Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Sozialplans
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats: Parallelsache zum Verfahren – 10 AZR 886/95 – Urteil vom 28. August 1996
Normenkette
BetrVG 1972 § 112; BGB § 242; ZPO § 148
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 11. Oktober 1995 – 2 (4) Sa 826/95 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Abfindung aus einem Sozialplan.
Der Kläger war seit 1991 bei der Beklagten als Anlagentechniker beschäftigt.
Am 7. Februar 1994 beschloß die Beklagte, ihren in E. gelegenen Betrieb stillzulegen, in dem noch rund 350 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Sie vereinbarte am 11. Februar 1994 mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich, in dem es u.a. heißt:
„…
2. Betriebliche Maßnahmen
Aufgrund des am 07.02.1994 durch die Gesellschafter getroffenen Stillegungsbeschlusses werden folgende Maßnahmen eingeleitet:
2.1 Die Elektrolyse soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgefahren und stillgelegt werden.
2.2 Die Gießereiproduktion wird am 30.06.1994 eingestellt.
2.3 Sämtliche Restarbeiten sollen am 30.09.1994 enden.
3. Zustimmung des Betriebsrates
Der Betriebsrat stimmt den zuvor beschriebenen unternehmerischen Maßnahmen zu.
4. Personelle Maßnahmen/Sozialplan
…
Zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile gilt der Sozialplan vom 01.06.1993 analog.
…”
Dieser Sozialplan war 1993 anläßlich eines durchgeführten Personalabbaus zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat vereinbart worden.
In diesem Sozialplan heißt es u.a.:
1. Geltungsbereich
Dieser Sozialplan gilt für alle Mitarbeiter … soweit sie … im Zusammenhang mit der im Interessenausgleich (vom 01.06.1993) genannten Maßnahmen
…
durch Kündigung ausscheiden.
…
3. Abfindung
Mitarbeiter, … deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung … beendet wird, erhalten bei ihrem Ausscheiden eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG.
(Es folgen Bestimmungen über die Berechnung der Abfindung).
Am 21. Februar 1994 kündigte die Beklagte dem Kläger und allen Arbeitnehmern fristgemäß, dem Kläger zum 30. Juni 1994. In dem Kündigungsschreiben heißt es:
„…
hiermit sprechen wir Ihnen die ordentliche, betriebsbedingte Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses im Rahmen des Interessenausgleichs … und des weiterhin gültigen Sozialplanes … aus.”
Ende April 1994 fand sich ein neugegründetes Unternehmen, die A. GmbH, bereit, den stillzulegenden Betrieb der Beklagten mit allen Arbeitnehmern zu übernehmen. Die Übernahme erfolgte dann aufgrund eines notariellen Vertrages vom 20. Mai 1994 mit Wirkung zum 16. Mai 1994. Am 27. Mai 1994 kündigten sowohl die Beklagte als auch die A. GmbH mit Schreiben gegenüber dem Betriebsrat den Interessenausgleich und Sozialplan vom 11. Februar 1994 fristlos wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Schon am 20. Mai 1994 hatten die Beklagte und die A. GmbH durch ein Rundschreiben alle Arbeitnehmer der Beklagten wie folgt informiert:
„…
Was die meisten nicht für möglich gehalten haben, ist uns in gemeinsamen Bemühungen mit unserem Partner … doch gelungen
– die Erhaltung unseres Betriebes –
und damit die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sichern.
Rückwirkend zum 16. Mai 1994 hat die neugegründete A. GmbH die Geschäftsaktivitäten der L.-Gesellschaft mbH mit allen Rechten und Pflichten übernommen.
…
Der Stillegungsbeschluß ist damit hinfällig geworden. Ihr Arbeitsplatz ist gesichert. Es bedeutet aber auch, daß der Interessenausgleich und Sozialplan gegenstandslos geworden ist.”
Dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die A. GmbH hat zunächst ein Großteil der Arbeitnehmer der Beklagten widersprochen.
In Bezug auf die fristlose Kündigung von Interessenausgleich und Sozialplan machte der Betriebsrat der Beklagten ein Beschlußverfahren anhängig, in dem die Fortgeltung von Interessenausgleich und Sozialplan festgestellt werden sollte. Mit Rücksicht auf die dadurch heraufbeschworene Rechtsunsicherheit bot die A. GmbH allen Arbeitnehmern an, ihnen die Hälfte der nach dem Sozialplan zu berechnenden Abfindung gegen Verzicht auf weitere Ansprüche aus dem Sozialplan zu zahlen. Der Betriebsrat stimmte am 24. Juni 1994 einem solchen Verzicht der Arbeitnehmer auf mögliche Sozialplanansprüche zu.
Mit dieser Regelung erklärte sich der größte Teil der Arbeitnehmer der Beklagten einverstanden und wurde anschließend von der A. GmbH weiterbeschäftigt.
Der Kläger hatte ebenfalls dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A. GmbH widersprochen.
Das Angebot der A. GmbH, die Hälfte der Abfindung zu zahlen, nahm der Kläger nicht an. Er hatte schon am 20. Mai ein Anschlußarbeitsverhältnis bei der Firma … gefunden. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 1994 verweigerte die Beklagte die Zahlung einer Abfindung an den Kläger.
Dieser ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Zahlung der Abfindung nach dem Sozialplan, da ihm betriebsbedingt gekündigt worden sei. Die Geschäftsgrundlage des Sozialplans sei nicht entfallen. Auch ergebe sich sein Abfindungsanspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da die Beklagte noch am 31. Mai 1994 mit dem Arbeitnehmer K. einen Aufhebungsvertrag mit voller Sozialplanabfindung geschlossen habe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 13.227,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Juli 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Geschäftsgrundlage für den Interessenausgleich und Sozialplan sei entfallen. Wegen der Anpassung des Sozialplans sei mit dem Betriebsrat im Hinblick auf alle Arbeitnehmer verhandelt worden mit der Folge, daß ausgeschiedene Arbeitnehmer von den Leistungen aus dem Sozialplan ausgeschlossen seien. Der Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer K. sei bereits am 18. Mai 1994 geschlossen worden.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß trotz der Fortführung des Betriebes durch die A. GmbH die Geschäftsgrundlage für den Interessenausgleich und Sozialplan nicht entfallen sei. Voraussetzung für eine Anpassung des Sozialplans wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei u.a., daß der Beklagten die Erfüllung der Sozialplanansprüche nicht zugemutet werden könne. Davon könne nicht ausgegangen werden. Wenn die Beklagte bei Stillegung des Betriebes das Sozialplanvolumen von rund 23 Millionen DM hätte aufbringen können, müsse ihr dies erst recht nach einer Veräußerung des Betriebes möglich sein.
Mit dieser Begründung, die allein darauf abstellt, ob der Beklagten die Erfüllung der Sozialplanansprüche finanziell möglich und zumutbar war, kann der Wegfall der Geschäftsgrundlage für den vereinbarten Sozialplan, auf den der Kläger seinen Anspruch stützt, nicht verneint werden.
II.1. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß dem Kläger zunächst infolge der ihm gegenüber ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung durch die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, deren Höhe unter den Parteien unstreitig ist, entstanden ist. Nach Nr. 3 des Sozialplans vom 1. Juni 1993 erhalten Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Beklagten beendet wird, bei ihrem Ausscheiden eine Abfindung gemäß § 9, § 10 KSchG. Dieser Abfindungsanspruch, für den als Voraussetzung allein eine betriebsbedingte Kündigung durch die Beklagte normiert ist, entsteht mit dem Ausspruch der Kündigung (BAG Urteil vom 13. Dezember 1994 – 3 AZR 357/94 – AP Nr. 6 zu § 4 TVG Rationalisierungsschutz; Hansen, Der Entstehungszeitpunkt des Anspruchs auf eine Sozialplanabfindung, NZA 1985, 609, 611).
Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob dieser Anspruch dadurch, daß die Beklagte die geplante Betriebsänderung letztlich nicht durchgeführt und den Interessenausgleich und Sozialplan „wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage” fristlos gekündigt hat, in seinem Bestand berührt worden ist.
2. Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechtsfolgen die Regelungen eines Sozialplanes geändert werden können, hat sich der Senat in seiner Entscheidung vom 10. August 1994 (– 10 ABR 61/93 – AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt) befaßt.
a) Der Senat hat in dieser Entscheidung dahingestellt sein lassen, ob ein Sozialplan überhaupt außerordentlich gekündigt werden könne. Gehe man davon aus, so würden seine Regelungen doch nachwirken, bis sie durch eine neue Regelung ersetzt würden. Die ersetzende Regelung könne jedoch Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor dem Wirksamwerden der Kündigung entstanden sind, nicht zuungunsten der Arbeitnehmer abändern.
Die Beklagte hält diese Entscheidung für unzutreffend und eine fristlose Kündigung von Sozialplänen für zulässig. Diese Frage braucht auch im vorliegenden Verfahren nicht abschließend entschieden zu werden. Die Beklagte hat den Sozialplan erst fristlos gekündigt, nachdem den Arbeitnehmern des Betriebes bereits im Hinblick auf die geplante Betriebsstillegung betriebsbedingt gekündigt und daher – wie dargelegt – deren Abfindungsanspruch entstanden war. Durch eine fristlose Kündigung und eine sich daran anschließende Neuregelung hätte daher der bereits entstandene Anspruch des Klägers auf die Abfindung nicht mehr geändert oder ausgeschlossen werden können. An dieser Ansicht hält der Senat fest. Sie hat im Schrifttum Zustimmung gefunden (Plander, EWiR 1995, 331; Keßler, BB 1995, 1242; zustimmend insoweit auch Meyer, Abänderung von Sozialplanregelungen, NZA 1995, 974).
b) Der Senat hat in der genannten Entscheidung weiter ausgesprochen, daß dann, wenn die Geschäftsgrundlage eines Sozialplanes in Wegfall gerät und einem der Betriebspartner das Festhalten am Sozialplan mit dem bisherigen Inhalt nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann, dieser Sozialplan von den Betriebspartnern den veränderten tatsächlichen Umständen angepaßt werden könne. Die Anpassung könne derjenige Betriebspartner verlangen, der sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufe. Verweigere der andere Betriebspartner die Anpassung, so habe darüber die Einigungsstelle verbindlich zu entscheiden. Die nach einem Wegfall der Geschäftsgrundlage erfolgende anpassende Regelung könne auch schon entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer zu deren Ungunsten abändern.
Damit unterscheidet sich eine Änderung eines Sozialplanes, die infolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zulässig und notwendig wird, wesentlich von einer Neuregelung, die nach einer zulässigen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung des Sozialplans für die Zukunft getroffen wird. Beiden Rechtsinstituten, Kündigung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage, ist lediglich gemeinsam, daß durch sie der bisherige Sozialplan nicht von Anfang an beseitigt wird und als Anspruchsgrundlage ausscheidet, sondern an seine Stelle eine Neuregelung treten muß. Sie unterscheiden sich dahin, daß im Falle der Kündigung die Neuregelung nur für die Zukunft Wirksamkeit entfalten kann, im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage jedoch auch rückwirkend bereits entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer aufgehoben oder in ihrem Inhalt geändert werden können.
3. Im vorliegenden Fall ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Geschäftsgrundlage für den Sozialplan weggefallen.
a) Bei Abschluß des Interessenausgleichs am 11. Februar 1994 gingen die Betriebspartner davon aus, daß der Betrieb der Beklagten stillgelegt wird. Es heißt im Interessenausgleich einleitend:
„Die anhaltende schwierige Lage in der Aluminiumindustrie und auf den Absatzmärkten hat die Geschäftsführung der L. veranlaßt, … die zur Stillegung des Unternehmens erforderlichen Schritte einzuleiten. Von der geplanten Maßnahme sind alle Mitarbeiter der L. betroffen.”
Die geplanten betrieblichen Maßnahmen werden wie folgt umschrieben:
„Die Elektrolyse soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgefahren und stillgelegt werden.
Die Gießereiproduktion wird am 30.06.1994 eingestellt.
Sämtliche Restarbeiten sollen am 30.09.1994 enden.”
Weiter heißt es:
„Bedingt durch die Gesamtstillegung … entfallen alle Arbeitsplätze.
Der Personalabbau erfolgt … unter Einhaltung der für die Mitarbeiter günstigsten … Kündigungsfristen.
Zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile gilt der Sozialplan vom 01.06.1993 analog.”
Der Betriebsrat hat den beschriebenen unternehmerischen Maßnahmen im Interessenausgleich zugestimmt.
Der für anwendbar erklärte Sozialplan aus dem Jahre 1963, der anläßlich einer früheren Betriebseinschränkung vereinbart worden war, sieht für alle betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer die Zahlung von Abfindungen vor, die nach einer bestimmten Formel errechnet werden. Die Zahlung der Abfindungen ist nicht davon abhängig gemacht, ob und wann der Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsplatz findet oder ob ihm eventuell ein solcher sogar von der Beklagten angeboten wird. Damit gingen die Betriebspartner davon aus, daß alle von der Stillegung des Betriebes betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren und unter Umständen kürzere oder längere Zeit arbeitslos sein werden. Als Ausgleich für diesen erwarteten Verlust des Arbeitsplatzes sollte die Abfindung gezahlt werden.
Dadurch, daß die A. GmbH im Mai 1994 den Betrieb erwarb und sich bereit erklärte, diesen fortzuführen und alle Arbeitnehmer des Betriebes zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, trat eine grundsätzlich andere Lage ein.
Zwar wurden durch den Erwerb des Betriebes die von der Beklagten bereits ausgesprochenen Kündigungen der Arbeitsverhältnisse nicht hinfällig. Die Arbeitsverhältnisse gingen vielmehr gemäß § 613 a BGB nur im gekündigten Zustand auf die A. GmbH über. Diese hat sich aber allen Arbeitnehmern gegenüber bereit erklärt, diese zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, d.h. im Ergebnis die Kündigungen als nicht ausgesprochen zu betrachten. Damit hatte die Beklagte zusammen mit der A. GmbH alles ihr mögliche getan, was sie, nachdem die Kündigungen einmal ausgesprochen waren, noch tun konnte, um die Fortführung des Betriebes zu ermöglichen und den hier beschäftigten Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu erhalten.
Durch diese Vorgänge hat sich eine wesentliche Voraussetzung des von den Betriebspartnern vereinbarten Sozialplanes grundlegend geändert. Während diese zunächst davon ausgegangen waren, daß alle Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren würden, bestand nunmehr die Möglichkeit, diesen Arbeitsplatz zu den bisherigen Arbeitsbedingungen trotz der ausgesprochenen Kündigungen zu behalten.
Unter diesen Umständen ist es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht zuzumuten, die für den Verlust des Arbeitsplatzes gedachten Abfindungen noch zu zahlen, nachdem sie alles ihr mögliche dafür getan hatte, daß es nicht zum Verlust des Arbeitsplatzes, vielmehr zur unmittelbar anschließenden Fortbeschäftigung zu den gleichen Arbeitsbedingungen kommen konnte. Darauf, ob die Beklagte nach der Veräußerung des Betriebes erst recht in der Lage war, das Sozialplanvolumen von rund 23 Millionen DM aufzubringen – wie das Landesarbeitsgericht meint –, kommt es unter diesen Umständen nicht an. Sozialplanleistungen dienen nach § 112 Abs. 1 BetrVG dem Ausgleich oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen. Sind infolge grundsätzlich veränderter Umstände solche Nachteile nicht oder nicht mehr im erwarteten Umfang zu erwarten oder doch zu vermeiden, so ist dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, die ursprünglich vorgesehenen Sozialplanleistungen zu erbringen.
b) Durch die geschilderten Vorgänge ist der vereinbarte Sozialplan entgegen der Ansicht der Beklagten nicht völlig „hinfällig” geworden.
Die Beklagte hat nicht von einer geplanten Betriebsänderung, hier der geplanten Betriebsstillegung, Abstand genommen, vielmehr mit deren Durchführung begonnen, indem sie allen Arbeitnehmern fristgemäß kündigte. Diese Kündigung konnte die Beklagte nicht einseitig zurücknehmen. Aufgrund der ausgesprochenen Kündigungen verloren die Arbeitnehmer zunächst ihren Arbeitsplatz. Die Weiterbeschäftigung bei der A. GmbH setzte den Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages voraus. Damit kam es zunächst zu dem typischen wirtschaftlichen Nachteil einer Betriebsstillegung, nämlich zum Verlust des Arbeitsplatzes, der durch die vereinbarten Abfindungen ausgeglichen werden sollte.
Diese Nachteile ließen sich zwar vermeiden, wenn das Angebot der A. GmbH angenommen würde, zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten. Die Arbeitnehmer der Beklagten waren jedoch aufgrund der ausgesprochenen Kündigungen zur Annahme dieses Angebotes nicht verpflichtet. Sie konnten im einzelnen beachtliche und vernünftige Gründe haben, den Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages mit der A. GmbH abzulehnen, etwa weil sie aufgrund der bereits ausgesprochenen Kündigung ihr künftiges berufliches Leben in Erwartung der im Sozialplan ausgeworfenen Abfindung anders geplant hatten. Von daher ist nicht auszuschließen, daß Arbeitnehmern der Beklagten infolge der von dieser geplanten und zunächst begonnen Betriebsänderung doch wirtschaftliche Nachteile entstanden sind, die durch Sozialplanleistungen auszugleichen oder zu mildern sind.
Damit ist nicht der Sozialplan als solcher, sondern lediglich dessen Geschäftsgrundlage entfallen. Da das Landesarbeitsgericht dies verkannt hat, war seine Entscheidung aufzuheben.
4. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden.
Ist die Geschäftsgrundlage eines Sozialplanes weggefallen, so ist dieser – wie dargelegt – den veränderten tatsächlichen Umständen anzupassen. Das Landesarbeitsgericht hat – von seinem Standpunkt aus zu Recht – keine Feststellungen darüber getroffen, ob und ggfs. mit welchem Ergebnis die Betriebspartner eine Anpassung des Sozialplanes schon vorgenommen haben. Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe in die an die Kündigung des Sozialplanes anschließenden Verhandlungen mit dem Betriebsrat alle Arbeitnehmer einbezogen. Das mag zutreffen. Diese Verhandlungen haben aber nicht zu einer Betriebsvereinbarung geführt, die etwas über die Ansprüche der ausgeschiedenen Arbeitnehmer aussagt. Die Betriebsvereinbarung Nr. 1/94 vom 22. Juni 1994 bezieht sich ausschließlich auf die Mitarbeiter, die das Weiterbeschäftigungsangebot der A. GmbH angenommen haben. Auch die Protokollnotiz Nr. 7 zum Interessenausgleich und zum Sozialplan vom 11. Februar 1994 bzw. 1. Juni 1993 bezieht sich nur auf die Mitarbeiter, die in die A. GmbH „übergegangen” sind. Nur für diese stimmte der Betriebsrat einem Verzicht auf 50 % ihrer Abfindungen aus dem Sozialplan vom 1. Juni 1993 zu.
Die Beklagte hat weiter vorgetragen, sie habe die Einigungsstelle angerufen, da der Betriebsrat Verhandlungen über eine Anpassung des Sozialplanes abgelehnt habe. Das Einigungsstellenverfahren sei dann aber nicht weiterbetrieben worden, da der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits abgewartet werden solle. Der Kläger hat dies bestritten. Das Landesarbeitsgericht wird dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
Der Umstand, daß die Beklagte auch in Kenntnis der Entscheidung des Senats vom 10. August 1994 eine Anpassung des Sozialplanes nicht weiter betrieben hat, läßt für sich allein den Schluß nicht zu, die Beklagte halte eine solche Anpassung nicht mehr für erforderlich. Über die Frage, ob überhaupt die Geschäftsgrundlage des Sozialplanes weggefallen ist, waren nicht nur der Betriebsrat und die Beklagte unterschiedlicher Ansicht, vielmehr ist darüber auch im vorliegenden und weiteren gleichgelagerten Verfahren gestritten worden. Noch das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Geschäftsgrundlage des Sozialplanes sei nicht entfallen. Von daher war es sinnvoll, das Anpassungsverfahren nicht weiter zu betreiben. Die Einschaltung einer Einigungsstelle erübrigt sich u.U., wenn nunmehr auch der Betriebsrat von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeht.
Solange es zu einem Abschluß des Anpassungsverfahrens nicht gekommen ist, kann über den Anspruch des Klägers nicht abschließend entschieden werden. Das Verfahren wird daher ggfs. in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zu dessen Abschluß auszusetzen sein. Der Anspruch des Klägers ist vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig. Die Rechtslage ist die gleiche wie in einem Fall, in dem die Betriebspartner in einem Beschlußverfahren über die Wirksamkeit eines Sozialplanes streiten, der von einem der Betriebspartner angefochten worden ist. Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer sind in ihrem Inhalt und Bestand von dem von den Betriebspartnern vereinbarten Sozialplan abhängig (vgl. Urteil des Senats vom 17. Februar 1992 – 10 AZR 448/91 – BAGE 69, 367 = AP Nr. 1 zu § 84 ArbGG 1979).
Die Gerichte für Arbeitssachen können die Anpassung nicht selbst vornehmen. Die Entscheidung darüber, ob und welche durch eine begonnene Betriebsänderung begründeten wirtschaftlichen Nachteil durch welche Leistungen ausgeglichen oder gemildert werden sollen, obliegt allein den Betriebspartnern.
Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Unterschriften
Der Vorsitzende Richter Dr.h.c. Matthes ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert., Hauck, Mikosch, Hauck, Burger, Tirre
Fundstellen