Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung - mangelnde Eignung gemäß Einigungsvertrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer aufgrund eines freien Willensentschlusses und ohne entschuldigenden Zwang eine Erklärung unterzeichnet hat, künftig für das Ministerium für Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter tätig zu werden, begründet erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst.
2. Zur Überprüfung der Eignungsvoraussetzungen nach dem Einigungsvertrag ist der Arbeitgeber zur Frage berechtigt, ob der Arbeitnehmer für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war und ob er eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet hat.
3. Wer wahrheitswidrig versichert, keine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit abgegeben zu haben, ist in der Regel ungeeignet für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst. (Zurückverweisung)
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Entscheidung vom 26.08.1992; Aktenzeichen Sa 93/92 L) |
KreisG Leipzig-Stadt (Entscheidung vom 15.04.1992; Aktenzeichen 12 Ca 58/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sowie über Lohnansprüche des Klägers aus Annahmeverzug.
Der 1933 geborene Kläger ist seit 1960 an der Klinik für Augenkrankheiten der Universität Leipzig, einer Einrichtung des Beklagten, als Optiker und Leiter der Abteilung "Kontaktlinsen" beschäftigt.
Im Januar 1991 versicherte der Kläger in einer ihm vorgelegten, vorformulierten Erklärung, zu keiner Zeit hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen zu sein und weder eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, noch materielle Zuwendungen erhalten zu haben. Am Ende des vorformulierten Textes setzte der Kläger handschriftlich hinzu: Ich versichere, daß die Angaben der Wahrheit entsprechen.
Im Sommer 1991 teilte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes (Gauck-Behörde) hinsichtlich des Klägers dem Beklagten mit:
"Die Überprüfungen haben folgendes ergeben:
Herr T ist in den Unterlagen des ehemaligen
MfS/AfNS als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für
Sicherheit) mit dem Decknamen "Hans Herrlich" in
der Bezirksverwaltung Leipzig, Abt. XX, erfaßt.
Der IM-Vorlauf wurde am 14.6.1989 abgeschlossen
und Herr T. als IMS erfaßt. Sein Führungsoffizier
war L . Folgende Unterlagen wurden vom ehe-
maligen MfS zu Herrn T angelegt:
- 1 Band Personalakte (Teil I) und
- 1 Band Arbeitsakte (Teil II).
Als Abteilungsleiter der Augenklinik der KMU
wurde der IMS als Reisekader für das NSW (Nicht-
sozialistische Ausland) genutzt.
Nähere Auskünfte kann ich Ihnen nicht erteilen,
da die Akten z. Z. nicht zur Verfügung stehen."
Auf einen entsprechenden Vorhalt räumte der Kläger sodann gegenüber dem Beklagten die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung ein. Der Beklagte kündigte daraufhin mit dem am 30. September 1991 zugegangenen Schreiben das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1991.
Der Kläger hat geltend gemacht, er sei nie für das MfS/AfNS tätig geworden. Allein die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung Mitte 1989 berechtige nicht zur Kündigung seines 30 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Beklagte sei daher verpflichtet, die der Höhe nach unstreitige Vergütung für die Monate Januar bis Juni 1992 zu zahlen sowie das von ihm zurückgezahlte Weihnachtsgeld zurückzugewähren.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordent-
liche Kündigung vom 25. September 1991 zum
31. Dezember 1991 nicht beendet worden ist,
sondern fortbesteht.
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn
22.125,12 DM brutto und 1.226,19 DM netto
nebst 4 % Zinsen seit dem 28. Juli 1992 zu
zahlen.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Er hat vorgetragen, die vorsätzlich falschen Angaben bei der Befragung rechtfertigten bereits die Kündigung. Außerdem sei die durch die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung gewollte Eingliederung in das MfS/AfNS als Tätigkeit für dieses Ministerium zu werten. Die Einlassung des Klägers, es habe mit der Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung sein Bewenden gehabt, widerspreche jeder Lebenserfahrung und mache den Kläger beweispflichtig. Der Beklagte hat beantragt, die Akten über "Hans Herrlich" bei der Gauck-Behörde anzufordern sowie den Sachbearbeiter Z informatorisch zu hören.
Vorsorglich hat er im Schriftsatz vom 14. August 1992 das Arbeitsverhältnis mit der Begründung angefochten, der Kläger habe seine Beschäftigung bei ihm durch arglistige Täuschung erreicht.
Das Kreisgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und den Beklagten zur beantragten Zahlung verurteilt. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine Tätigkeit für das MfS im Sinne von Art. 20, Anl. I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages (fortan Abs. 5 Ziff. 2 EV) liege nicht vor. Die bloße Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung durch den Kläger reiche nicht aus.
Die Kündigung sei außerdem weder wegen mangelnder persönlicher Eignung im Sinne des Art. 20, Anl. I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) noch aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen im Sinne des § 1 KSchG gerechtfertigt. Die durch die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung dokumentierte Bereitschaft, für das MfS zu arbeiten, rechtfertige unter Berücksichtigung der vom Kläger behaupteten und vom Beklagten nicht widerlegten Pressionen nicht die Annahme mangelnder persönlicher Eignung. Dem Kläger sei anzulasten, daß er anläßlich seiner zulässigen Befragung nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung rechtswidrig die Unwahrheit gesagt habe. Zugunsten des Klägers spreche jedoch sein Lebensalter, die lange Beschäftigungsdauer und die schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Seine unwahren Angaben seien daher als Notlüge zu qualifizieren.
B. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
I. Die Klage ist hinsichtlich aller Anträge zulässig. Dem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis unverändert fortbestehe, fehlt nicht das erforderliche Feststellungsinteresse, denn der Beklagte hat sich im Berufungsverfahren zusätzlich auf den Beendigungstatbestand der Anfechtung berufen.
II.1. Das Berufungsgericht hat sich mit der von der Beklagten erklärten Anfechtung nicht befaßt. Sie ist ohne rechtliche Wirkung. Gemäß Nr. 1 Abs. 1 EV sind mit der Überführung der Einrichtung, in der der Kläger beschäftigt war, die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes übergegangen (vgl. Senatsurteile vom 3. September und 15. Oktober 1992 - 8 AZR 45/92 - und - 8 AZR 145/92 - AP Nr. 1 und 2 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Es ist daher nicht ersichtlich, welche Willenserklärung der Beklagte hätte anfechten können.
2. Es ist weder aufgrund des Vortrages der Parteien noch nach den vorgelegten Urkunden ersichtlich, ob der Beklagte eine ordentliche Kündigung oder eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgesprochen hat. Die Frage der Kündigungsart kann letztlich dahinstehen. Der Beklagte stützt die Kündigung auf eine angebliche Tätigkeit des Klägers für das MfS. In einem solchen Fall müssen die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 geprüft werden. Die Anforderung, die an die Voraussetzungen nach Abs. 5 Ziff. 2 zu stellen ist, wäre nicht geringer, wenn der Kläger wegen der behaupteten Tätigkeit eine auf Abs. 4 Ziff. 1 gestützte Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung hätte aussprechen wollen.
3. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV seien nicht erfüllt, sind ohne Rechtsfehler.
Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS/AfNS tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nach seinem Wortlaut nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Auch für inoffizielle Mitarbeiter gilt, daß nur eine bewußte, finale Mitarbeit die Kündigung rechtfertigen kann. Das folgt aus der Verwendung der Präposition "für" anstelle der näherliegenden "beim" in Abs. 5 Ziff. 2 EV (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1992 - 8 AZR 537/91 - AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung durch den Arbeitnehmer stellt allein noch keine Tätigkeit für das MfS dar (im Ergebnis ebenso MünchKomm-Säcker/Oetker, 2. Aufl., Ergänzungsband, Einigungsvertrag Rz 1018; Scholz, BB 1991, 2515, 2520; vgl. auch Weiß, PersV 1991, 97, 119 f.). Ob der Kläger für das MfS tätig war, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Beweis hierfür hat der Beklagte nicht erbracht. Dem Kündigenden obliegt die volle Beweislast, daß der Arbeitnehmer für das MfS gearbeitet hat. Gründe für eine Umkehr der Beweislast sind nicht ersichtlich. Der Beklagte kann sich auch nicht auf die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises berufen. Der Anscheinsbeweis greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein. Einen typischen Geschehensablauf hat der Beklagte nicht dargelegt. Aus der Abgabe einer Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS kann jedenfalls nicht nach allgemeiner Lebenserfahrung auf ein entsprechendes späteres Tätigwerden des Erklärenden geschlossen werden. Zulässige Revisionsrügen, daß Beweisangebote übergangen worden sind, sind nicht erhoben worden.
4. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, die Voraussetzungen des Abs. 4 Ziff. 1, 2. Alt. EV seien nicht erfüllt, sind rechtsfehlerhaft.
a) Abs. 4 Ziff. 1 EV stellt eine eigenständige Regelung der ordentlichen Kündigung dar. Er ersetzt in seinem Regelungsbereich § 1 KSchG. Die mangelnde persönliche Eignung ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft. Eine grobe Unehrlichkeit in einem für die Vertragsbeziehungen wichtigen Bereich werden regelmäßig den Schluß zulassen, daß der Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ungeeignet ist. Durch ein solches Tun kann die notwendige Vertrauensbasis völlig zerstört werden.
b) Der Regelung in Abs. 4 liegt die Tatsachenlage zugrunde, daß Arbeitnehmer - von einem anderen, früheren Arbeitgeber - eingestellt worden sind, mit denen der jetzige, zu rechtsstaatlichem Handeln verpflichtete Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht nur nicht geschlossen hätte, weil er sie fachlich für nicht geeignet hält, sondern weil er auch an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel hat. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung i.S. des Grundgesetzes bekennt. Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Auch in diesen Fällen ist eine Einzelfallprüfung erforderlich.
c) Wer aufgrund eines freien Willensentschlusses und ohne entschuldigenden Zwang eine Erklärung unterzeichnet hat, künftig für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter tätig zu werden, begründet erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung für eine Tätigkeit innerhalb des öffentlichen Dienstes. Das MfS bildete den eigentlichen Repressionsapparat des SED-Staates. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber in Abs. 5 Rechnung getragen. Hätte der Kläger sich freiwillig dem Unterdrückungsapparat des MfS zur Verfügung gestellt, rechtfertigte dies die Annahme seiner mangelnden persönlichen Eignung; denn er war als Arbeitnehmer einer (auch) mit Bildungsaufgaben betrauten Einrichtung (Universitätsklinik) und in nicht bloß untergeordneter Stellung tätig, er war Abteilungsleiter.
d) Die zur Feststellung der persönlichen Eignung vorzunehmende Einzelfallprüfung ist keine Interessenabwägung, bei der die Dauer der Beschäftigung und Unterhaltspflichten eine Rolle spielen könnten. Das Berufungsurteil läßt nicht erkennen, daß eine Einzelfallprüfung überhaupt stattgefunden hat. Es fehlt in diesem Zusammenhang zudem an hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Bei der Einzelfallprüfung wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, daß ein etwaiges Untätigbleiben des Klägers nach der Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung nicht ohne weiteres eine Entlastungstatsache darstellt. Es könnte seine Ursache allein in dem für den Kläger zufälligen Umstand des wenig später erfolgten Umbruchs oder in anderen, für ihn nicht beeinflußbaren Gegebenheiten gehabt haben.
5. Das Landesarbeitsgericht wird auch erneut zu prüfen haben, ob der Kläger nicht bereits deshalb persönlich ungeeignet im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist, weil er bei seiner Befragung wahrheitswidrig erklärt hat, er habe keine Verpflichtungserklärung für das MfS unterzeichnet, und das Formular noch handschriftlich ergänzt hat, seine Angaben entsprächen der Wahrheit.
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Frage zulässig war. Die Frage nach Beziehungen zum MfS stand im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und diente auch dem Kläger erkennbar, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, dem Zweck, ungeeigneten Personen im Sinne des Abs. 4 und 5 EV zu kündigen. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts verpflichtet Art. 33 Abs. 2 GG die neuen Träger öffentlicher Verwaltung als juristische Personen des öffentlichen Rechts auch im Hinblick auf die gem. Art. 20 Abs. 1 EV kraft Gesetzes übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Zur Eignung eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst gehört das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ein Arbeitnehmer, der sich in der Vergangenheit besonders mit den Zielsetzungen der SED identifiziert hat, erweckt allein deshalb Zweifel an der Verfassungstreue (vgl. Senatsurteil vom 18. März 1993 - 8 AZR 356/92 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Einigungsvertrag erfordert die Prüfung der früheren Stellung des Arbeitnehmers, da Abs. 4 Ziff. 1, 2. Alt. EV auf die mangelnde persönliche Eignung abstellt. Entsprechendes gilt für Abs. 5 EV. Da in Abs. 5 EV die Zumutbarkeit und in Abs. 4 EV generell die persönliche Eignung aufgeführt sind, hat der öffentliche Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, alle zu dieser Aufklärung erheblichen Fragen im Rahmen der übernommenen Arbeitsverhältnisse zu stellen. Das bestätigt der Einigungsvertrag indirekt in Anl. I Kap. II Sachgeb. B Abschn. II Nr. 2 b § 2 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 2, wenn es heißt, daß personenbezogene Daten zur Feststellung einer offiziellen oder inoffiziellen Tätigkeit für das ehemalige MfS/AfNS und zwar für die Weiterverwendung von Personen im öffentlichen Dienst mit deren Kenntnis übermittelt werden dürfen. Das Interesse des Beklagten an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung wiegt schwerer als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers. Die Ausübung des Fragerechts dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut. Der Kläger hat durch die wahrheitswidrige Versicherung, keine Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS abgegeben zu haben, an sich offenbart, daß er ungeeignet ist für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Das Berufungsgericht wird allerdings die näheren Umstände zu prüfen haben, unter denen der Kläger die Erklärung abgegeben hat. Es wird hierbei entscheidend darauf ankommen, ob der Kläger genügend Bedenkzeit zur Unterzeichnung hatte oder ob er in einer Art Kurzschlußreaktion gehandelt hat. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Qualifizierung seines Tuns als "Notlüge" findet in den tatsächlichen Feststellungen des Urteils keinen Niederschlag. Es sind keine Umstände festgestellt, daß der Kläger in einer Notsituation gehandelt haben könnte. Gerade wenn der Kläger nur die Verpflichtungserklärung unterzeichnet hat und im übrigen für das MfS nicht tätig war, hätte es nahegelegen, daß er sich voll offenbart.
6. Durch die wahrheitswidrige Erklärung vom 7. Januar 1991 hat der Kläger zudem schuldhaft eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Ob dies außerdem eine verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 KSchG rechtfertigt, wird davon abhängen, wie sich die Umstände der Unterzeichnung gestalteten. Daß das Berufungsgericht im Rahmen dieser Prüfung der individuellen Schuld des Klägers nachgegangen ist, ist rechtlich zutreffend.
Dr. Ascheid Dr. Müller-Glöge Dr. Mikosch
Dr. Haible Mache
Fundstellen
BAGE 74, 120-127 (LT1-3) |
BAGE, 120 |
BB 1994, 434 |
BB 1994, 434-436 (LT1-3) |
DB 1993, 2386-2387 (LT1-3) |
EBE/BAG 1993, 178-180 (LT1-3) |
BetrVG, (60) (LT1-3) |
NZA 1994, 25 |
NZA 1994, 25-27 (LT1-3) |
RzK, I 8m dd Nr 51 (LT1-3) |
ZAP-Ost, EN-Nr 21/94 (S) |
ZTR 1994, 78-80 (LT1-3) |
AP, (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 1010.13 Nr 8 (LT1-3) |
DSB 1994, Nr 6, 22 (S) |
DVP 1995, 262-263 (S) |
DtZ 1994, 121-123 (LT1-3) |
EzA, (LT1-3) |
FuL 1994, 194 (K) |
MDR 1994, 696 (LT1-3) |
NJ 1994, 48 (L) |
PersR 1994, 42-43 (LT1-2) |