Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretungszulage eines Krankenhausarztes
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tätigkeitsmerkmale der VergGr I BAT Fallgruppe 1 werden nur erfüllt, wenn der betreffende Arzt durch ausdrückliche Anordnung des zuständigen Vertretungsorgans des jeweiligen öffentlichen Arbeitgebers zum "ständigen Vertreter" des leitenden Arztes bestellt worden ist.
2. Auch wenn einem Arzt diese Funktion nur vertretungs weise übertragen wird (§ 24 Abs 2 BAT), bedarf es einer solchen ausdrücklichen Anordnung. Tatsächliche bzw medizinische Dispositionen eines leitenden Arztes sind rechtsunerheblich.
Normenkette
BAT § 24; BAT Anlage 1a; BGB § 162; BAT § 22 Fassung: 1975-03-17
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.03.1986; Aktenzeichen 4 Sa 72/86) |
ArbG Hameln (Entscheidung vom 08.11.1985; Aktenzeichen 2 Ca 437/85) |
Tatbestand
Der Kläger ist Oberarzt in der chirurgischen Abteilung im Kreiskrankenhaus des Beklagten. Dem Leiter der Abteilung sind ständig mindestens neun Ärzte unterstellt. Der ständige Vertreter des leitenden Arztes erkrankte am 15. November 1983. Der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt einziger Oberarzt der Abteilung war, nahm in der Folgezeit die Funktionen des ständigen Vertreters wahr. Mit Schreiben vom 12. März 1984 wandte sich der leitende Arzt an den Oberkreisdirektor und bat um Überprüfung, ob dem Kläger eine Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT gewährt werden könne.
Der Kreisausschuß als das personalwirtschaftlich zuständige Organ des Beklagten beschloß am 10. April 1984, den Kläger ab 1. Oktober 1984 zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes der chirurgischen Abteilung zu bestellen. Dem Kläger wurde ferner eine Nebentätigkeitsgenehmigung zur Vertretung des leitenden Arztes als Durchgangs- und Beratungsfacharzt für den Landesverband Nordwestdeutschland der gewerblichen Berufsgenossenschaften ab 15. April 1984 erteilt. Die Zahlung einer Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die tariflichen Voraussetzungen der höheren Vergütungsgruppe nicht vorlägen.
Nachdem der Kläger den Differenzbetrag zwischen der VergGr. I a BAT/VKA und der VergGr. I BAT/VKA als Vertretungszulage für die Zeit vom 1. Februar 1984 bis zum 30. September 1984 mit Schreiben vom 19. Dezember 1984 vergeblich geltend gemacht hatte, hat er diesen Anspruch mit der vorliegenden Klage weiterverfolgt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm die Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT zustehe, weil er die Aufgaben des ständigen Vertreters des leitenden Arztes mit Wissen und Billigung der Vertretungsorgane des Beklagten seit dem 15. November 1983 wahrgenommen habe. Eine Bestellung zum ständigen Vertreter durch ausdrückliche Anordnung sei bei einer vertretungsweisen Wahrnehmung der Aufgaben nicht erforderlich. Sie sei außerdem nur aus rein finanziellen Erwägungen nicht erfolgt. Dies werde daraus deutlich, daß ihm die Vertretung als Durchgangs- und Beratungsfacharzt, die keinerlei finanzielle Verpflichtungen des Beklagten ausgelöst habe, ohne zeitliche Verzögerung übertragen worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.728,96 DM
brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 19. Dezember 1984
zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß dem Kläger die Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT nicht zustehe. Er habe nicht alle Voraussetzungen der höherwertigen Tätigkeit erfüllt, da er nicht durch ausdrückliche Anordnung zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes bestellt worden sei. Eine Bestellung durch ausdrückliche Anordnung sei auch bei einer vertretungsweisen Wahrnehmung der Tätigkeit erforderlich. Eine solche sei durch den Kreisausschuß als das allein zuständige Organ nicht erfolgt. Der leitende Arzt habe die Bestellung des Klägers zum ständigen Vertreter weder vorgenommen noch hätte er sie vornehmen dürfen. Der Kläger sei lediglich als Abwesenheitsvertreter eingesetzt worden. Dies sei organisatorisch zulässig und begründe keinen Anspruch auf die Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT. Im übrigen sei ein Teil des Anspruches nach § 70 BAT verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage für den Zeitraum vom 1. Juli 1984 bis zum 30. September 1984 in Höhe von 1023,36 DM brutto stattgegeben und sie im übrigen im Hinblick auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Mit der Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung in vollem Umfange. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. In der Revisionsinstanz hat er die Zinsforderung auf Prozeßzinsen seit dem 23. August 1985 aus dem Nettobetrag beschränkt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung in vollem Umfange. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT nicht zu.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der BAT Anwendung. Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 BAT erhält ein Angestellter, dem vertretungsweise eine andere Tätigkeit (§ 22 Abs. 2 Unterabsatz 1 BAT) übertragen wird, die den Tätigkeitsmerkmalen einer höheren als seiner Vergütungsgruppe entspricht (§ 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 bis 5 BAT), eine persönliche Zulage in Höhe des Unterschieds zwischen der Vergütung, die ihm zustehen würde, wenn er in der höheren Vergütungsgruppe eingruppiert wäre, und der Vergütung der Vergütungsgruppe, in der er eingruppiert ist (§ 24 Abs. 3 BAT), wenn die Vertretung länger als drei Monate dauert.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß dem Kläger der Differenzbetrag zwischen den VergGruppen I a BAT/VKA und I BAT/VKA als Vertretungszulage zusteht. Dem Kläger sei im Vergleich zu der von ihm auszuübenden und nach VergGr. I a BAT/VKA zu bewertenden Tätigkeit eine nach VergGr. I BAT/VKA zu bewertende Tätigkeit dadurch übertragen worden, daß der Beklagte die vertretungsweise Wahrnehmung der Aufgaben des ständigen Vertreters des leitenden Arztes durch den Kläger gebilligt habe. Zwar habe der Beklagte den Kläger nicht durch ausdrückliche Anordnung, wie tariflich vorgesehen sei, zum ständigen Vertreter bestellt; da die Wahrnehmung dieser Aufgabe für den Krankenhausbetrieb jedoch notwendig gewesen und der Kläger als einziger Facharzt dafür in Frage gekommen sei, müsse sich der Beklagte so behandeln lassen, als wäre der Kläger durch ausdrückliche Anordnung zum ständigen Vertreter bestellt worden (§ 162 BGB).
Diesem Ergebnis des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß für die vertretungsweise Übertragung einer Tätigkeit nach § 24 Abs. 2 BAT tariflich keine besondere Form vorgesehen ist. Die Übertragung kann sich aus einer entsprechenden ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung des Arbeitgebers und damit je nach der Fallgestaltung auch aus den jeweiligen Umständen ergeben. Sie muß nur dem Angestellten hinreichend deutlich gemacht werden (BAG Urteil vom 19. März 1986 - 4 AZR 642/84 - zur Veröffentlichung bestimmt). Der Anspruch auf eine Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT ist allerdings nur dann begründet, wenn die vertretungsweise übertragene Tätigkeit den Tätigkeitsmerkmalen der höheren Vergütungsgruppe entspricht. Damit wird nach dem Tarifwortlaut, der ausdrücklich auf § 22 Abs. 2 Unterabsätze 2 bis 5 BAT Bezug nimmt, die Erfüllung aller Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale der höheren Vergütungsgruppe gefordert. So muß z. B. auch ein Prüfungserfordernis erfüllt sein, wenn dieses zu den Anforderungen der höheren Vergütungsgruppe gehört (BAG Urteil vom 6. Juni 1973 - 4 AZR 316/72 - AP Nr. 2 zu § 9 MTB II).
Der Kläger könnte die Vertretungszulage daher nur beanspruchen, wenn seine Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. I BAT/VKA Fallgruppe 1 in der Fassung des Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1 a zum BAT (Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Zahnärzte) vom 23. Februar 1972 erfüllen würde. Dieses hat folgenden Wortlaut:
VergGr. I/Fallgruppe 1
Ärzte in Anstalten und Heimen gemäß SR 2 a, die als
ständige Vertreter des leitenden Arztes durch
ausdrückliche Anordnung bestellt sind, wenn dem
leitenden Arzt mindestens 9 Ärzte unterstellt
sind.
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 1 und 2).
Die Protokollerklärung Nr. 1 lautet:
Ständiger Vertreter im Sinne des Tätigkeitsmerkmals
ist nur der Arzt (Zahnarzt), der den leitenden
Arzt (Zahnarzt) in der Gesamtheit seiner Dienst-
aufgaben vertritt.
Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer
Abteilung (Klinik) nur von einem Arzt (Zahnarzt)
erfüllt werden.
Zur Erfüllung der Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der VergGr. I BAT/VKA Fallgruppe 1 bedarf es der Bestellung zum ständigen Vertreter durch ausdrückliche Anordnung. Dies gilt auch bei einer vertretungsweisen Übertragung der Tätigkeit nach § 24 Abs. 2 BAT. Wie die Tarifvertragsparteien durch die Protokollerklärung Nr. 1 deutlich machen, kann nur e i n e m Arzt innerhalb einer Abteilung die Vertretung des leitenden Arztes in der Gesamtheit seiner Dienstaufgaben übertragen werden. Die Übertragung dieser Aufgabe bedarf jedoch der ausdrücklichen Anordnung durch das zuständige Organ des jeweiligen öffentlichen Arbeitgebers. Rein tatsächliche Dispositionen des leitenden Arztes reichen zur Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals nicht aus (Clemens/Scheuring/ Steingen/Wiese, BAT, Teil II VKA, Anm. 5, S. 694 a). Die Funktion des ständigen Vertreters besteht unabhängig davon, ob der leitende Arzt an der Wahrnehmung seiner Dienstaufgaben gehindert ist oder nicht. Sie unterscheidet sich demgemäß von dem Abwesenheitsvertreter, der die Aufgaben des leitenden Arztes nur bei dessen Verhinderung wahrnimmt (vgl. BAG Urteil vom 18. Februar 1981 - 4 AZR 993/78 - AP Nr. 3 zu §§ 22, 23 BAT Sparkassenangestellte). Dieser Unterschied rechtfertigt es, auch bei einer vertretungsweisen Übertragung der Aufgaben eines ständigen Vertreters eine Bestellung durch ausdrückliche Anordnung zu verlangen. Die Kompetenz zur Vertretung des leitenden Arztes in der Gesamtheit seiner Dienstaufgaben bedarf auch in diesem Falle einer eindeutigen Klarstellung und kann nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang nicht allein tatsächlichen bzw. medizinischen Dispositionen des leitenden Arztes überlassen bleiben. Innerhalb der Abteilung oder der Klinik muß auch bei der vertretungsweisen Übertragung der Aufgaben des ständigen Vertreters deutlich zum Ausdruck kommen, welchem Arzt diese Aufgaben aufgrund einer entsprechenden Bestellung obliegen. Nur so wird dem Sinn und Zweck der Protokollerklärung Nr. 1 Rechnung getragen.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß der Kläger nicht vertretungsweise durch ausdrückliche Anordnung zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes bestellt worden ist. Der leitende Arzt hat zwar gebilligt, daß der Kläger die Funktionen seines ständigen Vertreters ab 15. November 1983 übernahm; da ihm jedoch keinerlei Personalbefugnisse zustanden, hat er eine entsprechende ausdrückliche Anordnung nicht vorgenommen, sondern lediglich mit Schreiben vom 12. März 1984 den Oberkreisdirektor in Kenntnis gesetzt, daß der Kläger die Aufgaben des erkrankten, ständigen Vertreters faktisch wahrnehme und die Zahlung einer Vertretungszulage angeregt. Eine vertretungsweise Bestellung des Klägers zum ständigen Vertreter ist auch vom Kreisausschuß als dem personalwirtschaftlich und rechtlich zuständigen Organ nicht vorgenommen worden. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr festgestellt, daß der Kreisausschuß den Kläger erst ab 1. Oktober 1984 auf Dauer als ständigen Vertreter des leitenden Arztes bestellt und damit für die Dauer der Erkrankung des bisherigen ständigen Vertreters eine vertretungsweise Bestellung abgelehnt hat. Dies kommt auch deutlich darin zum Ausdruck, daß der Kreisausschuß die Zahlung einer Vertretungszulage im Hinblick darauf ablehnte, daß der Kläger nicht sämtliche Merkmale der höheren Vergütungsgruppe erfülle. Daß der Kreisausschuß den Kläger ab 15. April 1984 zum Vertreter des leitenden Arztes als Durchgangs- und Beratungsfacharzt für die Berufsgenossenschaft bestellte, hat hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der VergGr. I BAT/VKA Fallgruppe 1 keine Bedeutung.
Soweit das Landesarbeitsgericht trotz fehlender Bestellung des Klägers zum ständigen Vertreter durch ausdrückliche Anordnung der Klage mit der Begründung stattgegeben hat, daß der Beklagte sich nach Treu und Glauben gemäß § 162 BGB so behandeln lassen müsse, als hätte er dem Kläger die Tätigkeit des ständigen Vertreters durch ausdrückliche Anordnung übertragen, kann dem nicht zugestimmt werden. Der Beklagte war entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht verpflichtet, den Kläger vertretungsweise zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes zu bestellen. Der Beklagte konnte den Krankenhausbetrieb so organisieren, wie er es für angemessen und zweckmäßig hielt. Davon geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Es nimmt jedoch an, daß die einzige Organisationsmöglichkeit in der vertretungsweisen Bestellung des Klägers zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes bestanden habe, weil außer dem Kläger kein weiterer Facharzt zur Verfügung stand. Dabei übersieht das Landesarbeitsgericht jedoch, daß der Beklagte die Möglichkeit hatte, den Kläger nur als Abwesenheitsvertreter einzusetzen und die Stelle des ständigen Vertreters bis zu ihrer Besetzung auf Dauer vakant zu lassen. Ob sich der Beklagte dabei von finanziellen Erwägungen leiten ließ, wie der Kläger annimmt, oder aus Rechtsgründen eine vertretungsweise Bestellung zum ständigen Vertreter nicht für zulässig hielt, wovon das Landesarbeitsgericht ausgeht, kann dahinstehen. Der Beklagte war jedenfalls unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, vertretungsweise einen ständigen Vertreter zu bestellen, sondern konnte die Vertretung des leitenden Arztes auf eine Vertretung im Verhinderungsfalle beschränken und durch den Kläger wahrnehmen lassen. Die Tätigkeit des Klägers als Abwesenheitsvertreter des leitenden Arztes begründet aber keinen Anspruch auf Zahlung der Vertretungszulage nach § 24 Abs. 2 BAT.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Dr. Feller Dr. Etzel Dr. Freitag
Koerner Brocksiepe
Fundstellen
NJW 1987, 2957 |
RdA 1987, 254 |
AP § 24 BAT (LT1-2), Nr 14 |
PersV 1991, 234 (K) |