Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewährungsaufstieg einer teilzeitbeschäftigten Lehrkraft
Leitsatz (redaktionell)
Mehrere Teilzeitarbeitsverhältnisse einer Lehrkraft rechtfertigen keine unterschiedliche Vergütung gegenüber einer vollzeitbeschäftigten Lehrkraft (im Anschluß an BAG Urteil vom 21. August 1991 – 5 AZR 634/90 – n.v.).
Normenkette
BeschFG 1985 Art. 1 § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 07.03.1991; Aktenzeichen 9 Sa 1136/90) |
ArbG Hildesheim (Urteil vom 19.06.1990; Aktenzeichen 2 Ca 543/89) |
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. März 1991 – 9 Sa 1136/90 – wird auf Kosten des Landes mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Klägerin Zinsen erst für die Zeit ab 22. Februar 1990 zustehen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die am 30. Januar 1927 geborene, verwitwete Klägerin ist ausgebildete Kindergärtnerin und hat in der ehemaligen DDR ein Fernstudium als Unterstufenlehrerin nach zwei Jahren abgebrochen. Seit 1. Oktober 1959 steht sie als nebenberufliche Lehrkraft für Nadelarbeit in den Diensten des beklagten Landes und wird an der Volksschule in R. beschäftigt. Zunächst wurde sie mit vier Wochenstunden eingesetzt, ab 1. April 1964 mit sechs Wochenstunden und ab 1. August 1977 mit 13 Wochenstunden. Seit 1. August 1988 bezieht sie vorgezogenes Altersruhegeld. Deshalb setzten die Parteien mit Änderungsvertrag vom 13. Juni 1989 die Zahl der von der Klägerin zu erteilenden Unterrichtsstunden rückwirkend ab 1. August 1988 auf sechs Wochenstunden fest.
Als Vergütung vereinbarten die Parteien zunächst einen Stundensatz je Jahreswochenstunde. Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1988 vereinbarten die Parteien die Anwendung des BAT auf das Arbeitsverhältnis. In dieser Zeit erhielt die Klägerin Vergütung nach VergGr. VII BAT. Seit 1. August 1988 erhält die Klägerin wieder Vergütung nach Jahreswochenstunden.
Die Klägerin war bis 30. Juni 1989 bei der Arbeitsgemeinschaft für die ländliche Erwachsenenbildung im Landkreis Holzminden (LEB) e.V. tätig. Im Jahre 1987 war sie dort mit 30/40 Stunden beschäftigt und verdiente zuletzt 2.711,74 DM brutto monatlich. Ferner erhielt sie von der LEB 30/40 des Urlaubsgelds eines vollzeitbeschäftigten Angestellten sowie ein 13. Monatsgehalt.
Das beklagte Land vergütet seine vollzeitbeschäftigten Lehrkräfte nach dem Eingruppierungserlaß des Kultusministers vom 11. April 1986. Danach werden Lehrkräfte für Hauswirtschaft oder textiles Gestalten ohne qualifizierte Ausbildung nach VergGr. VII BAT und nach dreijähriger Bewährung nach VergGr. VI b BAT vergütet.
Mit der Klage macht die Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 1987 Vergütung nach VergGr. VI b BAT geltend. Sie hat vorgetragen, die Vereinbarung der Vergütung nach Jahreswochenstunden verstoße gegen § 2 Abs. 1 BeschFG. Sie könne daher die anteilige BAT-Vergütung einer vollzeitbeschäftigten Lehrkraft verlangen. Die dreijährige Bewährungszeit habe sie im Klagezeitraum erfüllt.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an die Klägerin ab 1. Januar 1987 Vergütung nach der VergGr. VI b BAT unter Anrechnung der bezahlten Vergütung zuzüglich 4 % Zinsen auf den Nettobetrag ab dem 15. eines jeweiligen Fälligkeitsmonats zu zahlen,
- festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an die Klägerin ab dem Jahr 1987 die tarifliche Zuwendung und das zusätzliche Urlaubsgeld zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hält die getroffene Vergütungsabrede für wirksam. Es hat vorgetragen, die Vergütungsvereinbarung verstoße nicht gegen das Beschäftigungsförderungsgesetz. Die soziale Lage der Klägerin aufgrund ihrer anderweitigen Beschäftigung rechtfertige es, daß sie gegenüber vollzeitbeschäftigten Lehrkräften unterschiedlich vergütet werde. Außerdem beziehe die Klägerin seit 1988 vorzeitiges Altersruhegeld. Am Bewährungsaufstieg könne sie auch deshalb nicht teilnehmen, weil der Eingruppierungserlaß den Bewährungsaufstieg nur für Lehrkräfte vorsehe, die unter den persönlichen Geltungsbereich des BAT fielen. Dies treffe auf die Klägerin, die weniger als die Hälfte der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Angestellten tätig sei, gemäß § 3 q BAT nicht zu. Darüber hinaus erfordere die Bewährung die positiven Merkmale der erfolgreichen Tätigkeit, für die die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig sei. Es genüge insoweit nicht, daß es im Beschäftigungszeitraum zu keiner Beanstandung der Tätigkeit der Klägerin gekommen sei.
Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil die Klage für das Jahr 1987 abgewiesen, da die Ansprüche der Klägerin insoweit gemäß § 70 BAT verfallen seien.
In der Berufungsinstanz hat die Klägerin beantragt festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1987 Vergütung nach der VergGr. VI b BAT einschließlich Urlaubsgeld und tariflicher Zuwendung unter Anrechnung der bezahlten Vergütung zuzüglich 4 % Zinsen auf den Nettobetrag ab dem 15. eines jeweiligen Fälligkeitsmonats zu zahlen.
Das Landesarbeitsgericht hat nach diesem Antrag erkannt.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision wendet sich das beklagte Land nicht mehr gegen die Verurteilung wegen des anteiligen Urlaubsgelds und der Sonderzuwendung, sondern begehrt nur noch im übrigen die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß sie ihren Zinsanspruch auf die Zeit ab Rechtshängigkeit der Klage (22. Februar 1990) beschränkt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist in dem in der Revisionsinstanz noch anhängigen Umfang unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage insoweit mit Recht stattgegeben. Das beklagte Land ist verpflichtet, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1987 Vergütung nach VergGr. VI b BAT mit Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen. Denn die Klägerin hat die erforderliche Bewährungszeit in VergGr. VII BAT bereits vor Beginn des Klagezeitraums zurückgelegt.
Die zwischen den Parteien getroffene Vergütungsvereinbarung nach Jahreswochenstunden ist seit 1. Mai 1985 wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§ 134 BGB). Sie verstößt gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985. Danach darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
Das beklagte Land vergütet vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte nach Eingruppierungsrichtlinien (hier: Runderlaß vom 11. April 1986), die mit den Lehrkräften einzelvertraglich vereinbart werden. Diese Eingruppierungsrichtlinien sehen eine erheblich höhere Vergütung vor, als sie mit Lehrkräften vereinbart wird, die – wie die Klägerin – nach dem Maß ihrer Arbeitszeit gem. § 3 q BAT nicht vom Geltungsbereich des BAT erfaßt werden. Die mit der Klägerin vereinbarte erheblich geringere Vergütung nach Jahreswochenstunden ist daher allein wegen ihrer (geringen) Teilzeitarbeit getroffen worden. Hierfür fehlt ein sachlicher Grund.
Entgegen der Auffassung des beklagten Landes stellt die soziale Lage der Klägerin keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung gegenüber vollzeitbeschäftigten Lehrkräften dar. Die soziale Lage eines teilzeitbeschäftigten Lehrers kann zwar nach der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts dann als sachlicher Grund für eine Differenzierung gewertet werden, wenn sie sich auf das eigene Berufsleben bezieht und der Lehrer neben seiner Teilzeitbeschäftigung einer festen Haupttätigkeit als Vollzeitbeschäftigter nachgeht, aus der er für sich und seine Familie eine auskömmliche und gesicherte Existenzgrundlage zu gewinnen vermag (BAG Urteil vom 21. August 1991 – 5 AZR 634/90 –, nicht veröffentlicht, im Anschluß an BAG Urteil vom 22. August 1990 – 5 AZR 553/89 –, EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 4, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Die Klägerin ist im vorliegenden Fall einer weiteren Beschäftigung nachgegangen, jedoch nur als Teilzeitkraft (30/40 der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Angestellten). Das rechtfertigt keine unterschiedliche Behandlung gegenüber vollzeitbeschäftigten Lehrkräften, weil insoweit keine Haupttätigkeit eines Vollzeitbeschäftigten vorliegt (BAG Urteil vom 21. August 1991, a.a.O.).
Da somit ab 1. Mai 1985 keine wirksame Vergütungsvereinbarung der Parteien vorliegt, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen (§ 612 Abs. 2 BGB), d.h. die anteilige übliche Vergütung einer vollbeschäftigten Lehrkraft. Dies ist im vorliegenden Fall nach dreijähriger Bewährung die Vergütung nach VergGr. VI b BAT. Der hier maßgebende Eingruppierungserlaß des Kultusministers vom 11. April 1986 (Nds. MBl. 1986 S. 424) sieht für Lehrkräfte für Hauswirtschaft oder textiles Gestalten ohne qualifizierte Ausbildung, zu denen die Klägerin unstreitig gehört, Vergütung nach VergGr. VII BAT und nach dreijähriger Bewährung Vergütung nach VergGr. VI b BAT vor. Diese Bewährungszeit hat die Klägerin erbracht.
Soweit der Eingruppierungserlaß nur Lehrkräfte erfaßt, die gem. § 3 q BAT unter den Geltungsbereich des BAT fallen, wozu die Klägerin wegen ihrer geringen Stundenzahl nicht gehört, und auf die Bewährungszeit nur „Zeiten einer Lehrtätigkeit nach dem BAT” anrechnet (Nr. 3.1) und damit die übrigen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer vom Bewährungsaufstieg ausschließt, ist der Runderlaß unwirksam. Denn der völlige Ausschluß von Arbeitnehmern vom Bewahrungsaufstieg, die – wie die Klägerin – eine durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden wöchentlich aufzuweisen haben (§ 3 q BAT a. F.), verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 2 Abs. 1 BeschFG 1985. Die unterschiedliche Behandlung von Teilzeitkräften, deren Beschäftigungsumfang unterhalb der Grenze des § 3 q BAT a. F. liegt, und Vollzeitbeschäftigten im Hinblick auf den Bewährungsaufstieg erfolgt ausschließlich wegen der Teilzeitarbeit. Auch darin liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung dieser teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, weshalb teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer sich in ihrer Tätigkeit nicht bewähren und deshalb keine höhere Vergütung erzielen könnten.
Da der Runderlaß vom 11. April 1986 nur bestimmt, daß Zeiten, in denen die Lehrkraft mindestens die Hälfte der für sie verbindlichen Unterrichtsstunden erteil hat, voll anzurechnen sind (Nr. 3.1 des Erlasses) und insoweit auf die vergleichbare Vorschrift des § 23 a Nr. 6 BAT nicht verweist, besteht für die Teilzeitbeschäftigten mit einer geringeren Stundenzahl – wie die Klägerin – eine Lücke. Diese kann im Sinne des Erlasses mit einer vergleichbaren pauschalen Regelung geschlossen werden. Wenn bei Lehrkräften mit mindestens der Hälfte der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Angestellten Zeiten des Beschäftigungsverhältnisses voll auf die Bewährungszeit angerechnet werden, ist es zumindest gerechtfertigt, daß bei Lehrkräften, deren Arbeitszeit weniger als die Hälfte eines vollzeitbeschäftigten Lehrers beträgt, die Beschäftigungszeiten mit der Hälfte auf die Bewährungszeit anzurechnen sind. Eine solche Regelung hat auch der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen in Ziff. 8.1 seines Runderlasses vom 20. November 1981 getroffen (vgl. hierzu LAG Köln. Urteil vom 5. Juli 1991 – 13/10 Sa 72/91 –, LAGE § 2 BeschFG 1985 Nr. 10). Danach hat die seit 1. Oktober 1959 bei dem beklagten Land beschäftigte Lehrerin ihre dreijährige Bewährungszeit bereits seit vielen Jahren erreicht. Es kann mithin dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 119 EWG-Vertrag die Dienstzeit der Klägerin möglicherweise in vollem Umfang auf ihre Bewährungszeit anzurechnen ist.
Auch wenn der Runderlaß über die Eingruppierung der Lehrkräfte in der damals geltenden Fassung erst mit Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes ab 1. Mai 1985 wegen des Diskriminierungsverbots nach § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fand, konnte die Klägerin die Bewährungszeit bereits in einer Zeit vor dem 1. Mai 1985 erfüllen, da der Runderlaß nur an die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit und die Bewährung während eines bestimmten Zeitraums anknüpft. Diese Tätigkeiten können auch in Zeiten erbracht werden, die vor dem Zeitpunkt liegen, in dem der Runderlaß erstmals auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fand. Darin liegt keine unzulässige Rückwirkung von Bewährungszeiten (vgl. BAG Urteil vom 25. September 1991 – 4 AZR 33/91 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Auch im Sinne des § 23 a Nr. 1 BAT, der gem. Nr. 3.3 des Runderlasses entsprechend anwendbar ist, hat die Tätigkeit der Klägerin vor dem 1. Mai 1985 den Merkmalen der VergGr. VII entsprochen, in der sie sich bewährt hat.
Der Eingruppierung der Klägerin nach VergGr. VI b BAT steht auch nicht Nr. 3.4 des Eingruppierungserlasses entgegen. Danach muß zwar die Bewährung durch geeignete Unterlagen in der Personalakte nachgewiesen werden. Dieser Bestimmung kann aber nur eine behördeninterne Bedeutung beigemessen werden. Sie ist als Anweisung des Kultusministers an die für die Fachaufsicht zuständigen Behörden zu verstehen, entsprechende Feststellungen zu treffen. Die Bewährung als solche hängt nicht von der Beibringung entsprechender Unterlagen ab. Insoweit reicht es aus, daß das beklagte Land selbst zugesteht, es sei im Beschäftigungszeitraum zu keiner Beanstandung der Tätigkeit der Klägerin gekommen. Dies genügt, um die Bewährung der Klägerin zu bejahen (vgl. BAG Urteil vom 9. Oktober 1968 – 4 AZR 126/68 – AP Nr. 3 zu § 23 a BAT).
Die Vergütungsansprüche der Klägerin sind weder nach § 70 BAT verfallen noch gem. § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung verwirkt. Darauf beruft sich das beklagte Land in der Revisionsinstanz auch nicht mehr. Der Senat kann deshalb auf seine bisherige Rechtsprechung zu diesen Fragen verweisen (vgl. BAG Urteil vom 23. Oktober 1991 – 4 AZR 500/90 –, nicht veröffentlicht, m.w.N.).
Das beklagte Land hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Dr. Etzel, Venzlaff, Marx
Fundstellen