Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteil ohne Tatbestand

 

Normenkette

ZPO §§ 313, 543, 561, 564-565

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 13.12.1995; Aktenzeichen 1 Sa 531/95)

ArbG Potsdam (Urteil vom 31.05.1995; Aktenzeichen 3 Ca 2473/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 13. Dezember 1995 – 1 Sa 531/95 – aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die vom Kläger vor dem 3. Oktober 1990 in einem Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Post der DDR zurückgelegte Zeit von der Berücksichtigung als Postdienstzeit gemäß Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet (TV Ang-O) ausgeschlossen ist.

Der Kläger hat beantragt die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Postdienstzeit ab dem 8. Mai 1959 anzuerkennen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Beklagte mit der Revision ihren Klagabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO).

1. Das angefochtene Urteil enthält keinen Tatbestand und ist daher der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich.

a) Gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der mit Ausnahme der Sonderregelungen des § 543 ZPO auch für ein Berufungsurteil gilt, muß das Urteil einen Tatbestand enthalten, der den Anforderungen der §§ 313 Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO genügt. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet, kann gemäß § 543 Abs. 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen werden. Revisible Berufungsurteile müssen hingegen einen Tatbestand enthalten, weil nach § 561 Abs. 1 ZPO nur das aus dem Tatbestand oder dem Sitzungsprotokoll ersichtliche Parteivorbringen der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt. Enthält das Berufungsurteil keinen Tatbestand, kann ihm in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, so daß eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht möglich ist. Ein solches Berufungsurteil ist wegen dieses von Amts wegen zu beachtenden Mangels aufzuheben (st. Rspr., vgl. etwa BAG Urteile vom 29. August 1984 – 7 AZR 617/82 – BAGE 46, 179 = AP Nr. 4 zu § 543 ZPO 1977; vom 30. Oktober 1987 – 7 AZR 92/87 – AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977; vom 28. Mai 1997 – 5 AZR 632/96 – AP Nr. 9 zu § 543 ZPO 1977; BGHZ 73, 248 = AP Nr. 1 zu § 543 ZPO; BGH Urteile vom 17. Januar 1985 – VII ZR 257/83 – NJW 1985, 1784; vom 25. April 1991-I ZR 232/89 – NJW 1991, 3038). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt hinreichend deutlich aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergibt und das Urteil auf diese Weise den Anforderungen des § 543 Abs. 2 ZPO genügt (BGH Urteil vom 17. Januar 1985, aaO, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch, wenn, wie hier, die Revision erst auf eine Nichtzulassungsbeschwerde vom Revisionsgericht zugelassen worden ist (BAG Urteil vom 29. August 1984, aaO; Senatsurteil vom 22. November 1984 – 6 AZR 103/82 – AP Nr. 5 zu § 543 ZPO 1977).

b) Auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergibt sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht. Das Landesarbeitsgericht hat dort nur festgestellt, daß der Kläger Mitglied einer Tarifvertragspartei und die Beklagte selbst Tarifvertragspartei ist. Daraus folgt aber nur, daß der als Rechtsgrundlage in Betracht kommende § 16 TV Ang-O und die Übergangsvorschriften dazu auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind. Nicht erkennbar wird jedoch, seit wann und wo der Kläger in der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 beschäftigt war, was genau aus dem Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes über die Erfassung des Klägers als Mitarbeiter des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) und deren Dauer zu entnehmen ist und auf welche Tatsachen die für den Ausschlußtatbestand darlegungs- und beweispflichtige Beklagte die Nichtberücksichtigung der vor dem 3. Oktober 1990 liegenden Zeiten im einzelnen stützt. Aus dem Urteil ergibt sich daher nicht, welchen maßgebenden Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Da das Landesarbeitsgericht ausdrücklich von einer Darstellung des Tatbestandes abgesehen hat, fehlt es auch an einer im Rahmen des § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässigen Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (vgl. dazu BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 – 7 AZR 92/87 – AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977).

2. Das Landesarbeitsgericht wird bei der erneuten Entscheidung die Grundsätze zu beachten haben, die der Senat zum Ausschlußtatbestand in Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O bzw. wortgleichen Bestimmungen in anderen Tarifverträgen entwickelt hat.

a) Eine „Tätigkeit für das MfS” im Sinne des Ausschlußtatbestandes ist jede bewußte und gewollte, zweckgerichtete Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR. Um eine solche Tätigkeit handelte es sich in der Regel nicht, wenn der Angestellte in Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung gegenüber seinem Arbeitgeber dem MfS Auskünfte über dienstliche Angelegenheiten erteilte. Diese Tätigkeit kam zwar letztlich dem MfS zugute, der Angestellte handelte jedoch nicht „für” das MfS, sondern „für” seinen Arbeitgeber. Hinsichtlich der näheren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Senatsurteil vom 28. Mai 1998 (– 6 AZR 618/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen) verwiesen.

b) Allein die Abgabe einer Verpflichtungserklärung zur informellen/inoffiziellen Mitarbeit erfüllt den Ausschlußtatbestand der Übergangsvorschrift Nr. 1 Buchst. a zu § 16 TV Ang-O. Dies hat der Senat durch Urteile vom 29. Januar 1998 (– 6 AZR 300/96 – und – 6 AZR 507/96 – beide zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, auf deren Begründungen verwiesen wird.

c) Sollte der Kläger im Sinne der Übergangsvorschrift Nr. 1 Buchst. a zu § 16 TV Ang-O für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen sein oder eine Verpflichtungserklärung zur informellen/inoffiziellen Mitarbeit abgegeben haben, wären nach der Rechtsprechung des Senats auch die davor zurückgelegten Dienstzeiten bei der Deutschen Post nach der Übergangsvorschrift Nr. 1 letzter Satz zu § 16 TV Ang-O, die insoweit nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen (Senatsurteil vom 29. Januar 1998 – 6 AZR 360/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl. auch Senatsurteil vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 632/95 – AP Nr. 9 zu § 19 BAT-O, zu II 3 der Gründe, auch zur Veröffentlichung vorgesehen).

3. Das Landesarbeitsgericht hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Reimann, Gebert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1127006

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