Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Ausschlußfrist. Bekanntmachung des Tarifvertrages im Betrieb

 

Normenkette

Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Einzelhandel Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 1993 §§ 2, 16, 17

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.12.1997; Aktenzeichen 6 Sa 1034/97)

ArbG Koblenz (Urteil vom 12.08.1997; Aktenzeichen 3 Ca 3733/96)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Dezember 1997 – 6 Sa 1034/97 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin und über die entsprechenden Vergütungsansprüche für das Jahr 1994.

Die Klägerin ist seit dem 13. August 1991 beim Beklagten, der bundesweit Drogeriemärkte betreibt, beschäftigt. Diesem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 16. August 1991 zugrunde, der – soweit hier von Bedeutung – wie folgt lautet:

„1. Frau … ist ab 13.08.1991 als Erste Kraft im Verkauf/Erste Verkäuferin in der Verkaufsstelle Koblenz, B. tätig.

Die Arbeitnehmerin wird mit allen in der Verkaufsstelle anfallenden Arbeiten einschließlich Inventur- und Reinigungsarbeiten nach näherer Anweisung der Firma bzw. ihres Vorgesetzten beschäftigt. …

3. Für ihre Tätigkeit erhalten Sie ein monatliches Tarifgehalt von insgesamt 2.400,00 DM. Sie sind in der Tarifgruppe II, 1. Tätigkeits-/Berufsjahr des jeweils gültigen Gehaltstarifvertrages für den Einzelhandel eingruppiert.”

Ab 1. Januar 1995 wurde die Klägerin auf Grund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29. Dezember 1994 als „Assistentin des Bezirksleiters” und ab 1. Juni 1995 auf Grund eines Anstellungsvertrages vom 8. Juni 1995 als „Bezirksleiter” beschäftigt. Beide Anstellungsverträge enthalten keine Angaben zur Eingruppierung der Klägerin. Seit dem 1. Februar 1996 arbeitet sie als „Verkaufsstellenverwaltung/Erste Verkäuferin” in der Geschäftsstelle B. und erhält gemäß einem weiteren schriftlichen Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1996 ein Tarifgehalt nach Gehaltsgruppe IV, 5. Tätigkeits-/Berufsjahr des Gehaltstarifvertrages für den Einzelhandel (G-TV).

Für die Monate Januar bis April 1994 erhielt die Klägerin eine monatliche Vergütung in Höhe von 2.996,00 DM brutto, für die Monate Mai bis Oktober 1994 in Höhe von 3.095,00 DM brutto und für November und Dezember 1994 in Höhe von 3.227,00 DM brutto. Weiterhin wurde ihr eine Jahressonderzahlung für das Jahr 1994 in Höhe von 1.547,50 DM brutto gewährt.

Mit Schreiben vom 9. Februar und 22. März 1996 machte die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) Ansprüche der Klägerin auf tarifgerechte Vergütung seit 1. Januar 1993 geltend.

Die Klägerin meint, sie habe Anspruch auf Eingruppierung in die Gehaltsgruppe IV G-TV. Deshalb macht sie – nachdem ihre Klage auf Gehaltsnachzahlung für das Jahr 1993 durch das Arbeitsgericht rechtskräftig abgewiesen worden ist – nur noch die Gehaltsdifferenz zwischen der gezahlten und der tariflichen Vergütung nach Gehaltsgruppe IV G-TV für das Jahr 1994 geltend.

Diese Ansprüche seien nicht gemäß § 16 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer im Einzelhandel Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 1993 (MTV) verfallen. Der Beklagte habe nämlich den Tarifvertrag im Jahre 1994 weder in der Verkaufsstelle B. ausgelegt, noch habe er ihn den Arbeitnehmern ausgehändigt.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.347,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 12. Dezember 1996 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er ist der Auffassung, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Vergütung nach Gehaltsgruppe IV G-TV für das Jahr 1994. Im übrigen seien etwa bestehende Vergütungsansprüche nach § 16 MTV verfallen. Die Klägerin habe den Tarifvertrag am 11. Januar 1995 anläßlich einer Tarifschulung der zuständigen Bereichsleitung Personal in ihrer Funktion als Bezirksleiterassistentin ausgehändigt bekommen. Der Lauf der Ausschlußfrist sei mit Übergabe des Tarifvertrages an die Klägerin in Lauf gesetzt worden.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zu einer Gehaltsnachzahlung von 7.347,00 DM brutto für das Jahr 1994 verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage auch im übrigen abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch für das Jahr 1994 in Höhe von 7.347,00 DM brutto weiter, während der Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Ein etwaiger Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen der tatsächlich gewährten und der tarifgerechten Vergütung für das Jahr 1994 wäre gemäß § 16 MTV verfallen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Gehaltsgruppe IV G-TV erfülle und damit Anspruch auf Nachzahlung der Vergütungsdifferenz für das Jahr 1994 habe. Ein insoweit möglicherweise bestehender Anspruch sei gemäß § 16 MTV verfallen. Nach der Ausschlußfrist des § 16 Ziff. 1 c, Ziff. 2 Satz 1 MTV seien beiderseitige Ansprüche grundsätzlich innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Diese Sechs-Monats-Frist habe vorliegend zwar noch nicht mit Fälligkeit der jeweiligen monatlichen Gehaltszahlungen zu laufen begonnen, da der Beklagte seiner Verpflichtung gemäß § 17 Ziff. 4 MTV zur Bekanntmachung des Tarifvertrages im Betrieb erst Anfang 1995 nachgekommen sei. Die Frist sei aber mit der Übergabe des MTV an die Klägerin am 11. Januar 1995 in Lauf gesetzt worden.

II. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung.

1. Selbst wenn der Klägerin für das Jahr 1994 ein Anspruch auf Vergütung nach Gehaltsgruppe IV G-TV zugestanden hätte, wären ihre Ansprüche auf Nachzahlung der Gehaltsdifferenzen zwischen der tatsächlich gewährten und der tarifgerechten Vergütung erloschen, da sie nicht rechtzeitig innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist des § 16 MTV geltend gemacht worden sind.

2. Der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendende für allgemeinverbindlich erklärte MTV enthält u.a. folgende Bestimmungen:

㤠2 Einstellung und Probezeit

1. Arbeitsverträge bedürfen der Schriftform. Der Arbeitsvertrag muß die vorgesehene Tätigkeit, die entsprechende Eingruppierung, tarifliche oder zusätzlich vereinbarte Zulagen, die ihrer Art nach genau zu bezeichnen sind, Pauschalabgeltungen für Mehrarbeit sowie die beiderseitigen Kündigungsfristen enthalten. …

§ 16 Erlöschen von Ansprüchen

1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb der nachgenannten Fristen schriftlich geltend zu machen:

  1. der Urlaubsanspruch bis zum 31. März des nachfolgenden Kalenderjahres;
  2. Ansprüche auf Vergütung von Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit binnen zwei Monaten nach der Abrechnung für den Monat, in dem die betreffenden Arbeiten geleistet worden sind;
  3. alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Fälligkeit.

2. Sofern die Ansprüche nicht innerhalb der genannten Fristen oder in der vorgeschriebenen Form erhoben werden, verfallen sie.

Bei Ansprüchen von Arbeitnehmerinnen gegenüber dem Arbeitgeber gilt dies nicht, falls der Arbeitgeber die nach § 2 Ziffer 1 und § 17 Ziffer 4 obliegenden Pflichten nicht erfüllt hat.

3. Die oben genannten Fristen gelten nicht für Schadensersatzansprüche aus strafbaren Handlungen.

§ 17 Schlußbestimmungen

4. Dieser Tarifvertrag ist im Betrieb an geeigneter Stelle zur Einsicht auszulegen oder auszuhängen. Er kann stattdessen auch allen Arbeitnehmerinnen ausgehändigt werden.”

3. Der geltend gemachte Anspruch fällt unter § 16 Ziff. 1 c MTV, da er nicht von § 16 Ziff. 1 a oder b MTV erfaßt wird.

Danach hätte die Klägerin etwaige Vergütungsansprüche auf Grund untertariflicher Entlohnung binnen sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend machen müssen, um einen Verfall dieser Ansprüche gemäß § 16 Ziff. 2 Satz 1 MTV zu vermeiden. Die Fälligkeit von Lohnansprüchen richtet sich nach § 9 Ziff. 11 Satz 1 MTV; Lohnansprüche sind danach am Ende des Monats fällig, für den die Vergütung zu zahlen ist, so daß die Klägerin die zuletzt fällige Gehaltsdifferenz für Dezember 1994 spätestens am 30. Juni 1995 schriftlich hätte geltend machen müssen. Die Verfallklausel des § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV war aber zu Lasten der Klägerin zunächst nicht anwendbar, weil der Beklagte seiner Verpflichtung gemäß § 17 Ziff. 4 MTV im Jahre 1994 nicht nachgekommen war. Gemäß § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV verfallen Ansprüche von Arbeitnehmern nämlich dann nicht, wenn der Arbeitgeber seine ihm gemäß § 2 Ziff. 1 oder § 17 Ziff. 4 MTV obliegenden Pflichten nicht erfüllt hat.

Nach § 17 Ziff. 4 MTV ist der Tarifvertrag im Betrieb an geeigneter Stelle zur Einsicht auszulegen oder auszuhängen oder stattdessen allen Arbeitnehmern auszuhändigen. Der MTV wurde aber in der Verkaufsstelle Koblenz, B., in der die Klägerin tätig war, weder zur Einsicht ausgelegt noch ausgehängt. Auch wurde er den Arbeitnehmern nicht ausgehändigt.

4. Etwaige Ansprüche der Klägerin sind aber deshalb verfallen, weil der Beklagte jedenfalls ab 11. Januar 1995 seiner Pflicht gemäß § 17 Ziff. 4 MTV durch Übergabe des MTV an die Klägerin nachgekommen ist und die Klägerin ihre Ansprüche nicht binnen sechs Monaten nach diesem Datum schriftlich geltend gemacht hat. Die schriftliche Geltendmachung einer tarifgerechten Entlohnung der Klägerin ist nämlich durch die Gewerkschaft HBV erstmals mit Schreiben vom 9. Februar 1996 erfolgt.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß dann, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Auslegung oder Aushändigung des MTV nachkommt, die Verfallfristen des § 16 MTV auch für solche Ansprüche zu laufen beginnen, die bereits vor Erfüllung dieser Verpflichtung fällig geworden sind.

§ 16 MTV trifft keine ausdrückliche Regelung darüber, wann der Arbeitgeber seine Verpflichtungen nach § 17 Ziff. 4 MTV erfüllt haben muß. Nicht geregelt ist auch die Frage, ob Ansprüche nicht mehr verfallen können, wenn der Arbeitgeber seine Verpflichtungen im Zeitpunkt der Fälligkeit der Ansprüche noch nicht erfüllt hat.

Eine sachgerechte Auslegung des § 16 MTV führt jedoch zu dem Ergebnis, daß dann, wenn der Arbeitgeber seine Verpflichtungen nach § 17 Ziff. 4 MTV erst nach Fälligkeit eines Anspruchs erfüllt, die Verfallfristen des § 16 Ziff. 1 MTV dann zu laufen beginnen, wenn der Arbeitgeber seinen Pflichten nachgekommen ist.

Die Auslegung des normativen Teiles eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Die Tarifauslegung hat zwar zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, dabei ist aber über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mit berücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann (BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, m.w.N.). Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhanges noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung oder die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages zurückgegriffen werden. Eine Bindung der Gerichte an eine bestimmte Reihenfolge gibt es insoweit nicht (BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Ferner gilt es, die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. BAG Urteile vom 5. Februar 1997 – 10 AZR 639/96 – AP Nr. 14 zu § 33 a BAT und 10. Mai 1995 – 4 AZR 74/94 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Medizinischer Dienst).

Da der Wortlaut des § 16 Ziff. 2 Satz 2 und des § 17 Ziff. 4 MTV keine näheren Anhaltspunkte liefert, ist auf die tarifliche Systematik zurückzugreifen. Diese spricht dafür, daß die Ausschlußfristen des § 16 Ziff. 1 MTV auch nach Fälligkeit eines Anspruches zu laufen beginnen, sobald der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nach § 17 Ziff. 4 MTV nachgekommen ist. Ausschlußfristen dienen – wie die Verjährung – dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit im Vertragsverhältnis. So soll zum einen der Schuldner binnen einer angemessenen Frist wissen, ob und welche Ansprüche gegen ihn noch geltend gemacht werden und zum anderen der Gläubiger durch den drohenden Rechtsverlust angehalten werden, die Begründetheit und die Erfolgsaussichten seiner Ansprüche innerhalb einer angemessenen Frist zu prüfen und den Schuldner darauf hinzuweisen, welche Ansprüche geltend gemacht werden sollen. Nach Fristablauf soll sich der Schuldner darauf verlassen können, daß gegen ihn keine Ansprüche mehr erhoben werden (BAG Urteile vom 11. Juli 1990 – 5 AZR 609/89 – AP Nr. 108 zu § 4 TVG Ausschlußfristen und vom 8. Juni 1983 – 5 AZR 632/80BAGE 43, 71 = AP Nr. 78 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).

Das mit der Vereinbarung von Ausschlußfristen in Tarifverträgen verfolgte Ziel, binnen angemessener Frist Klarheit darüber zu erzielen, welche Ansprüche geltend gemacht werden sollen und können, spricht für eine Auslegung des § 16 MTV dahingehend, daß die Verfallfrist auch dann zu laufen beginnt, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht, den Tarifvertrag im Betrieb auszulegen bzw. den Arbeitnehmern auszuhändigen, erst nach Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs nachkommt. Dem Anliegen der Ausnahmevorschrift des § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV ist in dem Moment genügt, in dem einem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer der MTV in geeigneter Form vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt oder die Kenntnisnahme vom Inhalt des MTV ermöglicht ist und er damit weiß oder wissen kann, daß er seinen Anspruch innerhalb einer bestimmten Verfallfrist schriftlich geltend machen muß.

Es ist nicht ersichtlich, daß die Tarifvertragsparteien eine Sanktion für die Nichtauslegung oder Nichtaushändigung des MTV durch den Arbeitgeber dahingehend beabsichtigt haben, daß Ansprüche des Arbeitnehmers nicht mehr verfallen können, wenn bei Fälligkeit seines Anspruchs der MTV nicht ordnungsgemäß nach § 17 Ziff. 4 MTV dem Arbeitnehmer bekannt gemacht worden ist. Den Interessen des Arbeitnehmers ist genügt, wenn der Arbeitgeber seine Bekanntmachungspflicht erfüllt hat und ihm von diesem Zeitpunkt an sechs Monate zur schriftlichen Geltendmachung seines Anspruchs verbleiben.

Es würde auch dem Sinn der tariflichen Verfallfrist zuwider laufen, wenn ein Arbeitnehmer bei Bekanntgabe des MTV nach Fälligkeit seines Anspruchs zwar verpflichtet wäre, seine künftig entstehenden Ansprüche binnen sechs Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen, die zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des MTV bereits entstandenen Ansprüche jedoch unbefristet – bis zum Eintritt der Verjährung – geltend machen könnte.

Auch werden die Rechtssicherheit und die Rechtsklarheit auf Grund dieses Auslegungsergebnisses nicht berührt, da der Lauf der Frist weiterhin von einem objektiv ermittelbaren Umstand, nämlich die Bekanntgabe des MTV durch den Arbeitgeber, abhängt. Dem Arbeitnehmer werden auch keine erheblichen Hindernisse bei der Überprüfung und Geltendmachung bestehender Ansprüche zugemutet.

5. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, der Beklagte habe seiner Pflicht gemäß § 17 Ziff. 4 MTV spätestens am 11. Januar 1995 mit Übergabe des Tarifvertrages an die Klägerin genügt.

Unstreitig ist der Klägerin an diesem Tag anläßlich einer Tarifschulung des Beklagten durch die zuständige Bereichsleitung Personal in ihrer Funktion als Bezirksleiterassistentin ein MTV ausgehändigt worden. Die Aushändigung dieses Tarifvertrages an einen einzelnen Arbeitnehmer führt dazu, daß für diesen die Ausschlußfristen des § 16 Ziff. 1 MTV zu laufen beginnen, während für die übrigen Arbeitnehmer, denen der MTV weder ausgehändigt noch bekannt gemacht worden ist, diese Ausschlußfristen keine Anwendung finden.

Gemäß § 17 Ziff. 4 MTV ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, den MTV im Betrieb an geeigneter Stelle zur Einsicht auszulegen oder auszuhängen. Diese Verpflichtung besteht nur dann nicht, wenn er den Tarifvertrag „stattdessen” allen Arbeitnehmern aushändigt. Der Wortlaut dieser Bestimmung spricht für einen kollektiven Aspekt, der eine Einheitlichkeit der Zugangsmöglichkeit zum MTV im Betrieb für alle Arbeitnehmer erstrebt. Dies führt aber nicht dazu, die Übergabe an einzelne Arbeitnehmer oder eine Gruppe von Arbeitnehmern nicht als ausreichende Bekanntgabe im Sinne des § 17 Ziff. 4 MTV anzusehen.

Selbst wenn die Tarifvertragsparteien grundsätzlich davon ausgehen, daß alle Arbeitnehmer den MTV erhalten müssen bzw., daß er allen Arbeitnehmern zugänglich sein muß, damit der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach § 17 Ziff. 4 MTV genügt, kann sich derjenige Arbeitnehmer, der den MTV tatsächlich erhalten hat, nicht darauf berufen, der Arbeitgeber sei seiner Verpflichtung zur Aushändigung des MTV gegenüber anderen Arbeitnehmern des Betriebes nicht nachgekommen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist es ausreichend, wenn der betroffene Arbeitnehmer den MTV erhalten hat, da es ihm von diesem Zeitpunkt an möglich ist, sich über die tariflichen Verfallfristen zu informieren und seine Ansprüche fristgemäß geltend zu machen.

Wollte man für den Beginn der Verfallfrist des § 16 Ziff. 1 MTV die Aushändigung des MTV an einen einzelnen Arbeitnehmer nicht ausreichen lassen, sondern die Aushändigung an alle Arbeitnehmer des Betriebes fordern, so käme noch hinzu, daß es in der Praxis für den einzelnen Arbeitnehmer regelmäßig unmöglich wäre zu erkennen, wann die Verfallfristen für seine Ansprüche zu laufen beginnen, wenn der Arbeitgeber den MTV an seine Arbeitnehmer nicht gleichzeitig, sondern sukzessive aushändigt.

6. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien vom 16. August 1991 genügt auch den Anforderungen des § 2 Ziff. 1 MTV, so daß zugunsten der Klägerin die Verfallfrist auch nicht wegen § 16 Ziff. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 2 Ziff. 1 MTV unanwendbar ist.

§ 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV in Verbindung mit § 2 Ziff. 1 MTV dient dazu, den Arbeitgeber anzuhalten, im Arbeitsvertrag Angaben zur beabsichtigten Tätigkeit und zur Eingruppierung des Arbeitnehmers zu machen und es diesem dadurch zu erleichtern, das Bestehen weitergehender Ansprüche zu überprüfen. Für die geltend gemachten Ansprüche für das Jahr 1994 ist dieser Zweck durch den für diesen Zeitraum einschlägigen schriftlichen Arbeitsvertrag vom 16. August 1991 erfüllt, da dieser Arbeitsvertrag die Tätigkeit und die Eingruppierung der Klägerin regelt. Daß die späteren Arbeitsverträge vom 29. Dezember 1994 und 8. Juni 1995 sowie der Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1996 keine Angaben zur Eingruppierung der Klägerin enthalten, ist demnach bedeutungslos.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Hauck, Bock, Walther, v. Baumgarten

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1485090

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