Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit von Anwesenheitsprämien
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Parallelsache zu – 10 AZR 482/93 –
Normenkette
BGB §§ 611, 612a; BetrVG 1972 § 75
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.04.1993; Aktenzeichen 15 Sa 133/92) |
ArbG Stuttgart (Urteil vom 30.09.1992; Aktenzeichen 2 Ca 4422/92) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 1993 – 15 Sa 133/92 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30. September 1992 – 2 Ca 4422/92 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.930,91 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem daraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 16. Februar 1992 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist seit dem 25. August 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Im Kalenderjahr 1991 war er an 61 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank.
Am 29. Januar 1992 schloß die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung „Prämienregelung für das Kalenderjahr 1991”, die – soweit hier von Interesse – wie folgt lautet:
1. Geltungsbereich
Prämienberechtigt sind alle Mitarbeiter…, die am Tage der Prämienauszahlung in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehen und die am 31. Dezember 1991 eine Betriebszugehörigkeit von mindestens sechs Monaten aufweisen.
Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis 1991 kraft Gesetzes ganz oder teilweise ruhte …, fallen nicht unter diese Vereinbarung.
Teilzeitbeschäftigte erhalten die Prämie anteilig…
…
2. Betrachtungszeitraum
Der für die Berechnung der Prämie zugrundeliegende Betrachtungszeitraum beginnt mit dem 1. Januar und endet am 31. Dezember 1991.
3. Zeitpunkt der Auszahlung
Angestellte: Abrechnung zum 29. Februar 1992; Gewerbliche Mitarbeiter: Abrechnung zum 15. Februar 1992.
4. Berechnung der Jahresprämie
a) Grundlagen
Grundlage der Prämienermittlung ist:
…
Bei gewerblichen Mitarbeitern der monatsdurchschnittliche Zeit-/Akkordlohn plus Überstunden
Einbezogen wird die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle.
Nicht einbezogen werden:
….
Berechnungsbasis für Prämie: (Höchstprämienanspruch) 50 % des durchschnittlichen Brutto-Monatslohnes/Gehaltes der Monate Januar bis Dezember 1991
b) Variable Größen
Betriebszugehörigkeit:
Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit wird die Höhe der Berechnungsbasis (a) gestaffelt:
Sechs bis zwölf Monate Betriebszugehörigkeit |
50 % |
Ein bis zwei Jahre |
75 % |
Zwei bis fünf Jahre |
80 % |
Fünf bis zehn Jahre |
90 % |
über zehn Jahre |
100 % |
5. Berechnungsvorgang
Lohn/Gehalt der Monate Januar bis Dezember 1991
davon 1/12 = durchschnittlicher Monatslohn
davon 50 % = Berechnungsbasis
davon × % (je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit) abzüglich davon × durch 30 (je nach Anzahl der Fehltage).
6. Jahresabschlußprämie für Auszubildende
…
7. Sonstiges
…
Die Jahresabschlußprämie ist eine außertarifliche, freiwillige und jederzeit widerrufliche Einmalzahlung des Arbeitgebers, auf die auch dann kein Rechtsanspruch besteht, wenn gleichartige oder ähnliche Leistungen mehrmals erbracht werden.
…
8. Bei den Kürzungen werden berücksichtigt:
a) Unentschuldigte Fehltage.
Für jeden unentschuldigten Fehltag innerhalb des Betrachtungszeitraumes (Ziff. 2) wird 1/30 der Jahresabschlußprämie abgezogen.
b) Krankheitstage.
Als Krankheitstage gelten entschuldigte Krankheitstage mit und ohne Lohnfortzahlung.
Ausgenommen hiervon sind:
Betriebsunfälle…
Alle Kuren (soweit sie nicht Suchtkuren).
Für jeden Krankheitstag innerhalb des Betrachtungszeitraumes (siehe Ziff. 2) wird die Jahresabschlußprämie um 1/30 gekürzt.
Letztmalig davor hatte die Beklagte im Jahre 1982 eine Prämie gezahlt.
Die Beklagte zahlte dem Kläger im Hinblick auf die 61 Tage z.T. auch bezahlter Arbeitsunfähigkeit keine Jahresprämie.
Der Kläger hält den Ausschluß der Jahresprämie aus Rechtsgründen für unwirksam und hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.930,91 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem hieraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 16. Februar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die in der Betriebsvereinbarung getroffene Kürzungsregelung für wirksam.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revison des Klägers ist begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Betriebsvereinbarung vom 29. Januar 1992 und die darin enthaltene Kürzungsregelung für krankheitsbedingte Fehltage für wirksam gehalten. Diese Regelung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Jahresprämie sei kein Arbeitsentgelt, das nach den gesetzlichen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle fortzuzahlen sei. Eine Kürzung der Prämie im Hinblick auf krankheitsbedingte Fehltage verstoße nicht gegen den Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Bestimmung. Es liege auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Die Betriebsvereinbarung halte einer Billigkeitskontrolle stand, die an § 75 BetrVG zu messen sei.
II. Dieser Begründung vermag der Senat im Ergebnis nicht zu folgen.
1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von der Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar 1990 (– 6 AZR 381/88 – BAGE 64, 179 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie) ausgegangen. Nach dieser Entscheidung ist eine vertragliche Vereinbarung – und damit auch eine Betriebsvereinbarung oder eine tarifliche Regelung – zulässig, nach der eine vom Arbeitgeber freiwillig gewährte Weihnachtsgratifikation durch Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und sonstige Fehlzeiten gemindert werden kann, und zwar auch dann, wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten berücksichtigt werden, für die dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist.
2. Dieser Entscheidung schließt sich der Senat an.
a) Der Senat hat selbst wiederholt ausgesprochen, daß es dem Arbeitgeber, den Betriebs- und Tarifvertragsparteien freisteht, im einzelnen zu bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen, soweit dem nicht eine gesetzliche Regelung – wie etwa die Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle – entgegensteht (grundlegend Urteil des Senats vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation – auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt – und von da an in ständiger Rechtsprechung). Der Senat hatte allerdings bislang noch keine Gelegenheit zu entscheiden, ob dies auch für Zeiten ohne Arbeitsleistung gilt, für die aufgrund gesetzlicher Vorschriften das Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist, wie etwa für die ersten sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit, den Urlaub oder gesetzliche Feiertage. Er hat allerdings für Fehlzeiten aufgrund der Mutterschutzfristen der §§ 3 und 6 MuSchG ausgesprochen, daß diese Zeiten einer tatsächlichen Arbeitsleistung gleichzusetzen sind, d.h. nicht anspruchsmindernd berücksichtigt werden dürfen (Urteil vom 12. Mai 1993 – 10 AZR 528/91 – AP Nr. 156 zu § 611 BGB Gratifikation).
b) Auch Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung, für die ein gesetzlicher Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes besteht, können sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf eine freiwillige Sonderzahlung auswirken.
Freiwillige Jahressonderzahlungen haben regelmäßig auch Entgeltcharakter, d.h. sie sollen die im Betrieb während des Bezugszeitraumes geleistete Arbeit zusätzlich vergüten. Sind solche Sonderzahlungen, wie in der Entscheidung des Sechsten Senats vom 15. Februar 1990 dargelegt, kein Arbeitsentgelt, das kraft Gesetzes für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit fortgezahlt werden muß, dann ist der Arbeitgeber auch nicht gehindert, solche Sonderzahlungen nach der Dauer der tatsächlichen Arbeitsleistung im Betrieb zu bemessen und Zeiten außer Betracht zu lassen, in denen es an einer tatsächlichen Arbeitsleistung fehlt. Der Senat hat daher noch am 28. September 1994 entschieden, daß aus diesem Grunde eine Regelung, nach der eine Jahressonderzahlung für Zeiten des Erziehungsurlaubs zu kürzen ist, nicht gegen Art. 119 EWG-Vertrag verstößt, weil es ein sachlicher, die Differenzierung rechtfertigender Grund ist, wenn zusätzliche Entgeltleistungen danach bemessen werden, in welchem Umfange der Arbeitnehmer auch gearbeitet hat.
c) Die Revision macht geltend, eine Regelung, die zur Kürzung der Jahressonderleistung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten führt, verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB. Das ist jedoch nicht der Fall.
Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
Der Senat hat schon Bedenken, ob diese Vorschrift überhaupt auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar ist. Der Arbeitnehmer, der arbeitsunfähig ist und deswegen nicht arbeitet, übt nicht in zulässiger Weise irgendein Recht aus. Durch die bestehende Arbeitsunfähigkeit wird vielmehr die Arbeitsleistung unmöglich und der Arbeitnehmer nach § 275 BGB von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Aus den gleichen Überlegungen hat auch der Zweite Senat Zweifel angemeldet, ob eine Kündigung wegen unzumutbarer Lohnfortzahlungskosten überhaupt eine Maßregelung im Sinne von § 612 a BGB sein kann, diese Frage jedoch letztlich dahingestellt sein lassen (Urteil vom 16. Februar 1989 – 2 AZR 299/88 – BAGE 61, 132, 151 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).
Allerdings ist richtig, daß dem erkrankten Arbeitnehmer, auch wenn er objektiv arbeitsunfähig ist, eine Entscheidungsmöglichkeit dahin verbleibt, ob er gleichwohl arbeitet oder der Tatsache Rechnung trägt, daß er von seiner Arbeitspflicht kraft Gesetzes befreit ist. An diese Entscheidungsmöglichkeit knüpfen gerade Anwesenheitsprämien – und auch die vorliegende Betriebsvereinbarung – an, indem sie den Arbeitnehmer motivieren wollen, nicht nur trotz bestehender Krankheit, sondern auch trotz objektiv bestehender Arbeitsunfähigkeit zu arbeiten. Aus den gleichen Überlegungen hat auch der Erste Senat in einem Personalinformationssystem, das auf einzelne Arbeitnehmer bezogene Aussagen über krankheitsbedingte Fehlzeiten, attestfreie Krankheitszeiten und unentschuldigte Fehlzeiten erarbeitet, eine zur Überwachung des Verhaltens der Arbeitnehmer mitbestimmungspflichtige technische Einrichtung gesehen, weil damit Aussagen über ein „Krankheitsverhalten” des Arbeitnehmers erarbeitet werden (Beschluß vom 11. März 1986 – 1 ABR 12/84 – BAGE 51, 217 = AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung). Gleichwohl liegt in der Kürzung von Jahresleistungen für krankheitsbedingte Fehlzeiten keine unzulässige Maßregelung.
Zwar kann eine Benachteiligung auch in der Vorenthaltung von Vorteilen liegen, das gilt aber dann nicht, wenn die Vorenthaltung der Vorteile sachlich gerechtfertigt oder in der Rechtsordnung schon angelegt ist (Staudinger/Richardi, BGB, § 612 a, Rz 10; Thüsing, Anwendungsbereich und Regelungsgehalt des Maßregelungsverbotes gem. § 612 a BGB, NZA 1994, 728, 731; Schwarze, Die Auslegung des gesetzlichen Maßregelungsverbotes (§ 612 a BGB) am Beispiel streikbedingter Sonderzuwendungen, NZA 1993, 967, 970; BAG Urteil vom 15. Mai 1964 – 1 AZR 432/63 – AP Nr. 35 zu § 611 BGB Gratifikation). Es ist Inhalt der Arbeitsrechtsordnung, daß Arbeitsentgelt grundsätzlich nur für geleistete Arbeit gezahlt wird, soweit nicht gesetzliche Vorschriften eine Verpflichtung zur Fortzahlung des Arbeitsentgeltes auch für Zeiten ohne Arbeitsleistung vorsehen. Eine Regelung, die Ansprüche auf Arbeitsentgelt daran knüpft, daß der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, stellt daher keine nach § 612 a BGB verbotene Maßregelung dar, und zwar auch dann nicht, wenn sie Ansprüche auf Arbeitsentgelt auch für solche Zeiten versagt, zu denen der Arbeitnehmer berechtigterweise und aufgrund eigener Entscheidung nicht gearbeitet hat.
Danach verstoßen Regelungen, nach denen Jahressonderzahlungen auch durch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit – auch solche mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung – gemindert werden können, nicht gegen § 612 a BGB.
Damit bestehen gegen die Entscheidung des Sechsten Senats vom 15. Februar 1990, soweit sie solche Regelungen grundsätzlich für zulässig erklärt, keine Bedenken. Der Senat geht von dieser grundsätzlichen Aussage aus.
3. Allerdings hat der Sechste Senat in der genannten Entscheidung auch ausgesprochen, daß Ausgestaltung und Handhabung einer vertraglichen Kürzungsregelung für Fehlzeiten der richterlichen Kontrolle entsprechend § 315 BGB dahin unterliegen, ob die gegenseitigen Interessen der Vertragsparteien gewahrt sind, und ist für den Regelfall davon ausgegangen, daß dies dann der Fall ist, wenn die Kürzungsrate pro Fehltag 1/60 der versprochenen Jahressonderzahlung nicht übersteigt.
Im vorliegenden Falle haben die Betriebspartner der Betriebsvereinbarung geregelt, daß die Kürzungsrate pro Fehltag 1/30 der versprochenen Jahresprämie beträgt. Folglich streiten die Parteien auch darum, ob überhaupt die Kürzungsregelungen in einer Betriebsvereinbarung einer solchen vom Sechsten Senat geforderten richterlichen Kontrolle unterliegen, und wenn ja, ob eine Kürzungsrate von 1/30 noch dieser Kontrolle standhält.
a) Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß Betriebsvereinbarungen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegen (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 1. Dezember 1992 – 1 AZR 234/92 – AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; Urteil vom 25. April 1991 – 6 AZR 183/90 – AP Nr. 138 zu § 611 BGB Gratifikation, m.w.N.). Maßstab für die gerichtliche Prüfung ist dabei die Bindung der Betriebspartner an die Zielbestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, wie sie insbesondere in § 75 BetrVG umschrieben sind. Die Billigkeitskontrolle bezieht sich auf die sog. Innenschranken der Betriebsvereinbarung. Sie ist insoweit eine Rechtskontrolle. Es geht darum, ob die von den Betriebspartnern vereinbarte Regelung in sich der Billigkeit entspricht oder ob einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ihnen in unbilliger Weise benachteiligt werden. Auch der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Betriebspartner bei der Vereinbarung eines Sozialplanes an die Grundsätze in § 75 BetrVG gebunden sind (vgl. zuletzt Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 323/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen), wobei den Betriebspartnern jedoch ein weiter Regelungsspielraum verbleibt.
Die Billigkeitskontrolle von Betriebsvereinbarungen hat im Schrifttum verbreitete Kritik erfahren (vgl. die Nachweise bei Matthes, MünchHdb ArbR, § 319, Fn 120). Diese Kritik ist jedenfalls insoweit nicht gerechtfertigt, als sich die Billigkeitskontrolle als Rechtskontrolle versteht, indem sie ausgehend von § 75 BetrVG prüft, ob die betriebliche Regelung gesetzlichen Grundentscheidungen widerspricht (vgl. die genannte Entscheidung vom 20. April 1994), den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot beachtet, den Betriebspartnern aber hinsichtlich der Bewertung der Interessen des Betriebes und der Arbeitnehmer einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt.
b) Diesen Kontrollmaßstäben hält die Betriebsvereinbarung vom 29. Januar 1992 nicht stand.
aa) Die in der Betriebsvereinbarung vom 29. Januar 1992 getroffene Regelung über die Jahresprämie entspricht weitgehend vielfach üblichen Prämienregelungen. Nach den normierten Anspruchsvoraussetzungen stellt sie sich einmal als zusätzliche Vergütung für Betriebstreue dar, wie ihre Staffelung in der Höhe nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit ausweist. Sie ist, wie ihr Name ausweist, auch zusätzliche Vergütung für im Bezugszeitraum geleistete Arbeit. So hat die Beklagte auch darauf verwiesen, daß mit der Jahresprämie der Beitrag der Arbeitnehmer zum Jahresergebnis zusätzlich vergütet werden sollte.
Eine Prämienregelung, die auf das Maß der tatsächlichen Arbeitsleistung abstellt und nach der sich Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung prämienmindernd auswirken, ist grundsätzlich zulässig. Das hat der Senat wiederholt entschieden.
Die in der Betriebsvereinbarung getroffene Prämienregelung stellt zwar mittelbar auch auf die im Betrieb erbrachte Arbeitsleistung ab, bemißt die schließlich zu zahlende Prämie jedoch nicht, auch nicht in pauschalierter Weise, an dieser. Der Arbeitnehmer, der während des ganzen Bezugszeitraums dem Betrieb angehört und keine anspruchsmindernden Fehlzeiten aufzuweisen hat, erhält die volle Jahresprämie. Derjenige Arbeitnehmer, der ebenfalls während des ganzen Bezugszeitraums dem Betrieb angehört hat, in dieser Zeit aber 30 krankheitsbedingte Fehltage aufzuweisen hat, erhält keine Prämie, obwohl er 10 1/2 Monate lang tatsächlich gearbeitet und zum Betriebsergebnis mit dieser Arbeit beigetragen hat. Auch derjenige Arbeitnehmer, der dem Betrieb erst sechs Monate angehört und keine Fehltage aufzuweisen hat, erhält die volle Jahresprämie, obwohl er 4 1/2 Monate weniger gearbeitet hat als der Arbeitnehmer mit 30 Fehltagen.
Eine Differenzierung, die zu solchen Ergebnissen führt, kann mit der Zwecksetzung der Prämie, auch für den Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten, sachlich nicht mehr gerechtfertigt werden. Sie führt zu unbilligen und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr zu rechtfertigenden Nachteilen für die von dieser Regelung betroffenen Arbeitnehmer mit Fehltagen und damit zu einem Verstoß gegen § 75 BetrVG.
Mit der Begründung, der Kläger habe infolge seiner Fehltage in geringerem Umfange zum Jahresergebnis beigetragen, kann daher die Beklagte den Ausschluß des Klägers von der Jahresprämie nicht rechtfertigen.
bb) Die Betriebsvereinbarung macht ebenso wie die vom Sechsten Senat am 15. Februar 1990 entschiedene vertragliche Regelung den Anspruch auf die Sonderzahlung u.a. auch von der Anzahl bestimmter Fehltage des Arbeitnehmers im Bezugszeitraum abhängig. Die nach dem durchschnittlichen Monatsverdienst und der Dauer der Betriebszugehörigkeit zunächst berechnete Jahresprämie mindert sich für jeden maßgebenden Fehltag des Arbeitnehmers – unentschuldigte Fehltage und Krankheitstage – um 1/30.
Damit handelt es sich bei der Jahresprämie auch um eine sog. Anwesenheitsprämie. Zweck einer solchen Prämie ist es, dem Arbeitnehmer einen Anreiz zu bieten, die Zahl seiner – berechtigten oder unberechtigten – Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten, indem jeder Fehltag zum Verlust eines Teils der Sonderzahlung führt. Von dieser Zwecksetzung her müssen jeder Anwesenheitsprämie, soll sie ihren Zweck erreichen, Überlegungen darüber zugrundeliegen, wie hoch der finanzielle Anreiz sein muß, damit der Arbeitnehmer sich auch veranlaßt sieht, die Zahl seiner Fehltage zu reduzieren, und welches Interesse der Arbeitgeber an der Verminderung der Fehltage hat, das es rechtfertigt, einen bestimmten Prämienaufwand zur Erreichung des Zweckes einzusetzen. In gleicher Weise sind Überlegungen dahin erforderlich, inwieweit der Anreiz, Fehltage zu vermeiden, den Arbeitnehmer bestimmen kann, auch solche Fehltage zu vermeiden, die im eigenen wohlverstandenen Interesse – wie bei einer objektiv bestehenden Arbeitsunfähigkeit – „genommen” werden sollten.
Diese Überlegungen anzustellen, ist grundsätzlich Sache der Betriebspartner. Sie sind in der Lage, angesichts der konkreten betrieblichen Situation die widerstreitenden Interessen der Arbeitnehmer und des Arbeitgebers und die für die Arbeitnehmer gerade dieses Betriebes bestehenden Gefahren tatsächlich zu erkennen und zu bewerten. Diese Interessenbewertung durch die Betriebspartner kann durchaus dahin führen, daß die Kürzung der Sonderzahlung für jeden Fehltag höher sein muß als 1/60 und daß nur eine Kürzung von 1/30 der Sonderzahlung dem Zweck der Anwesenheitsprämie gerecht wird, ohne den arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer über Gebühr zu schaden. Steht den Betriebspartnern ein weiter Beurteilungsspielraum zu, dann kann von einer solchen Regelung nicht gesagt werden, daß diese gegen § 75 BetrVG verstößt.
Eine Anwesenheitsprämie, deren Zweck es ist, die Zahl der Fehltage zu verringern, kann ihren Zweck aber nur erreichen, wenn der Arbeitnehmer, der einen Fehltag „in Anspruch nehmen will” weiß, daß die Inanspruchnahme dieses Fehltages eine Verringerung seines Prämienanspruches zur Folge haben wird. Die Regelung einer Anwesenheitsprämie muß daher an künftige Fehltage anknüpfen.
Die Betriebsvereinbarung über die Jahresprämie vom 29. Januar 1992 macht den Anspruch auf diese Jahresprämie nachträglich von Fehltagen im Jahre 1991 abhängig. Diese Differenzierung in der Höhe des Prämienanspruches nach diesen in der Vergangenheit liegenden Fehltagen ist unzulässig.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz fordert nicht nur, daß die vorgenommene Differenzierung vom Zweck der Leistung her sachlich gerechtfertigt ist – wovon bei einer Anwesenheitsprämie auszugehen ist –, sondern daß die differenzierende Regelung auch geeignet ist, den Zweck der Sonderleistung zu fördern (Urteil des Senats vom 27. Juli 1994 – 10 AZR 538/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Das aber ist einer Regelung über Anwesenheitsprämien, die auf Fehlzeiten abstellt, die vor der Schaffung der Regelung liegen, nicht möglich.
Die Betriebsvereinbarung vom 29. Januar 1992 ist daher auch insoweit unwirksam, als sie die Höhe des Anspruchs auf die Jahresprämie von der Anzahl der Fehltage im Jahre 1991 abhängig macht.
Ist damit die Kürzungsregelung in der Betriebsvereinbarung unwirksam, steht dem Kläger der volle Anspruch auf die Jahresprämie zu. Die Vorinstanzen haben die Klage daher zu Unrecht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Bacher, Harnack
Fundstellen