Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsbeihilfe bei Bezug von Arbeitslosenhilfe. Parallele zu – 6 AZR 239/02 –. öffentlicher Dienst

 

Orientierungssatz

Nach § 4 Ziff. 1 TV SozSich wird Überbrückungsbeihilfe gezahlt zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld/-hilfe). Die Tarifvertragsparteien sind erkennbar davon ausgegangen, daß der Arbeitnehmer im Fall der Langzeitarbeitslosigkeit im Anschluß an das Arbeitslosengeld eine Arbeitslosenhilfe in Höhe von 53 % bis 57 % des ursprünglich pauschalierten Nettoarbeitsentgelts erhält. Seit dem 1. April 1997 ist dies nicht mehr der Fall, da die Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich auf Grund der Rechtsänderungen durch Art. 11 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) (§ 242 × Abs. 7 iVm. § 138 Abs. 3 Nr. 4 AFG, § 194 SGB III) als Einkommen von der Arbeitslosenhilfe abzusetzen ist. Durch diese Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist in § 4 Ziff. 2 Buchst. a TV SozSich eine Tariflücke entstanden, die durch die Gerichte für Arbeitssachen nicht geschlossen werden kann.

 

Normenkette

Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TV SozSich) § 4 Ziff. 1; Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TV SozSich) § 2 Buchst. a

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 03.03.2000; Aktenzeichen 3 Sa 1283/99)

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 21.10.1999; Aktenzeichen 2 Ca 1432/99)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. März 2000 – 3 Sa 1283/99 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TV SozSich) zustehenden Überbrückungsbeihilfe.

Der Kläger war seit dem 1. April 1963 bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften in Kaiserslautern beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der TV AL II Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete aus Anlaß einer Truppenreduzierung mit Ablauf des 31. Januar 1996. In der Folgezeit war der Kläger arbeitslos. Er bezog zunächst Arbeitslosengeld, ab dem 31. März 1998 erhielt er Arbeitslosenhilfe. Zusätzlich zahlte die Beklagte an den Kläger eine Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich in Höhe von 90 % der Differenz zwischen dem letzten Nettoeinkommen des Klägers und dem Arbeitslosengeld bzw. der Arbeitslosenhilfe. Im TV SozSich heißt es:

“§ 4

Überbrückungsbeihilfe

1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:

a) zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,

b) zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld),

c) zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder zum Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall.

2. a) (1) Die Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Ziffer 1b) wird in den Fällen des § 44 Absatz 4, der §§ 115, 121, 123, 126, 233 Absatz 2 AFG nach dem ungekürzten Arbeitslosen- bzw. Unterhaltsgeld berechnet, entsprechendes gilt für die Arbeitslosenhilfe.

(2) Für Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen der Arbeitnehmer die Anspruchsvoraussetzungen auf Arbeitslosenhilfe nur deshalb nicht erfüllt, weil er im Sinne des § 134 Absatz 1 Nr. 3 AFG nicht bedürftig ist, wird die zuvor zum Arbeitslosengeld gezahlte Überbrückungsbeihilfe innerhalb des Anspruchszeitraumes nach Ziffer 5 insgesamt bis zur Dauer von 52 Wochen – längstens jedoch bis zum Ablauf des Anspruchszeitraumes – weitergezahlt.

…”

Die Bundesanstalt für Arbeit rechnete bis zum 31. März 1997 die Überbrückungsbeihilfe nicht als Einkommen auf die Arbeitslosenhilfe an. Sie ging dabei davon aus, daß die Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich gemäß § 138 Abs. 3 Nr. 4 AFG in der bis zum 31. März 1997 geltenden Fassung (“Leistungen, die unter Anrechnung der Arbeitslosenhilfe gewährt werden”) nicht als Einkommen anzusehen war. Nach der Änderung des § 138 Abs. 3 Nr. 4 AFG mit Wirkung zum 1. April 1997 (“Leistungen, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften unter Anrechnung der Arbeitslosenhilfe gewährt werden”) hat die Bundesanstalt für Arbeit die Auffassung vertreten, die Überbrückungsbeihilfe sei nicht mehr als privilegiertes Einkommen anzusehen. Sie rechnete daher generell ab dem 1. April 1997 die Überbrückungsbeihilfe als Einkommen auf die Arbeitslosenhilfe an und zahlte an den Kläger eine um die Überbrückungsbeihilfe gekürzte Arbeitslosenhilfe. Die Beklagte legte bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe die nicht um die Überbrückungsbeihilfe gekürzte Arbeitslosenhilfe zugrunde. Hiergegen wandte sich der Kläger im August 1999 und machte geltend, die Überbrückungsbeihilfe sei nach der um die Überbrückungsbeihilfe gekürzten Arbeitslosenhilfe zu berechnen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe auf die Arbeitslosenhilfe dürfe sich nicht zu seinen Lasten auswirken. Die Beklagte sei nach dem TV SozSich verpflichtet, an ihn eine Überbrückungsbeihilfe zu zahlen, die gewährleiste, daß er – zusammen mit der Arbeitslosenhilfe – über Einkünfte in Höhe von 90 % seiner zuletzt bezogenen tariflichen Grundvergütung verfüge. Nach dem eindeutigen Tarifwortlaut müsse sein Lebensunterhalt in dieser Höhe durch die Überbrückungsbeihilfe gesichert werden. Ab dem 1. April 1997 sei die Überbrückungsbeihilfe generell daher auf Grundlage der um die Überbrückungsbeihilfe gekürzten Arbeitslosenhilfe zu berechnen. Durch die Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe auf die Arbeitslosenhilfe auf Grund der Änderung des § 138 Abs. 3 Nr. 4 AFG sei keine Tariflücke entstanden. Nur in den ausdrücklich bestimmten – vorliegend nicht einschlägigen – Ausnahmefällen des § 4 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a TV SozSich könne die ungekürzte Arbeitslosenhilfe bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe zugrunde gelegt werden.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß bei der Berechnung der ihm ab dem 31. März 1998 zustehenden tariflichen Überbrückungsbeihilfe die dem Kläger zustehende Arbeitslosenhilfe nur in der tatsächlich gezahlten Höhe zu berücksichtigen ist.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie sei nicht verpflichtet, die Überbrückungsbeihilfe um den auf die Arbeitslosenhilfe angerechneten Betrag zu erhöhen. Den Regelungen des TV SozSich sei nicht zu entnehmen, daß der Arbeitnehmer in jedem Fall 90 % seiner bisherigen Grundvergütung erhalten solle. Bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe sei grundsätzlich von der ungekürzten Arbeitslosenhilfe auszugehen. Durch die Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe auf die Arbeitslosenhilfe sei eine Regelungslücke entstanden, die nur durch die Tarifvertragsparteien geschlossen werden könnte.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgte der Kläger ursprünglich sein Feststellungsbegehren weiter. Mit Schriftsatz vom 12. September 2001 teilte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit, daß im Hinblick auf den Ausgang des von dem Kläger gegen die Bundesanstalt für Arbeit geführten Rechtsstreits die von dem Kläger im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemachte Aufstockung der Überbrückungsbeihilfe nicht mehr erforderlich sei. Das arbeitsgerichtliche Verfahren habe sich durch die nunmehr rechtskräftig gewordene Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Juni 2001 (– L 1 AL 19/01 – nv.) – an deren ordnungsgemäße Umsetzung durch die Bundesanstalt für Arbeit nicht zu zweifeln sei – erledigt. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärte dementsprechend für den Kläger im vorliegenden arbeitsgerichtlichen Verfahren die Hauptsache für erledigt und beantragte, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Nach Ansicht der Beklagten ist die Entscheidung des Landessozialgerichts kein erledigendes Ereignis für das vorliegende Verfahren, da es nur für die Höhe des Arbeitslosenhilfeanspruchs des Klägers gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit relevant sei. Der Anspruch des Klägers auf Aufstockung seines Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe sei von Anfang an unbegründet gewesen, so daß die Beklagte weiterhin beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

  • Die Revision hat keinen Erfolg.

    1. Entgegen der Ansicht des Klägers ist keine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Es liegt nur eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers vor. Das Gericht muß in einem solchen Fall untersuchen, ob die Klageforderung bis zu demjenigen Zeitpunkt bestanden hatte, in dem das Ereignis eintrat, das nach der Rechtsauffassung des Klägers zur Erledigung der Klage geführt haben soll. Erledigend kann ein Ereignis sein, das den Kläger rechtlich daran hindert, die begehrte Rechtsfolge, die bisher zulässige oder begründete Klageforderung weiter geltend zu machen (BGH 6. Dezember 1984 – VII ZR 64/84 – NJW 1986, 588; BAG 6. November 1984 – 1 ABR 61/81 – NZA 1985, 635). Die Klage muß bis zu dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit begründet gewesen sein. Hieran fehlt es.

    2. Die Klage war von Anfang an unbegründet.

    a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Tarifwortlaut lasse sich – auch bei Beachtung des tariflichen Gesamtzusammenhangs – nicht entnehmen, daß der Arbeitnehmer eine Überbrückungsbeihilfe in Höhe von 90 % des ursprünglichen Arbeitsentgelts verlangen könne, wenn er keine oder nur eine gekürzte Arbeitslosenhilfe erhalte. Die Tarifvertragsparteien seien erkennbar davon ausgegangen, daß der Arbeitnehmer im Fall der Langzeitarbeitslosigkeit im Anschluß an das Arbeitslosengeld eine Arbeitslosenhilfe in Höhe von 53 % bis 57 % des ursprünglichen pauschalierten Nettoarbeitsentgelts erhalte. Seit dem 1. April 1997 sei dies nicht mehr der Fall, da die Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich auf Grund der Rechtsänderungen durch Art. 11 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) (§ 242 × Abs. 7 iVm. § 138 Abs. 3 Nr. 4 AFG, § 194 SGB III) als Einkommen von der Arbeitslosenhilfe abzusetzen sei. Durch diese unvorhergesehene Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen sei § 4 Ziff. 2 Buchst. a TV SozSich lückenhaft geworden. Es könne davon ausgegangen werden, daß für die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des Tarifvertrags im Jahr 1971 eine derartige grundlegende Veränderung des Arbeitslosenhilferechts nicht vorhersehbar gewesen sei. Es habe daher kein Anlaß bestanden, die Frage zu regeln, ob bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe die gekürzte oder die ungekürzte Arbeitslosenhilfe zugrunde zu legen sei. Diese nachträgliche planwidrige Regelungslücke könne nicht im Wege der ergänzenden Tarifauslegung durch die Gerichte geschlossen werden, da es verschiedene Möglichkeiten gebe, die Tariflücke auszufüllen. Es sei daher Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die erforderlichen rechtspolitischen Entscheidungen zu treffen und im Rahmen der ihnen eingeräumten Tarifautonomie den Tarifvertrag an die veränderten Umstände anzupassen. Da eine solche Anpassung auch rückwirkend möglich sei, sei die Klage nicht endgültig, sondern nur zur Zeit unbegründet.

    Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zu folgen.

    b) Selbst wenn man – entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 7. September 2000 (– B 7 AL 72/99 R – SozR 3-4220 § 11 Nr. 3) annähme, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe durch die Bundesanstalt für Arbeit ab dem 1. April 1997 sei zu Recht erfolgt, war die Klage von Anfang an unbegründet.

    aa) Nach den zutreffenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist eine Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe auf die Arbeitslosenhilfe erst nach der Änderung des § 138 Abs. 3 Nr. 4 AFG möglich. In diesem Fall besteht eine nicht durch die Arbeitsgerichte auszufüllende nachträgliche Tariflücke. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

    bb) Aber auch wenn man davon ausgeht, bereits nach der bisherigen Regelung sei eine Anrechnung möglich gewesen, liegt auch in diesem Fall eine unbewußte Regelungslücke vor. Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer Kürzung der Arbeitslosenhilfe um die Überbrückungsbeihilfe bei Abschluß des Tarifvertrags im Jahr 1971 bedacht haben, sind angesichts des Umstands, daß auch die Bundesanstalt für Arbeit bis zur Änderung des § 138 AFG davon ausging, daß es sich bei der Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich um privilegiertes Einkommen handelt, nicht ersichtlich. Damit wäre auch dann, wenn die Kürzung der Arbeitslosenhilfe bereits vor dem 1. April 1997 möglich gewesen sein sollte, von einer nicht durch die Gerichte zu schließenden planwidrigen Regelungslücke auszugehen.

  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Friedrich, Dr. Armbrüster, Brühler, Gebert, Zuchold

 

Fundstellen

NZA 2004, 512

ZTR 2003, 243

NJOZ 2004, 1787

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