Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungszusage aufgrund betrieblicher Übung
Leitsatz (redaktionell)
Eine betriebliche Übung, wonach alle Arbeitnehmer innerhalb bestimmter Fristen übereinstimmende schriftliche Versorgungszusagen erhalten, begründet eine Versorgungsanwartschaft und setzt die Unverfallbarkeitsfristen des § 1 Abs 1 BetrAVG in Lauf. Ob und wann die schriftliche Zusage im Einzelfall erteilt wird, ist unerheblich.
Orientierungssatz
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers vertragliche Ansprüche auf eine Leistung begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten schließen dürfen, ihnen werde die Leistung auch künftig gewährt.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242; BetrAVG § 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 05.05.1983; Aktenzeichen 7 Sa 11/82) |
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 08.10.1981; Aktenzeichen 6 Ca 355/80) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung hat.
Der Kläger war vom 24. Januar 1967 bis zum 31. Mai 1980 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Bauindustrie, beschäftigt. Die Beklagte erteilte ihren Mitarbeitern nach fünf- bis zehnjähriger Dienstzeit schriftliche Versorgungszusagen. Ob alle Mitarbeiter nach längstens zehn Dienstjahren eine Zusage erhielten, ist streitig. In den schriftlichen Zusagen hieß es:
"In Anerkennung der von Ihnen geleisteten Dienste
und in dem Bestreben, die Verbundenheit mit unserem
Unternehmen weiter zu fördern, sagen wir Ihnen hiermit
eine Altersversorgung nebst Hinterbliebenengeld nach
Maßgabe unserer Versorgungsordnung vom 29. September
1962 zu, auf die im Rahmen der Bestimmungen dieser Ver-
sorgungsordnung Rechtsanspruch besteht."
Die erwähnte Versorgungsordnung vom 29. September 1962 lautete auszugsweise wie folgt:
"1. Versorgungsleistungen
---------------------
Die Firma gewährt Angestellten und Arbeitern,
die im Besitz einer Versorgungszusage sind
(Versorgungsberechtigte), nach Maßgabe dieser
Versorgungsordnung ein Altersversorgungs- und
Hinterbliebenengeld. ...
2. Versorgungszusage
-----------------
Eine Versorgungszusage können alle Angestellten
und Arbeiter der Firma erhalten, die das 55.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Ver-
sorgungszusage bedarf der Schriftform und muß
einen Hinweis auf diese Versorgungsordnung ent-
halten.
3. Voraussetzungen der Altersrente
-------------------------------
Altersrente erhalten Versorgungsberechtigte, die
a) vom Erhalt der Versorgungszusage bis zu dem
in lit. b) bezeichneten Zeitpunkt ununter-
brochen, mindestens aber 10 Jahre vom Beginn
des Dienstverhältnisses an gerechnet, in den
Diensten der Firma gestanden haben,
b) unmittelbar aus den Diensten der Firma ent-
weder altershalber mit oder nach Vollendung
des 65. Lebensjahres oder wegen dauernder
Erwerbsunfähigkeit, die auf einer im Dienst
der Firma erlittenen Körperbeschädigung be-
ruht, ausgeschieden sind, und
c) keine entgeltliche Erwerbstätigkeit ausüben.
Die Altersrente beginnt - auch im Falle einer
zuvor eingetretenen Erwerbsunfähigkeit - nicht
vor Vollendung des 65. Lebensjahres."
Ab Ende des Jahres 1971 oder Anfang des Jahres 1972 erteilte die Beklagte keine schriftlichen Versorgungszusagen mehr. Auch der Kläger erhielt eine solche Erklärung nicht. Im Oktober 1975 wurde in der Betriebszeitung auf Verlangen des Gesamtbetriebsrats mitgeteilt, im Hinblick auf die schlechte Konjunktur in der Bauwirtschaft sei es nicht möglich, neue Zusagen zu erteilen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm eine Zusage erteilen. Die Versorgungsordnung von 1962 stelle eine Gesamtzusage dar. Die Pflicht zur Erteilung einer Einzelzusage ergebe sich aus § 1 BetrAVG. Das gleiche Ergebnis folge aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung und einer darauf beruhenden betrieblichen Übung. Die Beklagte habe von 1968 bis 1972 mehrfach in Tageszeitungen mit ihrer betrieblichen Altersversorgung geworben. Auch ihm habe der Prokurist der Beklagten erklärt, eine Versorgungszusage erhalte jeder, der mindestens fünf Jahre im Unternehmen tätig sei. Von der bestehenden Praxis habe sich die Beklagte nicht einseitig lösen können. Zudem habe sie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt.
Der Kläger hat in den ersten beiden Rechtszügen beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine
Versorgungszusage zu erteilen über die
betriebliche Altersversorgung nebst
Hinterbliebenengeld nach Maßgabe ihrer
Versorgungsordnung in der jeweils gel-
tenden Fassung.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe allenfalls in den Jahren 1974 bis 1976 mit einer Versorgungszusage rechnen können. Zu dieser Zeit habe sie aber keine Versorgungszusagen mehr erteilt. Den entsprechenden Entschluß habe sie 1972 in Betriebsversammlungen und in der Betriebszeitung bekanntgegeben.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. In der Revisionsinstanz hat der Kläger den Hauptantrag neu gefaßt und um einen Hilfsantrag ergänzt. Er beantragt nunmehr,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine
Versorgungszusage zu erteilen über die
betriebliche Altersversorgung nebst
Hinterbliebenengeld nach Maßgabe ihrer
Versorgungsordnung vom 19. September 1962
in der Fassung vom 2. November 1970;
hilfsweise,
festzustellen, daß ihm eine unverfallbare
Anwartschaft aus der Versorgungsordnung
vom 29. September 1962 in der Fassung vom
2. November 1970 zustehe.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält den Hilfsantrag für unzulässig.
Entscheidungsgründe
Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob das Klagebegehren berechtigt ist.
A. Die Klage ist zulässig.
Nimmt man den Hauptantrag wörtlich, so ist das Begehren des Klägers, eine Versorgungszusage zu erteilen, auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet. Der Kläger war aber zur Zeit der Klageerhebung bei der Beklagten bereits ausgeschieden; er vertritt selbst nicht die Auffassung, die Beklagte müsse noch nachträglich für ihn eine neue Versorgungsanwartschaft begründen. In Wahrheit will der Kläger keine selbständige Versorgungszusage erstreiten, sondern erreichen, daß ihm eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft bestätigt wird. Der Kläger geht davon aus, daß er schon in der Zeit von 1967 bis Ende 1971 oder Anfang 1972 die eigentliche Zusage erhalten habe, die von der Beklagten lediglich schriftlich bestätigt werden müsse.
Mit diesem Inhalt ist der Hauptantrag zulässig. Der allgemeine Hinweis auf die Versorgungsordnung der Beklagten reicht aus, um den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 ZPO zu genügen. Die nach der Versorgungsordnung ausfüllungsbedürftigen Merkmale ergeben sich unmittelbar aus den §§ 1 und 2 BetrAVG. Die Höhe der Versorgung richtet sich allein nach den Einkünften des Arbeitnehmers und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit. Der Zeitpunkt der Zusage ist insoweit ohne Bedeutung.
Im übrigen erhält der in der Revisionsinstanz neu formulierte Hauptantrag, der erstmals die Fassungen der Versorgungsordnung der Beklagten mit dem jeweiligen Datum nennt, gegenüber dem früher gestellten Antrag keine sachlichen Unterschiede, sondern nur eine Präzisierung.
B. In der Sache selbst hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei entschieden.
I. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Kläger eine Versorgungszusage weder allein aus der Versorgungsordnung der Beklagten vom 29. September 1962 noch aus den §§ 1 oder 2 BetrAVG herleiten kann. Sowohl die Versorgungsordnung der Beklagten als auch das Betriebsrentengesetz setzen eine Versorgungszusage voraus; beide Rechtsquellen regeln nur, was gilt, wenn eine Zusage vorliegt. Die Frage ist jedoch, ob der Kläger bereits aufgrund einer betrieblichen Übung eine Versorgungszusage hatte. Wenn das der Fall sein sollte, könnte er hieraus zunächst einen Anspruch auf schriftliche Bestätigung und im Versorgungsfalle einen Anspruch auf Leistungen herleiten.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers vertragliche Ansprüche auf eine Leistung begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten schließen dürfen, ihnen werde die Leistung auch künftig gewährt (statt aller: BAG 23, 213 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung und Urteil vom 29. November 1983 - 3 AZR 491/81 - AP Nr. 15 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 2 a der Gründe, jeweils mit weiteren Nachweisen). Auch ein Anspruch auf betriebliche Altersversorgung kann durch betriebliche Übung begründet werden (§ 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG).
Das Berufungsgericht hat diesen rechtlichen Ausgangspunkt erkannt, jedoch nicht richtig angewendet. Es hat ausgeführt, eine betriebliche Übung könne zwar Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung begründen, darum handele es sich im Streitfall aber nicht, weil die Beklagte Versorgungsleistungen nur aufgrund von Einzelzusagen gewähre. Damit hat das Berufungsgericht die eigentliche Frage nicht gestellt. Zu klären war, ob die tatsächliche Praxis der Einzelzusagen den Eindruck einer Regelmäßigkeit vermittelte, so daß der Kläger aufgrund einer betrieblichen Übung der Beklagten davon ausgehen durfte, die nach der Versorgungsordnung erforderliche schriftliche Einzelzusage werde spätestens nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren erteilt.
2. Bestand bei der Beklagten eine solche betriebliche Übung, so verfügte der Kläger, der bei seinem Ausscheiden am 31. Mai 1980 eine Betriebszugehörigkeit von über 13 Jahren erreicht hatte, über eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft. Die schriftliche Zusage hatte dann nur noch bestätigende Bedeutung.
a) Soweit die Beklagte einwendet, erst die in ihrer Versorgungsordnung vorgesehene schriftliche Zusage habe - ungeachtet einer betrieblichen Übung - eine Versorgungsanwartschaft begründen können, ist ihr Vorbringen rechtlich nicht zutreffend. Eine Versorgungsregelung, nach der die Betriebsangehörigen erst nach Ablauf einer bestimmten Frist Versorgungszusagen erhalten, begründet von Anfang an Versorgungsanwartschaften, die nach den Regeln des § 1 BetrAVG unverfallbar werden. Die spätere Erteilung einer förmlichen Zusage ist dann für den Lauf der Unverfallbarkeitsfristen des Gesetzes ohne Bedeutung. Derartige, als Vorschaltzeiten bezeichnete, Fristen sind unbeachtlich. Das hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden und gegen Angriffe aus der Literatur verteidigt (vgl. Urteil des Senats vom 7. Juli 1977 - BAG 29, 234 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Wartezeit, m.w.N.). Hiervon abzusehen besteht kein Anlaß.
b) Die Beklagte wendet ferner ein, eine betriebliche Übung in dem vom Kläger behaupteten Sinn habe es nie gegeben. Sie habe sorgfältig und deutlich den Eindruck einer Bindung vermieden, indem sie in ihrer Versorgungsordnung gerade eine besondere schriftliche Zusage gefordert und die erteilten Zusagen als individuelle Gewährung formuliert habe. Vor allem aber treffe es nicht zu, daß sämtlichen Mitarbeiter mit einer bestimmten Dienstzeit Versorgungszusagen erhalten hätten; sie habe auf die geleisteten Dienste und die Verbundenheit der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen abgestellt und das auch in den Zusagen besonders hervorgehoben.
Dieses Vorbringen der Beklagten ist erheblich. Wenn es zutrifft, daß die Beklagte die Erteilung einer Zusage erkennbar von einer Entscheidung im Einzelfall abhängig gemacht hat und auch nicht alle Arbeitnehmer die Zusage nach spätestens 10-jähriger Betriebszugehörigkeit erhielten, dann durfte nicht jeder Arbeitnehmer darauf vertrauen, nach spätestens zehn Jahren eine Zusage zu erhalten, so daß eine betriebliche Übung nicht entstehen konnte. Das Landesarbeitsgericht hat diese Frage nicht aufgeklärt, sondern allein auf die schriftliche Zusage abgestellt und sie als die eigentliche, den Versorgungsvertrag begründende Willenserklärung gewertet, obwohl nach dem Vortrag des Klägers eine betriebliche Übung vorlag, dann aber die schriftliche Zusage nur bestätigenden Charakter hatte. Trifft das Vorbringen des Klägers zu, daß nach fünf bis spätestens zehn Dienstjahren ausnahmslos alle Arbeitnehmer der Beklagten im Besitz einer schriftlichen Zusage waren, so konnten diejenigen Arbeitnehmer, bei denen diese Frist noch nicht abgelaufen war, im Zweifel ebenfalls damit rechnen, nach spätestens zehn Jahren die übliche Zusage zu erhalten. Die bereits stillschweigend vor Übergabe der Zusageurkunde begründete Versorgungsanwartschaft wurde dann nach 10-jähriger Dienstzeit unverfallbar.
II. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob eine betriebliche Übung des vom Kläger behaupteten Inhalts bestand. Die Parteien haben dazu streitig gebliebene Behauptungen aufgestellt. Das Berufungsgericht wird dem diesbezüglichen Vortrag nachgehen und ggf. die dazu angetretenen Beweise erheben müssen.
Der Kläger trägt die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, also auch für die von ihm behauptete betriebliche Übung. Das Berufungsgericht wird jedoch keine zu strengen Anforderungen an den entsprechenden Vortrag stellen dürfen. Ein Arbeitnehmer, der keinen Einblick in die Betriebsinterna seines Arbeitgebers hat, kann nicht im einzelnen anführen, welche Erwägungen über Jahre hinweg eine Rolle gespielt haben. Zunächst muß es genügen, daß der Arbeitnehmer die Umstände darlegt, die den Eindruck einer festen Übung erwecken. Dann obliegt es dem Arbeitgeber, seine Praxis offenzulegen und ggf. den Anschein einer betrieblichen Übung zu erschüttern.
Im Streitfall hat der Kläger verschiedene Indizien für die Richtigkeit seiner Annahme vorgetragen. Er hat Listen vorgelegt, aus denen er ableitet, daß alle Arbeitnehmer nach spätestens zehn Dienstjahren die schriftliche Zusage erhielten. Er hat auch einen Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Gesamtbetriebsrats vom 13. Februar 1973 vorgelegt, demzufolge der Prokurist S die Erklärung abgab, die betriebliche Altersversorgung bekomme jeder, der mindestens fünf Dienstjahre in der Firma tätig sei; der Anspruch könne frühestens nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit geltend gemacht werden. Dieser Vortrag ist schlüssig.
III. Auch zu der weiteren Frage, ob die Beklagte eine eventuelle betriebliche Übung wirksam wieder eingestellt hat, kann der Senat nicht abschließend Stellung nehmen. Das Berufungsgericht hat sie, von seinem Standpunkt aus, nicht als erheblich angesehen und demgemäß keine Feststellungen getroffen. Um in bereits erdiente Rechte einzugreifen, wären rechtfertigende Gründe erforderlich. Solche hat die Beklagte aber nicht geltend gemacht. Der allgemeine Hinweis auf die schlechte Konjunktur in der Bauwirtschaft reicht nicht aus. Eine wirtschaftliche Notlage soll offenbar nicht behauptet werden.
Dr. Dieterich Dr. Peifer Griebeling
Dr. Kiefer Matthiesen
Fundstellen
DB 1986, 2189-2190 (LT1) |
NZA 1986, 786-787 (LT1) |
RdA 1986, 332 |
AP § 1 BetrAVG Betriebliche Übung (LT1), Nr 2 |
EzA § 1 BetrAVG, Nr 38 (LT1) |