Entscheidungsstichwort (Thema)
Überstundenvergütung für Orchestermusiker
Normenkette
BGB §§ 362, 612; AZO §§ 3, 15
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 03.09.1992; Aktenzeichen 17 (10) Sa 1657/91) |
ArbG Herford (Urteil vom 24.09.1991; Aktenzeichen 1 Ca 1498/90) |
Tenor
1. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. September 1992 – 17 (10) Sa 1656 und 1657/91 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung von Diensten, die die Kläger als Musiker in einem Konzertorchester geleistet haben.
Der Kläger zu 1) ist Posaunist, der Kläger zu 2) Hornist. Kraft einzelvertraglicher Bezugnahme findet auf die Arbeitsverhältnisse der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 i.d.F. vom 5. Oktober 1988 Anwendung.
In § 15 TVK ist die dienstliche Inanspruchnahme wie folgt geregelt:
(2) Die Anzahl der Dienste des Musikers richtet sich nach der Größe und den Aufgaben des Kulturorchesters. Der Musiker ist verpflichtet, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen bzw. bei Konzertorchestern von zwölf Kalenderwochen – nachfolgend Ausgleichszeitraum genannt – wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten. Enthält ein Ausgleichszeitraum zahlenmäßig überwiegend Aufführungen von Werken, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen sind, hat der Musiker in diesem Ausgleichszeitraum im Durchschnitt wöchentlich höchstens sieben Dienste zu leisten.
Die Ausgleichszeiträume sind aufeinanderfolgende Zeiträume. Der erste Ausgleichszeitraum beginnt mit dem ersten Montag nach dem Ende der Theater- bzw. Konzertferien. An den dem ersten Ausgleichszeitraum vorangehenden Tagen und an den dem letzten Ausgleichszeitraum nachfolgenden Tagen werden die Dienste anteilig berechnet.
(3) Der Musiker darf in einer Kalenderwoche unbeschadet des Satzes 2 nicht zu mehr als neun Diensten herangezogen werden. In jedem Ausgleichszeitraum kann der Musiker in zwei voneinander getrennten Kalenderwochen zu je zehn Diensten herangezogen werden. In der jeweils nachfolgenden Kalenderwoche, auch wenn sie dem nächsten Ausgleichszeitraum angehört, ist der Musiker zu höchstens acht Diensten verpflichtet.
Die Kläger haben gemeint, in dem 12-wöchigen Ausgleichszeitraum vom 6. August bis 28. Oktober 1990 seien sie wöchentlich nur zur Leistung von 7 Diensten verpflichtet gewesen, weil in diesem Ausgleichszeitraum überwiegend Werke aufgeführt worden seien, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen seien. Der Kläger zu 1) habe einen und der Kläger zu 2) drei zusätzliche Dienste erbracht. Diese seien innerhalb des Ausgleichszeitraums nicht ausgeglichen worden. Ein Ausgleich im folgenden Ausgleichszeitraum sei unzulässig. Die tarifwidrig geleisteten Dienste seien mit dem Betrag zu vergüten, den der Beklagte an Orchesteraushilfen zahlen müsse. Diese erhielten pro Aufführung 240,– DM brutto und pro Probe 160,– DM brutto. Deshalb habe der Beklagte an den Kläger zu 1) für den Einsatz bei der Probe am 26. Oktober 1990 160,– DM brutto und an den Kläger zu 2) für die Einsätze bei den Konzerten am 21., 23. und 24. Oktober 1990 720,– DM brutto (3 × 240,– DM brutto) zu zahlen.
Die Kläger haben beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1) (…) 160,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 29. Oktober 1990, … an den Kläger zu 2) (…) 720,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 29. Oktober 1990 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Kläger seien nicht tarifwidrig zu Diensten herangezogen worden, da der betreffende Ausgleichszeitraum zahlenmäßig nicht überwiegend Aufführungen von Werken enthalten habe, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klagen als unbegründet abgewiesen. In der Berufungsinstanz zahlte der Beklagte an den Kläger zu 1) 50,– DM netto und an den Kläger zu 2) 150,– DM netto. Auch mit den daraufhin entsprechend ermäßigten Klageanträgen blieben die Berufungen der Kläger erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger die zuletzt gestellten Klageanträge weiter. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klageanträge seien in dem zuletzt gestellten Umfang schon nach dem eigenen Vorbringen der Kläger unbegründet. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Kläger in dem Ausgleichszeitraum vom 6. August bis 28. Oktober 1990 nach § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 3 TVK zu sieben oder nach § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 TVK zu acht Diensten verpflichtet gewesen seien. Zwar könnten tarifwidrig geleistete Dienste nicht in einem späteren Ausgleichszeitraum ausgeglichen werden. Falls die Kläger aber zwischen dem 6. August und dem 28. Oktober 1990 unzulässige Mehrarbeit geleistet hätten, sei diese durch die in der Berufungsinstanz geleisteten Zahlungen abgegolten worden. Für die Bemessung der Vergütung tarifwidrig geleisteter Dienste seien nicht die Beträge zugrundezulegen, die der Beklagte an betriebsfremde Orchesterhilfen zahlen müsse. Vielmehr sei nach den Grundsätzen der AZO über die Bezahlung von unzulässiger Mehrarbeit zu verfahren. Diesen hätten die nachträglichen Zahlungen entsprochen. Die Klageforderungen seien daher in jedem Fall durch Erfüllung erloschen.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Die Klagen sind unbegründet.
Falls dem Kläger zu 1) für den Einsatz am 26. Oktober 1990 und dem Kläger zu 2) für die Einsätze am 21., 23. und 24. Oktober 1990 Vergütungsansprüche zustanden, sind diese durch Erfüllung erloschen (§ 362 BGB).
Die behaupteten Ansprüche wären nach § 612 Abs. 1 BGB zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung gilt eine Vergütung als vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dies ist der Fall, wenn tariflich nicht zulässige Überarbeit geleistet wird. Überarbeit (Überstunden, Überschicht) ist jede Arbeit, die die für dieses Arbeitsverhältnis normale Arbeitszeit überschreitet (BAG Urteil vom 4. September 1985 – 7 AZR 240/83 – AP Nr. 1 zu § 48 MTB II; BAGE 8, 25 = AP Nr. 5 zu § 7 AZO).
Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß tariflich nicht zulässige Dienste nach den Grundsätzen gesetzlich unzulässiger Mehrarbeit zu vergüten sind (vgl. BAG Urteil vom 12. Mai 1982 – 4 AZR 510/81 – BAGE 38, 383, 392 = AP Nr. 20 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; Senatsurteile vom 17. September 1987 – 6 AZR 560/84 – AP Nr. 32 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 1 der Gründe; vom 19. Dezember 1991 – 6 AZR 72/90 – nicht veröffentlicht; vom 13. August 1992 – 6 AZR 22/91 – nicht veröffentlicht, und zuletzt vom 27. Mai 1993 – 6 AZR 359/92 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Entgegen der Rechtsansicht der Revision ist daher für tarifwidrig angeordnete Dienste nicht die Vergütung zu zahlen, die der Beklagte einer Aushilfe für eine Probe oder ein Konzert vergütet. Auch haben die Parteien einzelvertraglich keine Regelung getroffen, wie tarifwidrig angeordnete Dienste zu vergüten sind.
Auch im TVK fehlen jegliche Anhaltspunkte, wie solche Dienste abzugelten sind; in § 21 TVK ist nur bestimmt, wie sich die Normalvergütung eines Musikers zusammensetzt. Mit dieser werden nur die tariflich zulässigen Dienste nach § 15 Abs. 2 und 3 TVK abgegolten. Schließlich kommt auch der Rückgriff auf die Regelungen über die wöchentliche und die tägliche Arbeitszeit, die sich in anderen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes befinden, nicht in Betracht, weil darin ein unzulässiger Eingriff in die Rechtssetzungsautonomie der Tarifvertragsparteien des TVK läge (BAG Urteil vom 21. März 1984 – 4 AZR 375/83 – BAGE 45, 238 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag).
Deshalb geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß nur die Grundsätze des in der AZO geregelten staatlichen Arbeitszeitrechts heranzuziehen sind (Senatsurteile vom 19. Dezember 1991 – 6 AZR 72/90 –, vom 13. August 1992 – 6 AZR 22/91 – beide unveröffentlicht, und zuletzt vom 27. Mai 1993 – 6 AZR 359/92 –). Da die AZO auch auf die Arbeitsverhältnisse der Musiker in Kulturorchestern Anwendung findet (vgl. § 18 TVK), ist dies möglich und führt zur Gewinnung brauchbarer Kriterien (vgl. BAGE 45, 238 = AP, a.a.O.). Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sind die Höchstarbeitszeiten der AZO zugrundezulegen. Dazu zählen die Sechstagewoche und der Achtstundentag (§ 3 AZO), wobei die Sechstagewoche auch aufgrund tariflicher Regelung (§ 16 Abs. 1 TVK) für die Musiker in Kulturorchestern gilt. Auf dieser Grundlage ist rechnerisch von einem Achtstundentag der Musiker auszugehen, so daß die mit 1/30 des Grundgehaltes ermittelten Tagesgagen nochmals durch 8 zu teilen sind, um eine Stundenvergütung zu errechnen. Hinzuzurechnen ist in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 2 AZO ein Zuschlag von 25 % (vgl. BAG Urteil vom 13. August 1992 – 6 AZR 22/91 – nicht veröffentlicht).
Da die so errechneten Ansprüche nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für den Kläger zu 1) 42,61 DM brutto und für den Kläger zu 2) 136,49 DM brutto betragen würden, stehen den Klägern nach ihrem eigenen Vorbringen nach den Zahlungen in Höhe von 50,– DM netto und 150,– DM netto, die sie erhalten haben, keine Ansprüche mehr zu.
Zu Recht hat das Berufungsgericht somit ungeklärt gelassen, ob die Kläger nach § 15 Abs. 2 TVK im Ausgleichszeitraum vom 6. August bis 28. Oktober 1990 wöchentlich zu höchstens acht oder nur zu höchstens sieben Diensten verpflichtet waren.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dörner, Dr. Armbrüster, Ehrenamtlicher Richter Hilgenberg ist aus dem Richteramt ausgeschieden und daher an der Unterschriftsleistung gehindert Dr. Peifer, Dr. Gehrunger
Fundstellen