Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung bei Ablehnung eines Ersatzarbeitsplatzes
Leitsatz (amtlich)
- Nach § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung steht eine Abfindung nicht zu, wenn der Arbeitnehmer vor der Kündigung einen anderen ihm angebotenen Arbeitsplatz abgelehnt hat, es sei denn, daß ihm die Annahme nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden konnte.
- Der Begriff der Fähigkeiten umfaßt auch die körperliche Eignung zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Tätigkeit und kann auch die körperliche Eignung umfassen, den Weg zu der neuen Arbeitsstelle zurückzulegen. Persönliche oder familiäre Gründe sind jedoch nicht zu berücksichtigen.
- Einem Arbeitnehmer ist die Annahme eines gleichwertigen Arbeitsplatzes in einer 60 km entfernten Dienststelle billigerweise zuzumuten, wenn durch Auflösung seiner bisherigen Beschäftigungsstelle alle Arbeitsplätze an seinem bisherigen Dienstort weggefallen sind. Ist der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an einer arbeitstäglichen Bahnfahrt zu dem neuen Arbeitsplatz gehindert, ist ihm in diesem Fall der Umzug zuzumuten.
Normenkette
Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) § 2
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 09.02.1994; Aktenzeichen 2 Sa 232/93) |
ArbG Bautzen (Urteil vom 25.08.1993; Aktenzeichen 11 Ca 11286/93) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 9. Februar 1994 – 2 Sa 232/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung.
Die Klägerin war seit 1966 als Schreibkraft in der Dienststelle W… der Staatsanwaltschaft G… beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Wegen Auflösung der Dienststelle W… bot der Beklagte der Klägerin die gleiche Tätigkeit, die sie in W… ausgeübt hatte, in der etwa 60 Kilometer entfernten Dienststelle G… an. Dieses Angebot lehnte die Klägerin mit Schreiben vom 17. August 1992 ab und bat um den Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung zur Vermeidung finanzieller Nachteile. Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis am 3. September 1992 zum 31. März 1993.
Die Klägerin verlangte von dem Beklagten erfolglos die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung). In diesem heißt es:
“…
§ 2
Abfindung
Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil
- er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder
- die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaues der Beschäftigungsstelle die bisherige oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr möglich ist,
erhält eine Abfindung. Das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.
- Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die nach der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu berücksichtigten Zeiten bzw. die vergleichbaren, für die Arbeiter geltenden Bestimmungen) ein Viertel der letzten Monatsvergütung (§ 26 BAT-O zuzüglich der allgemeinen Zulage) bzw. des letzten Monatstabellenlohnes (§ 21 Abs. 3 MTArb-O, § 20 Abs. 2 BMTG-O ggf. zuzüglich des Sozialzuschlags), mindestens aber die Hälfte und höchstens das Fünffache dieser Vergütung bzw. dieses Lohnes. Sie darf den Betrag von 10.000,-- DM nicht übersteigen. …
- …
Eine Abfindung steht nicht zu, wenn
- die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (z.B. Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, daß ihm die Annahme nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist oder
- …
”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung des Beklagten sei wegen Auflösung der Dienststelle W… erfolgt. Sie habe deshalb Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung nach § 2 Abs. 1 Buchst. b TV soziale Absicherung. Die ihr angebotene Fortsetzung der Tätigkeit in der ca. 60 km entfernten Dienststelle G… sei ihr wegen ihrer familiären Pflichten auch deshalb nicht zuzumuten gewesen, weil sie durch den längeren Arbeitsweg gesundheitliche Beeinträchtigungen habe befürchten müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von DM 10.000,-- nebst 4 % Zinsen seit 1. April 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt, weil die Klägerin die Weiterbeschäftigung auf einem gleichwertigen Arbeitsplatz abgelehnt habe, obwohl ihr die Annahme dieses Arbeitsplatzes nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise habe zugemutet werden können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der durch den erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.
1. Die Klägerin hat zwar die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Buchst. b TV soziale Absicherung erfüllt, weil ihre bisherige Beschäftigungsstelle W… ersatzlos aufgelöst und das Arbeitsverhältnis von dem Beklagten gekündigt wurde. Die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf eine Abfindung. Nach § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung steht eine Abfindung nicht zu, wenn die Kündigung aus einem von dem Arbeitnehmer zu vertretenden Grund erfolgt ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Zwar wurde das Arbeitsverhältnis von dem Beklagten gekündigt, weil die Dienststelle in W… aufgelöst wurde. Dennoch ist die Kündigung aus einem von der Klägerin zu vertretenden Grund erfolgt.
a) Nach dem Klammerzusatz in § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung (im folgenden: Klammerzusatz) ist es als ein vom Arbeitnehmer zu vertretender Kündigungsgrund anzusehen, wenn der Arbeitnehmer einen anderen angebotenen Arbeitsplatz ablehnt. So lag der Fall hier. Die Klägerin hat den Arbeitsplatz in G… abgelehnt und damit den in dem Klammerzusatz genannten Beispielssachverhalt erfüllt.
b) Entgegen ihrer Auffassung kann die Klägerin sich weder – wie sie es in der Zweiten Instanz getan hat – darauf berufen, sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, von W… aus den täglichen Weg zu dem anderen Arbeitsplatz in G… zurückzulegen, noch kann sie – so ihr erstinstanzlicher Vortrag – darauf verweisen, sie sei aus familiären Gründen gehindert, den Arbeitsplatz in G… anzunehmen.
Nach dem Klammerzusatz beruht die Kündigung auch bei Ablehnung des anderen angebotenen Arbeitsplatzes nicht auf einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund, wenn dem Arbeitnehmer die Annahme des anderen Arbeitsplatzes nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann. Der Klägerin war die Annahme des Arbeitsplatzes in G… zuzumuten.
aa) Unstreitig ist, daß die Klägerin nach ihren Kenntnissen in der Lage war, die Tätigkeit in G… auszuüben. Auch hat sie nicht vorgetragen, daß es ihr aufgrund ihres Gesundheitszustands an der Fähigkeit fehlte, die Arbeit in G… zu leisten.
bb) Die Klägerin hat allerdings geltend gemacht, ihr seien aus gesundheitlichen und familiären Gründen die täglichen Fahrten von W… nach G… und zurück und der damit verbundene Zeitverlust nicht zuzumuten. Darauf kommt es jedoch nicht an.
Nach dem Klammerzusatz ist die Frage, ob dem Arbeitnehmer die Annahme des angebotenen Arbeitsplatzes billigerweise zugemutet werden kann, im Hinblick auf seine Fähigkeiten zu beurteilen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts umfaßt der Begriff der Fähigkeiten auch die körperliche Eignung zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Tätigkeit (vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT-O, Stand September 1995, TV soziale Absicherung Hinweis 5; Steinherr/Sponer/Schwimmbeck, BAT-O, Stand April 1995, TV soziale Absicherung 2.4.3 Erläuterungen 5). Damit scheiden, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis richtig angenommen hat, persönliche oder familiäre Gründe aus. Auf sie kann der Arbeitnehmer sich nicht berufen, wenn er den angebotenen Ersatzarbeitsplatz ablehnen will. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, sie sei familiär in W… gebunden, ist ihr Vortrag daher unerheblich.
Das gleiche gilt aber im Ergebnis auch, soweit die Klägerin geltend macht, ihr sei der arbeitstägliche Weg zwischen … und G… aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten. Nach dem Tarifwortlaut ist maßgebend, daß dem Arbeitnehmer die Annahme des anderen Arbeitsplatzes nach seinen Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann. Es kommt somit im Gegensatz zum Berufungsgericht nicht nur auf die Fähigkeit zur Ausübung der neuen Tätigkeit, sondern auch zur “Annahme” des Arbeitsplatzes an. Ein Arbeitsweg, der beschwerlicher ist als der bisherige, kann somit die Beurteilung der Frage, ob die Annahme des anderen Arbeitsplatzes “billigerweise” zugemutet werden kann, beeinflussen. Die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Gründe beziehen sich auf die arbeitstägliche Eisenbahnfahrt von W… nach G… und zurück. Diese Gründe hätten aber nicht der Annahme des Arbeitsplatzes in G… entgegengestanden. Die Klägerin verkennt, daß es nach der ihr angebotenen Versetzung nach G… ihre Sache gewesen wäre, dort ihre Arbeitskraft anzubieten, und daß dies nicht nur durch tägliches Pendeln möglich gewesen wäre. Konnte die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen die tägliche Bahnfahrt nicht auf sich nehmen, hätte sie in G… Wohnung nehmen müssen. Dies war ihr billigerweise zuzumuten, nachdem durch die Auflösung der Dienststelle in W… alle dortigen Arbeitsplätze weggefallen waren und damit für den Beklagten keine Möglichkeit bestand, die Interessen der Klägerin durch das Angebot eines sonstigen Arbeitsplatzes in W… zu berücksichtigen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Bengs, Bruse
Fundstellen
Haufe-Index 871640 |
NZA 1996, 547 |