Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde persönliche Eignung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 21.09.1994; Aktenzeichen 5 Sa 1046/93)

ArbG Suhl (Urteil vom 25.03.1993; Aktenzeichen 1 (3) Ca 3343/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 21. September 1994 – 5 Sa 1046/93 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.

Der im Jahre 1943 geborene Kläger war von 1970 bis 1973 als Lehrer und Fachberater für Polytechnik, von 1973 bis 1976 als Referent für Polytechnik und von 1976 bis 1977 als Schulinspektor beim Rat des Kreises I. tätig. Nach einem Besuch der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften von 1977 bis 1978 war er von 1978 bis 1979 wieder Schulinspektor beim Rat des Kreises I., 1979/80 besuchte er das Institut für Sprachintensivausbildung in Berlin und wurde dann von 1980 bis 1985 als Lehrer und Entwicklungshelfer in Mocambique eingesetzt. Von 1985 bis 1989 war er Bezirksschulinspektor beim Rädchen des Bezirkes S., anschließend bis 1991 Pädagogischer Mitarbeiter für Polytechnik im Schulamt I. und ab 1991 wieder Lehrer für Polytechnik. Eine Beförderung zum Oberlehrer erfolgte im Jahre 1985.

Nachdem der Beklagte den Kläger persönlich angehört hatte, kündigte er das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Juni 1992, dem Kläger zugegangen am 4. Juli 1992, zum 31. Dezember 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung.

Mit der am 10. Juli 1992 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Er hat vorgetragen, er habe weder in Leitungsebenen gearbeitet noch habe er langjährig leitende Funktionen in der Abteilung Volksbildung wahrgenommen. Seine Aufgabe als Lehrer und Fachberater 1970 bis 1973 habe darin bestanden, den Schülern Werkunterricht, produktive Arbeit in den Betrieben, technisches Zeichnen sowie Fachlehrgänge in Elektrotechnik, Ökonomie, Maschinenkunde und Informatik zu vermitteln. Als Referent beim Rat des Kreises 1973 bis 1976 sei er ausschließlich fachlich und nicht politisch anleitend tätig gewesen. Für den Auslandseinsatz, sei man nur wegen hervorragender fachlicher Leistungen und nicht wegen einer politisch zuverlässigen Einstellung delegiert worden. Die Position des Bezirksschulinspektors habe er nach seiner Rückkehr aus Mocambique deshalb einnehmen müssen, weil alle Planstellen für den polytechnischen Unterricht besetzt gewesen seien. Es sei vereinbart gewesen, daß er die erste freie Stelle im Kreis I. übernehmen sollte. Er habe mehrfach seine ablehnende Haltung erklärt. Wegen der Androhung von Disziplinarmaßnahmen und in der Erwartung, es handele sich nur um eine Wartefunktion, habe er sich schließlich zur zeitweiligen Übernahme der Funktion bereit erklärt. Hätte er dies abgelehnt, wäre er aus dem Schuldienst entfernt worden. In seiner Tätigkeit als Schulinspektor sei er nur für den polytechnischen Unterricht und nur analytisch tätig gewesen. Er habe nur den Stand der Erfüllung der Lehrpläne und die Durchsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eingeschätzt. Seine Tätigkeit sei nur fachlicher Art gewesen und habe nicht die politische Erziehung beinhaltet. Er habe keine Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse gehabt und nur Zuarbeit leisten müssen. Die politische Wertung sei durch den Vorgesetzten vorgenommen worden. Er habe weder Schülern und Lehrern noch Eltern geschadet. Am Jahresende 1989 habe ihn die damalige Kreisschulrätin E., ein CDU-Mitglied, gebeten, wieder als Referent im Schulamt auf der Grundlage des Grundgesetzes zu arbeiten. Für ihn spreche ferner, daß er vier Jahre nach bundesdeutschen Gesetzen gearbeitet und sich fachlich bewährt habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 29. Juni 1992 nicht aufgelöst worden sei.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, dem Kläger fehle nach seinem Werdegang und aufgrund der ausgeübten Funktionen und Tätigkeiten die persönliche Eignung für den Lehrerberuf. Der Kläger sei nicht in der Lage, den Schülern die Werte des Grundgesetzes zu vermitteln. Im Schulsystem der DDR sei in der Leitungsebene eine kompromißlose Verzahnung von Staat und Partei durchgesetzt worden. Mitglieder dieser Leitungsebene seien Bestandteil des Unterdrückungsapparates der DDR gewesen. Für diese Tätigkeiten oder für Funktionen mit besonderem ideologischen oder politischen Auftrag seien bloße Lippenbekenntnisse nicht ausreichend gewesen. Anhaltspunkte für einen Bruch der Identifikation mit den Zielsetzungen des Systems der DDR seien beim Kläger nicht ersichtlich. Es seien auch keine sonstigen Umstände hervorgetreten, die die Eignungszweifel entkräften könnten. Der bloße Zeitablauf nach der Wende reiche hierzu nicht aus.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Aufgabe der Schulinspektoren sei die Ausübung der staatlichen Kontrolle an den Schulen, die Weitergabe und Überwachung der politischen Vorgaben an die Schulen und die Weiterleitung von an der Schule gewonnenen, auch politischen Erkenntnissen nach oben gewesen. Die Kontroll- und Anleitungstätigkeit sei insbesondere auf die politisch-pädagogischen Prozesse gerichtet gewesen, die der Direktor habe führen müssen. Die gesamte Tätigkeit der Schulinspektoren habe immer darauf gerichtet sein müssen, auf der Grundlage der Beschlüsse der zentralen Partei- und Staatsorgane in jeder Schule optimale Bildungs- und Erziehungsergebnisse zu erreichen. In dieser Funktion seien parteiverbundene und in der Leitungstätigkeit erfahrene Kader einzusetzen gewesen, die sich u.a. durch politische Standhaftigkeit und solides marxistisch-leninistisches Wissen hätten auszeichnen müssen. Wer diese Tätigkeit zur Stabilisierung einer Ideologie, die die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik abgelehnt und bekämpft habe, nach den staatlichen Vorgaben ausgeübt habe, weise auf, daß er aktiv für die demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Staatsziele der DDR eingetreten sei. Der Kläger sei von 1976 bis 1977 und von 1978 bis 1979 als Schulinspektor und von 1985 bis 1989 als Bezirksschulinspektor tätig gewesen, insgesamt jedenfalls sechs Jahre, weshalb die erforderliche Langjährigkeit gegeben sei. Daß diese Funktion nicht in einem zusammenhängenden Zeitraum wahrgenommen worden sei, sei unerheblich.

Wenn der Kläger vortrage, er habe als ehemaliger Lehrer für Polytechnik einen Sonderstatus als Schulinspektor eingenommen und gleichsam die Funktion eines Schulinspektors für diesen Fachbereich angenommen, so habe die Kammer erhebliche Zweifel, ob dies der Wahrheit entspreche. Der Kläger habe weder vorgetragen, daß es für jedes Fach einen eigenen Schulinspektor gegeben habe, noch habe er dargelegt, wieviele und nach welchen Kriterien auf die Schulen aufgeteilte Schulinspektoren beim Rat des Kreises I. beschäftigt gewesen seien. Sein Vortrag, er habe nur den Stand der Erfüllung der Lehrpläne und die Durchsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eingeschätzt, seine Tätigkeit sei nur fachlicher und nicht politischer Art gewesen, stehe in Widerspruch zum Inhalt des vorgelegten Funktionsplans, der keinerlei sachliche Einschränkungen seiner Tätigkeit als Bezirksschulinspektor enthalte. Vor der Weimar-Kommission habe er bezogen auf die Inspektorentätigkeit selbst geäußert, er habe analytische Arbeit geleistet, es sei um die Analyse der mit den politischen Problemen verwobenen pädagogischen Probleme, um die Durchsetzung der Politik der SED gegangen, Pädagogik und Politik seien untrennbar miteinander verbunden gewesen. Zwar bestünden erhebliche Zweifel an der Wahrheit seiner Behauptung, er habe keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnisse gehabt, letztendlich sei dies jedoch unerheblich. Selbst wenn der Kläger nur Zuarbeit zu leisten gehabt hätte, könnte ihn das nicht entlasten, denn mit seiner Zuarbeit habe er sichergestellt, daß der Überwachungs- und Unterdrückungsapparat des SED-Staates im Bereich des Schulwesens funktioniert habe. Er sei gerade aufgrund seiner Anleitungs- und Überwachungsfunktion als den Schuldirektoren übergeordneter Schulinspektor eines von vielen Rädchen des Apparates gewesen, ohne die die vierzigjährige SED-Diktatur unmöglich gewesen wäre.

Der Vortrag des Klägers, er sei zur Übernahme der Tätigkeit des Bezirksschulinspektors unter Androhung von Disziplinarmaßnahmen gezwungen worden, er habe mehrfach seine ablehnende Haltung erklärt, sei ohne nachprüfbare Erläuterungen geblieben. Jedenfalls sei der Kläger vier Jahre lang Bezirksschulinspektor geblieben, ohne daß er ernsthaft etwas zur Änderung seiner Beschäftigung unternommen habe. Zugunsten des Klägers spreche auch nicht der Umstand, daß er von der Schulrätin E. Ende 1989 als Mitarbeiter für Polytechnik ins Schulamt geholt worden sei. Dabei könne es sich ebensogut um einen Dienst der Freundschaft gehandelt haben. Es wäre Sache des Klägers gewesen, diese Möglichkeit durch entsprechenden nachprüfbaren Tatsachenvortrag auszuschließen. Die bloße Tätigkeit als Lehrer nach der Wende reiche nicht aus, um die persönliche Eignung zu begründen.

B. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Ob der Kläger wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht (Abs. 4 Ziff. 1 EV), kann nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend beurteilt werden.

I. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Länder die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Regelungen. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361 = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und – 8 AZR 127/93 – BAGE 75, 46 = AP Nr. 18, a.a.O., m.w.N.) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:

1. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

2. Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.

3. Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

4. Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitgewirkt hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und ggf. zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.

Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93BAGE 76, 323, 331 f. = AP Nr. 22, a.a.O., zu B II 3 b der Gründe).

II.1. Bei der Auslegung und Anwendung des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen. Danach begründet die für Verbleib und Aufstieg im öffentlichen Dienst der DDR notwendige und übliche Loyalität und Kooperation für sich allein keine mangelnde Eignung. Die Kündigung erfordert – auf der Grundlage des Parteivortrags – eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers nach seinem gesamten Verhalten vor und nach dem Beitritt. Abs. 4 Ziff. 1 EV eröffnet nicht die Möglichkeit, die Tragbarkeit eines Arbeitnehmers für den öffentlichen Dienst allein nach seiner Stellung in der Hierarchie der DDR und seiner früheren Identifikation mit dem SED-Regime pauschal zu beurteilen. Die innere Einstellung eines Menschen kann sich ändern, und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürger der DDR nach 1989 gemacht haben, können eine solche Änderung herbeigeführt haben (BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140 = AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu C I 3 b aa der Gründe). Der besondere Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist in dieser – der dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechenden – Auslegung verfassungsgemäß (BVerfG, a.a.O., zu C I der Gründe).

2. Eine solche Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV verstößt nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II, S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine früheren Funktionen begründete mangelnde persönliche Eignung, als Lehrer gemäß seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung die Grundwerte unserer Verfassung den Schülern glaubwürdig zu vermitteln. Wer über längere Zeit aufgrund seiner Funktion eine verfassungsmäßige Ordnung als revanchistisch und imperialistisch zu bekämpfen hatte, kann nun nicht glaubhaft eine gegenteilige Auffassung vertreten, wenn er sich nicht durch konkretes Verhalten von dem ideologischen Auftrag distanziert hat.

III. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich folgendes:

1. Der Kläger unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer öffentlichen Schule, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an.

2. Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß die mehrjährige Tätigkeit als Kreis- und Bezirksschulinspektor eine mangelnde persönliche Eignung indiziert.

a) Die Bedeutung der Funktion des Schulinspektors ergibt sich aus der Anweisung über die Stellung, die Vollmachten und die Tätigkeit der Schulinspektion und Berufsschulinspektion – Inspektionsordnung – vom 15. September 1961 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung 1961 S. 287 ff.). Die Schulinspektion war danach das Kontrollorgan der Kreisschulräte bzw. Bezirksschulräte. Die Kontrolle diente u.a. der Erziehung der Jugend im Geist des Sozialismus, der planmäßigen Durchführung der Beschlüsse der SED und der Sicherung der planmäßigen Verbesserung der sozialistischen Erziehung. Die Schulinspektoren waren verpflichtet, die Schulfunktionäre und Leiter der Einrichtungen politisch-pädagogisch anzuleiten (vgl. § 2 Inspektionsordnung). Die Inspektoren hatten dabei ein Weisungsrecht gegenüber den Leitern der Volksbildungseinrichtungen, insbesondere den Direktoren, konnten Belobigungen und Eintragungen in die Personalakte veranlassen und Disziplinarverfahren anregen. Sie hatten sogar das Recht, Direktoren, Lehrer und Erzieher vom Dienst zu suspendieren (§ 3 Inspektionsordnung). Ihre Kontrolle und ihre Weisungen hatten sich dabei insbesondere auch auf den politisch-ideologischen Bereich zu erstrecken. Nach alledem hatten die Schulinspektoren an den Schulen an der politisch-ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken. Wer längere Zeit dieses Amt ausgeübt hat, bei dem kann angenommen werden, daß er sich mit den Zielen des SED-Staates besonders identifiziert hat, was ihn nun für die Tätigkeit als Lehrer ungeeignet machen kann (vgl. schon Senatsurteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 658/92 – n.v., zu B II 3 der Gründe; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 194/93 – n.v., zu B I 2 b der Gründe; vom 30. Juni 1994 – 8 AZR 254/93 – n.v., zu B I 2 der Gründe; vom 27. April 1995 – 8 AZR 275/93 – n.v., zu B I 2 der Gründe; Urteil des Zweiten Senats vom 31. Mai 1995 – 2 AZR 863/93 – n.v., zu II 2 c der Gründe).

b) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, der Kläger sei insgesamt jedenfalls sechs Jahre als Schulinspektor tätig gewesen. Soweit der Kläger mit der Revision geltend macht, er sei lediglich vier Jahre und zwei Monate Schulinspektor gewesen, kann dieses Vorbringen nach § 561 ZPO nicht berücksichtigt werden. Der Kläger hat weder einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt noch eine entsprechende Verfahrensrüge erhoben. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend die Unterbrechungen als unerheblich bewertet und die Tätigkeitszeiten als Schulinspektor zusammengezählt.

3. Dagegen läßt sich eine Indizwirkung zu Lasten des Klägers aus dessen Funktionen als Fachberater und Referent für Polytechnik nicht ableiten. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler ausgeführt, der Beklagte habe den Inhalt dieser Funktionen nicht dargelegt.

4. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der weitere Vortrag des Klägers sei nicht geeignet, die sich aus der ausgeübten Funktion ergebende Indizwirkung zu entkräften, ist – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs – nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Zutreffend ist allerdings die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Behauptung des Klägers, er habe versucht, das Machbare zu tun, und sei kein Scharfmacher gewesen, sei nicht nachvollziehbar. Dieser Vortrag ist in der Tat völlig unsubstantiiert. Dasselbe gilt für den Vortrag des Klägers, er habe Schülern, Lehrern und Eltern nicht geschadet.

Ebenso ist der Vortrag des Klägers zur Übernahme der Tätigkeit eines Bezirksschulinspektors nicht hinreichend konkret. Der Kläger hätte im einzelnen nachvollziehbar und einer Beweisaufnahme zugänglich darlegen müssen, welche Bemühungen er unternommen habe, welche Gründe hierfür maßgebend gewesen seien und welcher Druck auf ihn ausgeübt worden sei. Daran fehlt es, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat. Dessen Bewertung, die Übertragung der Tätigkeit sei zur Belohnung für treue Dienste erfolgt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Tatsache, daß eine Schulrätin, die CDU-Mitglied war, den Kläger Ende 1989 als Mitarbeiter für Polytechnik in das Schulamt geholt hat, kann den Kläger nicht entlasten. Solange die Gründe hierfür nicht aufgezeigt werden, ergibt sich nichts zugunsten des Klägers. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht richtig gesehen.

Der Kläger hat nach dem 3. Oktober 1990 bis zur Kündigung im Juni 1992 1 3/4 Jahre auf der Grundlage des Grundgesetzes gearbeitet, davon etwa ein Jahr als Lehrer. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht dies für eine Entkräftung der Indizwirkung nicht ausreichen läßt. Der Zeitraum ist zu kurz, um mehr als eine bloß vordergründige Anpassung an die neuen Verhältnisse erkennbar werden zu lassen. Der Kläger hätte nicht allein seine fachliche Bewährung darlegen dürfen; er hätte Umstände vortragen müssen, die gerade für seine persönliche Eignung sprechen. Das hat er, wie das Landesarbeitsgericht unangefochten festgestellt hat, nicht getan.

b) Dagegen hätte das Landesarbeitsgericht den Vortrag des Klägers, er sei als Schulinspektor lediglich für Polytechnik zuständig gewesen, er habe einen Sonderstatus besessen und nur eine fachlich-technische Tätigkeit ausgeübt, abschließend würdigen müssen. Eine derartige Beschränkung der Anleitung und Kontrolle unter Ausklammerung des politisch-ideologischen Bereichs wäre geeignet, das Indiz des Eignungsmangels auszuräumen. Denn die Tätigkeit der politisch-ideologischen Anleitung und Kontrolle begründet gerade den Eignungsmangel. Das Landesarbeitsgericht verkennt die Beweislast, wenn es die „erheblichen Zweifel” an der Wahrheit des Klägervortrags zu Lasten des Klägers ausschlagen läßt. Sofern der Klägervortrag tatsächlich nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Indizwirkung entkräftet.

Der Senat kann die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen. Das Landesarbeitsgericht wird über die von ihm bisher gewürdigten Gesichtspunkte hinaus auch die Inspektionsordnung vom 15. September 1961 berücksichtigen müssen, die Schulinspektoren für besondere Fachbereiche jedenfalls nicht ausdrücklich vorsah. Es wird ggf. den Kläger veranlassen müssen, die konkreten Inspektionsaufträge genauer darzustellen und soweit möglich entsprechende Urkunden vorzulegen (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 1994, a.a.O., zu B II 4 a der Gründe). Ggf. wird das Landesarbeitsgericht auch auf einen Beweisantritt des Beklagten hinwirken müssen.

Das Landesarbeitsgericht hätte es schließlich nicht als unerheblich ansehen dürfen, ob der Kläger Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse hatte. Wenn der Kläger etwa, was das Landesarbeitsgericht bisher nicht ausgeschlossen hat, nur „Zuarbeit” geleistet hat, kommt es entscheidend darauf an, welcher Art diese Zuarbeit gewesen ist. Das wird der Kläger noch genauer darstellen müssen. Es genügt jedenfalls nicht, daß der Kläger auf der den Schulen übergeordneten Überwachungsebene und zuletzt auf Bezirksebene tätig war und er mit seiner Zuarbeit als eines von vielen „Rädchen des Apparates” sicherstellte, daß der Überwachungs- und Unterdrückungsapparat des SED-Staates im Bereich des Schulwesens funktionierte und letztlich die vierzigjährige SED-Diktatur möglich wurde. Maßgebend, um das Indiz persönlicher Nichteignung rechtfertigen zu können, ist vielmehr die konkrete persönlich ausgeübte Tätigkeit.

 

Unterschriften

Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, R. Iskra, Dr. Haible

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1092969

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