auch derjenige am Versicherungsschutz des Unfallbetriebs teil, der in diesem Betrieb wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherter tätig ist. Mit dem Haftungsausschluß nach § 637 Abs 1 RVO sind daher auch solche Personen belastet, die regelmäßig einem anderen Betrieb angehören, aber vorübergehend im Unfallbetrieb tätig sind.

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. Januar 1999 - 13 Sa

932/98 - wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Erben des am 10. Dezember 1999 verstorbenen früheren Klägers B.. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten den Klägern Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines vom früheren Kläger am 27. November 1995 erlittenen Arbeitsunfalls zu leisten haben.

Im Jahre 1995 war die Beklagte zu 5) als Generalunternehmerin mit der Errichtung eines Büro- und Geschäftshauses in K. beauftragt. Der frühere Kläger war Arbeitnehmer der Firma V., die als Subunternehmerin zur Lieferung und Montage der Fensterverglasungen für dieses Bauvorhaben verpflichtet war. Als weitere Subunternehmerin war die Firma R. bei dem Bauvorhaben tätig, die ihrerseits die Firma G. mit der Montage von Kabelschächten beauftragt hatte, für welche wiederum die Beklagte zu 3) als Kabelbau- und Elektrofirma tätig war. Bei der Beklagten zu 3) waren die Beklagten zu 1) und zu 2) als Arbeitnehmer beschäftigt. Der Beklagte zu 4) war als Bauleiter der Generalunternehmerin, der Beklagte zu 6) war als deren Polier und der Beklagte zu 7) als deren Kranführer bei dem Bauvorhaben tätig.

Am 27. November 1995 wies der Beklagte zu 6) als zuständiger Bauleiter der Generalunternehmerin alle auf der Baustelle anwesenden Mitarbeiter der Subunternehmen an, ihre Arbeiten stehen und liegen zu lassen und den Baustellenbereich freizuräumen. In Befolgung dieser Weisung transportierte der frühere Kläger Paletten mit Fensterverglasungen in den Rohbau und der Beklagte zu 1) sowie, nach der Behauptung des Klägers, der Beklagte zu 2) Kabelschächte von einer Plattform in das Gebäudeinnere. Dabei kippte der Stapel Kabelschächte um. Der frühere Kläger wurde von herabstürzenden Teilen am Kopf getroffen und erlitt schwerste Verletzungen, die zu einer irreversiblen Querschnittslähmung führten.

Der Kläger hat die Beklagten zu 1) und 2) als schuldhafte Verursacher des Unfalls in Anspruch genommen. Ihnen sei vorzuwerfen, daß sie zum einen den Seitenschutz an der Absturzkante der Montageplattform entfernt hätten. Zum anderen hätten sie jedenfalls das eine Kantholz, welches zur Herstellung des Bodenabstandes der Kabelschächte gedient hatte, nicht ordentlich positioniert. Hierdurch sei nach Abtransport eines Teils der Kabelschächte der restliche Stapel instabil geworden, so daß es dann zu dem Absturz der Teile gekommen sei.

Die Beklagte zu 3) hat der Kläger haftbar gemacht, weil diese es vollständig unterlassen habe, die Beklagten zu 1) und 2) zur Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen anzuhalten.

Ferner hafte die Beklagte zu 5) als Generalunternehmer für das gesamte Bauvorhaben. Sie sei verpflichtet gewesen, den Betrieb so zu regeln, daß Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leib und Leben geschützt wurden. Die Beklagte zu 5) habe nicht sichergestellt, daß die Montageplattform ordnungsgemäß gesichert und die dort abgestellte Last ordnungsgemäß gelagert wurde.

Schließlich hafte auch der Beklagte zu 4) als verantwortlicher Bauleiter. Dieser sei auch verpflichtet gewesen, die (auf Subunternehmer) übertragenen Aufgaben zu überwachen. Er habe sich zum Unfallzeitpunkt auf der Baustelle befunden und unschwer erkennen können und müssen, daß der Seitenschutz entfernt worden war.

Die Haftung des Beklagten zu 6) ergebe sich aus dem Umstand, daß er den Beklagten zu 1) und 2), die damit begonnen hätten, Kabelschächte durch das Treppenhaus nach oben zu tragen, angeboten habe, daß man diese Schächte mit dem Lastenkran der Beklagten zu 5) nach oben transportieren könne, was die Beklagten zu 1) und 2) gerne angenommen hätten. Der Beklagte zu 6) habe dann den Beklagten zu 7) in seiner Eigenschaft als Kranführer angewiesen, die Kabelschächte auf der Montageplattform abzusetzen. Beide, der Beklagte zu 6) wie der zu 7), hätten dann während der Arbeit Blickkontakt zu dieser Plattform gehabt und erkennen können, daß keine Sicherung vorhanden gewesen sei, ohne daß dies bei dem Hebe- und Absetzvorgang berücksichtigt worden sei.

Der frühere Kläger hat vorgetragen, seine schwersten und irreparablen Gesundheitsbeeinträchtigungen rechtfertigten eine Schmerzensgeldforderung in Höhe von 350.000,00 DM. Als materieller Schaden stelle sich die Einkommenseinbuße dar, die sich aus der Differenz seines durchschnittlichen Nettomonatseinkommen vor dem Unfall mit insgesamt 6.711,24 DM netto zu der von der Berufsgenossenschaft gezahlten Rente von 3.184,99 DM ergebe, so daß sich für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis einschließlich Mai 1997 entsprechend 17 Monaten ein Betrag von 59.946,25 DM errechne.

Der frühere Kläger hat beantragt, 1. die Beklagten als

Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für die am 27. November

1995 erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld zu zahlen,

dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn

59.946,25 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner

verpflichtet sind, ihm allen weiteren materiellen Schaden zu

ersetzen, den er aus dem Unfallereignis vom 27. November 1995

noch erleidet, soweit die Ersatzansprüche nicht aufgrund

gesetzlicher Vorschrift auf Sozialversicherungsträger

übergegangen sind.

Die Beklagten zu 1) bis 7) haben Klageabweisung beantragt. Sie haben sich auf den Haftungsausschluß nach §§ 636, 637 RVO berufen und die Verantwortlichkeit für den Arbeitsunfall zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger als Erben des früheren Klägers das Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Einer Haftung der Beklagten steht der Haftungsausschluß nach §§ 636, 637 RVO entgegen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klageabweisung damit begründet, daß die Beklagten nach der im vorliegenden Fall noch heranzuziehenden Regelung der §§ 636, 637 RVO von einer etwaigen Haftung für die Folgen des Arbeitsunfalls freigestellt seien. Der Kläger sei im Unfallzeitpunkt Versicherter im Sinne dieser Vorschriften gewesen. Er sei in den Unfallbetrieb der Generalunternehmerin eingegliedert gewesen. Diese Eingliederung ergebe sich aus der zum Unfallzeitpunkt bestehenden Weisung des zuständigen Bauleiters der Generalunternehmerin, wonach alle Mitarbeiter der Subunternehmen ihre Arbeiten stehen und liegen zu lassen und den Baustellenbereich freizuräumen hatten. In Ausführung der ihm erteilten Weisung habe der Kläger im Rahmen der Aufräumarbeiten die vor dem Gebäude vorhandenen Holzpaletten mittels eines Hubwagens entfernen wollen. Die Beklagten zu 1) und 2) seien der Anweisung insoweit nachgekommen, als sie die noch auf der Baustelle vorhandenen Kabelschächte umgehend in das Gebäude verbracht hätten. Damit seien der Verletzte und die möglichen Schädiger im unfallrechtlichen Sinne im Unfallzeitpunkt in demselben Betrieb tätig gewesen.

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht von der Anwendung der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden §§ 636 ff. RVO für das im Jahre 1995 liegende Unfallgeschehen ausgegangen.

Nach § 637 Abs. 1 in Verb. mit § 636 Abs. 1 RVO sind Ansprüche eines Versicherten auf Ersatz des Personenschadens aus einem Arbeitsunfall gegen einen in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ausgeschlossen, wenn dieser den Unfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat. Ausnahmen gelten nur in den vorliegend nicht in Betracht kommenden Fällen, daß der Betriebsangehörige den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder wenn der Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist.

2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der geschädigte frühere Kläger und die als mögliche Schädiger in Betracht kommenden beklagten Arbeitnehmer zum Unfallzeitpunkt im Unfallbetrieb der Generalunternehmerin, also in "demselben Betrieb" tätig waren.

a) Nach § 539 Abs. 2 RVO nimmt auch derjenige am Versicherungsschutz des Unfallbetriebs teil, der in diesem Betrieb wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig ist. Mit dem Haftungsausschluß nach § 637 Abs. 1 RVO sind daher auch solche Personen belastet, die - wie der Kläger - regelmäßig einem anderen Betrieb angehören, aber vorübergehend im Unfallbetrieb tätig sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat 28. Februar 1991 - 8 AZR 521/89 - BAGE 67, 273, 275, zu II 2 a der Gründe).

b) Ein Arbeitnehmer eines anderen Betriebs ist im Sinne des § 539 Abs. 2 RVO im Unfallbetrieb tätig, wenn er im Unfallzeitpunkt in den Unfallbetrieb "eingegliedert" war. Durch die Befolgung der Weisung des zuständigen Bauleiters der Generalunternehmerin, wonach alle Mitarbeiter der Subunternehmen ihre Arbeit stehen und liegen zu lassen und den Baustellenbereich freizuräumen hatten, waren alle Arbeitnehmer kurzfristig versicherungsrechtlich in den Unfallbetrieb der Generalunternehmerin eingegliedert. Der Versicherungsschutz besteht in derartigen Fällen für den Verunglückten nicht nur in seinem Stammunternehmen, sondern auch im Unfallunternehmen, in das der Geschädigte durch seine Hilfeleistung kurzfristig eingegliedert war. Es muß bei der vorübergehenden Tätigkeit nur eine ernstliche, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegen (vgl. BSG 17. März 1992 - 2 RU 22/91 - NZA 1992, 862). Dieser Unfallversicherungsschutz im Unfallunternehmen schließt über § 636 Abs. 1 RVO Schadensersatzansprüche wegen Personenschäden gegen den Unternehmer und über § 637 Abs. 1 in Verb. mit § 636 Abs. 1 RVO gegenüber den schädigenden Arbeitnehmern aus.

c) Die Revision kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die am Unfall beteiligten Arbeitnehmer hätten im Unfallzeitpunkt in erster Linie Arbeiten für ihr Stammunternehmen geleistet. Für die Eingliederung in den Unfallbetrieb genügt bereits eine bloße Hilfeleistung, eines Abhängigkeitsverhältnisses wirtschaftlicher oder persönlicher Art bedarf es nicht, sofern die Hilfeleistung über eine bloße "Arbeitsberührung" hinausgeht (vgl. BAG 13. April 1983 - 7 AZR 650/79 - BAGE 42, 194; BAG 28. Februar 1991 - 8 AZR 521/89 - aaO, zu II 2 b der Gründe). Die Arbeiten auf Grund der Räumungsanweisung der Generalunternehmerin gingen über eine bloße Arbeitsberührung hinaus.

Soweit die Revision von einem anderen Sachverhalt ausgeht, wonach die beteiligten Arbeitnehmer ohne Weisung der Generalunternehmerin lediglich Arbeiten für ihr Stammunternehmen ausführten, ist dies in der Revisionsinstanz unbeachtlich. Die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind für das Revisionsgericht bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Die Revision hat keine zulässigen und begründeten Rügen gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erhoben.

d) Entgegen der Auffassung der Revision besteht kein Anlaß, die Voraussetzungen für die Annahme einer Eingliederung in den Unfallbetrieb zu erhöhen, zumal der Gesetzgeber durch die seit 1. Januar 1997 geschaffene Rechtslage gar nicht mehr auf die Eingliederung abstellt. So regeln statt der außer Kraft getretenen §§ 636, 637 RVO nunmehr die §§ 104 ff. SGB VII den Haftungsausschluß beim Arbeitsunfall. Nach § 106 Abs. 3 SGB VII tritt der Haftungsausschluß bereits dann ein, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten.

Die Revision kann sich nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. März 1998 (- VI ZR 337/96 - NJW 1998, 2365) berufen. Entgegen der Auffassung der Revision hat der Bundesgerichtshof hier keinen mit dem Streitfall vergleichbaren Fall entschieden. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs führen werkvertragliche Subunternehmerverhältnisse nicht ohne weiteres zum Haftungsprivileg nach § 636 Abs. 1 RVO. Dabei schließt der Bundesgerichtshof aber die vorübergehende Eingliederung eines Arbeitnehmers in den Unfallbetrieb des Generalunternehmens gerade nicht aus.

3. Damit entfallen im Streitfall gem. § 637 Abs. 1 RVO etwaige Schadens- und Schmerzensgeldansprüche des früheren Klägers aus unerlaubter Handlung gegenüber den als Schädigern in Betracht kommenden Arbeitnehmern (Beklagte zu 1), 2), 4), 6) und 7)). Nach § 636 Abs. 1 RVO ist die Haftung der Unternehmer (Beklagte zu 3) und 5)) ausgeschlossen. Auch einer Haftung der Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer als Verrichtungsgehilfen nach § 823 Abs. 1, § 831 BGB steht die Haftungsbefreiung nach §§ 636, 637 RVO entgegen (vgl. BGH 3. November 1981 - VI ZR 119/80 - NJW 1982, 699). Auf den von den Beklagten zu 3) und 5) vorgetragenen Entlastungsbeweis kommt es daher nicht an.

III. Die Kläger haben gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen. Ascheid

Dr. WittMikoE. Schmitzberger

Dr. Scholz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611080

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