Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschuß zum Vorruhestandsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die vor Änderung des Arbeitsgesetzbuches der DDR im Beitrittsgebiet geschlossene Vorruhestandsvereinbarung, in der ein Betrieb einem Werktätigen die Zahlung eines betrieblichen Zuschusses zum Vorruhestandsgeld zusagte, verstieß nicht gegen § 44 Abs. 1 AGB-DDR in der Fassung vom 16. Juni 1977.
  • Der arbeitsvertragliche Anspruch auf einen solchen Betriebszuschuß zum Vorruhestandsgeld ist auch nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages erhalten geblieben, obwohl der arbeitsrechtliche Anspruch auf Vorruhestandsgeld durch die Maßgaben des Einigungsvertrages in einen gegen die Bundesanstalt für Arbeit gerichteten sozialrechtlichen Anspruch umgewandelt worden ist (Bestätigung der Senatsrechtsprechung im Urteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Vorruhestand, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
 

Normenkette

AGB-DDR i.d.F. vom 16. Juni 1977 § 41 Abs. 1, § 44 Abs. 1, § 49 Abs. 1, § 51 Abs. 1; Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 der DDR § 2; Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 der DDR § 3; Einigungsvertrag Art. 9 Abs. 2 in Verb. mit Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschn. III Nr. 5

 

Verfahrensgang

LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 14.07.1993; Aktenzeichen 5 Sa 221/92)

ArbG Halle (Saale) (Urteil vom 08.10.1992; Aktenzeichen 2 Ca 390/91)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. Juli 1993 – 5 Sa 221/92 – wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines betrieblichen Zuschusses zum Vorruhestandsgeld im Beitrittsgebiet.

Zwischen der am 7. Mai 1933 geborene Klägerin und dem VEB M… Kombinat “W…”, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, bestand bis Ende Juni 1990 ein Arbeitsrechtsverhältnis. Am 20. April 1990 führte der Leiter der Kostenrechnung des Beschäftigungsbetriebes mit der Klägerin ein sog. Kadergespräch, in dessen Verlauf der Klägerin vom Betrieb angetragen wurde, wegen der derzeitig stattfindenden Rationalisierungsmaßnahmen die gesetzliche Vorruhestandsregelung in Anspruch zu nehmen. Dabei wurde erläutert, daß das monatliche Vorruhestandsgeld 70 % des Nettogehalts entspreche und ein Zwölftel der letzten zusätzlichen Belohnung hinzukomme. Über diesen Inhalt des Gesprächs wurde am 7. Mai 1990 von den Beteiligten ein Aktenvermerk gefertigt und zusätzlich der vorgedruckte Text einer “Vereinbarung zur Vorruhestandsregelung” wie folgt ausgefüllt:

“Auf der Grundlage der Verordnung “Gewährung von Vorruhestandsgeld” (GBL Teil I/Nr. 7 1990) wird im beiderseitigen Einvernehmen festgelegt:

Letzter Arbeitstag 30.6.1990

  • Beginn des Vorruhestandes 01.07.1990
  • Höhe des Vorruhestandsgeldes 890,-- M
  • …”

Der als Höhe des Vorruhestandsgelds eingesetzte Betrag von 890,-- M setzt sich zusammen aus dem Vorruhestandsgeld in Höhe von 776,60 M (70 v.H. des durchschnittlichen Bruttogehalts der Klägerin) und einem Betrag von 113,40 M, der ein Zwölftel der zusätzlichen Belohnung im Sinne der Fünften Verordnung zur Verbesserung der Lage der Bergarbeiter, des ingenieurtechnischen und kaufmännischen Personals sowie der Produktionsverhältnisse im Bergbau der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. April 1964 (GBl. II, S. 313) entsprach. Mit dem Eintritt der Klägerin in den Vorruhestand im Juli 1990 zahlte der Betrieb den in der Vereinbarung ausgewiesenen Gesamtbetrag. Nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 zahlte der Rechtsnachfolger des VEB zunächst im Auftrag des Arbeitsamtes die monatlichen Beträge bis Ende 1990 weiterhin aus. Zugleich ist der als Betriebszuschuß bezeichnete Teilbetrag von 113,40 DM ausgezahlt worden. Nachdem die Bundesanstalt für Arbeit die Auszahlung in eigene Zuständigkeit übernommen hatte, hat die Klägerin von der Rechtsvorgängerin der Beklagten weiterhin diesen Zuschuß erhalten. Die Gewährung des Betriebszuschusses zum Vorruhestandsgeld wurde erst im Juli 1991 eingestellt. Zur Begründung führte der Vorstandsvorsitzende der Rechtsvorgängerin damals die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage an.

Die Klägerin hat von der Rechtsvorgängerin der Beklagten für die Monate Juli 1991 bis Mai 1993 – die Nachzahlung des betrieblichen Zuschusses verlangt. Sie hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.608,20 DM netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte hat als Rechtsnachfolgerin des VEB Kombinats “W…” aufgrund der mit der Klägerin am 7. Mai 1990 schriftlich niedergelegten Vorruhestandsvereinbarung den betrieblichen Zuschuß zum Vorruhestandsgeld für die Monate Juli 1991 bis Mai 1993 nachzuzahlen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung zutreffend ausgeführt, die Vereinbarung der Klägerin mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten über die Zahlung eines betrieblichen Zuschusses sei wirksam zustande gekommen. In dem Kadergespräch vom 20. April 1990 sei Übereinstimmung erzielt worden, daß der Klägerin für ihre Bereitschaft den Vorruhestand zu beantragen, zusätzlich zu dem 70 % des Nettogehalts betragenden “gesetzlichen” Vorruhestandsgeld eine freiwillige betriebliche Zusatzleistung in Höhe von einem Zwölftel der jährlich für Bergleute zu zahlenden “zusätzlichen Belohnung” bezahlt werden sollte. In dem am 7. Mai 1990 ausgefüllten Formular “Vorruhestandsregelung” sei diese Vereinbarung schriftlich niedergelegt worden.

2. Die Revision rügt ohne Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe den Text der schriftlichen Vereinbarung vom 7. Mai 1990 unrichtig ausgelegt. Es habe keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zu einer Zusatzzahlung begründet werden sollen, vielmehr sei von einer falschen Berechnungsweise des Vorruhestandsgeldes ausgegangen worden.

a) Die Revision verkennt die Bedeutung der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Begleitumstände der schriftlichen Formularvereinbarung vom 7. Mai 1990. Das Landesarbeitsgericht hat verfahrensrechtlich ungerügt und deshalb revisionsrechtlich bindend (§§ 561, 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO) den Inhalt des Rechtsgeschäfts festgestellt. Bei der schriftlichen Niederlegung der Vereinbarung vom 7. Mai 1990 waren die Parteien einig, der als Vorruhestandsgeld bezeichnete Gesamtbetrag von 890,-- DM enthalte sowohl das durch Verordnung und Durchführungsbestimmungen geregelte Vorruhestandsgeld in Höhe von 776,60 DM als auch den betrieblichen Zuschuß von 113,40 DM, der in Höhe von einem Zwölftel der “zusätzlichen Belohnung” vom Betrieb bis zur Beendigung des Vorruhestandsverhältnisses monatlich hinzugezahlt werden solle. Dieser vom Landesarbeitsgericht festgestellte übereinstimmende Parteiwille entspricht im übrigen auch dem späteren Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten. So wurde in dem Schreiben an die Vorruheständler vom 22. Juli 1991 die Einstellung nicht mit einer Falschberechnung der Zahlung, sondern damit begründet, aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht mehr zur “Gewährung eines betrieblichen Zuschusses zum Vorruhestandsgeld” in der Lage zu sein. Zudem ist auch noch sechs Monate nach Übernahme der Auszahlung des Vorruhestandsgelds durch die Arbeitsverwaltung von der M… AG der betriebliche Zuschuß weiter gewährt worden. Einem derartigen Verhalten kommt jedenfalls Indizwirkung für den rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen zu (vgl. BAG Urteil vom 6. Februar 1974 – 3 AZR 232/73 – AP Nr. 38 zu § 133 BGB).

b) Somit ist davon auszugehen, daß mit der Vorruhestandsvereinbarung eine Verpflichtung zur Zahlung eines betrieblichen Zuschusses zum Vorruhestandsgeld verbunden war, um einen größeren Anreiz für die Antragstellung nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 (VO) zu schaffen. Steht aber der erklärte Parteiwille fest, ist für die von der Revision vertretene Auslegung kein Raum mehr (vgl. BAG Urteile vom 14. September 1972 – 5 AZR 212/72 – und 6. Februar 1974 – 3 AZR 232/73 – AP Nr. 34 und 38 zu § 133 BGB).

c) Sollte das Landesarbeitsgericht bei der Feststellung des wirklichen Willens der Parteien Verfahrensfehler begangen haben, so hätten diese nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO ordnungsgemäß gerügt werden müssen. Das ist nicht geschehen. Mit dem neuen Vortrag in der Revisionsbegründung, der wahre Wille der Parteien sei darauf gerichtet gewesen, nur das Vorruhestandsgeld in der gesetzlichen Höhe festzulegen, kann die Revision nicht mehr gehört werden.

3. Die Beklagte ist als Rechtsnachfolgerin auch zur Erfüllung der vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschlossenen Vorruhestandsvereinbarung verpflichtet.

a) Das bei Vertragsschluß im Beitrittsgebiet geltende Recht ist nach Art. 232 § 1 EGBGB weiter anzuwenden. Das damals geltende Zivilgesetzbuch der DDR ging in § 63 Abs. 1 wie das BGB davon aus, daß ein Vertrag durch übereinstimmende Willenserklärung der Parteien zustande kommt. Das Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung wich in § 41 Abs. 1 AGB a.F. nicht davon ab, beschränkte jedoch in § 44 Abs. 1 AGB a.F. die Vertragsfreiheit:

“Der Arbeitsvertrag muß den arbeitsrechtlichen Bestimmungen entsprechen. Werden in Arbeitsverträgen davon abweichende Vereinbarungen oder Festlegungen getroffen, sind sie unwirksam. An ihre Stelle treten die Rechte und Pflichten entsprechend den zutreffenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen.”

b) Die Vereinbarung über die Gewährung des betrieblichen Zuschusses zum Vorruhestandsgeld war entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht nach § 44 Abs. 1 AGB a.F. wegen Verstoßes gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen unwirksam. Es kann offenbleiben, ob das im AGB nicht vorgesehene und durch die Verordung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 erstmals eingeführte Vorruhestandsverhältnis überhaupt von dem nur Arbeitsrechtsverhältnisse umfassenden Geltungsbereich des AGB (§ 15 AGB a.F.) erfaßt worden ist. Jedenfalls galt das Verbot abweichender Vereinbarungen nicht für die Ausgestaltung der Vorruhestandsvereinbarung.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 AGB a.F. waren Vereinbarungen unwirksam, die von den nach § 9 AGB a.F. vom Ministerrat zur Durchführung des AGB erlassenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen abwichen. Notwendiger Inhalt des Arbeitsvertrages war nach § 40 Abs. 1 AGB die Vereinbarung der Arbeitsaufgabe, des Arbeitsorts und des Tages der Arbeitsaufnahme (Arbeitsrechtsverhältnis). Die nach § 5 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 1. März 1990 (GBl. I, 96) zwischen Betrieb und Werktätigen schriftlich abzuschließende Vereinbarung über den Vorruhestand war nicht als Arbeitsvertrag in diesem Sinne anzusehen. In der Vorruhestandsvereinbarung war eine zeitliche Festlegung über die Beendigung der Arbeitsaufgabe zu treffen. Deshalb entsprach die Rechtswirkung einer Vorruhestandsvereinbarung am ehesten der Rechtswirkung eines Aufhebungsvertrages im Sinne des § 51 AGB a.F., der als Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses verstanden worden ist (Grundriß Arbeitsrecht, Autorenkollektiv, Berlin 1980, Nr. 3.7.1, S. 87). Die Vorruhestandsvereinbarung ist vom Verordnungsgeber auch als Mittel zur Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses angesehen worden. Das ergibt sich aus den in § 2 VO geregelten Voraussetzungen für das Vorruhestandsgeld (“bei Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses ab 5. Jahr vor Erreichen des Rentenalters … mindestens fünf Jahre vor Ausscheiden aus dem Arbeitsrechtsverhältnis”. Da anders als beim Änderungsvertrag (vgl. § 49 Abs. 1 Satz 5 AGB a.F.) für den Aufhebungsvertrag keine Verweisung auf das rechtsgeschäftliche Gestaltungsverbot des § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 AGB a.F. vorgesehen war, ist davon auszugehen, daß für die mit dem Aufhebungsvertrag vergleichbare Vorruhestandsvereinbarung ebenfalls Gestaltungsfreiheit für Regelungen zugunsten des Werktätigen bestand.

c) Entgegen der Ansicht der Revision ist auch nicht die Geschäftsgrundlage für die Verpflichtung für die Zahlung des betrieblichen Zuschusses zwischenzeitlich entfallen. Die Begründung der Revision, die damals unter sozialen Gesichtspunkten versprochene Zusatzzahlung zur Sicherung eines angemessenen Unterhalts sei infolge der mit dem Einigungsvertrag in Kraft getretenen Dynamisierung des Vorruhestandsgelds überholt, ist nicht tragfähig. Die Revision verkennt, daß die bei Vertragsschluß geltende Zweite Durchführungsbestimmung eine weitergehende Dynamisierung des Vorruhestandsgelds vorsah. Nach § 9 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung war das Vorruhestandsgeld jeweils neu zu berechnen, wenn im Betrieb Lohnveränderungen für den Vorruheständler bei Fortsetzung seiner Tätigkeit wirksam geworden wären. Diese Neuberechnungsverpflichtung ist mit den Maßgaben in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 5d und e des Einigungsvertrages zu Lasten der Klägerin abgeändert worden.

d) Die Beklagte ist auch nicht durch den Einigungsvertrag von der Pflicht zur Zahlung des betrieblichen Zuschusses freigeworden. Zwar hat Art. 9 Abs. 2 in Verb. mit der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 5 des Einigungsvertrages mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 einen gesetzlichen Schuldnerwechsel hinsichtlich des Anspruchs auf das Vorruhestandsgeld bewirkt (vgl. BAG Urteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Vorruhestand, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BSG Urteil vom 1. Juni 1994 – 7 RaR 14/94 – BSGE 74, 211). Von diesem gesetzlichen Schuldnerwechsel ist jedoch nur das auf der Grundlage von § 3 der Verordnung vom 8. Februar 1990 und § 9 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung sowie den dort aufgeführten weiteren Bestimmungen zu berechnende Vorruhestandsgeld erfaßt worden.

II. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Leinemann, Dörner, Düwell, Fr. Holze, Schodde

 

Fundstellen

Haufe-Index 870851

BAGE, 199

BB 1995, 1490

BB 1996, 116

NZA 1996, 317

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