Orientierungssatz

(Urlaubsanspruch - Kürzung bei Mutterschaftsurlaub) Parallelsache zu BAG Urteil vom 27.11.1986 8 AZR 221/84.

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.08.1984; Aktenzeichen 13 Sa 17/84)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 07.12.1983; Aktenzeichen 3 Ca 879/82)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft Verbandszugehörigkeit das Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 23. Januar 1979 (UA) anzuwenden. § 2.6 UA lautet:

"Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens

einen halben Tag ergeben, sind auf volle Ur-

laubstage aufzurunden."

§ 2.8 und 2.9 UA haben folgenden Wortlaut:

"2.8 Zeiten einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen

Krankheit sowie Zeiten einer von einem Träger

der Sozialversicherung, einer Verwaltungsbehörde,

der Kriegsopferversorgung oder von einem sonsti-

gen Sozialleistungsträger bewilligten Vorbeugungs-,

Heil- oder Genesungskur und ärztlich verordneter

Schonungszeit, auch wenn keine Arbeitsunfähigkeit

vorliegt, dürfen nicht auf den Urlaub angerechnet

werden.

Bei anderweitig ärztlich verordnetem Erholungs-

aufenthalt bleibt die teilweise oder volle An-

rechnung auf den Urlaub der vorherigen Vereinba-

rung mit der Geschäftsleitung unter Hinzuziehung

des Betriebsrats überlassen.

2.9 Die in 2.8 genannten Zeiten mindern den Urlaubs-

anspruch grundsätzlich nicht.

Der Urlaubsanspruch verringert sich jedoch für

jeden weiteren vollen Monat um 1/12 des Jahres-

urlaubs

- wenn das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder

Vereinbarung zusammenhängend über 3 Monate ruht,

oder

- bei einer Krankheitsdauer von über 9 Monaten

im Urlaubsjahr.

Bei Arbeitsunfähigkeit als Folge einer Berufs-

krankheit oder eines nicht durch grobe Fahrlässig-

keit verschuldeten Arbeitsunfalls wird der Urlaub

nicht gekürzt.

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so

werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiese-

nen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahres-

urlaub nicht angerechnet."

§ 3.7 UA lautet:

"Bei Ableistung des Wehrdienstes oder Ersatz-

dienstes oder bei Teilnahme an Eignungsübungen

gelten die gesetzlichen Bestimmungen (Arbeits-

platzschutzgesetz v. 30.3.1957 - hier besonders

§§ 4, 6, 10, 11; das Eignungsübungsgesetz vom

20.1.1956 - hier besonders § 6 - nebst zugehö-

riger Verordnung vom 15.2.1956 - hier besonders

§§ 1, 2 und 3 -)."

Nach der Geburt ihres Kindes am 5. Januar 1982 hatte die Klägerin in der Zeit vom 3. März 1982 bis zum 4. Juli 1982 Mutterschaftsurlaub. Die Beklagte hat der Klägerin deswegen für das Urlaubsjahr 1982 statt eines Urlaubs von 30 Tagen nur einen um zehn Tage gekürzten Jahresurlaub gewährt. Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte habe wegen § 2.8 und § 2.9 UA keine Befugnis, nach § 8 d MuSchG ihren Urlaubsanspruch zu kürzen.

Die Klägerin hat u. a. beantragt festzustellen, daß der Klägerin zehn Resturlaubstage aus dem Jahre 1982 zustehen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Kürzungsbefugnis nach § 8 d MuSchG sei durch § 2.9 UA nicht eingeschränkt, wohl aber sei sie durch die Tarifbestimmung berechtigt, den gesamten Zeitraum der Mutterschutzfristen vom 29. Oktober 1981 bis zum 2. März 1982, in dem die Klägerin nicht gearbeitet, das Arbeitsverhältnis also geruht habe, in die Kürzung des Urlaubs einzubeziehen. Damit sei sie befugt, jedenfalls in Höhe von zehn Urlaubstagen den Urlaub zu kürzen.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag der Klägerin in Höhe von acht Resturlaubstagen stattgegeben, im übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten festgestellt, daß der Klägerin nur zwei Urlaubstage Resturlaub zustehen und hat im übrigen die Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter, soweit er bisher keinen Erfolg hatte. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nur zu einem Teil begründet und im übrigen unbegründet. Die Urlaubskürzung durch die Beklagte ist nur in Höhe von sieben Tagen wirksam. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin über die bereits vom Landesarbeitsgericht festgestellte Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von zwei Tagen Resturlaub einen weiteren Urlaubstag, insgesamt also drei Tage Urlaub zu gewähren.

1. Jedenfalls im Ergebnis zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Beklagte für das Urlaubsjahr 1982 die Befugnis hatte, nach § 8 d MuSchG den der Klägerin zustehenden Jahresurlaub jeweils um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat des von ihr in Anspruch genommenen Mutterschaftsurlaubs zu kürzen.

2. Diese Befugnis ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht durch § 2.9 UA ausgeschlossen.

Mit ihrer Auffassung verkennt die Klägerin den unterschiedlichen Regelungsinhalt von § 2.9 UA und § 8 d MuSchG. § 8 d MuSchG hat ein Recht des Arbeitgebers zum Inhalt, einen Urlaubsanspruch einer Arbeitnehmerin zu kürzen; § 2.9 UA enthält dagegen einen tariflichen Ausschlußgrund für den Urlaubsanspruch, dessen Wirkungen unabhängig von einer Erklärung des Schuldners des Urlaubsanspruchs, hier also der Beklagten, eintreten.

a) Nach § 2.9 UA verringert sich der Urlaubsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung zusammenhängend über drei Monate ruht, für jeden weiteren Monat um 1/12 des Jahresurlaubs. Damit erlischt kraft Tarifrechts beginnend mit dem Ablauf des vierten Monats nach Beginn der Fehlzeit des Arbeitnehmers der Urlaubsanspruch jeweils um diesen Bruchteil. Ob gegen diese Tarifvorschrift rechtliche Bedenken bestehen, weil hierdurch in den gesetzlich garantierten Mindesturlaub eingegriffen werden kann (vgl. dazu BAG 45, 199 = AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG), bedarf keiner Entscheidung des Senats. Die nach dieser Vorschrift denkbare Kürzung des Urlaubsanspruchs würde hier nicht zu einer Verringerung des Urlaubs der Klägerin führen. Ebenso braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin während des Mutterschaftsurlaubs im Sinne von § 2.9 Satz 2 UA als ruhend anzunehmen ist, weil - auch wenn hiervon ausgegangen wird - § 2.9 UA keine Regelung über das Kürzungsrecht des Arbeitgebers nach § 8 d MuSchG entnommen werden kann, durch die dieses eingeschränkt oder gar ausgeschlossen wird.

b) Nach § 8 d MuSchG kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub der Mutter für jeden vollen Kalendermonat, für den sie Mutterschaftsurlaub nimmt, um 1/12 kürzen. Es ist also eine Handlung des Arbeitgebers erforderlich, um die Verringerung des Urlaubsanspruchs zu bewirken. Gibt der Arbeitgeber gegenüber der Arbeitnehmerin eine solche Erklärung nicht ab, steht dieser der Urlaubsanspruch ungeschmälert zu.

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin wird daher die Befugnis des Arbeitgebers zur Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 8 d MuSchG nicht durch § 2.9 UA eingeschränkt. Dabei kann dahinstehen, ob die Befugnis nach § 8 d MuSchG tarifvertraglich einschränkbar ist (vgl. BAG Urteil vom 14. November 1963 - 5 AZR 498/62 - AP Nr. 2 zu § 4 ArbPlSchG und die Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. April 1986 - 8 AZR 326/82 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt), weil § 2.9 UA eine solche Regelung nicht enthält.

§2. 9 UA kann nur entnommen werden, daß sich der Urlaubsanspruch unter den dort genannten Voraussetzungen von selbst verringert, nicht aber, daß der Arbeitgeber in seiner Befugnis nach § 8 d MuSchG eingeschränkt ist. Dazu hätte es jedenfalls einer weiteren ausdrücklichen Regelung bedurft, die dies ausspricht (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 24. April 1986, aaO).

d) Damit erledigt sich auch die Auffassung der Klägerin, § 2.9 UA enthalte eine Lücke, die entsprechend den Erwägungen der Klägerin zu schließen sei: Weder kann von einer abschließenden Tarifregelung zur Kürzung von Urlaubsansprüchen ausgegangen werden, noch kann angenommen werden, daß die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis des erst später gesetzlich geregelten Rechts nach § 8 d MuSchG diese Befugnis entgegen der in § 3.7 UA getroffenen Regelung einvernehmlich ausgeschlossen hätten. § 2.9 UA hat einen anderen Regelungsgegenstand als § 8 d MuSchG. Überdies zeigt die Regelung in § 3.7 UA, durch den die Urlaubsansprüche von Wehr- und Ersatzdienstleistenden ausdrücklich von der Anwendung des Urlaubsabkommens ausgenommen sind, daß § 2.9 UA keinesfalls eine abschließende Regelung enthält, die durch Lückenergänzung geschlossen werden könnte.

3. Hat damit die Beklagte wirksam gegenüber der Klägerin von der Gestaltungsmöglichkeit nach § 8 d MuSchG Gebrauch gemacht, kann die Revision gleichwohl nicht in vollem Umfang Erfolg haben.

a) Die Klägerin hat im Jahre 1982 insgesamt drei volle Kalendermonate Mutterschaftsurlaub genommen. Die Beklagte war daher befugt, den Jahresurlaub von 30 Tagen um insgesamt 7,5 Tage zu kürzen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin betrug somit nach Gewährung von insgesamt 22 Tagen noch 1/2 Tag. Dieser ist nach § 2.6 UA auf einen vollen Urlaubstag aufzurunden. Eine § 2.6 UA entsprechende Aufrundungsregelung für die Kürzung des Urlaubsanspruchs gibt es nicht. Dieser Urlaubsanspruch steht der Klägerin, deren Arbeitsverhältnis zur Beklagten fortbesteht, als Schadenersatzanspruch noch zu (vgl. dazu zuletzt die Senatsentscheidung vom 30. Juli 1986 - 8 AZR 475/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).

b) Dieser Urlaubsanspruch ist entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin vor Antritt des Mutterschaftsurlaubs aufgrund der Beschäftigungsverbote nach §§ 3 und 6 MuSchG nicht gearbeitet hat. Da hier nur über den Urlaubsanspruch für das Jahr 1982 zu befinden ist, kann es insoweit nur auf den Zeitraum vom 1. Januar 1982 bis 3. März 1982 ankommen. Der vorangehende Zeitraum vom 29. Oktober 1981 bis zum 31. Dezember 1981 gehört zum Urlaubsjahr 1981.

Auch insoweit kann § 2.9 UA entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Kürzung des Urlaubsanspruchs der Klägerin führen. Die Beklagte übersieht, daß dies schon deshalb scheitern muß, weil die Klägerin nur Fehlzeiten unter vier Monaten hatte, eine Verringerung des Urlaubsanspruchs um 1/12 aber mindestens eine Fehlzeit von vier Monaten voraussetzt. Damit kommt es auf die Frage, ob Mutterschutzzeiten nach §§ 3 und 6 MuSchG zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führen können, für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob dies gegebenenfalls zur Nichtigkeit der Regelung wegen Verstoßes gegen Art. 6 GG führen müßte.

Dr. Leinemann Dr. Peifer Dr. Freitag

Dr. Liebers Hennecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441696

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