Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall der Geschäftsgrundlage in der betrieblichen Altersversorgung
Normenkette
BetrAVG § 1 Ablösung, § 6; BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 1999 – 11 Sa 968/96 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die dem Kläger zugesagte betriebliche Altersversorgung durch eine Neuregelung vom 10. Mai 1995 wirksam eingeschränkt worden ist.
Der am 18. August 1957 geborene Kläger wurde im Betrieb der Beklagten zum Industriekaufmann ausgebildet. Seit dem 14. Juli 1977 ist er dort als Angestellter mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 5.518,00 DM beschäftigt.
Die Beklagte betreibt ein Energieversorgungsunternehmen und beschäftigte 1995 rund 1.600 Arbeitnehmer. Im Unternehmen bestehen zwei Betriebsräte, der eine für die Arbeitnehmer des Betriebes am Unternehmenssitz in L, der andere für die Arbeitnehmer des Hotels A in B, das sich im Eigentum der Beklagten befindet. Es ist ein Gesamtbetriebsrat errichtet.
Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern und deren Hinterbliebenen seit dem Jahr 1957 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die ursprüngliche Versorgungsordnung wurde mehrfach neu gefaßt. Die Versorgungsordnung vom 14. Oktober 1976 hatte neben dem Vorstand der Beklagten auch der Betriebsrat unterzeichnet. Mit Wirkung vom 1. Januar 1987 wurde das Versorgungswerk in die Versorgungsordnungen I und II aufgespalten. Die Versorgungsordnung I vom 1. Juni 1987 (VO 1987/I) gilt für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 1. Januar 1987 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit der Beklagten gestanden haben, die Versorgungsordnung II vom 19. Dezember 1986 (VO 1987/II) für Arbeitnehmer, die nach dem 31. Dezember 1986 neu eingetreten sind. Die VO 1987/I sieht – wie die früheren Ordnungen seit 1957 – eine nach Dienstjahren gestaffelte Betriebsrente vor. Sie steigt in den ersten zehn Jahren um jährlich 3,3 % und danach jährlich um 1,5 % bis zur Höchstdauer von 28 Jahren und zur Höchstgrenze von 60 % des rentenfähigen Einkommens. Auf die so errechnete Betriebsrente sind Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu 50 % anzurechnen. Die Gesamtversorgung ist auf 75 % des rentenfähigen Einkommens beschränkt, bei Unfällen auf 100 %. Als rentenfähiges Einkommen gilt das zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalles maßgebende Bruttojahreseinkommen, das sich errechnet aus dem 13fachen der letzten normalen Monatsvergütung und den veränderlichen Bezügen.
Die VO 1987/I wurde wie die aus dem Jahr 1976 vom „Betriebsrat” mit unterzeichnet. Die VO 1987/II wurde ab dem 1. Januar 1993 für neu eintretende Arbeitnehmer geschlossen.
Unter dem 10. Mai 1995 wurde bei der Beklagten eine Neuregelung ihres Versorgungswerks ab dem 1. Mai 1995 (VO 1995) getroffen, die – vom Vorstand der Beklagten und dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden unterzeichnet – als „Rundschreiben” abgefaßt wurde. Sie hat ua. den folgenden Wortlaut:
„…
Zwischen Vorstand und Betriebsrat wurden nachstehende Vereinbarungen getroffen, die unverzüglich in die bestehende Versorgungsregelungen eingearbeitet werden:
1. Rentenfähiges Einkommen
Das rentenfähige Einkommen von bisher 100 % wird stufenweise vom Eintrittsjahr in die P 1967 und früher bis 1986 und später von 99,9667 % bis 92,008 % abgesenkt. Die Staffelung erfolgt in Monatsschritten (0,0333 × 240 Monate = 7,992 %). …
4. Vorzeitiger Rentenbezug
Die Regelaltersgrenze für Männer und Frauen ist nach der im Rentenreformgesetz vorgesehenen Übergangsregelung auf das Alter 65 festgelegt.
Die vorzeitige Inanspruchnahme der Sozialrente gemäß Rentenreformgesetz führt nach einer im Gesetz vorgesehenen Übergangszeit zu einer Verringerung der Sozialrente von maximal 10,8 % (0,3 % p.M. × 36 Mte.) für die gesamte Dauer der Berentung. Die Verminderung der Sozialrente wird bei der Erstfestsetzung der Betriebsrente mit einem Drittel von den P übernommen.
…
6. Die VO II wird für Betriebsangehörige, die z.Zt. keine Versorgungszusage haben und neue Mitarbeiter, wieder geöffnet. …”
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, Nrn. 1 und 4 der Neuregelung vom 10. Mai 1995 seien ihm gegenüber nicht wirksam. Maßgebend sei für ihn ausschließlich die VO 1987/I vom 1. Juni 1987. Hierbei handele es sich nicht um eine Betriebsvereinbarung, sondern eine einzelvertragliche Einheitsregelung in Form einer Gesamtzusage. Es sei bei der VO 1987/I darum gegangen, die Versorgungsansprüche der bereits 1986 bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter unantastbar festzuschreiben. Die verschlechternde Neuregelung des Jahres 1995, für die der Gesamtbetriebsrat auch gar nicht zuständig gewesen sei, könne seine vertraglichen Ansprüche nicht schmälern. Die darin vorgesehene erhebliche Kürzung seiner Versorgungsansprüche müsse er nicht hinnehmen. Die von der Beklagten behauptete planwidrige Überversorgung liege nicht vor. Die Überversorgung sei vielmehr gewollt gewesen und Vertragsinhalt geworden, um Nachteile im laufenden Einkommen während der Beschäftigungszeit auszugleichen. Er sei nach Abschluß seiner Berufsausbildung auch deshalb im Betrieb der Beklagten geblieben, weil man ihm eine hervorragende Altersversorgung in Aussicht gestellt habe. Der Beklagten gehe es auch heute unverändert wirtschaftlich gut, wie der von ihr im Jahr 1995 – unstreitig – ausgewiesene Gewinn von 20,643 Mio. DM belege. Die Beklagte könne sich auch nicht auf das von ihr eingeholte versicherungsmathematische Gutachten stützen, weil dessen Berechnungsgrundlagen ihm nicht offengelegt worden seien.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt
festzustellen, daß Ziff. 1 und 4 der Betriebsvereinbarung vom 10. Mai 1995, geltend ab 1. Mai 1995, zur Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung nicht bei der Berechnung der Rente des Klägers bei Eintritt eines zum Rentenbezug berechtigenden Geschehens angewendet werden dürfen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die Neuregelung 1995 als ablösende Betriebsvereinbarung für wirksam. Die Versorgungsansprüche des Klägers beruhten seit seinem Dienstantritt allein auf Betriebsvereinbarungen. Alle Regelungen seit 1976 habe der Betriebsrat mit unterschrieben. Bei der VO 1987/I sei bereits der Gesamtbetriebsrat tätig geworden, die anderslautende Bezeichnung im Text beruhe auf einem Redaktionsversehen. Selbst wenn man der VO 1987/I nicht die Qualität einer Betriebsvereinbarung zubilligen wolle, müsse diese aufgrund der Mitunterzeichnung durch den Gesamtbetriebsrat zumindest als betriebsvereinbarungsoffen angesehen werden. Im Grundsatz könnten deshalb durch die Betriebsvereinbarung 1995 Ansprüche des Klägers aus der VO 1987/I eingeschränkt werden. Der Kläger müsse die vorgesehene Schmälerung seiner Ansprüche auch hinnehmen. Die Absenkung des rentenfähigen Einkommens von 100 % auf 96,5368 % und die Anpassung der sozialversicherungsabhängigen Versorgung an die gesetzliche Rentenkürzung durch das RRG 1992 sei gerechtfertigt. Die Beklagte sei zu einer wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung verpflichtet. Damit lasse sich eine Überversorgung der Betriebsrentner nicht vereinbaren. Die Überversorgung sei planwidrig eingetreten. Damit sei die Geschäftsgrundlage der erteilten Versorgungszusage weggefallen. Die Neuregelung sei verhältnismäßig und angemessen. Sie führe beim Kläger immer noch zu einem erreichbaren Nettoversorgungsgrad von 117,46 %. Die Anpassungsbefugnis ergebe sich auch aus dem unzumutbaren und unvorhersehbaren Anstieg der Versorgungslasten aufgrund der Sozialversicherungsabhängigkeit der Versorgungszusage. Die Beklagte hat hierzu ein umfangreiches Gutachten der Consult Actua Rey GmbH vorgelegt, aus dem sich nach ihrer Auffassung ergibt, daß der Umfang der Versorgungsverpflichtungen gemessen am Barwert in der Zeit von 1978 bis 1997 um 61,56 % gestiegen ist.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die Klage nicht abgewiesen werden. Es bedarf vor einer abschließenden Entscheidung über die Wirksamkeit der Ziff. 1 und 4 der in der Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossenen VO 1995 weiterer Sachaufklärung.
I. Bei der VO 1995 handelt es sich um eine Gesamtbetriebsvereinbarung, die vom Gesamtbetriebsrat im Rahmen seiner Zuständigkeit abgeschlossen worden ist. Sie ist an sich geeignet, die VO 1987/I in dem von den Betriebspartnern angestrebten Sinn auch zum Nachteil der zunächst von dieser Versorgungsordnung Begünstigten abzulösen.
1. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß es sich bei der in Form eines Rundschreibens bekanntgemachten VO 1995 um eine Gesamtbetriebsvereinbarung handelt. Sie ist lediglich aufgrund eines Redaktionsversehens als Vereinbarung „zwischen Vorstand und Betriebsrat” bezeichnet worden, wurde aber entsprechend der tatsächlich getroffenen Übereinkunft vom Vorstand und dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats unterzeichnet. Der Kläger hat nicht dies, sondern lediglich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats in Frage gestellt. Er hat insbesondere nicht bestritten, daß der VO 1995 ein entsprechender Beschluß des Gesamtbetriebsrats zugrunde lag.
2. Der Gesamtbetriebsrat war entgegen der Auffassung des Klägers nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für die Neuregelung durch die VO 1995 zuständig.
Hiernach ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Beide Voraussetzungen müssen vorliegen. Dabei ist die zweite Voraussetzung nicht nur dann erfüllt, wenn eine auf den einzelnen Betrieb bezogene Regelung objektiv unmöglich ist. Verlangte man dies, gäbe es für § 50 Abs. 1 BetrVG keinen Anwendungsfall. Wortgleiche Parallelregelungen in allen betroffenen Einzelbetrieben sind stets objektiv möglich (Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 50 Rn. 20). Es genügt, wenn bei vernünftiger Würdigung ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder mindestens betriebsübergreifende Regelung der betreffenden Angelegenheit besteht. Dabei kommt es auf die Verhältnisse des einzelnen konkreten Unternehmens und der einzelnen Betriebe an. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen oder ein Koordinierungsinteresse allein genügen jedoch nicht (zuletzt BAG 16. Juni 1998 – 1 ABR 68/97 – BAGE 89, 139, 147; 11. November 1998 – 7 ABR 47/97 – AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 19 = EzA BetrVG 1972 § 50 Nr. 17, zu 13 der Gründe). Dabei kann aber auch schon das Verlangen des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung eine solche Vereinbarung i.S.v. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG notwendig machen, wenn der Arbeitgeber nur zu einer solchen Regelung bereit ist und insoweit mitbestimmungsfrei entscheiden kann (im Anschluß an BAG 11. November 1998 – 7 ABR 47/97 – a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben war der Gesamtbetriebsrat für die Regelung des Versorgungswerks der Beklagten durch die VO 1995 zuständig. Die Neuregelung betraf das gesamte Unternehmen der Beklagten, nicht nur deren Betrieb in L. Auch die Mitarbeiter ihres selbständigen Hotelbetriebes in B erhalten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der bei der Beklagten geltenden Versorgungsordnung. Da die Beklagte bei dieser Festlegung des Kreises der Begünstigten mitbestimmungsfrei handeln konnte (ständige Senatsrechtsprechung seit BAG 12. Juni 1975 – 3 ABR 13/74 – BAGE 27, 194, 198 ff.), folgt aus ihr zugleich die Notwendigkeit einer betriebsübergreifenden Regelung unter Beteiligung des Gesamtbetriebsrats.
3. Die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 10. Mai 1995 war auch grundsätzlich geeignet, die VO 1987/I abzulösen. Dem steht das Günstigkeitsprinzip nicht entgegen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der VO 1987/I um eine Gesamtzusage oder eine Betriebsvereinbarung gehandelt hat. Ebensowenig ist es entscheidungserheblich, ob die von der Beklagten und dem Kläger unterzeichnete „Einstellungsbestätigung” vom 19. Juli 1977 eine dynamische Verweisung auf die jeweils im Betrieb geltende Versorgungsordnung enthält.
a) Für die Ablösung einer vereinbarten Regelung über betriebliche Sozialleistungen durch eine andere gleichrangige Regelung gilt grundsätzlich das Ordnungsprinzip, dh. die Zeitkollisionsregel: der jüngere Individualvertrag löst den älteren, die jüngere Betriebsvereinbarung die ältere ab. Dies gilt für Vereinbarungen auf unterschiedlichen Ebenen grundsätzlich nicht. Eine einzelvertragliche Vereinbarung kann nicht von einer späteren Betriebsvereinbarung verdrängt werden. Dies gilt auch dann, wenn die ursprüngliche Regelung nicht individuell ausgehandelt wurde, sondern auf eine vom Arbeitgeber vorgegebene Einheitsregelung oder eine Gesamtzusage zurückgeht. Ausnahmsweise ist eine solche Ablösung allerdings möglich, wenn die Neuregelung durch Betriebsvereinbarung insgesamt bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger als die bisherige ist.
Die Änderung einer einzelvertraglich begründeten Versorgungszusage durch eine ungünstigere Betriebsvereinbarung ist nur nach allgemeinem Vertragsrecht möglich, nämlich dann, wenn die individualvertragliche Zusage ausdrücklich oder stillschweigend unter den Vorbehalt einer ändernden kollektiven Regelung gestellt, also „betriebsvereinbarungsoffen” ist, oder wenn ihre Geschäftsgrundlage entfallen ist. Im letzteren Fall kann dem Versorgungsschuldner das Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden. Die vertraglichen Ansprüche des Arbeitnehmers auf die versprochenen Sozialleistungen sind kraft Gesetzes anzupassen. Dabei sind in aller Regel neue Verteilungsregeln aufzustellen, an denen der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen ist. Dieses Mitbestimmungsrecht kann dann auch durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung wahrgenommen werden. Dann treten die Normen der Betriebsvereinbarung an die Stelle der einzelvertraglichen Abreden, weil diese mit ihrem bisherigen Inhalt wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vom Vertragsrecht nicht mehr geschützt werden. Die ablösende Betriebsvereinbarung ist das Mittel, die schon kraft Gesetzes anpassungsbedürftigen vertraglichen Ansprüche an die veränderten Verhältnisse mit den Mitteln eines Kollektivvertrages anzupassen (BAG 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 – BAGE 86, 312, 317 = AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26 m. zust. Anm. Höfer/Lerner; im Anschluß an BAG GS 16. September 1986 – GS 1/82 – BAGE 53, 42, 74 ff.).
b) Die Ablösung durch die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 10. Mai 1995 ist hinsichtlich des gewählten Ablösungsmittels von vornherein unbedenklich, sollte es sich, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, bei der VO 1987/I um eine Betriebsvereinbarung gehandelt haben; hier würde das Ordnungsprinzip gelten. Den Bedenken, die gegen diese Annahme des Landesarbeitsgerichts angesichts des Wortlauts der VO 1987/I bestehen, der eher auf eine zugrundeliegende Regelungsabrede deuten könnte, muß nicht nachgegangen werden. Eine Ablösung durch Betriebsvereinbarung war auch dann möglich, wenn die VO 1987/I als Gesamtzusage wirksam geworden ist.
Dabei kann dahinstehen, ob diese Möglichkeit schon aufgrund einer arbeitsvertraglich oder in der VO 1987/I begründeten Betriebsvereinbarungsoffenheit bestand. Für erstere könnte die Vereinbarung in der beiderseits unterschriebenen Einstellungsbestätigung sprechen, wonach für das Arbeitsverhältnis ua. „die Bestimmungen … unserer Betriebsvereinbarung, der Arbeitsordnung …” Gültigkeit haben sollen. Das Landesarbeitsgericht hat dem – wofür vieles spricht – eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden kollektiven Regelungen des Betriebes entnommen. Darüber hinaus könnte der Umstand, daß die VO 1987/I vom Betriebsrat mitunterzeichnet worden ist, auch dann, wenn es sich insoweit nur um eine – mitbestimmte – Gesamtzusage gehandelt haben sollte, für die Begünstigten mit hinreichender Deutlichkeit darauf schließen lassen, daß die Regelung unter dem Vorbehalt einer abweichenden kollektiven Neuregelung stehen sollte.
Die aufgeworfenen Fragen brauchen nicht abschließend beantwortet zu werden. Die Beklagte beruft sich – bislang – zur Rechtfertigung der verschlechternden Neuregelung ausschließlich darauf, im Hinblick auf eine zwischenzeitlich eingetretene planwidrige Überversorgung und die außergewöhnlich gestiegenen Kosten ihres Versorgungswerks sei dessen Geschäftsgrundlage weggefallen. Liegen solche Eingriffsgründe vor, kann die VO 1987/I auch dann, wenn es sich bei ihr um eine Gesamtzusage handeln sollte, durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden.
II. Es kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Neuregelungen in Ziff. 1 und 4 VO 1995 wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage der bisherigen Versorgungsbestimmungen sachlich gerechtfertigt sind. Insoweit bedarf es weiterer Sachaufklärung.
1. Eine Befugnis zur Anpassung eines Versorgungswerks wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann bestehen, wenn sich die zugrunde gelegte Rechtslage nach Schaffung des Versorgungswerks ganz wesentlich und unerwartet geändert und dies beim Arbeitgeber zu erheblichen Mehrbelastungen geführt hat. So kann durch steuer- und sozialversicherungsrechtliche Rechtsänderungen seit Schaffung des Versorgungswerks der ursprünglich zugrunde gelegte Dotierungsrahmen ganz wesentlich überschritten werden. Dabei braucht es sich nicht um einen einzigen gesetzgeberischen Eingriff zu handeln; die Geschäftsgrundlage kann auch durch eine Vielzahl von in diesem Umfang und mit diesen Konsequenzen nicht vorhersehbaren Verschiebungen wegfallen.
Daneben oder im Zusammenhang damit kann es auch dadurch zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage kommen, daß aufgrund von Gesetzesänderungen der für den Arbeitnehmer bei Erteilung der Versorgungszusage erkennbar verfolgte Versorgungszweck nunmehr verfehlt wird. Dies nimmt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung an, wenn die unveränderte Anwendung der Versorgungszusage zu einer gegenüber dem ursprünglichen Versorgungsziel planwidrig eintretenden Überversorgung führen würde. Aus einer Versorgungszusage kann grundsätzlich kein schützenswertes Vertrauen für den begünstigten Arbeitnehmer darauf entstehen, er werde im Alter eine Gesamtversorgung erreichen, die mehr als 100 % des letzten im aktiven Arbeitsleben erzielten Nettoeinkommens ausmacht. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn eine solche Überversorgung ausdrücklich oder konkludent zugesagt worden ist (vgl. hierzu insgesamt BAG 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 – BAGE 86, 312, 318 f. = AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26, zu B II 3 a der Gründe, m. zust. Anm. Höfer/Lerner).
2. Es kann dahinstehen, ob im Laufe der Zeit aufgrund der ursprünglichen Versorgungszusage für die begünstigten Arbeitnehmer die Möglichkeit einer erheblichen Überversorgung entstanden ist, und ob dies planwidrig geschehen ist. Es kommt deshalb auch nicht auf den Vortrag des Klägers zu seinem Einstellungsgespräch und der in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrüge an. Mit einer planwidrigen Überversorgung können die in Ziff. 1 und 4 VO 1995 vorgesehenen Eingriffe in das Versorgungswerk nicht gerechtfertigt werden.
a) Eine Versorgungszusage, die zu planwidrigen Überversorgungen geführt hat, kann wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der Weise angepaßt werden, daß Regelungen eingeführt werden, die verhindern, daß die Höchstrente zusammen mit der anrechnungsfähigen gesetzlichen Rente mehr als 100 % des letzten Nettoeinkommens ausmacht, oder die eine eingetretene Überversorgung zumindest abmildern. Hierfür kommen etwa die Einführung einer Kappungsgrenze, die Absenkung der bruttoentgeltbezogenen Gesamtversorgungsobergrenze oder auch eine Neuregelung der Gesamtversorgungsobergrenze in Betracht, welche die insgesamt erreichbare Altersversorgung unmittelbar auf 100 % der letzten Nettobezüge begrenzt.
b) Eine solche oder ähnliche Regelung sieht die VO 1995 weder in Ziff. 1 noch in Ziff. 4 vor.
aa) Eine Rechtfertigung von Ziff. 4 VO 1995 durch eine eingetretene Überversorgung scheidet von vornherein aus. In dieser Bestimmung wird nur geregelt, wie die Versorgungsordnung auf die Einführung des versicherungsmathematischen Abschlags bei der vorgezogenen gesetzlichen Rente im Rahmen der Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente (§ 6 BetrAVG) reagiert. Es wird bestimmt, daß die nach der bisherigen Zusage an sich unmittelbar zu einer entsprechenden Erhöhung der vorgezogenen Betriebsrente führende Absenkung der vorgezogenen gesetzlichen Rente von der Beklagten nur zu einem Drittel übernommen werden soll, während der Bezieher der Betriebsrente zwei Drittel hiervon übernehmen muß. Diese Regelung hat keinen Bezug zu der insgesamt erreichbaren Vollrente, aus der sich wiederum eine planwidrige Überversorgung ergeben kann. Sie kann deshalb auch nicht als Anpassung der bisherigen Versorgungsregelung an einen Wegfall der Geschäftsgrundlage durch planwidrige Überversorgung gerechtfertigt werden.
bb) Nicht grundsätzlich anders verhält es sich mit Ziff. 1 VO 1995. Auch hier geht es nicht gezielt darum, die höchstens erreichbare Betriebsrente auf einen dem ursprünglichen Versorgungsplan entsprechenden Gesamtversorgungsgrad zu begrenzen. Die Versorgungsordnung senkt vielmehr mit dem rentenfähigen Einkommen eine Rechengröße stufenweise ab, die nicht nur für Arbeitnehmer maßgebend ist, welche die angestrebte Vollversorgung erreichen können. Sie beansprucht Geltung auch für die Mitarbeiter, die aufgrund eines relativ späten Eintritts in das Unternehmen bis zum Versorgungsfall die Höchstgrenze von 60 % des rentenfähigen Einkommens und damit auch eine denkbare Überversorgung nicht erreichen können. Auch ihre Rente wird nach Ziff. 1 VO 1995 abgesenkt, obwohl bei ihnen auch bei Anwendung der vorangegangenen Versorgungsordnung keine Überversorgung eingetreten wäre. Daß Ziff. 1 VO 1995 in anderen Fällen geeignet ist, eine Überversorgung zu verhindern oder zumindest abzumildern, reicht nicht aus, die nicht auf solche Fälle beschränkte Neuregelung unter dem Gesichtspunkt eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen planwidriger Überversorgung zu rechtfertigen. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Versorgungsregelung ist zwar ein wichtiger Grund für einen Eingriff in das Versorgungswerk, der an sich ohne weiteres geeignet ist, weit stärkere Eingriffe als einen Eingriff in dienstzeitabhängigen Zuwächse zu rechtfertigen. Dies hat das Landearbeitsgericht an sich zu Recht angenommen. Es hat jedoch übersehen, daß ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nur eine Anpassung an die geänderte Situation rechtfertigt, nicht aber eine allgemeine Kürzung der Versorgungsleistung.
3. Das Landesarbeitsgericht hat aber nicht geprüft, ob die von der Beklagten geltend gemachte, ganz außergewöhnliche Steigerung der Versorgungslasten um weit mehr als 50 % tatsächlich vorliegt und ob sie die vorgenommenen Eingriffe in das Versorgungswerk rechtfertigen kann. Dies muß nachgeholt werden.
a) Gesetzgeberische Eingriffe in die gesetzliche Rente wirken sich bei dem Gesamtversorgungssystem der Beklagten unmittelbar aus. Dabei kommt es auf die – relative – Ausweitung des Dotierungsrahmens zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Versorgungsordnung der Beklagten erstmals nach Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes grundlegend überarbeitet worden ist (1976) und dem Zeitpunkt der Neuregelung (1995) an. Sollte in diesem Zeitraum der ursprüngliche Dotierungsrahmen aufgrund von Änderungen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts tatsächlich in einer dem behaupteten Umfang entsprechenden Größenordnung angestiegen sein, wird eine angemessene Absenkung der Versorgungsleistungen, wie sie durch Ziff. 1 und Ziff. 4 VO 1995 vorgenommen worden ist, materiell gerechtfertigt sein.
b) Es spricht viel dafür, daß für die Änderung durch Ziff. 4 VO 1995 auch eine geringere allgemeine Steigerung der relativen Versorgungskosten ausreicht, weil die VO 1995 hier unmittelbar auf einen erheblichen Eingriff in die gesetzliche Rente reagiert hat, der auf die Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente durchschlägt. Zwar reicht die bloße Steigerung der sich aus dieser Gesetzesänderung ergebenden Kosten für vorgezogene Betriebsrenten entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allein nicht aus, die vorgenommene Verschlechterung der bisherigen Versorgungszusage zu rechtfertigen. Es geht hier lediglich um eine Änderung in der Berechnung der gesetzlichen Rente und nicht um einen gezielten Eingriff des Gesetzgebers in betriebliche Versorgungswerke, wie er etwa durch § 6 BetrAVG geschehen ist; hier konnte der Versorgungsschuldner eine Kostenneutralität des gesetzgeberischen Eingriffs herbeiführen (ständige Rechtspr. seit BAG 1. Juni 1978 – 3 AZR 216/77 – BAGE 30, 333, 336 f.). Bei der Anbindung des Versorgungswerks der Beklagten an die Entwicklung der gesetzlichen Renten liegen zusätzliche Belastungen aus Veränderungen, die sich nur bei einem Teil der künftigen Betriebsrentner auswirken können und auch dort nur eine zwar noch nicht im einzelnen festgestellte, aber jedenfalls überschaubare Größenordnung erreichen, noch innerhalb des Risikobereichs, für den derjenige einzustehen hat, der eine solche Berechnung des Versorgungsanspruchs wählt. Sollten aber weitere nicht unerhebliche Ausweitungen des Dotierungsrahmens im genannten Zeitraum hinzukommen, ist der Eingriff durch Ziff. 4 VO 1995 gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr, als dieser Eingriff zielgerichtet an einer eingetretenen Verteuerung des Versorgungsrahmens ansetzt.
c) Bei der Überprüfung der Angemessenheit der Anpassung wird das Landesarbeitsgericht auch zu berücksichtigen haben, daß der Eingriff sehr zurückhaltend und unter weitgehender Schonung rentennaher Jahrgänge erfolgt ist.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Schmidt, Platow
Fundstellen