Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Vordienstzeiten

 

Normenkette

BetrAVG §§ 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 06.02.1992; Aktenzeichen 13 Sa 1240/91)

ArbG Duisburg (Urteil vom 04.09.1991; Aktenzeichen 1 Ca 630/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 1992 – 13 Sa 1240/91 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 4. September 1991 – 1 Ca 630/91 – wird zurückgewiesen.

Die Urteilsformel wird wie folgt gefaßt:

Die Beklagte hat an den Kläger ab 1. November 1989 über den gezahlten Betrag von 1.156,– DM monatlich hinaus eine weitere Betriebsrente von 274,45 DM monatlich zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob bei der Berechnung der Betriebsrente des Klägers Vordienstzeiten aufgrund einer Anrechnungsvereinbarung zu berücksichtigen sind.

Der am 18. Oktober 1926 geborene Kläger war seit 1955 bei der Friedrich Krupp GmbH in Essen beschäftigt. Die Arbeitgeberin sagte dem Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 1957 eine Pensionszusage nach der Leistungsordnung des „Essener Verbandes bei der Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft” zu. Am 1. Juli 1964 trat der Kläger in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der K GmbH. Diese hatte ihm mit Schreiben vom 14. April 1964 mitgeteilt:

„Sie werden in die Pensionsregelung des Essener Verbandes aufgenommen, und zwar in die gleiche Gruppe, in der Sie bei der Firma Fried. Krupp eingestuft sind. Die Jahre Ihrer bisherigen Zugehörigkeit zum Essener Verband durch die Firma Krupp werden angerechnet.”

Der Kläger schied am 30. Juni 1987 bei der Beklagten aus. Am 1. November 1989 trat er im Alter von 63 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand. Der Essener Verband errechnete für den Kläger eine monatliche Betriebsrente von 1.156,– DM. Dabei legte er für den Kläger eine Betriebszugehörigkeit vom 1. Juli 1964 bis 30. Juni 1977 zugrunde. Damit ist der Kläger nicht einverstanden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung seiner Betriebsrente müsse auch die bei der Friedrich Krupp GmbH verbrachte Dienstzeit vom 1. Januar 1957 bis 30. Juni 1964 (= 90 Monate) als Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden. Diese Anrechnung sei ihm im Schreiben vom 14. April 1964 zugesagt worden. Statt von 156 Monaten müsse daher von insgesamt 246 Monaten Betriebszugehörigkeit ausgegangen werden. Dies ergebe bei der Berechnung seiner Rente einen Zeitwertfaktor wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses von 0,589 (246:418) statt 0,476 (156:328). Die Betriebsrente betrage daher 1.430,45 DM (2.428,60 DM × 0,589) statt 1.156,– DM (2.428,60 DM × 0,476). Er könne somit eine um 274,45 DM höhere monatliche Betriebsrente verlangen.

Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. November 1989 über den gezahlten Betrag von 1.156,– DM monatlich hinaus eine weitere Betriebsrente von 274,45 DM monatlich zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Rechtsvorgängerin habe keine Anrechnung der Vordienstzeiten zugesagt. Nach dem Schreiben vom 14. April 1964 sollte gerade nicht die frühere Dienstzeit bei der Friedrich Krupp GmbH, sondern die „bisherige Zugehörigkeit zum Essener Verband” angerechnet werden. Selbst wenn man die Auffassung vertrete, daß die Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zum Essener Verband als Zeiten der Betriebszugehörigkeit zu werten seien, führe dies nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis. Versorgungszusagen aus der Zeit vor der Unverfallbarkeitsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (1972) seien nach Treu und Glauben ergänzend auszulegen. Eine derartige ergänzende Vertragsauslegung könne aber nicht dazu führen, daß die Beklagte die Betriebszugehörigkeit beim früheren Arbeitgeber auf die Unverfallbarkeitsfristen der §§ 1 und 2 BetrAVG anrechnen müsse. Nach der Leistungsordnung des Essener Verbandes seien bei der Berechnung des Ruhegeldes höchstens 25 Dienstjahre zu berücksichtigen. Die Anrechnung der Zugehörigkeit des Klägers zum Essener Verband habe sich auf die Höhe des Ruhegeldes beim Ausscheiden des Klägers nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht auswirken können. Der Kläger hätte das höchstmögliche Altersruhegeld allein durch die Dienstzeit bei der Beklagten erreichen können. Die Vereinbarung vom 14. April 1964 habe den Kläger lediglich für den Fall der Dienstunfähigkeit bzw. seine Hinterbliebenen für den Fall seines Todes vor Vollendung des 65. Lebensjahres begünstigen sollen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Form des erstinstanzlich als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrages stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in Form eines Leistungsantrages weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die höhere Betriebsrente verlangen. Die Beklagte muß bei der Berechnung die Vordienstzeiten bei der Friedrich Krupp GmbH berücksichtigen. Die Anrechnung hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger zugesagt.

1. Entgegen der Ansicht der Beklagten bezog sich die Zusage vom 14. April 1964 auf die Betriebszugehörigkeit bei Krupp. Zwar ist der Wortlaut der Zusage nicht eindeutig. Inhalt und Bedeutung der Zusage werden aber durch die Satzung und Leistungsordnung des Essener Verbandes deutlich, auf die das Schreiben vom 14. April 1964 „Pensionsregelung des Essener Verbandes”) verweist. Nach § 6 Abs. 3 der Satzung des Essener Verbandes können beim Übertritt eines Angestellten in den Dienst eines anderen Verbandsmitglieds die „bei dem vorherigen Mitglied verbrachten, bisher angerechneten Dienstjahre angerechnet werden”. Nach § 3 Abs. 1 Buchst. c der Leistungsordnung des Essener Verbandes richtet sich die Berechnung der Rente nach den „nach Maßgabe der Anmeldung verbrachten Dienstjahren (anrechnungsfähige Dienstjahre)”. Dem Kläger sollten somit durch die Zusage vom 14. April 1964 bei der Berechnung seiner Rente die bei Krupp verbrachten anrechnungsfähigen Dienstjahre im Sinne der Leistungsordnung des Essener Verbandes angerechnet werden.

Im übrigen will auch die Beklagte die Vordienstzeiten bei der Berechnung von Invaliden- und Hinterbliebenenrenten anrechnen. Dann ist es nicht einleuchtend, wenn sie die Vordienstzeiten bei der Berechnung der Altersrente nicht berücksichtigen will.

2. Die vereinbarte Anrechnung der Vordienstzeiten gilt auch für die Berechnung der Rente bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (§§ 1 und 2 BetrAVG).

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, Vordienstzeiten könnten nur berücksichtigt werden, soweit die Leistungsordnung dies vorsehe. Die Leistungsordnung des Essener Verbandes vom 3. Juli 1959 in der Fassung vom 7. Juni 1961 habe nur die Fälle der Dienstunfähigkeit und des Todes als vorzeitige Versorgungsfälle anerkannt und im übrigen die Verfallbarkeit der Anwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden vorgesehen. Es bestehe keine Veranlassung, der Anrechnung einer Vordienstzeit eine weitergehende Bedeutung auch für die Entstehung und die Höhe einer unverfallbaren Anwartschaft beizumessen.

Der Senat folgt dem nicht.

a) Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht lediglich im Ausgangspunkt: Die Vereinbarung von 1964 sagt nichts über die Anrechnung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens. Regelungen für diesen Fall waren seinerzeit aus der Sicht der Parteien nicht erforderlich. Nach der Pensionsregelung des Essener Verbandes war eine Betriebsrente nur dann zu zahlen, wenn der Kläger bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres in den Diensten des Arbeitgebers blieb. Als vorzeitige Versorgungsfälle waren nur Fälle der Dienstunfähigkeit und des Todes anerkannt (§§ 2, 5 der Leistungsordnung). Die Versorgungsordnung sah noch die Verfallbarkeit der Anwartschaft bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt eines Versorgungsfalles vor. Die Entscheidung des Senats zur Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften vom 10. März 1972 (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) war noch nicht ergangen. Das Betriebsrentengesetz vom 19. Dezember 1974 (§§ 1, 2 und 6 BetrAVG) galt noch nicht.

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgericht folgt daraus aber nicht, daß die Vereinbarung nicht auch für die Fälle des vorzeitigen Ausscheidens des Arbeitnehmers Bedeutung haben könnte. Der Senat ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß bei Versorgungszusagen aus der Zeit vor der Rechtsprechung des Senats zur Unverfallbarkeit bzw. vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes eine Regelungslücke entsteht. Es ist zu ermitteln, wie im Hinblick auf die Unverfallbarkeit und das vorzeitige Ausscheiden des Arbeitnehmers zu verfahren ist. Diese Lücke ist zu schließen. Dazu hat der Senat eine Auslegungsregel entwikelt: In den Fällen, in denen ein Arbeitgeber Vordienstzeiten anrechnet, die von einer Versorgungszusage begleitet waren, muß angenommen werden, daß die Anrechnung in der Regel auch Bedeutung für die erst später anerkannte Unverfallbarkeit der Anwartschaft und damit zugleich für die Höhe des Versorgungsanspruchs des vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers hat (vgl. BAGE 31, 45, 50 ff. = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu I 2 und II 1 der Gründe; zuletzt Urteil des Senats vom 27. Februar 1990 – 3 AZR 213/88 – AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Vordienstzeiten, m.w.N.).

c) Die Anwendung dieser Auslegungsregel auf die vorliegende Anrechnungszusage steht auch mit dem Sinn und Zweck der Zusage im Einklang. Die Anrechnungszusage beruht auf § 6 Abs. 3 der Satzung des Essener Verbandes. Diese Satzungsbestimmung sieht beim Wechsel des Dienstverhältnisses eines beim Essener Verband angemeldeten Angestellten innerhalb des Verbandes die Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten vor. Erkennbarer Zweck der Anrechnung ist, die Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb der im Essener Verband zusammengeschlossenen Hütten- und Walzwerke zu fördern. Die betroffenen Arbeitnehmer sollten darauf vertrauen können, daß selbst bei mehrfachem Wechsel des Arbeitgebers innerhalb des Essener Verbandes ihre betriebliche Altersversorgung sichergestellt ist (vgl. Urteil des Senats vom 3. August 1978, das eine entsprechende Regelung beim Bochumer Verband der Bergwerksunternehmen des Steinkohlebergbaus betraf – BAGE 31, 45, 52 = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu I 2 c der Gründe).

d) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Zusage im Jahre 1964 habe sich nur im Fall späterer Invalidität oder des Todes des Klägers auswirken können. Die Zusage der Anrechnung von Vordienstzeiten bei Krupp war auch für die Altersrente des Klägers von Bedeutung. Zwar hätte der Kläger bei einer Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (18. Oktober 1991) auch ohne Anrechnung der Vordienstzeiten bei Krupp die Höchstdauer von 25 anrechnungsfähigen Dienstjahren erreicht (§ 3 Abs. 4 Satz 1 der Leistungsordnung). Die Anrechnung der Vordienstzeiten bei Krupp hätte sich aber dann ausgewirkt, wenn der Kläger bei der Beklagten Dienstjahre in niedrigeren Gruppen als bei Krupp verbracht hätte. Nach § 3 Abs. 4 Satz 2 der Leistungsordnung scheiden die in den niedrigsten Gruppen verbrachten Dienstjahre bei der Berechnung des Ruhegeldes nämlich aus; Vordienstzeiten bei Krupp in höheren Gruppen hätten sich rentensteigernd auswirken können.

3. Die Anrechnung der Vordienstzeiten bei Krupp ergibt die vom Kläger verlangten Rentenbeträge. Der Kläger kann von der Beklagten ab 1. November 1989 über den gezahlten Betrag von 1.156,– DM monatlich hinaus eine weitere Betriebsrente von 274,45 DM monatlich verlangen.

Mit der Vordienstzeit bei Krupp (1. Januar 1957 bis 30. Juni 1964 = 90 Monate) ergibt sich für den Kläger eine anrechnungsfähige Betriebszugehörigkeit von 246 Monaten (1. Januar 1957 bis 30. Juni 1977) bei einer möglichen Dienstzeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres von 418 Monaten (1. Januar 1957 bis 18. Oktober 1991). Der Zeitwertfaktor wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG beträgt somit 0,589. Dieser Faktor ist mit dem zwischen den Parteien unstreitigen, wegen vorzeitiger Inanspruchnahme bereits versicherungsmathematisch gekürzten Ruhegeldbetrag von 2.428,60 DM zu multiplizieren. Dies ergibt den zu zahlenden Rentenbetrag von 1.430,45 DM. Da die Beklagte bisher lediglich 1.156,– DM monatlich zahlt, war sie zur Zahlung des Unterschiedsbetrages von 274,45 DM monatlich zu verurteilen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Gnade, Dr. Reinfeld

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951934

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