Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung bei Ablehnung eines Ersatzarbeitsplatzes. Anspruch auf Abfindung bei Ablehnung eines Ersatzarbeitsplatzes. Zumutbarkeit der Annahme eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes. Angebot einer Teilzeitbeschäftigung. einzelfallbezogene Abwägung der beiderseitigen Interessen bei der Beurteilung der Zumutbarkeit. Vorrang der Weiterbeschäftigung gegenüber Entlassungen mit Abfindungszahlung. Sinn und Zweck der tariflichen Abfindungsregelung. Kein Wahlrecht des Arbeitnehmers zwischen Ersatzarbeitsplatz und Abfindung

 

Orientierungssatz

1. Erfüllt ein Arbeitnehmer den im Klammerzusatz in § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung genannten Beispielstatbestand "Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes", ist das vorangestellte Tarifmerkmal des vom Arbeitnehmer zu vertretenden Kündigungsgrundes erfüllt und damit der Anspruch auf Abfindung ausgeschlossen.

2. Ob dem Arbeitnehmer die Annahme eines angebotenen Ersatzarbeitsplatzes nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung billigerweise nicht zugemutet werden kann, weil es sich um eine Teilzeitbeschäftigung handelt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls (§ 242 BGB). Dabei fällt gemäß dem aus der Präambel ersichtlichen, vorrangig auf Beschäftigungssicherung gerichteten Zweck der Tarifregelung auch ins Gewicht, ob der Arbeitnehmer durch Annahme des Ersatzarbeitsplatzes Anschluß an den Arbeitsmarkt behalten hätte.

3. Die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung mit weniger als 75 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten ist nicht grundsätzlich unzumutbar. Auf die Bestimmung über die besondere regelmäßige Arbeitszeit in § 3 Abs. 2 TV soziale Absicherung (bezirkstarifliche vorübergehende Absenkbarkeit der regelmäßigen Arbeitszeit aus Gründen der Beschäftigungssicherung) kann bei der Beurteilung der Zumutbarkeit eines angebotenen Teilzeitarbeitsplatzes nicht zurückgegriffen werden.

 

Normenkette

BGB § 242; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) § 3 Abs. 1 S. 1; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) § 3 Abs. 2; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) § 4 Abs. 1; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) § 4 Abs. 5 Buchst. a; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) § 4 Abs. 6; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) § 4 Abs. 7

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 14.06.2001; Aktenzeichen 6 Sa 247/01)

ArbG Zwickau (Urteil vom 25.01.2001; Aktenzeichen 3 Ca 2272/00)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Juni 2001 – 6 Sa 247/01 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 25. Januar 2001 – 3 Ca 2272/00 – wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Revision und der Berufung zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung.

Die am 30. Oktober 1943 geborene Klägerin war vom 5. September 1989 bis zum 31. März 2000 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und gegen ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von zuletzt 3.481,40 DM bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Sachbearbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 und die diesen ergänzenden Tarifverträge in der jeweiligen Fassung Anwendung.

Mit Schreiben vom 30. September 1999 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2000 und bot der Klägerin gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen an. Anlaß für die Änderungskündigung war eine Verminderung des Wohnungsbestandes der Beklagten. Dadurch hatte sich das Arbeitsvolumen – in den einzelnen Tätigkeitsbereichen unterschiedlich – im Durchschnitt um 15,71 % verringert. Die wöchentliche Arbeitszeit des technischen Leiters wurde von 40 auf 34 Stunden reduziert, die der beiden Angestellten in der Mietenbuchhaltung und der Wohnungswirtschaft von 40 auf jeweils 30 Stunden. Die Arbeitszeit des Prokuristen und der zwei Finanzbuchhalterinnen im Umfang von jeweils 40 Stunden in der Woche wurde beibehalten. Das Änderungsangebot der Beklagten, bei unveränderter Eingruppierung ab 1. April 2000 22 Stunden in der Woche im Bereich Rezeption/Sekretariat zu arbeiten, nahm die Klägerin nicht an und schied mit Ablauf des 31. März 2000 aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte habe ihr gemäß § 4 Abs. 1 des Tarifvertrags zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 (TV soziale Absicherung) eine Abfindung in Höhe von 6.962,80 DM zu zahlen, weil ihr Arbeitsverhältnis aus Gründen des Personalabbaus gekündigt worden sei. Ihr Anspruch auf Abfindung sei nicht nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung ausgeschlossen. Die Annahme des Angebots auf Weiterbeschäftigung mit einer Arbeitszeit von nur noch 22 Stunden in der Woche sei ihr nicht zuzumuten gewesen. Dadurch hätte sich ihr Nettogehalt von monatlich 2.217,51 DM auf 1.176,73 DM verringert und wäre damit niedriger gewesen als das Arbeitslosengeld.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 6.962,80 DM netto (= 3.560,02 Euro) nebst 4 % Zinsen hieraus seit 1. April 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, der Abfindungsanspruch sei ausgeschlossen, weil die Klägerin den ihr angebotenen und nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbaren Teilzeitarbeitsplatz nicht angenommen habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, daß die Abfindung nicht als Nettobetrag zu zahlen ist. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts.

I. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin die geforderte Abfindung zu zahlen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe gemäß § 4 Abs. 1 TV soziale Absicherung tarifliche Abfindung in Höhe von 6.962,80 DM zu. Der Abfindungsanspruch sei nicht nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung ausgeschlossen, weil die Kündigung nicht aus einem von der Klägerin zu vertretenden Grund erfolgt sei. Die Annahme des ihr im Bereich Rezeption/Sekretariat angebotenen Teilzeitarbeitsplatzes habe der Klägerin billigerweise nicht zugemutet werden können. Der angebotene Ersatzarbeitsplatz habe zwar ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprochen und im Verhältnis zum bisherigen Arbeitsplatz der Klägerin nicht gleichwertig sein müssen. Auch sei das Angebot einer Teilzeitbeschäftigung zulässig gewesen. Die vorgesehenen Arbeitsbedingungen hätten der Klägerin jedoch eine Verringerung ihres Arbeitsvolumens von 40 auf 22 Stunden in der Woche und damit um 45 % auf 55 % zugemutet. Die mit dieser Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit verbundene Gehaltskürzung hätte die finanzielle Grundlage der Lebenshaltung der Klägerin in einem nicht mehr hinnehmbaren Maße angegriffen. Zu Recht habe die Klägerin auf § 3 Abs. 2 TV soziale Absicherung hingewiesen, wonach eine zeitweilige tarifliche Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 79 bis 75 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nur gegen – teilweisen – Lohnausgleich zulässig sei. Daraus folge, daß die Tarifvertragsparteien eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit um mehr als 20 % ohne finanziellen Ausgleich, eine Absenkung um mehr als 25 % sogar bei teilweisem Lohnausgleich für unzumutbar hielten. Nur bis zu einer Verminderung der Arbeitszeit um höchstens 25 % verfolgten die Tarifvertragsparteien somit das Ziel, Beschäftigung zu sichern. Bei Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit um mehr als diesen Vomhundertsatz sei die Zahlung einer Abfindung vorgesehen. Die grundsätzliche Wertung, die in dieser Regelung zum Ausdruck komme, sei bei Anwendung des § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung zu berücksichtigen.

2. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Auslegung des § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung durch das Landesarbeitsgericht ist nicht rechtsfehlerfrei.

a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von 3.560,02 Euro (6.962,80 DM). Die Klägerin hat zwar die Anspruchsvoraussetzungen nach § 4 Abs. 1 TV soziale Absicherung erfüllt, weil das Arbeitsverhältnis von der Beklagten aus Gründen des Personalabbaus gekündigt worden ist. Nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung steht ihr eine Abfindung aber nicht zu, weil die Kündigung aus einem von ihr zu vertretenden Grund erfolgt ist. Gemäß dem Klammerzusatz in § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung (fortan: Klammerzusatz) ist es als ein vom Arbeitnehmer zu vertretender Kündigungsgrund anzusehen, wenn der Arbeitnehmer einen anderen angebotenen Arbeitsplatz ablehnt. So liegt der Fall hier. Die in dieser Bestimmung bezeichnete Ausnahme, wonach die Kündigung vom Arbeitnehmer nicht zu vertreten ist, wenn ihm die Annahme des Ersatzarbeitsplatzes nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann, liegt im Fall der Klägerin nicht vor.

b) Die Klägerin hat das Angebot der Beklagten, sie bei unveränderter Eingruppierung als Angestellte im Bereich Rezeption/Sekretariat weiterzubeschäftigen, nicht angenommen und damit den im Klammerzusatz genannten Beispielstatbestand „Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes” erfüllt. Nach der Ausnahmeregelung im Klammerzusatz beruht die Kündigung zwar trotz Ablehnung des anderen angebotenen Arbeitsplatzes nicht auf einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund, wenn dem Arbeitnehmer die Annahme des anderen Arbeitsplatzes nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann. Unter Kenntnissen ist dabei das tätigkeitsbezogene Sach- und Erfahrungswissen zu verstehen (Senat 18. April 1996 – 6 AZR 607/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 14 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 5), während der Begriff der Fähigkeiten die körperliche und geistige Eignung zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Tätigkeit erfaßt (Senat 18. April 1996 aaO). Das Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß die der Klägerin bei unveränderter Eingruppierung angebotene Angestelltentätigkeit im Bereich Rezeption/Sekretariat ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprochen hat. Das Gegenteil hat die Klägerin auch nicht behauptet.

c) Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zu folgen, soweit es angenommen hat, daß der angebotene Ersatzarbeitsplatz auch als Teilzeitarbeitsplatz als „Arbeitsplatz” iSd. Tarifregelung anzusehen ist.

aa) Im Verhältnis zum bisherigen Arbeitsplatz muß der angebotene Ersatzarbeitsplatz nicht gleichwertig sein und kann auch ein Teilzeitarbeitsplatz sein. Dies hat der Senat nicht nur aus dem Wortlaut des Klammerzusatzes „Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes…” entnommen sondern auch aus dem Sinn und Zweck des Tarifvertrags geschlossen (Senat 18. April 1996 aaO und 30. Januar 1997 – 6 AZR 859/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 18 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 7). In den Vorbemerkungen zum TV soziale Absicherung ist der Grundsatz enthalten, daß Beschäftigungsmöglichkeiten eindeutigen Vorrang gegenüber Entlassungen haben. An dieser Rechtsprechung ist auch nach der Änderung des Tarifvertrags festzuhalten. Denn durch den Änderungstarifvertrag Nr. 2 vom 5. Mai 1998 wurde der Wortlaut des Ausschlußtatbestandes nicht verändert. Auch an dem Vorrang der Weiterbeschäftigung gegenüber Entlassungen und den damit verbundenen Maßnahmen zur sozialen Abfederung haben die Tarifvertragsparteien in den allgemeinen Vorbemerkungen, die sie in Form der Präambel vorangestellt haben, ausdrücklich festgehalten.

bb) Nicht gefolgt werden kann dem Landesarbeitsgericht jedoch, soweit es gemeint hat, die Annahme eines Teilzeitarbeitsplatzes könne dem Arbeitnehmer billigerweise nicht zugemutet werden, wenn die Arbeitszeit um mehr als 25 % herabgesetzt und die Vergütung entsprechend vermindert wird. Das ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung noch kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts für die Beurteilung dieser Frage auf § 3 Abs. 2 TV soziale Absicherung in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 5. Mai 1998 zurückgegriffen werden.

(1) Aus dem Wortlaut des Klammerzusatzes, auf den es für die Tarifauslegung zunächst ankommt (st. Rspr. des Bundesarbeitsgerichts, vgl. 30. Januar 1997 – 6 AZR 784/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 22 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 8), kann nicht abgeleitet werden, daß die Annahme eines Arbeitsplatzangebotes mit einer Arbeitszeit von weniger als 75 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers stets unzumutbar ist. Ein Wille der Tarifvertragsparteien, daß der Ausschlußtatbestand des § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung nicht erfüllt sein soll, wenn eine Teilzeitbeschäftigung mit weniger als 75 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers angeboten wird, hat in der Tarifnorm keinen Niederschlag gefunden.

(2) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wird ein solches Auslegungsergebnis auch nicht durch den tariflichen Gesamtzusammenhang gestützt. Die Regelung über die besondere regelmäßige Arbeitszeit in § 3 TV soziale Absicherung, nach der durch Bezirkstarifvertrag die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen vorübergehend herabgesetzt werden darf, besagt nichts darüber, ob bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen des Personalabbaus die Annahme eines Ersatzarbeitsplatzes mit abgesenktem Arbeitszeitvolumen bei Meidung eines Abfindungsverlustes zumutbar ist.

§ 3 TV soziale Absicherung ist durch den Änderungstarifvertrag Nr. 2 vom 5. Mai 1998 neu gefaßt worden. Er ist eine Nachfolgeregelung zu § 15 c BAT-O, der bereits dazu diente, den erforderlichen Personalabbau möglichst sozialverträglich zu gestalten. § 3 Abs. 1 Satz 1 TV soziale Absicherung bezweckt seinem Wortlaut nach die Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Diese Bestimmung ermächtigt befristet zum Abschluß bezirklicher Tarifverträge zur Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Sie begrenzt dabei den Umfang der Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und enthält Regelungen zum Teillohnausgleich. Daraus, daß die Tarifvertragsparteien in § 3 Abs. 2 TV soziale Absicherung den Umfang der Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit durch bezirkliche Tarifverträge auf 75 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in der Hoffnung begrenzt haben, so die betroffenen Arbeitsplätze erhalten zu können, kann nicht gefolgert werden, daß sie nach bereits unvermeidbar gewordener Kündigung unabhängig von den Umständen des Einzelfalles die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung mit einem Arbeitszeitvolumen von weniger als 75 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit für unzumutbar gehalten haben.

Schließlich stehen auch Sinn und Zweck der tariflichen Abfindungsregelung dem Rückgriff auf § 3 Abs. 2 TV soziale Absicherung entgegen. Die Abfindung nach § 4 Abs. 1 TV soziale Absicherung ist, wie schon die Bezeichnung des Tarifvertrages deutlich macht, nicht Entgelt für die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeit. Sie wird zum Zweck der sozialen Absicherung des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst gezahlt. Tritt der Arbeitnehmer danach wieder in den öffentlichen Dienst ein oder entsteht für ihn ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, dient die Abfindung nur der sozialen Absicherung für die Übergangszeit und steht dem Arbeitnehmer auch nur in einem verminderten, zur Erfüllung dieses Zwecks ausreichenden Umfang zu (§ 4 Abs. 6 und Abs. 7 TV soziale Absicherung). Dabei kommt es nach dem Tarifwortlaut nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer in ein Vollzeit- oder Teilzeitarbeitsverhältnis eintritt (§ 4 Abs. 6 TV soziale Absicherung). Unerheblich ist auch die Höhe der Rente. Zur Erfüllung des Ausschlußtatbestandes (§ 4 Abs. 7 TV soziale Absicherung) reicht die Entstehung eines Anspruchs aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus, auch wenn die Rente wesentlich niedriger ist als die zuletzt bezogene Nettovergütung. Dem daraus erkennbaren Zweck der Abfindung, nur insoweit sozial abfedernd zu wirken, als der Arbeitnehmer keine neue Beschäftigung im öffentlichen Dienst findet oder keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwirbt, widerspräche es, die Annahme eines Arbeitsplatzes mit einer Arbeitszeit von weniger als 75 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit stets für unzumutbar zu halten.

(3) Die Frage, ob ein Ersatzarbeitsplatz, der dem Arbeitnehmer nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise zugemutet werden kann, auch im Hinblick auf eine verminderte Arbeitszeit zumutbar ist, erfordert eine einzelfallbezogene Bewertung. Ob der angebotene Arbeitsplatz unter diesem Gesichtspunkt dem Arbeitnehmer zumutbar ist, richtet sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), wobei die beiderseitigen Interessen zu beachten sind. Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen nach seinem Arbeitszeitvolumen nicht mehr hinnehmbaren Teilzeitarbeitsplatz an, so kann er sich nicht auf den Ausschlußtatbestand des § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung berufen (Senat 18. April 1996 aaO und 30. Januar 1997 aaO). Welches Arbeitszeitvolumen die angebotene Teilzeitbeschäftigung mindestens aufweisen muß und welches Maß der Herabsetzung der Arbeitszeit nicht überschritten werden darf, damit die angebotene Teilzeitbeschäftigung dem Arbeitnehmer billigerweise noch als „Arbeitsplatz” zugemutet werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere auch vom zeitlichen Umfang der bisherigen Tätigkeit ab und kann nicht allgemein festgelegt werden.

In der Entscheidung vom 18. April 1996 (aaO) hat der erkennende Senat die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung mit 75 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers als grundsätzlich nicht unzumutbar angesehen. Hier hat der Senat ua. darauf abgestellt, daß ein Vollzeitarbeitsplatz nicht zur Verfügung stand. In einem weiteren Urteil vom 30. Januar 1997 (aaO) hat der Senat die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung mit einer von 40 auf 25 Stunden in der Woche verringerten Arbeitszeit für unzumutbar gehalten, weil sich das Gesamtarbeitsvolumen aller mit der dortigen Klägerin vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes nur um 25 % verringert hatte, die Arbeitszeit der Klägerin aber nach dem Änderungsangebot um 37,5 % auf 62,5 % der bisherigen Arbeitszeit herabgesetzt werden sollte.

Im vorliegenden Fall ergeben die Umstände, daß die Annahme des angebotenen Arbeitsplatzes der Klägerin zumutbar war. Bei Annahme des Angebots hätte sich das Arbeitsvolumen zwar um 45 % auf 55 % der bisherigen Arbeitszeit und damit in noch höherem Ausmaß verringert als im vorgenannten Fall. Hier liegen die Dinge jedoch anders. Im Gegensatz zu dort besteht hier keine prozentuale Diskrepanz zwischen dem Einsparvolumen und dem von der Beklagten angebotenen Arbeitszeitvolumen. Das Gesamtarbeitsvolumen aller in der Verwaltung der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer ist zwar im Durchschnitt nur um 15,71 % zurückgegangen. Der Rückgang war jedoch in den einzelnen Tätigkeitsbereichen unterschiedlich. Bei der Beurteilung, ob eine Diskrepanz zwischen Einsparvolumen und angebotenem Arbeitszeitvolumen vorliegt, ist auf die Arbeitsmenge im Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers abzustellen. Im Fall der Klägerin war somit zu beachten, daß diese nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten nicht mit den Aufgaben des Prokuristen, der Finanzbuchhalterinnen, des technischen Leiters und der Angestellten in der Mietenbuchhaltung und der Wohnungswirtschaft beschäftigt werden konnte, deren Arbeitszeit sich nur in geringerem Umfang oder überhaupt nicht verringerte. Eine Verringerung der Arbeitsmenge im Tätigkeitsbereich der Klägerin um weniger als 45 % ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden. Die Klägerin hat sie auch nicht behauptet. Der der Klägerin angebotene Arbeitsplatz war somit der einzige Arbeitsplatz, der ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprach. Ein Vollzeitarbeitsplatz oder ein Teilzeitarbeitsplatz mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 22 Stunden stand nicht zur Verfügung. Unter diesen Umständen war es der Klägerin nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen der Änderungskündigung fortzuführen. Dabei fiel auch ins Gewicht, daß die Klägerin durch eine – wenn auch stark verminderte – Beschäftigung gemäß ihren Kenntnissen und Fähigkeiten Anschluß an den Arbeitsmarkt behalten hätte mit der Möglichkeit, bei günstiger Entwicklung desselben in der Zukunft ihre individuelle Arbeitszeit wieder erhöhen zu können. Die Klägerin verkennt, daß gerade die Beachtung dieses Gesichtspunktes dem Zweck der tariflichen Regelung entspricht, die in der Präambel der Beschäftigungssicherung eindeutig den Vorrang vor Entlassung und sozialverträglicher Abfederung einräumt und deshalb auch kein Wahlrecht des Arbeitnehmers zwischen Ersatzarbeitsplatz und Abfindung vorsieht.

(4) Aus diesem Grund kommt es im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nicht darauf an, daß ihr Arbeitslosengeld – wie sie behauptet hat – höher war als das Arbeitsentgelt für die Beschäftigung auf dem Ersatzarbeitsplatz. Da dieser den Kenntnissen und Fähigkeiten der Klägerin entspricht und ihr vom Beschäftigungsumfang her zumutbar ist, erfüllt sie die Voraussetzung des Beispiels in dem Klammerzusatz des § 4 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung und hat daher nach dieser insoweit zwingenden Tarifbestimmung die Kündigung zu vertreten.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Dr. Brühler, Schäferkord, Schwarck

 

Fundstellen

Haufe-Index 767775

DB 2002, 1894

DB 2002, 1946

NZA 2002, 1055

ZTR 2002, 487

AuA 2002, 568

EzA-SD 2002, 16

EzA

PERSONAL 2002, 54

PersV 2002, 566

NJOZ 2003, 1323

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