Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung eines Pflegers in Behinderteninternat
Leitsatz (amtlich)
Eine ausgebildete Krankenschwester/Krankenpfleger, die in einem Heim für Schwer- und Schwerstbehinderte beschäftigt wird und die überwiegend mit pflegerischen und medizinischen Hilfsaufgeben betraut ist, ist nach der Anlage 10b zum Tarifvertrag des Deutschen Roten Kreuzes nicht als Erzieher(in), sondern als Krankenschwester bzw. Krankenpfleger einzugruppieren.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: DRK (Tarifvertrag über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), §§ 21-22; TVG Anlage 10b Vergütungsgruppe K 5a Fallgruppe 7; TVG § 1 Auslegung
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 17.04.1991; Aktenzeichen 5 Sa 34/91) |
ArbG Kiel (Urteil vom 29.11.1990; Aktenzeichen 1 C Ca 1636/90) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 17. April 1991 – 5 Sa 34/91 – aufgehoben.
- Die Berufung des beklagten Vereins gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 29. November 1990 – 1c Ca 1636/90 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß Zinsen nur aus dem sich aus 2.303,85 DM brutto ergebenden Nettobetrag geschuldet werden.
- Der beklagte Verein hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten im wesentlichen darüber, ob der Kläger als Krankenpfleger oder als Angestellter im Erziehungsdienst einzugruppieren ist.
Der Kläger ist gelernter Krankenpfleger. Nach Ablegung der entsprechenden Prüfung wurde ihm durch Urkunde vom 1. Oktober 1976 die Erlaubnis erteilt, die Krankenpflege unter der Berufsbezeichnung “Krankenpfleger” auszuüben. Seit dem 16. Juni 1978 ist der Kläger in dem Internat für Körperbehinderte des Beklagten in R… beschäftigt. In diesem Internat sind körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche untergebracht, die noch schulpflichtig sind.
Nach dem Arbeitsvertrag vom 16. Juni 1978 gelten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsbedingungen für die Angestellten und Arbeiter des Deutschen Roten Kreuzes. Der Kläger wurde zunächst in die Vergütungsgruppe K… 3 eingruppiert und auch als Krankenpfleger beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. Mai 1980 wurde der Kläger in die Gruppe K… 4 (Fallgruppe 1) höhergruppiert. In der Zeit vom 1. Juni 1981 bis 31. Dezember 1981 wurde er wegen der Ausübung einer höherwertigen Tätigkeit (Pflegedienstleitung) von K… 4 nach K… 5 höhergruppiert. Aus diesem Anlaß wurde von der Leitung des Internats folgende Stellungnahme abgegeben:
“Herr P… ist seit dem 15.06.78 als Krankenpfleger im Internat für Körperbehinderte in R… beschäftigt. Am 02.10.80 wurde er von der Internatsleitung mit der Vertretung der Pflegedienstleitung beauftragt.
Herr P… erfüllte dieses neue Aufgabengebiet sofort völlig selbständig. Sehr gewissenhaft und umsichtig führte er die vom Arzt angeordnete Pflege bzw. Behandlung aus und achtete darauf, daß die jeweilige Krankenschwester in der Gruppe diese Aufgaben ordnungsgemäß erledigte.
Auch in angespannten Situationen (z. B. Verletzung eines Kindes) handelte Herr P… ruhig und überlegt.
Aufgrund seiner gesamten Arbeitshaltung befürworte ich die beantragte Höhergruppierung.”
Auch in einem vor dem Arbeitsgericht Kiel im Jahr 1983 geführten Rechtsstreit wegen Urlaubsgewährung wurde der Kläger von dem Beklagten als “Krankenpfleger” bezeichnet.
Mit Nachtrag vom 13. April 1988 zum Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien ab 1. Oktober 1987 die Eingruppierung des Klägers als “Angestellter in der Tätigkeit von Erziehern”. Er erhielt eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe VIb (Fallgruppe 37b) der DRK-Arbeitsbedingungen. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1989 wurde er im Wege des Bewährungsaufstiegs in die Vergütungsgruppe Vc (Fallgruppe 25) eingruppiert.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 1989 beantragte der Kläger im Hinblick auf “die Tarifsituation in der Krankenpflege ab August 1989” wieder als Krankenpfleger eingruppiert zu werden. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 15. Januar 1990 ab. Darüber hinaus beantragt der Kläger am 25. Januar 1990 die Zahlung einer Schichtzulage in Höhe von 70,-- DM monatlich und Zeitzuschlag für Arbeit an Samstagen. Auch dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 6. März 1990 ab.
Unstreitig hat sich die Tätigkeit des Klägers seit Beginn des Arbeitsverhältnisses in keinem Punkt geändert. Er betreut zusammen mit sieben weiteren Mitarbeitern eine Gruppe von neun teilweise mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen. Dabei gehört zu seinen Aufgaben u.a. Bereitstellung und Verabreichung von Medikamenten, An- und Ausziehen, Beaufsichtigen beim An- und Ausziehen, Waschen, Waschtraining, Füttern, Eßtraining, Windeln, Hilfestellung beim Toilettengang, Toilettentraining, Verständigungstraining, Beaufsichtigung, Anbinden, Mobilisation bzw. Kontrakturenprophylaxe, Nagel- und Ohrenpflege, Begleitung auf den Schulwegen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine Tätigkeit sei als die eines Krankenpflegers einzustufen. Die ihm anvertrauten Kinder seien sämtlich krankenpflegebedürftig und würden ständig ärztlich betreut. Er sei der einzige Krankenpfleger in der Gruppe der acht Betreuer; von den übrigen Mitarbeitern sei einer Sozialpädagoge, die anderen Erzieher. Am Unterricht oder der Einzeltherapie nehme er nicht teil und beaufsichtige auch nicht in den Pausen. Dies sei Aufgabe der Lehrkräfte. Zwar seien die im Internat untergebrachten Kinder noch sonderschulpflichtig, doch sei er in der zugehörigen Sonderschule gerade nicht tätig, sondern betreue die Kinder nur außerhalb der Schulzeit. Er nehme auch nicht an den Sitzungen der Schul- und Internatsleitung teil, sondern werde nur bei Besprechungen der Pflegedienstleitung und Einzelfallbesprechung aus pflegerischer Sicht zugezogen.
Die Voraussetzungen der Schichtzulage nach Teil A der Anlage 10b DRK-Arbeitsbedingungen seien gegeben, weil er im Pflegedienst in einer Anstalt tätig sei, in der die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- festzustellen, daß der Beklagte Verein verpflichtet ist, den Kläger ab 1. August 1989 nach Vergütungsgruppe K 5a nach dem Tarifvertrag über die Arbeitsbedingungen für Angestellte des DRK zu vergüten,
- festzustellen, daß der beklagte Verein verpflichtet ist, dem Kläger ab 1. August 1989 die Schichtzulage in Höhe von 70,-- DM monatlich gem. dem § 6 der Anlage 1a des Tarifvertrages über die Arbeitsbedingungen für Angestellte des DRK zu vergüten,
- den beklagten Verein zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 2.303,85 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit Klagzustellung (11. Oktober 1990) zu zahlen.
Der beklagte Verein hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat gemeint, die Aufgabe des Klägers sei nicht Krankenpflege, sondern Pflegeförderung. Das Schwergewicht seiner Tätigkeit liege auf der Erziehungsarbeit und nicht der Krankenpflege. Das Behindertenzentrum werde nach §§ 39, 40 BSHG finanziert. Die im Internat untergebrachten Kinder seien gemäß §§ 40 ff. Schleswig-Holstein SchulG i. d. F. vom 2. August 1990 (GVOBl. S. 451) schulpflichtig.
Ein Anspruch auf Schichtzulage sei nicht gegeben, weil es hierfür nicht auf die ärztliche Betreuung, sondern auf den Zweck der Anstalten usw. ankomme. Das Internat diene aber nicht der Krankenpflege, sondern der Erziehung, Fürsorge und Betreuung der dort Untergebrachten. Selbst wenn diese eine ärztliche Behandlung erhielten, sei dies für die Zweckbestimmung unerheblich.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist begründet. Die Tätigkeit des Klägers ist die eines Krankenpflegers.
1. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Bestimungen des Tarifvertrages über die Arbeitsbedingungen für Angestellte des Deutschen Roten Kreuzes mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Überdies ist deren Anwendung einzelvertraglich vereinbart. Damit kommt es darauf an, ob mindestens in der Hälfte der Arbeitszeit des Klägers Arbeitsvorgänge anfallen, die den Merkmalen der von ihm begehrten VergGr. K 5a der DRK-Arbeitsbedingungen entsprechen (§ 22 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1).
Die DRK-Arbeitsbedingungen sind aus dem BAT entwickelt worden. Wegen des Begriffs Arbeitsvorgang ist von der von der Senatsrechtsprechung hierzu entwickelten Definition auszugehen. Danach ist unter Arbeitsvorgang eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (BAGE 51, 356, 360 = AP Nr. 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAGE 51, 282, 287 = AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAGE 51, 59, 65 = AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975, jeweils m.w.N.).
Das Landesarbeitsgericht hat die Tätigkeit als einen einzigen großen Arbeitsvorgang angesehen. Dem ist zuzustimmen. Sämtliche Tätigkeiten des Klägers dienen dem Arbeitsergebnis: Betreuung der in seiner Gruppe untergebrachten Jugendlichen. Diese Betreuungstätigkeit übt der Kläger ununterbrochen während der gesamten Arbeitszeit aus. Eine Aufspaltung in die im einzelnen ausgeübten Tätigkeiten würde zu einer Aufspaltung des einheitlichen Arbeitsergebnisses führen, sie sind deshalb tatsächlich nicht trennbar.
2. Nach § 21 Abs. 1 DRK-Arbeitsbedingungen ist “maßgebend für die Vergütung eines Mitarbeiters die jeweilige Eingruppierung, die im Arbeitsvertrag auf der Grundlage der Tätigkeitsmerkmale (Anlage 10)” erfolgt.
a) Die Anlage 10 ist untergliedert in die Anlagen 10a bis 10d. Die Anlage 10a enthält die allgemeinen Vergütungsmerkmale für die Vergütungsgruppen I bis X, die Anlage 10b die Tätigkeitsmerkmale für die Vergütungsgruppen K… 1 bis K… 12, die Anlage 10c die Zulagen für Pflegepersonen und schließlich die Anlage 10d die Tätigkeitsmerkmale für Arbeiter. Für die Eingruppierung des Klägers scheiden die Anlagen 10c und 10d von vornherein aus. Die Anlage 10c enthält keine Gruppenmerkmale. Der Kläger unterfällt nicht der Anlage 10d, da er als Erzieher oder Krankenpfleger nicht Arbeiter, sondern Angestellter ist.
b) Die Anlage 10b regelt die Tätigkeitsmerkmale für die Mitarbeiter im stationären Pflegedienst. Der Abschnitt A dieser Anlage enthält die Tätigkeitsmerkmale für das Pflegepersonal, das unter die Anlage 1 fällt, sofern die in den Anstalten, Heimen und Einrichtungen zu betreuenden Personen in ärztlicher Behandlung stehen. Dagegen unterfällt dem Abschnitt B das Pflegepersonal, das unter die Anlage 1 fällt, sofern die in den Anstalten, Heimen und Einrichtungen zu betreuenden Personen nicht in ärztlicher Behandlung bzw. nicht überwiegend krankenpflegebedürftig sind. Die Abschnitte A und B unterscheiden sich mithin dadurch, ob die Pflegebefohlenen ärztlicher Überwachung bedürfen oder nicht. Die vom Kläger zu betreuenden Personen stehen in ärztlicher Behandlung (s. unter II 2), so daß Abschnitt A zur Anwendung kommt.
c) Der Kläger ist in einer einem Pflegeheim ähnlichen Einrichtung tätig.
§ 1 der Anlage 1 hat folgenden Wortlaut:
Für Mitarbeiter – ausgenommen Ärzte – in Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten, Kuranstalten und Heimstätten, Entbindungsanstalten, Säuglings- und Kinderheimen, Müttergenesungsheimen, Krippen, Alten- und Pflegeheimen, Gemeindepflegestationen und ähnlichen Heimen und Einrichtungen gelten die Arbeitsbedingungen nach diesem Tarifvertrag, soweit in dieser Sonderregelung nichts anderes bestimmt ist.
Die dazugehörige Anmerkung hat folgenden Wortlaut:
Dazu gehören auch die Angestellten, die in Anstalten, Heimen, Einrichtungen usw. (vgl. § 1 der Anlage 1) beschäftigt sind, in denen eine ärztliche Eingangs-, Zwischen- und Schlußuntersuchung stattfindet (Kuranstalten und Kurheime), sowie die Angestellten in Alters- und Pflegeheimen mit überwiegend krankenpflegebedürftigen Bewohnern.
Ein Heim ist immer dann gegeben, wenn es die Wohnstätte für einen bestimmten Personenkreis ist. Aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifnorm ergibt sich, daß sie nach ihrem Zweck auf die Pflege von Hilfsbedürftigen zugeschnitten sein muß (BAG Urteil vom 20. Juni 1990 – 4 AZR 91/90 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Dies ist aber bei dem Internat für Körperbehinderte des Beklagten in R… der Fall.
Das Landesarbeitsgericht hat nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers festgestellt, daß die in dem Internat untergebrachten Kinder und Jugendlichen alle behindert, zum Teil schwerstbehindert sind. Sie bedürfen der ständigen Pflege, Überwachung und Fürsorge. Der Kläger ist darüber hinaus verantwortlich für die Verabreichung der ärztlich verordneten Medikamente und therapeutischen Maßnahmen. Die Unterbringung der Behinderten dient damit der Behandlung ihrer Krankheiten, also ihrer irregulären Körper- oder Geistesverfassung, die von Ärzten verordnet und geleitet wird.
Dieser Auffassung steht nicht entgegen, daß die Behinderten noch sonderschulpflichtig sind und eine von dem Internat räumlich getrennte Sonderschule besuchen, in der der Kläger nicht tätig wird. Die Sonderschule ist nicht Bestandteil des Internats. Insoweit liegen wesentliche Unterschiede zu beschützenden Werkstätten vor.
3. Der Kläger hat Anspruch auf Eingruppierung nach VergGr. K 5a.
a) Für die Eingruppierung des Klägers kommen nachfolgende Vergütungsgruppen in Betracht.
K 4 (Fallgruppe 1)
Krankenschwestern mit entsprechender Tätigkeit.
…
K 5 (Fallgruppe 1)
Krankenschwestern mit entsprechender Tätigkeit nach zweijähriger Tätigkeit in VergGr. K 4 Fallgruppe 1
…
K 5a (Fallgruppe 7)
Krankenschwestern der VergGr. K 5 Fallgruppen 1 bis 19 nach vierjähriger Bewährung in einer dieser Fallgruppen, frühestens jedoch nach sechsjähriger Berufstätigkeit nach Erlangung der staatlichen Erlaubnis.
…
Dabei werden nach der Vorbemerkung zu den Abschnitten A und B der Anlage 10b von dem Begriff der Krankenschwester auch Krankenpfleger erfaßt.
b) Der Kläger ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts staatlich geprüfter Krankenpfleger.
c) Der Kläger verrichtet einem Krankenpfleger bzw. einer Krankenschwester entsprechende Tätigkeiten.
Die Tarifvertragsparteien haben nicht im einzelnen erläutert, was sie unter “entsprechender Tätigkeit” verstehen.
Die Frage ist daher durch Auslegung der Tarifnorm zu entscheiden. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (BAGE 42, 86 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, aaO; BAGE 42, 244, 254 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II; BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird unter “Krankenschwester” eine nach “Ausbildung und staatlicher Prüfung beruflich in der Krankenpflege” tätige Person verstanden, die in “Krankenhäusern, Heimen, Ambulanzen oder Privathäusern Kranke betreut, nach ärztlicher Anweisung Medikamente verteilt, bei operativen Eingriffen, Narkosen, Untersuchungen assistiert usw.” (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982, S. 296, Stichwort: Krankenschwester). Nach Duden (Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, S. 1572) ist Krankenschwester die “weibliche Fachkraft für Krankenpflege” und “Krankenpflege” ihrerseits die Gesamtheit aller Maßnahmen, die “zur Pflege und Betreuung Kranker nötig sind”. Nach Meyers Enzyklopädischem Lexikon (1975, S. 300) arbeitet die Krankenschwester “in Krankenhäusern, Sanatorien, Heimen, Heil- und Pflegeanstalten…” und bedeutet Krankenpflege “sämtliche von geschultem oder ungeschultem Personal durchgeführte Pflegemaßnahmen am Kranken, z.B. Körperpflege, Umbetten, Fiebermessen, Verabreichen von Medikamenten”.
Nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe der Krankenpflege gehört zum Ausbildungsinhalt eines Krankenpflegers:
- Berufs-, Gesetzes- und Staatsbürgerkunde
- Hygiene und medizinische Mikrobiologie
- Biologie, Anatomie und Physiologie
- Fachbezogene Physik und Chemie
- Arzneimittellehre
- Allgemeine und spezielle Krankheitslehre einschließlich Vorsorge, Diagnostik, Therapie und Epidemiologie
- Grundlagen der Psychologie, Soziologie und Pädagogik
- Krankenpflege
- Grundlagen der Rehabilitation
- Organisation und Dokumentation im Krankenhaus
- Sprache und Schrifttum
- erste Hilfe
(vgl. Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege vom 16. Oktober 1985, BGBl. I S. 1973).
Dagegen werden unter dem Begriff des Erziehers, der im Zusammenhang mit Regelungen des BAT nur berufskundlich zu verstehen ist (vgl. BAG Urteil vom 18. Mai 1983 – 4 AZR 539/80 – AP Nr. 74 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.), solche Personen verstanden, die in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere in Kinderkrippen, Kindergärten, Vorklassen, Horten, Kindererholungsheimen, Schulinternaten, auch Kinderstationen von Kliniken, Kinderdörfern, auch entsprechenden Einrichtungen für behinderte Kinder, Kinder sozialpädagogisch und fürsorgerisch-bewahrend zu betreuen haben (vgl. Blätter für Berufskunde, 2-IV A 20 Erzieher S. 1, 8 ff. und 14).
d) Der Kläger ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien als Krankenpfleger tätig. Er ist entsprechend zu vergüten.
Die vom Kläger zu betreuenden Kinder müssen nach der Tätigkeitsbeschreibung wegen ihrer krankhaften Behinderungen stets gepflegt werden. So erhält Ca., 14 Jahre, Medikamente gegen ständigen Speichelfluß, muß in einer Karre oder im Bett fixiert werden und benötigt ständig Hilfe oder Unterstützung bei alltäglichen Verrichtungen wie Waschen, Toilettengang und Nahrungsaufnahme. D., 9 Jahre, benötigt Hilfe beim Umsetzen vom Rollstuhl auf die Toilette oder auf das Bett. Y., 7 Jahre, erhält Medikamente gegen starken Speichelfluß, ist zu windeln, zu waschen, zu füttern und zu fixieren. C., 17 Jahre, muß vollständig gewaschen sowie an- und ausgezogen werden, erhält Medikamente, ist zu füttern und auf die Toilette umzusetzen. W., 16 Jahre, ist, wie sich aus der Beschreibung ergibt, hilflos und voll pflegebedürftig, ebenso wie P., 16 Jahre. Zusammenfassend ergibt sich daher aus den von dem Beklagten nicht bestrittenen Darstellungen, daß die krankenpflegerische Tätigkeit des Klägers bei weitem überwiegt. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger im Zusammenhang mit der pflegerischen Tätigkeit den geistig Behinderten bestimmte Grundfertigkeiten zu vermitteln versucht.
5. Damit ist der Kläger als Krankenpfleger tätig und sein Feststellungsantrag, da die übrigen Voraussetzungen – vierjährige Bewährung in der VergGr. K 5 Fallgruppe 1 bzw. zuvor zweijährige Tätigkeit in der VergGr. K 4 Fallgruppe 1 gegeben sind – begründet.
II.1. Der Kläger hat auch Anspruch auf die von ihm geltend gemachte Zulage nach § 6 der Anlage 1 DRK-Arbeitsbedingungen in der ab 1. August 1989 gültigen Fassung in Höhe von 70,-- DM monatlich.
Diese Tarifbestimmung hat den folgenden Wortlaut, soweit es hier interessiert:
§ 6
Zulagen
(1) Die Angestellten im Pflegedienst einer Anstalt, Einrichtung, eines Heimes usw. (vgl. § 1 der Anlage 1), in welchem die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen, erhalten eine Wechselschicht- oder Schichtzulage nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß es sich bei der Arbeitsstätte des Klägers um eine “ähnliche Einrichtung” im Sinne von § 1 der Anlage 1 handelt. Der Kläger ist im Pflegedienst des Internats beschäftigt. Die in dem Internat untergebrachten Kinder und Jugendlichen, die vom Kläger betreut werden, stehen auch in ärztlicher Behandlung.
Nach dem Tarifwortlaut und nach seinem Gesamtzusammenhang ist es nicht erforderlich, daß sich die in der Einrichtung betreuten Personen in ständiger ärztlicher Behandlung befinden oder von unmittelbar bei der Einrichtung beschäftigten Ärzten behandelt werden. Nach dem Tarifwortlaut ist es auch nicht erforderlich, daß alleiniger Zweck der Unterbringung der betreuten Personen deren ärztliche Behandlung sein muß. Vielmehr muß allein eine ärztliche Behandlung stattfinden.
Aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergibt sich, daß in dem Internat ausschließlich Kinder untergebracht sind, denen ständig Medikamente verabreicht werden oder sonstige nur aufgrund von ärztlichen Anordnungen mögliche Dienste geleistet werden. Die Tätigkeit der beschäftigten Betreuer kann auch schon aufgrund der Krankheitsbilder der Untergebrachten nur in ständiger Zusammenarbeit mit Ärzten erfolgen, da die einzelnen Therapiemaßnahmen nur aufgrund ärztlicher Diagnosen erfolgen können.
Da die sonstigen Voraussetzungen einer Schichtzulage nach § 6 Abs. 3b, 4b der Anlage 1 unstreitig gegeben sind, ist auch der Feststellungsantrag zu 2) begründet.
III. Nachdem die Feststellungsanträge zu 1) und 2) begründet sind, ist auch der Zahlungsantrag wegen des Differenzbetrages in Höhe von 2.303,85 DM, der im übrigen unstreitig ist, begründet, hinsichtlich der Zinsen allerdings nur aus dem sich ergebenden Nettobetrag (ständige Rechtsprechung des Senats).
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Dr. Etzel, Wiese, Schamann
Für Richter Schneider, der sich im Urlaub befindet
Schaub
Fundstellen
NZA 1992, 663 |
RdA 1992, 222 |