Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung. Erziehungsurlaub
Leitsatz (amtlich)
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 04.03.1994; Aktenzeichen 10 Sa 608/93) |
ArbG Herford (Urteil vom 10.12.1992; Aktenzeichen 1 Ca 1425/91) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. März 1994 – 10 Sa 608/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer weiteren tariflichen Sonderzuwendung für den Zeitraum des Jahres 1991, in dem sich die Klägerin in Erziehungsurlaub befand.
Die Klägerin ist seit 1989 bei der Beklagten als Zuschneiderin mit einem Stundenlohn von zuletzt 17,55 DM brutto bei einer Arbeitszeit von 37 Wochenstunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Polstermöbelindustrie des Landes Nordrhein-Westfalen Anwendung; u.a. der Tarifvertrag Sonderzahlungen zur stufenweisen Einführung eines Teiles eines 13. Monatsverdienstes (im folgenden: TV SZ) vom 1. Februar 1989. Dieser Tarifvertrag enthält zu den Voraussetzungen der betrieblichen Sonderzahlung u.a. folgende Regelungen:
- “…
Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs
Alle Arbeitnehmer, die am 30.11. in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb oder Unternehmen ein Jahr angehören, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen als Teile eines 13. Monatsverdienstes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen:
- Die Sonderzahlung beträgt bei vollem Anspruch 65 %, ab Kalenderjahr 1992 70 % eines durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienstes.
- …
- Der volle Anspruch auf die Sonderzahlung nach Ziffer 1. besteht jeweils für Arbeitnehmer, die am 30.11. des laufenden Jahres dem Betrieb mindestens 12 Monate ununterbrochen angehören.
- …
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung;
ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
- …”
Die Klägerin wurde am 10. Dezember 1990 von einem Kind entbunden. Nach Ablauf der gesetzlichen Mutterschutzfrist nach der Entbindung nahm sie Erziehungsurlaub, der am 10. Mai 1992 endete.
Mit ihrer Klage vom 18. Dezember 1991 begehrt die Klägerin die Zahlung der Sonderzuwendung nach den Bestimmungen des TV SZ in Höhe von 65 % eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes für das Jahr 1991 (= 1.829, -- DM brutto).
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe ein Anspruch auf die volle tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1991 zu, da das Arbeitsverhältnis im Falle des Erziehungsurlaubs nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruhe. Im übrigen erfülle sie die tariflichen Voraussetzungen für die Zahlung der Sonderzuwendung; eine Kürzung der Sonderzahlung verstoße gegen Art. 119 EWG-Vertrag.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.829,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 6. Januar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, der geltend gemachte Anspruch der Klägerin sei durch Ziffer 8 des Tarifvertrags über die stufenweise Einführung eines 13. Monatsverdienstes ausgeschlossen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ruhe aufgrund des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes. Die Tarifvertragsparteien hätten auch nicht beabsichtigt, die tarifliche Sonderzuwendung im Falle des Erziehungsurlaubs ggf. für die Dauer von drei Jahren zu gewähren.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 175,38 DM brutto verurteilt worden ist; dieser Betrag entspricht der anteiligen tariflichen Sonderzuwendung für den Zeitraum der gesetzlichen Mutterschutzfrist nach der Entbindung bis einschließlich 4. Februar 1991. Insoweit hat die Beklagte die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts im Termin vor dem Landesarbeitsgericht im Einverständnis mit der Klägerin zurückgenommen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verlangt die Klägerin die Zahlung der ungekürzten tariflichen Sonderzuwendung (nunmehr noch in der Höhe von 1.653,62 DM). Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Klägerin für das Jahr 1991 nur ein Anspruch auf eine anteilige tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 175,38 DM brutto zusteht; zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage im übrigen abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klägerin erfülle zwar die Voraussetzungen der Ziffer II Nr. 1 und 4 des TV SZ. Der Anspruch sei jedoch für die Zeit des Erziehungsurlaubs nach Ziffer II Nr. 8 des TV SZ ausgeschlossen. Der Ausschluß des Anspruchs verstoße nicht gegen höherrangiges Recht; insbesondere seien die Art. 6 Abs. 4 GG, § 15 Abs. 4 BErzGG und § 612a BGB nicht verletzt. Die Regelung in Ziffer II Nr. 8 des TV SZ verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG oder Art. 119 EWG-Vertrag. Die Klägerin habe keine Tatsachen dafür vorgetragen, daß eine mittelbare Diskriminierung vorliege. Im übrigen sei es sachlich gerechtfertigt, diejenigen Arbeitnehmer von der tariflichen Jahresleistung auszunehmen, die im Bezugsjahr keine oder nur eine teilweise Arbeitsleistung erbracht hätten.
II. Dem Landesarbeitsgericht kann sowohl im Ergebnis wie auch in weiten Teilen der Begründung gefolgt werden.
1. Die Revision ist zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision im Tenor seiner Entscheidung zugelassen. Die Rechtsmittelbelehrung, wonach gegen dieses Urteil mangels Zulassung die Revision nicht stattfindet, steht dem nicht entgegen. Hat das Landesarbeitsgericht die Revision zugelassen, wird die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels durch eine widersprechende Rechtsmittelbelehrung weder beeinträchtigt noch beseitigt (BAG Urteil vom 24. Februar 1988 – 4 AZR 614/87 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie; GK-ArbGG/Ascheid, § 72 Rz 50).
2. Zu Recht kommt das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, daß der Klägerin für das Jahr 1991 nur ein um die Zeit ihres Erziehungsurlaubs anteilig gekürzter Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung zusteht.
Dabei geht das Landesarbeitsgericht zutreffend davon aus, daß die Klägerin die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen für die Sonderzahlung erfüllt, da sie am 30. November in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten stand und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb länger als ein Jahr angehört hatte (Ziffer II des TV SZ).
3. Entsprechend der Rechtsprechung des Senats hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß der Anspruch der Klägerin auf die tarifliche Sonderzuwendung jedoch insoweit ausgeschlossen ist, als ihr Arbeitsverhältnis wegen Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs (ab dem 5. Februar 1991) geruht hat.
Mit Urteil vom 10. Februar 1993 (– 10 AZR 450/91 – AP Nr. 7 zu § 15 BErzGG) hat der Senat entschieden, daß das Arbeitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes ruht (so auch Sowka, Anm. zu AP Nr. 2 und 3 zu § 15 BErzGG; Winterfeld, SAE 1989, 256). Anhaltspunkte dafür, von dieser inzwischen ständigen Rechtsprechung des Senats abzugehen, sind nicht ersichtlich.
4. Eine tarifliche Regelung, die die Kürzung einer Sonderzahlung für Zeiten des gesetzlichen Ruhens des Arbeitsverhältnisses vorsieht, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Der Senat hat dies in mehreren Entscheidungen (Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 704/92 – AP Nr. 158 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 697/93 – AP Nr. 165 zu § 611 BGB Gratifikation) festgestellt und im einzelnen begründet. Er hat die Wirksamkeit solcher tariflicher Regelungen sowohl an Art. 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie Nr. 75/117 EWG als auch an Art. 3 und 6 GG sowie an § 15 Abs. 3 BErzGG gemessen und einen Verstoß gegen diese Normen verneint.
Der Senat hat einen Verstoß einer solchen tarifvertraglichen Regelung gegen Art. 119 EWG-Vertrag bzw. gegen Art. 3 GG auch unter Berücksichtigung des Umstandes verneint, daß der Erziehungsurlaub ganz überwiegend von Frauen in Anspruch genommen wird. Er hat dabei die Rechtsprechung des EuGH zugrunde gelegt, wonach eine geschlechtsspezifische Benachteiligung der Frauen dann zulässig ist, wenn ein wirkliches Bedürfnis für eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen besteht (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 107/84 – Bilka, EuGHE 1986, 1607 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Urteil vom 27. Juni 1990 – C 33/89 – AP Nr. 21 zu Art. 119 EWG-Vertrag; ständige Rechtsprechung des EuGH). Der Senat ist dabei von dem Rechtssatz ausgegangen, daß der Arbeitgeber grundsätzlich nur Lohn für erbrachte Arbeit schuldet, sofern nicht gesetzlich ausnahmsweise eine Lohnzahlungspflicht auch für Zeiten ohne Arbeitsleistung vorgesehen ist, wie z.B. im Fall der Arbeitsunfähigkeit. Dementsprechend hat auch der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts einen Verstoß einer Versorgungsordnung gegen Art. 119 EWG-Vertrag für den Fall verneint, daß in der Versorgungsordnung Zeiten des Erziehungsurlaubs von Steigerungen einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausgenommen sind (Urteil vom 15. Februar 1994 – 3 AZR 708/93 – AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung).
Ist der Arbeitgeber von der Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts befreit, weil das Arbeitsverhältnis wegen Erziehungsurlaubs ruht, verbieten daher weder Art. 119 EWG-Vertrag noch Art. 3 GG eine vertragliche oder tarifliche Bestimmung, die es dem Arbeitgeber erlaubt, auch zusätzliche Entgeltleistungen, wie z.B. Sonderzahlungen für diese Zeiten ruhen zu lassen. Der Unterschied zwischen einem ruhenden und einem nichtruhenden Arbeitsverhältnis ist so gewichtig, daß eine unterschiedliche Behandlung nicht nur beim eigentlichen Arbeitsentgelt, sondern auch bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen zum Arbeitsentgelt gerechtfertigt ist (Urteile des Senats vom 24. November 1993 – 10 AZR 704/92 – und vom 28. September 1994 – 10 AZR 697/93 – AP Nr. 158 und 165 zu § 611 BGB Gratifikation). Somit liegt eine verbotene Diskriminierung der Frauen auch dann nicht vor, wenn man davon ausgeht, daß aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Rolle Frauen weitaus häufiger Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen mit der Folge, daß ihr Arbeitsverhältnis ruht, als Männer. Da somit die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmergruppen durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, verstößt der Tarifvertrag nicht gegen Art. 119 EWG-Vertrag (EuGH Urteile vom 13. Mai 1986 – Rs 107/84 – und vom 27. Juni 1990 – C 33/89 – jeweils aaO).
Nach dieser Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, steht der Klägerin ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auch für die Zeiten, in denen sie Erziehungsurlaub in Anspruch genommen hat, nicht zu. Ihre Revision ist daher zurückzuweisen.
5. Einer Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH nach Art. 177 Abs. 3 EWG-Vertrag bedarf es nicht, da objektive Gründe die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmergruppen rechtfertigen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (BAG Urteil vom 10. November 1994 – 6 AZR 486/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
III. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Klägerin zu tragen.
Unterschriften
Dr. Freitag, Hauck, Böck, Thiel, Paul
Fundstellen
Haufe-Index 436651 |
NZA 1996, 31 |