Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwirkender Tarifvertrag. Ablösung durch Betriebsvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
Durch Betriebsvereinbarung können Regelungen für den Zeitraum nach Beendigung der unmittelbaren Tarifgeltung geschaffen werden, auch wenn die Betriebsvereinbarung bereits während der Tarifgeltung abgeschlossen wird, aber erst nach Beendigung der Tarifgeltung in Kraft treten soll.
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 22. November 2001 – 1 Sa 855/01 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, sog. Vorholschichten am Samstag (Früh- und Spätschicht) abzuleisten. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob nach der Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeitregelung vom 20. November 1996 (gültig ab 1. Januar 1997, BV 1997) Vorholschichten am Samstag zulässig sind oder ob der nachwirkende Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Durchführungsbestimmungen (gültig ab 1. Januar 1989, MTV 1989) dem entgegensteht.
Der Kläger, der Mitglied der IG Medien (jetzt ver.di) ist, steht seit dem 3. September 1973 auf Grund der Einstellungsvereinbarung vom 18. Juli 1973 als Drucker in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. In Ziff. 9 dieser Vereinbarung ist geregelt, dass die Bestimmungen des jeweils geltenden Manteltarifvertrages für das grafische Gewerbe, des Lohnabkommens und der Betriebsordnung verbindliche Vertragsbestandteile sind. Die Beklagte war bis zum 31. Dezember 1996 Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Bayerischen Druckindustrie. Der MTV 1989 wurde durch den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Durchführungsbestimmungen (gültig ab 1. Januar 1997, MTV 1997) abgelöst.
Die Beklagte und ihr Betriebsrat schlossen am 20. November 1996 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 die Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeitregelung (BV 1997), in der ua. geregelt war, dass bei erhöhtem Arbeitsanfall, vorrangig in der Katalogsaison, an sonst arbeitsfreien Werktagen zusätzlich gearbeitet werden kann (sog. Vorholschichten). Weil der Kläger seit ca. Ende 1997 einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, wird er nach einer generellen Übung bei der Beklagten gegen seinen Willen bei Vorholschichten an Samstagen nicht zu Nachtschichten herangezogen. Dementsprechend verlangt er mit seiner Klage zuletzt nur noch die Feststellung, dass er nicht verpflichtet ist, Vorholschichten (Früh- und Spätschicht) am Samstag abzuleisten.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass es für seine Heranziehung zu Vorholschichten an Samstagen keine Anspruchsgrundlage gebe. Der MTV 1997 finde auf das Arbeitsverhältnis zumindest auf Grund betrieblicher Übung Anwendung. Die BV 1997 verstoße gegen den Tarifvorbehalt, weil es dabei maßgeblich auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung ankomme. Die BV 1997 sei auch deshalb unwirksam, weil sie den Mitbestimmungstatbestand nicht hinreichend regele, sondern eine zu weit gehende einseitige Bestimmungsmöglichkeit für den Arbeitgeber vorsehe. Falls der MTV 1989 noch nachwirke, komme eine Vorholschicht an Samstagen als Teil der Regelarbeitszeit nicht in Betracht, weil das nach § 3 Ziff. 1 MTV 1989 generell unzulässig sei.
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 20. November 1996 so genannte Vorholschichten an Samstagen (Früh- und Spätschicht) unter Anrechnung auf die regelmäßige Wochenarbeitszeit von 35 Stunden abzuleisten,
hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit des Hauptantrages,
der Beklagten wird untersagt, den Kläger auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 20. November 1996 zur Ableistung von Vorholschichten am Samstag (Früh- und Spätschicht) unter Anrechnung auf die regelmäßige Wochenarbeitszeit des Klägers von 35 Stunden heranzuziehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie den Kläger zu Vorholschichten an Samstagen heranziehen könne. Der MTV 1997 komme keinesfalls kraft betrieblicher Übung mit seinem gesamten Inhalt zur Anwendung. Selbst wenn dies der Fall sei, sei eine Vorholschicht an den Samstagen nicht ausgeschlossen. Keinesfalls gelte noch der MTV 1989; seine mögliche Nachwirkung sei jedenfalls durch die BV 1997 als andere Abmachung hinsichtlich der Vorholschichten an den Samstagen abgelöst. Dass die Betriebsparteien in der Präambel der BV 1997 noch auf den MTV 1989 Bezug genommen hätten, sei für die Wirksamkeit ohne Bedeutung. Für die Wirksamkeitsprüfung der BV 1997 sei allein auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens abzustellen; am 1. Januar 1997 habe eine Tarifbindung wegen der Beendigung des MTV 1989 nicht mehr bestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers hinsichtlich des in der Berufungsinstanz geänderten Antrags zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass der Kläger verpflichtet ist, Vorholschichten auch am Samstag (Früh- und Spätschicht) abzuleisten.
I. Die Klage ist zulässig. Für den als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrag ist das nach § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse gegeben. Zwar geht es vorliegend nicht um den Bestand des Rechtsverhältnisses als solchen, sondern um eine Einzelfrage in der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage kann sich aber auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis wie bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. An der Feststellung der Lage oder des zeitlichen Umfangs der zu erbringenden Arbeitsleistung besteht regelmäßig ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, wenn darüber, wie vorliegend, zwischen den Parteien Streit besteht (vgl. BAG 23. Juni 1992 – 1 AZR 57/92 – AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 1 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 12; 11. Februar 1998 – 5 AZR 472/97 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 54 = EzA BGB § 315 Nr. 48). Die BV 1997 als Grundlage für die Anordnung von Vorholschichten ist, wie die Parteien in der Revisionsverhandlung übereinstimmend klargestellt haben, noch in Kraft. Über die Zulässigkeit des Einsatzes in Vorholschichten (Früh- und Spätschicht) am Samstag nach der BV 1997 besteht nach wie vor Uneinigkeit und die Parteien haben übereinstimmend erklärt, dass die Klärung der noch streitigen Frage, ob der MTV 1989 oder der MTV 1997 dem Einsatz des Klägers nach der BV 1997 in Vorholschichten am Samstag entgegensteht, im Rahmen der Entscheidung über den Feststellungsantrag den Streit zwischen ihnen befrieden werde.
II. Der Feststellungsantrag ist nicht begründet. Aus der BV 1997 ergibt sich die Zulässigkeit des Einsatzes des Klägers in Vorholschichten am Samstag. Die Nachwirkung des MTV 1989 steht dem nicht entgegen, weil die BV 1997 den nachwirkenden MTV 1989 hinsichtlich des Verbotes von regelmäßiger Arbeitszeit am Samstag wirksam abgelöst hat. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf den MTV 1997 berufen.
1. Der Kläger ist nach BV 1997 verpflichtet, Vorholschichten an Samstagen (Früh- und Spätschicht) zu leisten. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
a) Die BV 1997 ordnet nicht ausdrücklich an, dass solche Vorholschichten an Samstagen zulässig sind. Die Zulässigkeit solcher Vorholschichten folgt jedoch aus dem Zusammenhang der darin vereinbarten Regelungen. Sie lautet im hier interessierenden Zusammenhang:
„3. Arbeitszeitverteilung
3.1 Die regelmäßige Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte beträgt im Jahresdurchschnitt 35 Stunden je Woche, gemäß der derzeit geltenden Wochenarbeitszeit.
3.2 Die Wochenarbeitszeit ist für die einzelnen Abteilungen, bzw. für die dort Beschäftigten in den jeweiligen Arbeitszeitregelungen festgelegt.
3.3 Auf der Grundlage der bestehenden Schichtpläne kann bei erhöhtem Arbeitsanfall, vorrangig in der Katalogsaison, an sonst arbeitsfreien Werktagen zusätzlich gearbeitet werden. Dafür soll in Zeiten, in denen weniger oder keine Arbeit anfällt, Freizeit genommen werden.
3.4 Die Geschäftsleitung erstellt zur Arbeitszeitverteilung Jahres- und Quartalspläne. Die Jahresplanung stellt eine vorausschauende Grobplanung dar, die spätestens acht Wochen vor der Festlegung dem Betriebsrat vorzulegen und zu erläutern ist.
Die Quartalsplanung verfeinert die Arbeitszeitverteilung entsprechend der voraussehbaren Auftragslage. Die ihr zugrunde liegenden Arbeitseinsatzpläne für die einzelnen Abteilungen sind mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Mitarbeiter auf ihren Arbeitseinsatz rechtzeitig einstellen können. Die Zeiten für den Arbeitseinsatz und Freizeitausgleich sind gemäß Ziff. 3.3 im Arbeitseinsatzplan festzulegen.
…
4.3 Die Absage geplanter Schichten (Montag-Samstag) kann innerhalb von Ankündigungszeiträumen von weniger als 2 Tagen nur mit Zustimmung der Mitarbeiter erfolgen.
…
5. Anzahl der Vorholschichten
Der einzelne Mitarbeiter kann gemäß Ziff. 3.3 an freien Tagen zu bis zu 10 Vorholschichten innerhalb eines Jahres verpflichtet werden, die tatsächlich zu leisten sind. Die Geschäftsleitung hat darauf zu achten, dass für jeden Mitarbeiter nicht mehr als 12 Werktage zusammenhängend, bzw. im Vierschicht-Betrieb nicht mehr als zwei Werktage in einer Freiwoche anfallen.”
b) Die einschlägigen Regelungen zu den Vorholschichten (Ziff. 3.3, 3.4 Abs. 2 Satz 4 und Ziff. 5 BV 1997) enthalten keine ausdrückliche Bestimmung dazu, ob die Vorholschichten am Samstag durchgeführt werden können. In Ziff. 3.3 BV 1997 ist lediglich geregelt, dass bei Vorholschichten „an sonst arbeitsfreien Werktagen” gearbeitet werden könne. Daraus ergibt sich aber nicht eindeutig, ob damit arbeitsfreie Tage von Montag bis Freitag gemeint sind, an denen nach den an bestehenden Schichtplänen keine Arbeit vorgesehen ist, oder ob damit die nach dem MTV 1989 unzulässige Arbeit an Samstagen eröffnet werden soll. Unergiebig ist insoweit auch die Regelung in Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 4 BV 1997, wonach der Arbeitseinsatz und der Freizeitausgleich von Vorholschichten im Arbeitseinsatzplan festzulegen sind.
c) Die Regelungen in Ziff. 5 BV 1997 – bis zu 10 Vorholschichten innerhalb eines Jahres für den einzelnen Arbeitnehmer; nicht mehr als 12 Werktage zusammenhängend; im Vierschicht-Betrieb nicht mehr als zwei Werktage in einer Freiwoche – enthalten keine ausdrückliche Aussage über die Zulässigkeit von Vorholschichten an Samstagen. Das Verbot von „mehr als 12 Werktage zusammenhängend” setzt allerdings diese Möglichkeit logisch zwingend voraus. Denn 12 zusammenhängende Werktage sind nur möglich, wenn die nach MTV 1989 zulässige regelmäßige Arbeitszeit von Montag bis Freitag durch eine Vorholschicht am Samstag ergänzt wird. Wenn Vorholschichten nur an Werktagen Montag bis Freitag gelegt werden könnten, wäre die Regelung unverständlich, weil ein Arbeitseinsatz an „12 Werktagen zusammenhängend” gar nicht vorliegen könnte. Der arbeitsfreie Samstag würde dazu führen, dass nur jeweils fünf zusammenhängende Werktage umfassende Arbeitseinsätze möglich wären. Die Regelung zeigt demnach, dass der „an sonst arbeitsfreie Werktag …” iSv. Ziff. 3.3 BV 1997 auch ein Samstag sein kann. Durch die Beschränkung des Einsatzes von Mitarbeitern auf „12 Werktage zusammenhängend” wird somit der Einsatz in Vorholschichten in drei aufeinander folgenden Samstagen ausgeschlossen, wenn auch an den sonstigen Werktagen Montag bis Freitag gearbeitet wird.
d) Die Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag ergibt sich noch klarer aus Ziff. 4.3 BV 1997. In Ziff. 4 BV 1997 geht es um die Kompetenzen des Arbeitgebers, des Betriebsrats bzw. der betroffenen Arbeitnehmer bei kurzfristigen Planänderungen der gemäß Ziff. 3 aufgestellten Arbeitseinsatzpläne. Nach Ziff. 4.3 BV 1997 kann die „Absage geplanter Schichten (Montag-Samstag)” bei einer Ankündigungsfrist von weniger als zwei Tagen nur mit Zustimmung der Mitarbeiter erfolgen. Diese Formulierung setzt voraus, dass in dem Arbeitseinsatzplan auch Schichten am Samstag enthalten sein können. Ausgehend von der der BV 1997 zugrunde liegenden Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf Montag bis Freitag entsprechend dem MTV 1989 können damit nur die Vorholschichten am Samstag gemeint sein, die gem. Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 4 BV 1997 ebenso wie der Freizeitausgleich im Arbeitseinsatzplan festgelegt werden.
2. Die BV 1997 hat die entgegenstehenden, aber nur noch nachwirkenden Regelungen des MTV 1989 zur Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag abgelöst (§ 4 Abs. 5 TVG).
a) Dabei ist davon auszugehen, dass nach MTV 1989 Vorholschichten iSd. BV 1997 am Samstag nicht zulässig waren. Nach § 3 Ziff. 1 Abs. 2 MTV 1989 ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 5 Tage von Montag bis Freitag zu verteilen. Samstagsarbeit wird nach § 3 Ziff. 1 Abs. 3 MTV 1989 nur für die Produktion von Zeitungen und Zeitschriften bzw. für Zeitungsbetriebe zugelassen, wobei sich aus Nr. 2 a und 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV 1989 weitere Regelungen zur Samstagsarbeit ergeben, ua. dass bei regelmäßiger Arbeit am Samstag zur Produktion von Zeitschriften diese spätestens um 22.00/23.00 Uhr enden muss. Aus § 3 Ziff. 1 Abs. 4 MTV 1989 ergibt sich überdies eine Öffnung für Samstagsarbeit für Arbeitnehmer mit besonderer Funktion (z.B. Bewachung von Betriebsanlagen bzw. Versorgungsanlagen). Diese Ausnahmetatbestände für die Zulässigkeit der Samstagsarbeit sind für die Beschäftigung des Klägers nicht einschlägig. Eine weitere Öffnung für die Samstagsarbeit im Rahmen der regelmäßigen Wochenarbeitszeit enthält der MTV 1989 nicht, auch nicht durch die Regelung in § 3 Ziff. 1 Abs. 7 MTV 1989 iVm. Ziff. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV, wonach Arbeitszeitverteilungspläne mit ungleicher Verteilung der Tages- und/oder Wochenarbeitszeit aus betrieblichen Gründen durch Betriebsvereinbarungen festgelegt werden können. Daraus ergibt sich keine Aufhebung der Beschränkungen der Samstagsarbeit. Das ist durch den Schiedsspruch vom 28. Februar 1995 geklärt worden, der wie folgt lautet:
„Es wird festgestellt, dass § 3 Ziff. 1 Abs. 7 i.V.m. Durchführungsbestimmung (4) Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer keine weiteren Ausnahmetatbestände zu § 3 Ziff. 1 Abs. 2 (Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 5 Tage von Montag bis Freitag) beinhaltet: Ausnahmen von § 3 Ziff. 1 Abs. 2 Manteltarifvertrag sind nur nach § 3 Ziff. 1 Abs. 3 und 4 zulässig. Sonderschichten und Überstunden sind davon nicht berührt.”
b) Die Regelungen der BV 1997 haben die des MTV 1989 jedenfalls insoweit modifiziert und damit abgelöst, als es um die Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag geht. Wie dargelegt, ergibt sich aus den einschlägigen Regelungen der BV 1997, dass in Anwendung von MTV 1989 Vorholschichten am Samstag zulässig sein sollen. Insoweit enthält die BV 1997 eine ablösende Regelung zum nachwirkenden MTV 1989.
aa) Aus der Präambel der BV 1997 ergibt sich nichts anderes, wonach diese „Betriebsvereinbarung über ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit … nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG iVm. § 3 Durchführungsbestimmung (4) MTV gewerblich” abgeschlossen worden ist. Denn die angeführte Durchführungsbestimmung Nr. 4 zu § 3 MTV 1989 ergänzt die Regelung in § 3 Ziff. 1 Abs. 7 MTV 1989, in der bestimmt ist, dass Arbeitszeitverteilungspläne über mehrere Wochen zulässig sind. Die Durchführungsbestimmung Nr. 4 enthält einschränkende Bestimmungen zu diesen Arbeitszeitverteilungsplänen, ua. dass Arbeitszeitverteilungspläne mit ungleicher Verteilung der Tages- und/oder Wochenarbeitszeit aus betrieblichen Gründen zulässig sind, dass jede abweichende Arbeitszeitverteilung durch Betriebsvereinbarung festzulegen ist, und dass die über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinausgehende Zeit vorrangig durch volle freie Tage auszugleichen ist. Diese Vorschriften enthalten keine Regelung über Vorholschichten und deren zeitliche Lage. Auch wenn also durch die Bezugnahme auf Nr. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV 1989 diese Regelungen Anwendung finden sollten, würde das der in der BV 1997 eröffneten Möglichkeit von Vorholschichten am Samstag nicht entgegenstehen.
bb) Auch die Regelung in Ziff. 2 BV 1997 steht der Auslegung nicht entgegen. Diese lautet:
„2. Zweck und Ziel
Um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten und die Arbeitsplätze abzusichern, ist es neben anderen Kosten senkenden Maßnahmen erforderlich, die Arbeitszeit den auftragsbedingten und terminabhängigen Produktionsabläufen im Rahmen der tariflichen Bestimmungen anzupassen. Dabei werden neben den betrieblichen auch die persönlichen Belange der Beschäftigten berücksichtigt.”
Aus der Formulierung „im Rahmen der tariflichen Bestimmungen” ergibt sich keine Bindung an die Arbeitszeitregelungen im MTV 1989 unabhängig von deren tarifrechtlicher Geltung. Durch die Formulierung wird vielmehr der Umstand gekennzeichnet, dass die BV 1997 keine in sich geschlossene und vollständige Arbeitszeitregelung darstellt, sondern von den Arbeitszeitregelungen des MTV 1989 ausgeht und nur im begrenzten Umfang abweichende oder ergänzende Regelungen trifft. Das ergibt sich auch aus der Präambel der BV 1997, wonach es dabei um eine flexible Arbeitszeitregelung geht, wie sie in § 3 Ziff. 1 Abs. 7 MTV 1989 und der dazu ergangenen Durchführungsbestimmung Nr. 4 vorgesehen ist.
c) Die Wirksamkeit der insoweit ablösenden BV 1997 scheitert nicht an § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, obwohl sie bereits am 20. November 1996 und damit zu einer Zeit abgeschlossen worden ist, als die entgegenstehenden tariflichen Regelungen des MTV 1989 im Hinblick auf die Tarifgebundenheit der Beklagten noch unmittelbare und zwingende Geltung beanspruchten (§ 4 Abs. 1 TVG). Denn die BV 1997 trat erst am 1. Januar 1997 in Kraft. In diesem Zeitpunkt wirkten die Normen des MTV 1989 nur noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, weil die Tarifgebundenheit der Beklagten mit dem Verbandsaustritt zum 31. Dezember 1996 erlosch (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG) und auch der MTV 1989 mit dem 31. Dezember 1996 endete.
aa) Die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über die in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Gegenstände ist im Hinblick auf (entgegenstehende) Tarifregelungen nicht an § 77 Abs. 3 BetrVG, sondern nur an § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zu messen (sog. Vorrangtheorie; grundlegend BAG – Großer Senat – 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134). Danach können die Betriebsparteien auch eine Arbeitszeitregelung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nur treffen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Wirkt ein Tarifvertrag nur noch nach (§ 4 Abs. 5 TVG), so stellt das keine Tarifsperre iSv. § 87 Abs. 1 BetrVG dar (BAG 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191).
bb) Für die Frage, ob eine Betriebsvereinbarung wegen des Bestehens einer tariflichen Regelung nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG unwirksam ist, kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung an, sondern darauf, ob und inwieweit sich die Geltungszeiträume überschneiden. Der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung, die erst nach dem Ende der zwingenden und unmittelbaren Geltung des Tarifvertrags (§ 4 Abs. 1 TVG) in Kraft treten soll, steht nicht entgegen, dass sie bereits vorher abgeschlossen worden ist (aA wohl ErfK/Schaub 3. Aufl. TVG § 4 Rn. 78; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 307; dabei wird allerdings nicht zwischen dem Zeitpunkt des Abschlusses und des Inkrafttretens unterschieden). Das gilt vor allem, wenn durch die Betriebsvereinbarung – wie hier – eine nahtlos anschließende, vom bisherigen Tarifvertrag abweichende Regelung getroffen werden soll.
Die Nachwirkung von Tarifverträgen gem. § 4 Abs. 5 TVG hat nur eine vorübergehende Ordnungsfunktion im Interesse der Rechtssicherheit, mit der die weitere Geltung der tariflichen Regelungen gewährleistet werden soll, bis andere kollektiv- oder einzelvertragliche Vereinbarungen an deren Stelle treten. Es soll verhindert werden, dass durch die Beendigung des Tarifvertrages die Arbeitsverhältnisse wegen fehlender an dessen Stelle tretender Regelungen durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden müssen (BAG 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP TVG § 3 Nr. 13 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14). Den Tarifvertragsparteien, Betriebsparteien oder Arbeitsvertragsparteien ist es danach nicht verwehrt, ablösende Regelungen zu vereinbaren. Dann aber ist auch kein vernünftiger Grund erkennbar, den Betriebsparteien Verhandlungen über eine ablösende Vereinbarung schon vor Beginn der Nachwirkung und bei einer schon vor Beginn der Nachwirkung erzielten Einigung den Abschluss der Regelung zu verbieten, wenn – wie hier – das Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung auf den Beginn der Nachwirkung bestimmt wird. In diesem Fall kommt es überhaupt nicht zu einer Konfliktlage zwischen einem unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrag und einer gleichzeitig Geltung beanspruchenden Betriebsvereinbarung. Die Frage, ob eine gegen die Regelungssperre des § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung nach Wegfall der Regelungssperre wirksam wird, stellt sich deshalb vorliegend nicht.
d) Gegen die Wirksamkeit der BV 1997 bestehen auch keine Bedenken unter dem vom Kläger geltend gemachten Gesichtspunkt, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht hinreichend beachtet worden sei. Das ist nicht der Fall, weil nach der BV 1997 die jeweiligen Arbeitseinsatzpläne, auch soweit es um die Anordnung von Vorholschichten und den Freizeitausgleich dafür geht, mit dem Betriebsrat zu vereinbaren sind (Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 4 BV 1997). Ob in der Vergangenheit jeweils nach diesen Regelungen verfahren wurde, ist nach dem vorliegenden Antrag nicht zu entscheiden.
3. Auch der MTV 1997 steht dem Einsatz des Klägers in Vorholschichten am Samstag (Früh- und Spätschicht) nicht entgegen.
a) Der MTV 1997 gilt wegen der fehlenden Tarifgebundenheit der Beklagten nach ihrem Verbandsaustritt zum 31. Dezember 1996 nicht unmittelbar und zwingend. Zweifelhaft ist, ob der MTV auf Grund der Bezugnahme in Ziff. 9 der Einstellungsvereinbarung Anwendung findet, was das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Denn offensichtlich war die Beklagte bei Vertragsabschluß tarifgebunden und fiel der Betrieb der Beklagten unter den Geltungsbereich des damals gültigen Manteltarifvertrages. Das spricht nach der Rechtsprechung des Senats für die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede (st. Rspr. des Senats; vgl. 30. August 2000 – 4 AZR 581/99 – BAGE 95, 296; 25. Oktober 2000 – 4 AZR 506/99 – BAGE 96, 177; 16. Oktober 2002 – 4 AZR 467/01 – DB 2003, 617, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) mit der Folge, dass auch auf Grund der Bezugnahme nur gelten soll, was bei Tarifgebundenheit des Klägers tarifrechtlich gilt, dh. vorliegend, dass der MTV 1997 auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar ist. Die Frage der Auslegung der Bezugnahmeklausel kann aber offen bleiben, weil selbst bei Anwendbarkeit des MTV 1997 der Kläger sein Begehren nicht darauf stützen kann.
b) In § 3 Ziff. 1 Abs. 3 MTV 1997 ist in Ergänzung der schon im MTV 1989 enthaltenen Regelungen über die Zulässigkeit von Samstagsarbeit gem. § 3 Ziff. 1 Abs. 3 und 4 MTV 1997 folgende Regelung getroffen worden:
„Darüber hinaus kann … durch freiwillige Betriebsvereinbarung die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für den einzelnen Arbeitnehmer aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen auch auf den Samstag unter Beachtung folgender Grundsätze verteilt werden:
Die regelmäßige Arbeitszeit endet am Samstag spätestens um 15.00 Uhr.
In Betriebsabteilungen mit drei- oder mehr als dreischichtiger Produktion endet die regelmäßige Arbeitszeit am Samstag spätestens um 23.00 Uhr.
Die persönliche Arbeitszeit bei regelmäßiger Samstagsarbeit darf höchstens 8 Stunden betragen.”
Diese Regelung steht dem Einsatz des Klägers in Vorholschichten am Samstag (Früh- und Spätschicht) nicht entgegen. Der Kläger wird in einer Betriebsabteilung mit dreischichtiger Produktion eingesetzt. Auch die Spätschicht endet vor 23.00 Uhr. Deshalb kann ein Einsatz des Klägers in Vorholschichten am Samstag (Früh- und Spätschicht) nicht gegen den MTV 1997 verstoßen.
III. Weil danach der Einsatz des Klägers in Vorholschichten am Samstag (Früh- und Spätschicht) zulässig ist, ist auch der Hilfsantrag unbegründet.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Wolter, Der ehrenamtliche, J. Ratayczak Richter Fieberg ist aus dem Amt ausgeschieden und deswegen an der Unterschrift verhindert. 16. April 2003 Schliemann
Fundstellen