Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertragliche Jubiläumszuwendung – Ablösung durch tarifliche Neuregelung. betriebliche Übung. Gleichbehandlung
Orientierungssatz
1. Ein besonderer Tarifvertrag (hier: über die Gewährung einer Jubiläumszuwendung bei 10jähriger Beschäftigung) wirkt nicht nach, wenn das Tarifwerk, zu dem der Tarifvertrag gehört, durch ein neues Tarifwerk abgelöst wird und die Auslegung des neuen Manteltarifvertrags ergibt, daß er Jubiläumszuwendungen selbst abschließend regelt.
2. Gewährt ein Arbeitgeber noch Leistungen entsprechend einem abgelösten Tarifvertrag, ohne daß Anhaltspunkte dafür bestehen, daß er die fehlende Nachwirkung des Tarifvertrages erkannt hat, so können Arbeitnehmer nach Einstellung der Leistungen deren Weitergewährung weder aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung noch aus dem der Gleichbehandlung verlangen.
Normenkette
TVG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 5; BGB §§ 133, 151, 818 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 25. April 2001 – 4 Sa 2797/00 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist Mitglied der ÖTV und seit dem 17. April 1989 bei dem Beklagten beschäftigt. Der Beklagte vereinbarte mit den Gewerkschaften ÖTV und DAG jeweils einen Manteltarifvertrag vom 1. Dezember 1969, zuletzt in der Fassung vom 23. Februar 1989 (im folgenden: MTV Alt). Dieser hatte in Abschnitt VII „Sozialbezüge” folgende Regelung:
„§ 33
Jubiläumszuwendungen
Der Arbeitnehmer erhält als Jubiläumszuwendung bei Vollendung einer Dienstzeit (§ 19)
von 25 Jahren |
50 v.H. |
von 40 Jahren |
100 v.H. |
der Vergütung nach § 24, die ihm am Jubiläumstage zusteht oder zustehen würde.”
Der MTV Alt wurde ergänzt durch eine Anlage 1 (Vergütungsordnung) und weitere, nachfolgend vereinbarte Tarifverträge. Es handelt sich hierbei um den TV über die zusätzliche Versicherung, den TV über vermögenswirksame Leistungen, den TV über die Gewährung einer Nachtdienstentschädigung, den TV über die Gewährung von Sonderzuwendungen, den TV über die Zulagen und einen Tarifvertrag über eine Jubiläumszuwendung bei 10jähriger Beschäftigung (im folgenden: TV Jubiläumszuwendung). Der TV Jubiläumszuwendung hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„§ 1
(1) Alle Arbeitnehmer des Berufsförderungswerkes Berlin e.V. erhalten nach einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit von 10 Jahren im Berufsförderungswerk e.V. eine einmalige Zuwendung in Höhe von 500,00 DM.
…”
Der Beklagte kündigte im Herbst 1994 sämtliche Tarifverträge. Die Tarifvertragsparteien vereinbarten am 1. November 1994 einen neuen Manteltarifvertrag (MTV Neu). Der mit der ÖTV abgeschlossene MTV Neu trat nebst seiner Anlage 1 (Vergütungsordnung) mit Wirkung ab dem 1. Dezember 1994 in Kraft. Er hat in seinem Abschnitt VII „Sozialbezüge” auszugsweise folgenden Inhalt:
„§ 34
Jubiläumszuwendungen
Der Arbeitnehmer erhält als Jubiläumszuwendung bei Vollendung einer Dienstzeit (§ 20)
von 25 Jahren |
25 v.H., mindestens aber 600 DM, |
von 40 Jahren |
40 v.H., mindestens aber 800 DM, |
von 50 Jahren |
50 v.H., mindestens aber 1000 DM, |
der Vergütung nach § 26, die ihm am Jubiläumstage zusteht oder zustehen würde.”
Unter dem Abschnitt XIV „Übergangs- und Schlußvorschriften” ist in § 64 geregelt:
„§ 64
Übergangsregelungen und Besitzstandswahrung
…
(3) Hat ein Arbeitnehmer Ansprüche oder Anwartschaften auf Ansprüche nach dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des Berufsförderungswerkes Berlin e.V. vom 01.12.1969 in der Fassung vom 23.02.1989 erworben und sind diese Ansprüche oder Anwartschaften für ihn günstiger als die Ansprüche oder Anwartschaften nach diesem Tarifvertrag, verbleiben ihm die bisherigen Ansprüche oder Anwartschaften.
…”
Am 1. November 1994 wurde zudem ein TV über die zusätzliche Versicherung, ein TV über vermögenswirksame Leistungen, ein TV über die Gewährung von Sonderzuwendungen und ein TV über die Zulagen vereinbart. Ein TV über die Gewährung einer Nachtdienstentschädigung und ein TV über eine Jubiläumszuwendung nach einer 10jähriger Beschäftigung wurden nicht erneut vereinbart.
Durch Änderungstarifvertrag vom 25. März 1996 wurde in den MTV Neu ua. als weitere Regelung § 26 a eingefügt und § 64 Abs. 3 wie folgt geändert:
„§ 26 a
Allgemeine Zulagen, vermögenswirksame Leistungen
Der Arbeitnehmer erhält eine allgemeine Zulage und vermögenswirksame Leistungen in sinngemäßer Anwendung der für die Angestellten des Landes Berlin jeweils geltenden Bestimmungen.
§ 64
Übergangsregelungen und Besitzstandswahrung
(3) Hat ein Arbeitnehmer Ansprüche oder Anwartschaften auf Ansprüche nach dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des Berufsförderungswerkes Berlin e.V. vom 01.12.1969 in der Fassung vom 23.02.1989 oder nach den Tarifverträgen über die Zulagen oder vermögenswirksamen Leistungen an Arbeitnehmer des Berufsförderungswerkes Berlin-Brandenburg e.V. vom 01.11.1994 erworben und sind diese Ansprüche oder Anwartschaften für ihn günstiger als die Ansprüche oder Anwartschaften nach diesem Tarifvertrag, verbleiben ihm die bisherigen Ansprüche oder Anwartschaften.”
Seit der Kündigung des TV Jubiläumszuwendung vollendeten 17 Mitarbeiter eine 10jährige Beschäftigungszeit. Sie erhielten in weiterer Anwendung des TV Jubiläumszuwendung die hiernach vorgesehene Zuwendung. Die Zahlungen wurden im März 1999 eingestellt. Zur Begründung gibt der Beklagte an, daß sein Geschäftsführer die Zahlungen als Irrtum der Personalabteilung bemerkt habe. Von einer Rückforderung werde wegen des zu erwartenden Entreicherungseinwands abgesehen.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1999 machte die Klägerin die Zahlung einer Jubiläumszuwendung für ihre 10jährige Beschäftigungszeit geltend.
Die Klägerin meint, der gekündigte TV Jubiläumszuwendung wirke nach. Er sei nicht abgelöst worden. Eine Ablösung sei von den Verhandlungsführern der Gewerkschaften nicht gewollt gewesen. § 34 MTV Neu stelle keine abschließende, andere Abmachung dar. § 65 MTV Neu setze allein den MTV Alt, nicht aber die ergänzenden und selbständig abzulösenden Tarifverträge außer Kraft. Zwar diene die tarifliche Neuregelung der Kosteneinsparung, doch gewähre § 64 MTV Neu eine umfassende Besitzstandswahrung, die auch den Anspruch aus dem TV Jubiläumszuwendung erfasse. Mit der bewußt aufrechterhaltenen Nachwirkung des TV Jubiläumszuwendung zugunsten der bereits angestellten Mitarbeiter habe deren besonderes Engagement bei der vereinigungsbedingten Aufbauarbeit honoriert werden sollen. Dementsprechend habe der Beklagte die tariflichen Regelungen nach dem 1. November 1994 weitere vier Jahre angewendet und so jedenfalls eine betriebliche Übung begründet, nach der sie, die Klägerin, entsprechend dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz die Jubiläumszuwendung beanspruchen könne. Die Zahlungen seien bewußt und nicht irrtümlich vorgenommen worden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie DM 500,00 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Juni 2000 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sämtliche Tarifverträge seien Teil eines einheitlichen Tarifsystems, das gekündigt und infolge der Neuregelungen 1994 als Ganzes abgelöst worden sei, ohne daß jeder einzelne Tarifvertrag gesondert hätte außer Kraft gesetzt werden müssen. Die Neuregelung habe eine stärkere Anlehnung an den kostengünstigeren BAT bezweckt. Daher passe der Anspruch auf DM 500,00 nach zehn Beschäftigungsjahren ersichtlich nicht mehr zum abschließenden, neuen Gefüge des § 34 MTV Neu, der für 25 bzw. 40 Dienstjahre nur DM 600,00 bzw. DM 800,00 gewähre, andererseits für 50 Dienstjahre zusätzlich eine Zuwendung vorsehe. Eine betriebliche Übung sei nicht begründet worden. Die Zuwendungen seien von der Personalabteilung irrtümlich in der Annahme erbracht worden, nach dem TV Jubiläumszuwendung weiterhin zur Zahlung verpflichtet zu sein.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Jubiläumszuwendung in Höhe von DM 500,00.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß § 34 MTV Neu den TV Jubiläumszuwendung abgelöst habe. Mit dem Ziel, durch eine Anlehnung an § 39 BAT Kosten zu sparen, seien die bisherigen Jubiläumszuwendungen insgesamt neu und abschließend geregelt worden. Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn neben § 34 MTV Neu, der seinerseits eine zusätzliche Zuwendung für eine 50jährige Betriebszugehörigkeit vorsehe, weiterhin der gekündigte TV Jubiläumszuwendung nachwirkende Geltung behalte. Soweit die Tarifvertragsparteien neben dem MTV ergänzende Tarifverträge tatsächlich noch gewollt hätten, seien diese ausdrücklich neu abgeschlossen worden. Mangels Bestätigung durch einen Neuabschluß sei der TV Jubiläumszuwendung demnach nicht mehr gewollt gewesen. Die nachfolgenden Zuwendungen seien in dem Irrtum erbracht worden, hierzu tariflich weiterhin verpflichtet zu sein. Der Beklagte habe die Zahlungen ohne weiteres einstellen können.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.
1. Der Anspruch der Klägerin folgt nicht aus § 1 Abs. 1 TV Jubiläumszuwendung. Der zum 31. Dezember 1994 gekündigte TV Jubiläumszuwendung wurde infolge der tariflichen Neuregelungen vom 1. November 1994, insbesondere durch § 34 MTV Neu, konkludent abgelöst. § 34 MTV Neu sieht für eine 10jährige Betriebszugehörigkeit keine Zahlung vor.
a) Die Klägerin ist Mitglied der ÖTV. Die zwischen der ÖTV und dem Beklagten als Tarifvertragspartei iSd. § 2 Abs. 1 TVG vereinbarten Tarifvorschriften des MTV und der diesen ergänzenden Tarifverträge finden gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG in ihrer jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
b) Infolge der Kündigung zum 31. Dezember 1994 endete die normative Geltung des TV Jubiläumszuwendung. Er entfaltet keine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Am 1. November 1994 vereinbarte der Beklagte mit der ÖTV ein umfassendes, neues und abschließendes Tarifwerk, mit dem sämtliche früheren Tarifverträge abgelöst wurden. Hierbei wurden sämtliche Ansprüche auf Jubiläumszuwendungen durch § 34 MTV Neu abschließend neu geregelt. Es handelt sich insoweit um eine „andere Abmachung” iSd. § 4 Abs. 5 TVG. Dies folgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des Ablösungsprinzips aus der Auslegung der Tarifverträge des Beklagten.
aa) Das Recht der Tarifverträge wird beherrscht durch das Ablösungsprinzip. Es besagt, daß ein Tarifvertrag, der einen bestimmten Komplex insgesamt neu regelt, grundsätzlich seinen Vorgänger voll ersetzt. Das gilt, ohne daß der frühere Tarifvertrag durch eine ausdrückliche Vereinbarung aufgehoben werden muß (BAG 30. Januar 1985 – 4 AZR 117/83 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 9 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 4, mwN). Eine stillschweigende Ablösung ist auch dann anzunehmen, wenn ein Tarifvertrag einen bestimmten Komplex von Arbeitsbedingungen insgesamt neu regelt, der bislang Gegenstand eines anderen Tarifvertrags war(vgl. BAG 6. November 1985 – 4 AZR 478/84 – nv.). Den Tarifvertragsparteien ist es zwar unbenommen, vom Ablösungsprinzip abweichende Vereinbarungen zu treffen. Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bedürfen solche Abweichungen aber besonderer Bestimmtheit und Deutlichkeit (BAG 28. September 1994 – 4 AZR 738/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 51; 30. Januar 1985 – 4 AZR 117/83 – aaO; Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 262). Dies ist nur anzunehmen, wenn ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien einen, durch Auslegung zu ermittelnden, hinreichend deutlichen Niederschlag in den jeweiligen Tarifverträgen selbst gefunden hat.
bb) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (st. Rspr., zB BAG 21. März 2001 – 10 AZR 41/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 75 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 43).
cc) Vorliegend fehlt es an einer ausdrücklichen Erklärung über die Ablösung des gekündigten TV Jubiläumszuwendung. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der tariflichen Neuregelungen folgt jedoch, daß der TV Jubiläumszuwendung stillschweigend abgelöst wurde. Die Auffassung der Revision, die Tarifvertragsparteien hätten gleichwohl die nachwirkende Weitergeltung des TV Jubiläumszuwendung gewollt, findet keinen objektiv erkennbaren Niederschlag in den Tarifverträgen des Beklagten.
(1) Dem Wortlaut des TV Jubiläumszuwendung sind Regelungen zu dessen künftiger Nachwirkung für den Fall seiner Beendigung nicht zu entnehmen. § 34 MTV Neu, der nunmehr die Ansprüche auf Jubiläumszuwendungen regelt, enthält keine ausdrückliche Anordnung über die weitere Geltung sonstiger, bislang Jubiläumszuwendungen regelnder Tarifnormen. § 64 Abs. 3 MTV Neu sieht eine Besitzstandswahrung für Ansprüche und Anwartschaften auf der Grundlage des MTV Alt vor, nicht jedoch für solche aus dem TV Jubiläumszuwendung.
(2) Demgegenüber spricht der tarifliche Gesamtzusammenhang zwischen dem Manteltarifvertrag und seinen ergänzenden Sondertarifverträgen für die Ablösung des TV Jubiläumszuwendung. Die Regelungen des MTV und der weiteren Tarifverträge stellen ein einheitliches, aufeinander abgestimmtes Tarifsystem zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei dem Beklagten dar. Der TV Jubiläumszuwendung ergänzte zusammen mit den weiteren Sondertarifverträgen den MTV Alt in den Bereichen, in denen der MTV Alt selbst keine abschließende Regelung getroffen hatte. Die ausnahmslose Kündigung aller Tarifverträge zum Zwecke einer für den Beklagten kostensparenden Neuregelung und der Abschluß aller neuen Tarifverträge zeitgleich am 1. November 1994 spricht dafür, daß mit diesen Neuregelungen wiederum ein einheitliches, aufeinander abgestimmtes und als solches auch abschließendes Gesamttarifwerk geschaffen werden sollte. Wird ein abgestimmtes neues Tarifwerk ausgehandelt und in Kraft gesetzt, werden damit im Zweifel die zum Zwecke der Neuregelung gekündigten alten Tarifnormen in ihrer Gesamtheit ersetzt und stillschweigend abgelöst.
Entsprechend der bisherigen Systematik wurden am 1. November 1994 neben dem MTV Neu wiederum Sondertarifverträge vereinbart, soweit besondere Komplexe von Arbeitsbedingungen im neuen Manteltarifvertrag selbst keine eigene Regelung erhielten. Einige der gekündigten Sondertarifverträge wurden, zum Teil ohne inhaltliche Änderungen, ausdrücklich wieder in Kraft gesetzt. Erneut abgeschlossen wurde ein TV über die zusätzliche Versicherung, ein TV über vermögenswirksame Leistungen, ein TV über die Gewährung von Sonderzuwendungen und ein TV über die Zulagen. Demgegenüber wurde der TV über die Gewährung einer Nachtdienstentschädigung und der TV Jubiläumszuwendung nicht erneut vereinbart. Für die bislang durch diese beiden Tarifverträge normierten Arbeitsbedingungen trafen die Tarifvertragsparteien 1994 eine Regelung im Manteltarifvertrag selbst. Während § 28 MTV Alt, ergänzt durch den TV über die Gewährung einer Nachtdienstentschädigung, eine Zulage für Nachtarbeit vorsah, wurde diese durch § 27 MTV Neu gestrichen. Infolge dieser Neuregelung im MTV Neu bedurfte es keiner weiteren Ergänzung. Der TV über die Gewährung einer Nachtdienstentschädigung wurde folgerichtig nicht mehr durch Neuabschluß bestätigt und so mit dem Inkrafttreten des § 27 MTV Neu stillschweigend abgelöst. Gleiches gilt für den TV Jubiläumszuwendung. Ansprüche auf Jubiläumszuwendungen werden nunmehr allein durch den MTV Neu geregelt. § 34 MTV Neu wiederholt nicht lediglich die bisherige Vorschrift des § 33 MTV Alt. Die Ansprüche auf Jubiläumszuwendungen werden hinsichtlich der vorausgesetzten Dienstzeiten um einen weiteren Tatbestand erweitert. Während bislang in zwei verschiedenen Tarifverträgen Jubiläumszuwendungen je Betriebszugehörigkeit in drei verschiedenen Stufen gewährt wurden, eröffnet § 34 MTV Neu nunmehr selbst eine dreistufige Anspruchsgrundlage für Jubiläumszuwendungen. Die Zuwendungen werden zugleich auch der Höhe nach vollständig neu geregelt. Der gekündigte TV Jubiläumszuwendung wurde am 1. November 1994 dementsprechend nicht erneut durch einen Neuabschluß bestätigt. Die dreistufige Neuregelung in § 34 MTV Neu und die unterlassene Bestätigung des TV Jubiläumszuwendung sprechen dafür, daß dessen Regelungen im neuen, wiederum als Einheit konzipierten Tarifsystem der Beklagten keine weitere Geltung behalten, sondern abgelöst werden sollten.
(3) Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch der Zweck der Kündigung des alten Tarifwerks, der 1994 getroffenen Neuregelungen sowie der in den Folgejahren vereinbarten Tarifabschlüsse.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, daß eine Senkung der Personalkosten des Beklagten beabsichtigt war. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sollte dies durch eine Absenkung des Leistungsniveaus des Beklagten auf das der Angestellten des öffentlichen Dienstes des Landes Berlin erreicht werden. Daß die Arbeitsbedingungen des Beklagten noch enger als bisher an die des öffentlichen Dienstes angepaßt werden sollten, belegen die seit dem 1. November 1994 vereinbarten Tarifabschlüsse. In zahlreichen Vorschriften des MTV Neu wurden Regelungen des MTV Alt denen des BAT angepaßt (zB § 3 MTV Neu/MTV Alt, § 11 MTV Neu, § 17 MTV Neu/§ 16 MTV Alt, § 26 MTV Neu/§ 24 MTV Alt). Andere Normen behielten eine den Bedürfnissen des Beklagten entsprechende Fassung. Sie wurden unverändert wieder in Kraft gesetzt. Demgemäß wurde der TV über die Gewährung einer Sonderzuwendung, der bereits in seiner gekündigten Fassung weitgehend dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte der neuen Bundesländer entsprach, am 1. November 1994 unverändert wieder in Kraft gesetzt. Auch der TV über die zusätzliche Versicherung, der bereits an den Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder angelehnt war, wurde zunächst unverändert neu abgeschlossen und später durch einen Änderungstarifvertrag vom 24. Juni 1999 noch stärker an die Tarifregelungen des öffentlichen Dienstes angeglichen. Gleiches gilt für die bereits annähernd der „allgemeinen Zulage” (§ 2 des Tarifvertrags über Zulagen an Angestellte des Bundes und der Länder) entsprechenden Vorschriften des TV über die Zulagen und für den TV über vermögenswirksame Leistungen, der an den Tarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen an Angestellte des Bundes und der Länder angelehnt war. Auch diese Tarifverträge wurden am 1. November 1994 unverändert neu vereinbart und erst mit einem Änderungstarifvertrag zum Manteltarifvertrag vom 1. November 1994 kostenmindernd an das Leistungsniveau der Regelungen des öffentlichen Dienstes angeglichen (§ 26 a MTV Neu idF vom 25. März 1996).
Jubiläumszuwendungen wurden mit § 34 MTV Neu nunmehr noch weiter der Regelung des § 39 BAT angeglichen. Im Gegensatz zu § 33 MTV Alt werden für eine Dienstzeit von 25 Jahren nicht mehr 50 %, sondern nur 25 % der Bruttomonatsvergütung und nach 40 Jahren nicht mehr 100 %, sondern 40 % der Vergütung als Jubiläumszuwendung gewährt. Zudem wird entsprechend § 39 BAT zusätzlich eine Zuwendung in Höhe von 50 % des Entgelts für eine 50jährige Dienstzeit eingeführt. Dem erklärten Zweck, durch eine Anlehnung an das Tarifniveau des BAT Kosten zu sparen, würde es widersprechen, wirkte der TV Jubiläumszuwendung neben dieser umfassenden Neuregelung in § 34 MTV Neu noch weiter nach. Es ist nicht anzunehmen, daß die Tarifvertragsparteien in Abwägung des Ziels des Beklagten, Kosten zu senken, und der Interessen der Arbeitnehmer, bisherige Besitzstände nicht übermäßig zu kürzen, nicht nur wie bisher drei Zuwendungen, sondern darüber hinaus eine vierte, zusätzliche Jubiläumszuwendung gewähren wollten. Während sich die Zuwendung nach dem TV Jubiläumszuwendung in das Leistungsgefüge des § 33 MTV Alt einfügte, paßt dessen Anwendung ersichtlich nicht zu den Leistungsstufen des § 34 MTV Neu. § 34 MTV Neu stellt demnach eine abschließende Regelung dar, neben der für den TV Jubiläumszuwendung kein Raum verbleibt.
(4) Daß mit einer bewußt aufrechterhaltenen Nachwirkung des TV Jubiläumszuwendung das besondere Engagement nach der Wiedervereinigung anerkannt werden sollte, findet in dem Tarifwerk keinen erkennbaren objektiven Niederschlag. Hätten die Tarifvertragsparteien hinsichtlich des TV Jubiläumszuwendung eine Ausnahme vom Ablösungsprinzip gewollt, hätte es aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit einer ausdrücklichen Anordnung bedurft. Eine solche fehlt. Sie ist auch nicht in § 64 Abs. 3 MTV Neu enthalten. Dessen Wortlaut beschränkt sich in seiner Fassung vom 1. November 1994 allein auf Ansprüche aus dem MTV Alt, obwohl zeitgleich zahlreiche sonstige Tarifverträge geändert bzw. abgelöst wurden. Daß es sich hier nicht um ein Versehen handelt, zeigt die Regelung in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 25. März 1996. Mit der Einfügung des § 26 a in den MTV Neu wurden die Vorschriften des TV über vermögenswirksame Leistungen und des TV über die Zulagen stillschweigend abgelöst, jedoch die bisherige Besitzstandsklausel in § 64 Abs. 3 MTV Neu ausdrücklich um Ansprüche aus diesen beiden Tarifverträgen ergänzt.
(5) Die Behauptung der Klägerin, die Vertreter der Gewerkschaften hätten am 1. November 1994 keinesfalls eine Ablösung des TV Jubiläumszuwendung gewollt, rechtfertigt keine andere Auslegung. Ohne Verfahrensfehler unterließ das Landesarbeitsgericht eine Beweisaufnahme hierzu. Anhaltspunkte, daß entsprechende Vorstellungen über die rechtlichen Folgen der Tarifabschlüsse vom 1. November 1994 dem Verhandlungspartner gegenüber erkennbar gemacht wurden, sind nicht ersichtlich. Jedenfalls haben derartige Vorstellungen im Tarifwerk selbst keinen objektiven Niederschlag gefunden.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf der Grundlage einer betriebliche Übung, die den Beklagten zur Gewährung auch an die Klägerin verpflichten würde.
a) Unter einer betrieblichen Übung ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers zu verstehen, aus dem die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden(st. Rspr., zB. BAG 17. November 1998 – 1 AZR 147/98 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 162 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 79).
aa) Die betriebliche Übung stellt eine Willenserklärung des Arbeitgebers dar, die von den Arbeitnehmern konkludent angenommen wird, ohne daß es darauf ankommt, ob der Arbeitgeber einen Verpflichtungswillen hatte. Maßgebend ist vielmehr, ob die Arbeitnehmer aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie aller Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften und das entsprechende Angebot stillschweigend annehmen konnten(§ 151 BGB, vgl. BAG 17. November 1998 aaO).
bb) Die Klägerin begründet nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ihren Anspruch aus einer betrieblichen Übung damit, daß der Beklagte auch nach dem 1. November 1994 „die tariflichen Regelungen auf Mitarbeiter mit 10jähriger Beschäftigungszeit angewandt” habe. Die Klägerin ging somit davon aus, daß der Beklagte mit den Jubiläumszuwendungen seit dem 1. Dezember 1994 allein die Vorschriften des TV Jubiläumszuwendung vollzog. Der Beklagte hat vorgetragen, die Mitarbeiter der Personalabteilung seien von der weiteren Geltung des TV Jubiläumszuwendung auch nach dem 1. Dezember 1994 ausgegangen. Erst der Geschäftsführer des Beklagten habe diesen Irrtum entdeckt. Einen Irrtum bestreitet die Klägerin zwar und sie rügt, daß das Landesarbeitsgericht diesen ohne Beweisaufnahme unterstellt habe. Auf die subjektive Vorstellung des Beklagten kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist, wie die Klägerin bei objektiver Betrachtung aller Umstände das Verhalten des Beklagten verstehen durfte. Selbst aus Sicht der Klägerin erfolgten die Zahlungen in Erfüllung einer Pflicht aus dem (vermeintlich) nachwirkenden TV Jubiläumszuwendung. Anhaltspunkte dafür, der Beklagte habe unabhängig von dieser vermeintlichen Verpflichtung mit den Zahlungen einen eigenständigen Verpflichtungswillen erklären wollen, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Ist das Zahlungsverhalten des Beklagten so zu verstehen, daß dieser sich lediglich tarifkonform verhalten wollte, fehlt es bei objektiver Betrachtung bereits an einer konkludenten Willenserklärung des Beklagten, die Grundlage für eine betriebliche Übung sein könnte. Unter diesen Umständen konnte der Beklagte die Verpflichtung überprüfen und die Zahlungen einstellen (vgl. BAG 31. Januar 1969 – 3 AZR 439/68 – BAGE 21, 332; 25. Juli 2001 – 10 AZR 758/00 – EzA BGB § 611 Schichtarbeit Nr. 2).
3. Auch ein Anspruch auf Gleichbehandlung besteht in diesem Fall nicht. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift nur bei einem gestaltenden Verhalten des Arbeitgebers ein, nicht jedoch bei einem bloßen – auch vermeintlichen – Normenvollzug (BAG 4. Mai 1999 – 10 AZR 569/98 – nv.; 26. November 1998 – 6 AZR 335/97 – BAGE 90, 219). Der Beklagte stellte die Zahlungen im Frühjahr 1999 ohne Ausnahme ein. Daß bereits geleistete Zahlungen von den begünstigten Mitarbeitern nicht zurückgefordert wurden, ist unschädlich. Die Rückforderung des mit DM 500,00 verhältnismäßig geringen Betrags war – wie der Beklagte zu Recht angenommen hat – gemäß § 818 Abs. 3 BGB aus Rechtsgründen problematisch.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Schaeff, Großmann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 30.01.2002 durch Gaßmann, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 713492 |
FA 2002, 188 |
FA 2002, 209 |
NZA 2002, 815 |
SAE 2002, 350 |
AuA 2002, 230 |
EzA-SD 2002, 14 |
EzA |
NJOZ 2002, 1761 |