Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung bei Aufhebungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
Scheidet ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung aufgrund eines Aufhebungsvertrages, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses "auf Veranlassung des Arbeitgebers" vorsieht, aus dem Betrieb aus, so ist dies im Hinblick auf die Ansprüche aus dem Sozialplan wie eine Arbeitgeberkündigung zu behandeln.
Orientierungssatz
1. Liegt innerhalb der für die Einlegung der Berufung und ihrer Begründung zur Verfügung stehenden Frist ein mit Gründen versehenes Ersturteil nicht vor, kann dies dem Berufungsführer nicht zum Nachteil gereichen.
2. Enthält ein Urteil keine Gründe, liegt ein Verfahrensmangel vor, der im arbeitsgerichtlichen Verfahren in der zweiten Instanz nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht führt, weil die Berufungsinstanz eine vollständige zweite Tatsacheninstanz ist, in der die notwendigen Feststellungen noch getroffen werden können und nur so dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen werden kann.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.
Der Kläger war vom 1. Juli 1970 bis zum 30. Juni 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Er war mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 8.500,-- DM als Dozent in dem von der Beklagten betriebenen C D Institut (CDI) beschäftigt. Im CDI wurden Schulungskurse zur Ausbildung in einer herstellerunabhängigen elektronischen Datenverarbeitung abgehalten.
Die Beklagte vertreibt Hard- und Software, die von ihrer amerikanischen Muttergesellschaft hergestellt wird. Daneben bietet sie auf dem deutschen Markt verschiedene Dienstleistungen an. Im Herbst 1984 beschloß die Beklagte, den im CDI zusammengefaßten Ausbildungsbetrieb zu rationalisieren. Ab 1. Januar 1985 sollte der Unterricht nach einem neuen, zentralentwickelten Unterrichtsbausteinsystem gestaltet und innerhalb weiterer sechs Monate alle Ausbildungsaktivitäten auf eine Tochtergesellschaft übertragen werden. Ende 1984 wurde die hundertprozentige Tochter "C D Weiterbildungs GmbH" mit Sitz in M gegründet; diese übernahm nach einer Umbenennung in C D Institut GmbH (CDI GmbH) am 14. März 1985 alle Ausbildungsaktivitäten unter Leitung des Geschäftsführers P . Zu diesem Zeitpunkt war ein Teil der im CDI beschäftigten Arbeitnehmer bereits aufgrund von Eigenkündigungen und Auflösungsverträgen ausgeschieden.
Die von der Geschäftsleitung der Beklagten und dem Betriebsrat letztendlich eingeschaltete Einigungsstelle beschloß am 8. Juli 1985 - nachdem sie am 10. Mai 1985 das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich festgestellt hat - einen Sozialplan mit folgendem Inhalt:
"Paragraph 1, Kreis der Betroffenen
Sozialplanzahlungen erhalten:
a) Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse durch Kündigung oder Änderungskündigung im Zusammenhang mit dem Übergang von CDI oder der damit verbundenen Folgemaßnahmen (soziale Auswahl) aufgelöst oder abgeändert worden ist bzw. wird,
b) Mitarbeiter des CDI, die aufgrund einer ab dem 15. Februar 1985 ausgesprochenen Eigenkündigung ausgeschieden sind, sofern sie jünger als 59 Jahre sind.
Nicht unter den Sozialplan fallen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis bei Ausspruch der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate bestand, die bereits 63 Jahre alt oder leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG sind.
Paragraph 2, Höhe der Ausgleichszahlungen
a) Mitarbeiter im Sinne des § 1 erhalten bei ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen Abfindungszahlungen in Höhe von 1,15 Monatsgehältern pro angefangenem Beschäftigungsjahr.
b) Mitarbeiter, die bei ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen älter als 35 Jahre sind, erhalten zusätzlich ein Monatsgehalt pauschal.
c) Mitarbeiter mit Änderungskündigungen, die in dem Unternehmen in einer von dem Gehaltsrahmen, dem tatsächlich gezahlten Gehalt oder der Qualifikation der Arbeit her nicht gleichwertigen Position verbleiben, erhalten die halbe Abfindung.
d) Die maximale Abfindung aus diesem Sozialplan darf 140.000,-- DM nicht übersteigen."
Im Verlauf der Einigungsstellenverhandlungen hatte der Betriebsrat ursprünglich zu § 1 auch einen Buchstaben c) vorgeschlagen, der folgende Regelungen enthalten sollte:
"Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis infolge Aufhebungsvertrages im Zusammenhang mit der Auslagerung von CDI beendet worden ist."
Diese Bestimmung ist im beschlossenen Sozialplan nicht enthalten. Die Beklagte hat den Sozialplan wegen Ermessensüberschreitung angefochten. Mit Beschluß vom 27. Juni 1989 (- 1 ABR 27/88 -) hat das Bundesarbeitsgericht den Antrag der Beklagten abgewiesen.
Der Kläger hatte bereits am 13. Mai 1985 mit der Beklagten einen Auflösungsvertrag geschlossen, in dem es u.a. heißt:
"§ 1 Beendigung
Die Parteien sind sich darin einig, daß das Ar- beitsverhältnis auf Veranlassung der C D GmbH mit Ablauf des 30. Juni 1985 einvernehmlich enden wird.
§ 2 Abfindung
Aus Anlaß der Beendigung zahlt C D GmbH eine Abfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG ... von 24.000,-- DM. Darüber hinaus erhält Herr B eine Ausgleichszahlung für die mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteile ... von 27.000,-- DM.
...
Damit sind sämtliche Ansprüche zwischen Herrn B einerseits und der C D GmbH und den ihr verbundenen Konzernunternehmen andererseits vollständig abgegolten, mit Ausnahme der unverfallbaren Anwartschaften aus der Pensionsplanverpflichtung."
Andere Mitarbeiter der Beklagten, die ebenfalls mit Auflösungsverträgen ausgeschieden waren, hatten vereinbart, daß ihnen dann, wenn die Abfindung nach einem zu verabschiedenden Sozialplan höher als die im Auflösungsvertrag vereinbarte Abfindung sein sollte, der entsprechende Differenzbetrag nachzuzahlen sei.
Mit seiner Klage vom 8. September 1989 macht der Kläger die Differenz zwischen dem Höchstbetrag der für ihn nach dem Sozialplan zu errechnenden Abfindung von 140.000,-- DM und der vereinbarten und ausbezahlten Abfindung gemäß dem Aufhebungsvertrag in Höhe von 51.000,-- DM geltend. Er ist der Auffassung, der Anspruch ergebe sich aus dem Sozialplan und dessen Auslegung. Unter den Sozialplan fielen alle Betroffenen, nicht nur diejenigen, die Kündigungen erhalten oder selbst ausgesprochen hätten. Die im Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung entspreche lediglich der Vergütung, die bei einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist bis zum 31. Dezember 1985 noch hätte gezahlt werden müssen. Ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes sei darin jedoch nicht enthalten. Außerdem könne von dem Sozialplan nicht zu seinem Nachteil abgewichen werden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 89.000,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, der Kläger unterfalle nicht den Regelungen des Sozialplans und könne daher nicht mehr als Abfindung verlangen, als im Aufhebungsvertrag vereinbart sei. Nach dem Wortlaut des Sozialplans seien Aufhebungsverträge ausgeschlossen. Ein anderer Wille einer der beiden Vertragsparteien finde im Sozialplan keinen Ausdruck.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrags zwischen der nach dem Sozialplan vom 8. Juli 1985 errechneten Abfindung und der nach dem Aufhebungsvertrag vom 13. Mai 1985 gewährten Abfindung in Höhe von 89.000,-- DM brutto.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Klageabweisung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch aus dem Sozialplan, da er nach dessen Wortlaut nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehöre. Der Sozialplan beziehe nur diejenigen Arbeitnehmer in seinen Geltungsbereich ein, die im Zusammenhang mit der Betriebsänderung aufgrund von arbeitgeberseitigen Beendigungs- oder Änderungskündigungen ausgeschieden seien oder selbst gekündigt hätten. Auch eine Auslegung des Sozialplans erbringe kein anderes Ergebnis. Zum Kreis der Betroffenen sollten nicht automatisch alle Arbeitnehmer gehören, die ihr Arbeitsverhältnis infolge der Betriebsänderung verlören oder sonstige Nachteile erlitten. Die Einigungsstelle sei im Rahmen ihres Ermessens darin frei gewesen, welche Nachteile sie bei welchen Arbeitnehmern in welcher Form ausgleiche. Im Sozialplan vom 8. Juli 1985 habe die Einigungsstelle den Kreis der Abfindungsberechtigten dadurch eingeschränkt, daß sie die Tatbestände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgezählt habe, die die Zahlung einer Abfindung auslösen sollten. Da sie die Beendigungstatbestände nach ihrer rechtlichen Qualifikation als Kündigung oder Eigenkündigung gesondert aufgeführt habe, habe sie andere Beendigungstatbestände ausgeschlossen. Ein anderweitiger Wille der Vertragsparteien finde in der Formulierung des Sozialplans keinen Niederschlag. Diese sei vielmehr eindeutig; sie lasse die vom Kläger gewünschte Auslegung nicht zu.
Der Aufhebungsvertrag des Klägers, wonach die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung der Arbeitgeberin erfolge, könne auch nicht in eine Eigenkündigung oder Arbeitgeberkündigung umgedeutet werden. Ein Aufhebungsvertrag sei ein auf übereinstimmenden Willenserklärungen beruhender zweiseitiger Vertrag, während eine Kündigung eine einseitige gestaltende Willenserklärung darstelle. Umgekehrt könne eine vom Arbeitgeber akzeptierte Eigenkündigung auch nicht in einen Aufhebungsvertrag umgedeutet werden.
Ebensowenig könne der Kläger über eine Billigkeitskontrolle in den Kreis der Anspruchsberechtigten des Sozialplans aufgenommen werden. Es sei sachgerecht, im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, die eine Kündigung des Arbeitgebers erhalten oder selbst gekündigt hätten, die Arbeitnehmer von Leistungen aus dem Sozialplan auszunehmen, die aufgrund eines Aufhebungsvertrages aus Anlaß einer Betriebsänderung aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden. Die Gründe für diese Differenzierung seien sachlich einleuchtend, nachvollziehbar und widersprächen nicht dem Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Partner eines Aufhebungsvertrages hätten es in der Hand, Vor- und Nachteile einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Verhandlungswege individuell zu bewerten und dies in der Höhe der ausgehandelten Abfindung auszudrücken. Die Arbeitsgerichte könnten hierbei nicht eine eigene Ermessensentscheidung anstelle derjenigen der Einigungsstelle setzen.
Ein Verstoß gegen § 77 Abs. 4 BetrVG sei nicht erkennbar.
II. Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen. Dem Kläger steht die Abfindung aus dem Sozialplan vom 8. Juli 1985 zu. 1. Die Revision ist zulässig. Sie richtet sich gegen ein ordnungsgemäßes und revisionsfähiges Urteil des Landesarbeitsgerichts.
Auch die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts war entgegen der Ansicht der Beklagten zulässig. Das Arbeitsgericht hat sein klageabweisendes Urteil nicht begründet. Der Kläger konnte nach Verkündung des Ersturteils innerhalb der sich aus § 9 Abs. 5 ArbGG und § 516 ZPO ergebenden Frist von 17 Monaten Berufung einlegen. Die Berufung ist auch ordnungsgemäß begründet worden. Dem steht nicht entgegen, daß sich der Berufungsführer nach § 519 Abs. 3 ZPO mit den Gründen des Ersturteils auseinandersetzen muß, was die Berufung nicht tat und nicht konnte. Liegt innerhalb der für die Einlegung der Berufung und ihrer Begründung zur Verfügung stehenden Frist ein mit Gründen versehenes Ersturteil nicht vor, kann dies dem Berufungsführer nicht zum Nachteil gereichen. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann insoweit dem Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAGE Nr. 2 zu § 519 ZPO) nicht gefolgt werden, das eine Berufung für unzulässig erklärt hat, deren Begründung ohne Kenntnis der Entscheidungsgründe des Erstgerichts erstellt worden war. Das Fehlen der Gründe des Erstgerichts bis zum Ablauf der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist darf nicht zu Lasten des Berufungsführers gehen. Im Hinblick auf den drohenden Fristablauf bei an sich gegebener Berufungsmöglichkeit und die gesetzlich vorgeschriebene Berufungsbegründungsfrist von einem Monat mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit muß dem Berufungsführer in einem solchen Fall aus rechtsstaatlichen Gründen die Berufungseinlegung und -begründung auch ohne Kenntnis der - (noch) nicht vorhandenen Entscheidungsgründe des Erstgerichts - möglich sein.
Dieses Ergebnis wird durch die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Revisionsverfahren bekräftigt, in denen ein mit Gründen versehenes Berufungsurteil nicht vorliegt. Danach liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, weil das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu betrachten ist (§ 551 Nr. 7 ZPO), wenn zwischen seiner Verkündung und der Zustellung mehr als ein Jahr liegt (BAG Urteil vom 11. November 1992 - 4 AZR 83/92 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Obwohl auch zur Begründung der Revision eine Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils erforderlich ist, kann dieser absolute Revisionsgrund im Revisionsverfahren geltend gemacht werden. Es würde daher einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn man - mit dem LAG Nürnberg und der Beklagten - die Berufung als unzulässig ansehen würde, weil sich der Berufungsführer mit den - ihm nicht vorliegenden - Gründen des Ersturteils nicht auseinandergesetzt hat.
Das Landesarbeitsgericht hatte über die Berufung des Klägers auch in der Sache zu entscheiden; eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht schied nach § 68 ArbGG aus (BAGE 38, 55 = AP Nr. 1 zu § 68 ArbGG 1979). Enthält ein Urteil keine Gründe, liegt ein Verfahrensmangel vor, der im arbeitsgerichtlichen Verfahren in der zweiten Instanz nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht führt, weil die Berufungsinstanz eine vollständige zweite Tatsacheninstanz ist, in der die notwendigen Feststellungen noch getroffen werden können und nur so dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen werden kann.
2. In der Sache ist die Revision begründet.
Der Kläger hat aus dem Sozialplan vom 8. Juli 1985 einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 140.000,-- DM. Auf diese Abfindung läßt er sich die aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 13. Mai 1985 bereits gezahlte Abfindung in Höhe von 51.000,-- DM anrechnen, so daß noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von 89.000,-- DM besteht.
a) Zwar ergibt sich der Anspruch des Klägers nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des Sozialplans. Danach erhalten Sozialplanabfindungen nur Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder Änderungskündigung im Zusammenhang mit dem Übergang von CDI oder der damit verbundenen Folgemaßnahmen aufgelöst oder abgeändert worden ist bzw. wird (§ 1 Buchst. a des Sozialplans) und Mitarbeiter des CDI, die aufgrund einer ab dem 15. Februar 1985 ausgesprochenen Eigenkündigung ausgeschieden sind, sofern sie jünger als 59 Jahre sind (§ 1 Buchst. b des Sozialplans).
b) Die Auslegung des Sozialplans vom 8. Juli 1985 ergibt aber, daß auch der gemäß Aufhebungsvertrag vom 13. Mai 1985 zum 30. Juni 1985 aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten ausgeschiedene Kläger eine Abfindung aus dem Sozialplan erhält.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wie Tarifverträge auszulegen (BAG Urteil vom 4. Juni 1987 - 2 AZR 393/86 - n.v.; Urteil vom 27. August 1975 - 4 AZR 454/74 - AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972). Maßgeblich ist dabei - entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung - zunächst der Wortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist sodann der wirkliche Wille der Betriebspartner und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie im Sozialplan erkennbar zum Ausdruck gekommen sind. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelung, der häufig schon deswegen einzubeziehen ist, weil daraus auf den wirklichen Willen der Betriebspartner geschlossen und nur so der Sinn und Zweck der Regelung zutreffend ermittelt werden kann.
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich, daß dem Kläger der Anspruch auf die Sozialplanabfindung nach § 1 Buchstabe a) des Sozialplans zusteht. Danach erhalten Sozialplanzahlungen die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Beklagten im Zusammenhang mit der Betriebsänderung aufgelöst worden ist oder wird. Diese Regelung kann insbesondere im Hinblick auf § 75 BetrVG nur so verstanden werden, daß sie auch Arbeitnehmer erfaßt, die zwar durch Aufhebungsvertrag, aber - wie der Kläger - auf Veranlassung der Beklagten im Zusammenhang mit der beabsichtigten Betriebsänderung ausscheiden.
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Daraus ergibt sich eine entsprechende Bindung der Betriebspartner an diese Grundsätze für ihre eigenen Regelungen. Hierbei ist der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz der wichtigste Unterfall der Behandlung nach Recht und Billigkeit. Ob eine Regelung für einen Arbeitnehmer billig oder unbillig ist, zeigt sich in erster Linie daran, wie er im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern behandelt wird (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 80/90 - AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972). Bei der gestaltenden Regelung eines Sozialplans haben die Betriebspartner und die Einigungsstelle nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar im allgemeinen einen weiten Ermessensspielraum. Bei Abschluß eines Sozialplans sind sie grundsätzlich frei, darüber zu entscheiden, welche Nachteile aus einer Betriebsänderung auf welche Weise ausgeglichen werden (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 80/90 - aaO; Beschluß vom 27. Juni 1989 - 1 ABR 27/88 - n.v. zum vorliegenden Sozialplan). Die Betriebspartner und die Einigungsstelle dürfen dabei nach der Schwere der möglichen Nachteile und deren Vermeidbarkeit differenzieren (BAG Urteil vom 14. Februar 1984 - 1 AZR 574/82 - AP Nr. 21 zu § 112 BetrVG 1972). Der Inhalt eines Sozialplans muß aber immer dem Normzweck von § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechen, die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern, die dem Arbeitnehmer infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen.
Zweck des Sozialplanes ist es aber, die durch den Arbeitsplatzverlust entstandenen Nachteile für diejenigen Arbeitnehmer durch eine Abfindung zu mildern oder auszugleichen, die ihren Arbeitsplatz gerade infolge der Betriebsänderung verloren haben. Er nimmt daher nicht einmal diejenigen Arbeitnehmer aus, die selbst gekündigt haben, obwohl bei diesen am ehesten davon ausgegangen werden kann, daß sie eine neue Stelle und daher nur verhältnismäßig geringe Nachteile haben. Diesem Zweck würde es aber widersprechen, wenn diejenigen Arbeitnehmer ausgenommen würden, die ebenfalls aus Anlaß der Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verloren haben, nur nicht gekündigt worden sind, sondern auf Veranlassung des Arbeitgebers ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet haben. Daß diese eine Abfindung möglicherweise schon vereinbart haben, rechtfertigt den generellen Ausschluß nicht, sondern nur eine Anrechnungsbestimmung.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist auf Veranlassung der Beklagten einvernehmlich und im Zusammenhang mit der von der Beklagten geplanten Betriebsänderung beendet worden. Der durch den Aufhebungsvertrag aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten ausgeschiedene Kläger weist das gleiche Schutzbedürfnis auf, wie ein von der Beklagten gekündigter Arbeitnehmer. Auch der Kläger verliert den Besitzstand aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis und hat in einem neuen Arbeitsverhältnis zunächst keinen Kündigungsschutz. Was den Verlust seines Arbeitsplatzes betrifft, ist der Kläger in der gleichen Situation wie die Arbeitnehmer, denen gekündigt worden ist oder die selbst gekündigt haben. Das gebietet es, den vom Kläger abgeschlossenen Aufhebungsvertrag wie eine Kündigung der Beklagten zu behandeln. Aufhebungsverträge sind im Sozialplan auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen.
Dieses Auslegungsergebnis steht im Einklang mit dem Beschlußverfahren - 1 ABR 27/88 -, in dem der Antrag der Beklagten, festzustellen, daß der Sozialplan unwirksam ist, zurückgewiesen worden ist. Auch diesem Verfahren lag die Auslegung des Sozialplans zugrunde, daß auch Aufhebungsverträge vom Sozialplan miterfaßt werden. Es wird ferner gestützt durch § 112 a Abs. 1 Satz 2 BetrVG, der allerdings im streitigen Zeitraum noch nicht in Kraft getreten war. Danach gilt als Entlassung im Sinne dieser Vorschrift auch das vom Arbeitgeber aus Gründen der Betriebsänderung veranlaßte Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund von Aufhebungsverträgen. Ebenso hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, es komme insoweit nicht auf die rechtstechnische (rechtsgeschäftliche) Form der Auflösung des Arbeitsverhältnisses an (Urteil vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 80/90 - aaO; Beschluß vom 27. Juni 1989 - 1 ABR 27/88 - n.v.), sondern allein darauf, ob der Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Rücksicht auf die von ihm geplante Betriebsänderung veranlaßt hat.
Die Betriebspartner sind bei Sozialplanverhandlungen auch für solche Arbeitnehmer zuständig, die ihr Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beenden. Das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Aufhebungsvertrages beseitigt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht. Dem Landesarbeitsgericht kann daher auch insoweit nicht gefolgt werden, wenn es ausführt, die Partner eines Aufhebungsvertrages hätten es in der Hand, die Vor- und Nachteile einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Verhandlungswege individuell zu bewerten und dies in der Höhe der ausgehandelten Abfindung auszudrücken. Ein Arbeitnehmer, der mit einem Aufhebungsvertrag ausscheide, müsse deshalb nicht in den Sozialplan aufgenommen werden. Das individuelle Aushandeln eines Aufhebungsvertrages schließt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und seine Zuständigkeit im Rahmen der Verhandlungen über einen Sozialplan nicht aus.
§ 2 des Aufhebungsvertrages vom 13. Mai 1985 steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Ein darin enthaltener Verzicht auf die Sozialplanabfindung ist gemäß § 77 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
c) Der Kläger kann Zinsen aus dem der Höhe nach unstreitigen Anspruch aber erst ab 1. September 1989 verlangen. Dieser Zeitpunkt ergibt sich aus der Geltendmachung des Klägers mit Schreiben vom 18. August 1989 und der darin enthaltenen Fristsetzung bis zum 31. August 1989. Ein früherer Zinsbeginn läßt sich weder auf § 291 BGB - da die Klage erst am 21. September 1989 zugestellt worden ist - noch auf § 288 in Verbindung mit § 284 BGB stützen. Wegen der Anfechtung des Sozialplans im Verfahren - 1 ABR 27/88 - befand sich die Beklagte bis zur Entscheidung in diesem Beschlußverfahren nicht in Schuldnerverzug (BAG Urteil vom 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat gemäß §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO die Beklagte zu tragen.
Matthes Dr. Freitag Hauck
der ehrenamtliche
Richter Eckhardt
ist verstorben.
Matthes Schömburg
Fundstellen
Haufe-Index 436599 |
BB 1993, 1807 |
BB 1993, 1807-1808 (LT1) |
DB 1993, 2034-2035 (LT1) |
BuW 1993, 716 (K) |
EBE/BAG 1993, 140-143 (LT1) |
AiB 1993, 733-734 (LT1) |
BetrR 1993, 138-140 (LT1) |
BetrR 1995, 102-103 (LT1) |
BetrVG, (9) (LT1) |
ARST 1993, 180-181 (LT1) |
JR 1993, 528 |
JR 1993, 528 (S) |
ZIP 1993, 1403 |
ZIP 1993, 1403-1406 (LT1) |
AP § 112 BetrVG 1972 (LT1), Nr 67 |
AR-Blattei, ES 260 Nr 1 (LT1) |
EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 68 (LT1) |