Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorruhestand im Beitrittsgebiet
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Senatsrechtsprechung Urteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 –
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 9 Abs. 2; Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschn. III Nr. 5
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 03.03.1994; Aktenzeichen 7 Sa 142/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 01.10.1993; Aktenzeichen 86 Ca 14214/93) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 03. März 1994 – 7 Sa 142/93 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Vorruhestandsgeld im Beitrittsgebiet.
Der im Mai 1928 geborene Kläger war vom 1. September 1967 bis 31. August 1990 beim Rundfunk der DDR beschäftigt. Er war zunächst Redakteur, zuletzt Leiter der im März 1990 neu geschaffenen Redaktion Internationale Presseschau. Am 31. Juli 1990 unterzeichneten die Arbeitsvertragsparteien eine vorgedruckte „Vereinbarung zur Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses und zur Gewährung von Vorruhestandsgeld”. U.a. ist dort bestimmt:
„1. Das mit Arbeitsvertrag vom 1.9.67 geschlossene Arbeitsrechtsverhältnis wird am 31.8.90 beendet.
2. Mit Wirkung vom 1.9.90 wird dem genannten Werktätigen auf der Grundlage der Verordnung zur Gewährung von Vorruhestandsgeld (GBl. Teil I Nr. 7 vom 12.2.1990) und den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen auf Grund von
Rationalisierungsmaßnahmen
ein Vorruhestandsgeld in Höhe von
1 074,-D Mark
gewährt.
…
4. Der Bezug des Vorruhestandsgeldes ist wie ein Arbeitsrechtsverhältnis im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung durch den Betrieb einzutragen und jährlich fortzuschreiben soweit kein neues Arbeitsrechtsverhältnis eingegangen wird bzw. der Bezug von Invaliden- oder Altersrenten eintritt.”
Der in den Vordruck eingesetzte Betrag entsprach der Bestimmung in § 3 a der in Bezug genommenen Verordnung vom 8. Februar 1990 (VO), nach der „70 % des durchschnittlichen Nettolohnes der letzten 12 Monate” als Vorruhestandsgeld vom Betrieb zu zahlen war. Bei Beginn des Vorruhestands im September 1990 erhielt der Kläger bereits das auf 1.166,– DM erhöhte monatliche Vorruhestandsgeld. Die Neuberechnung erfolgt aufgrund der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 1. März 1990 (GBl. I S. 96):
„Das Vorruhestandsgeld ist neu zu berechnen, wenn im Betrieb Lohnveränderungen gemäß § 6 der 5. Durchführungsbestimmung vom 7. März 1985 zur Verordnung über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung (GBl. I Nr. 10 S. 109) eintreten, die für den Werktätigen bei Fortsetzung seiner Tätigkeit wirksam geworden wären.”
Der Kläger beantragte am 12. Oktober 1990 bei der Bundesanstalt für Arbeit die Gewährung von Vorruhestandsgeld nach Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 5 des Einigungsvertrages (EV). Diese Regelungen lauten:
5. Die Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 (GBl. I Nr. 7 S. 42) gilt für Arbeitnehmer, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, weiter mit der Maßgabe, daß
- das Vorruhestandsgeld und die darauf entsprechend den Vorschriften über das Arbeitslosengeld zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge auf Antrag von der Bundesanstalt für Arbeit aus Mitteln des Bundes gezahlt werden,
- das Vorruhestandsgeld 65 v. H. des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts der letzten drei Monate beträgt,
- das für die Höhe des Nettoarbeitsentgelts maßgebende Arbeitsentgelt durch die für das in Artikel 3 des Vertrages genannte Gebiet geltende Bemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung begrenzt wird,
- §§ 112 a, 115 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) entsprechend anzuwenden sind,
- eine Neufestlegung des Vorruhestandsgeldes nach Buchstabe b solange unterbleibt, bis der nach Buchstabe b festzulegende Betrag das vor dem Tag des Wirksamwerdens des Beitritts zuletzt gezahlte Vorruhestandsgeld übersteigt.”
Die Bundesanstalt für Arbeit zahlte daraufhin bis zum Ende des Jahres 1990 das Vorruhestandsgeld in gleicher monatlicher Höhe. Mit Wirkung zum Januar 1991 wurde das Vorruhestandsgeld auf 1.246,– DM, ab Juli 1991 auf 1.433,– DM, ab Januar 1992 auf 1.600,– DM, ab Juli 1992 auf 1.804,– DM und ab Januar 1993 auf 1.915,– DM entsprechend dem im EV in Bezug genommenen Anpassungsfaktor (§ 112 a AFG) festgesetzt. Der Kläger hat gegenüber den Beklagten als Rechtsnachfolgern des abgewickelten Rundfunks der DDR am 20. September 1992 weitergehende Forderungen geltend gemacht. Er hat dazu die Auffassung vertreten, aus der Vereinbarung vom 31. Juli 1990 ergebe sich eine Verpflichtung, ihm für die Zeit des Vorruhestandes jeweils 70 % des monatlichen Nettoarbeitsentgelts zu zahlen, das er erhalten hätte, wenn das Arbeitsrechtsverhältnis fortgesetzt worden wäre. Nach dem zum 3. Mai 1991 in Kraft getretenen Vergütungstarifvertrag sei er als Leiter einer Redaktion in die VergGr. C und wegen seiner 23-jährigen Betriebszugehörigkeit in die Steigerungsstufe IX einzugruppieren gewesen.
Mit der am 23. Juni 1993 erhobenen Klage hat er den Differenzbetrag geltend gemacht und beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 8.319,59 DM zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Zahlung von restlichem Vorruhestandsgeld.
1. Die beklagten Länder haften für Verbindlichkeiten des Rundfunks der DDR nach Art. 36 Abs. 6 Satz 3 EV als Gesamtschuldner, nachdem die aus dem Deutschen Rundfunk der DDR und dem Deutschen Fernsehfunk gebildete gemeinschaftliche Einrichtung der fünf neuen Länder und des Landes Berlin aufgelöst worden ist.
2. Mit dem Inkrafttreten des EV sind am 3. Oktober 1990 Ansprüche des Klägers aus der Vereinbarung vom 31. Juli 1990 bereits gegenüber den Rechtsvorgängern der Beklagten erloschen.
a) Für die nach der VO vom 8. Februar 1990 begründeten Ansprüche der im Vorruhestand befindlichen ehemaligen Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet hat Art. 9 Abs. 2 in Verb. mit der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 5 des EV (BGBl. II S. 889) einen gesetzlichen Schuldnerwechsel auf die Bundesanstalt für Arbeit angeordnet. Der bisherige arbeitsrechtliche Schuldner ist damit von seiner gesetzlichen Leistungsverpflichtung frei und ein sozialrechtlicher Anspruch gegen die Bundesanstalt für Arbeit begründet worden (BSG Urteil vom 1. Juni 1994 – 7 RAr 14/94 – BSGE 74, 211). Dem hat sich der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Vorruhesandsgeld, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) angeschlossen. Daran ist festzuhalten (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Juni 1995 – 9 AZR 351/94 – zur Veröffentlichung bestimmt).
b) Dem Kläger ist nach dem gesetzlichen Schuldnerwechsel kein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Zahlung von Differenzbeträgen verblieben. Die Rechtsgrundlage für die geltend gemachte höhere Anpassung des Vorruhestandsgeldes ist mit dem 3. Oktober 1990 entfallen.
Durch den Einigungsvertrag ist mit Zustimmung der Volkskammer der DDR die Anpassung neu geregelt worden. Die Neuberechnungsklausel in § 9 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung, nach der die Vorruheständler an den arbeitsplatzbezogenen Lohnsteigerungen teilnehmen sollten, ist aufgehoben und durch die arbeitsmarktbezogene Anpassungsklausel des § 112 a AFG ersetzt worden.
c) Die Vereinbarung vom 31. Juli 1990 enthält – was nach der Änderung des AGB durch § 16 a AGB in der Fassung vom 21. Juni 1990 unzweifelhaft zulässig gewesen wäre – keine von der Verordnung vom 8. Februar 1990 und den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen zugunsten des Klägers abweichende rechtsgeschäftliche Regelung. Insbesondere ist dem Kläger keine dauerhafte Dynamisierung seines Vorruhestandsgeldes entsprechend dem Verdienst zugesagt worden, den er bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses hätte erreichen können. Vielmehr verweist Ziffer 2 der Vereinbarung ausdrücklich darauf, daß das Vorruhestandsgeld „auf der Grundlage der Verordnung und den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen …” gewährt wird. Anhaltspunkte dafür, daß damit die den Kläger beschäftigende Einrichtung dem Kläger auch bei einer Änderung der Durchführungsbestimmungen eine Bemessung des Vorruhestandsgeldes nach der Berechnungsklausel des § 9 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung rechtsgeschäftlich garantieren wollte, sind nicht vorhanden.
II. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Leinemann, Dörner, Düwell, Fr. Holze, Schodde
Fundstellen