Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Fehler des Anwaltsgehilfen bei der Ermittlung und Wahl der Faxnummer des Rechtsmittelgerichts
Leitsatz (amtlich)
Die Verwendung der richtigen Empfängernummer kommt im Telefaxverkehr der Adressierung des Schreibens gleich. Deshalb muß ein Rechtsanwalt bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze mittels Telefax durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, daß der Sendebericht nicht nur auf vollständige und fehlerfreie Übermittlung des Textes, sondern auch auf die richtige Empfängernummer abschließend kontrolliert wird (im Anschluß an BayObLG Beschluß vom 13. Oktober 1994 – 1 Z RR 39/94 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung 1994 unter der Nr. 56 vorgesehen).
Normenkette
ArbGG § 66 Abs. 1; ZPO §§ 233, 519b Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 19. Oktober 1994 – 2 Sa 42/94 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Arbeitgeberkündigung und um Lohnansprüche des Klägers aus Annahmeverzug der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt.
Gegen das ihr am 22. März 1994 zugestellte Urteil hatte die Beklagte bereits am 25. Februar 1994 Berufung eingelegt. Am 23. März beantragte sie Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 30. April 1994. Mit Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 24. März 1994 wurde diesem Antrag entsprochen. Die Berufungsbegründung der Beklagten ging am 4. Mai 1994 (Mittwoch) beim Landesarbeitsgericht ein. Am selben Tag erhielt das Landesarbeitsgericht über das Gewerbeaufsichtsamt die Berufungsbegründung auch als Fax; das Fax war dort am 2. Mai 1994 um 16.56 Uhr eingegangen.
Nachdem der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten am 10. Mai 1994 durch richterlichen Hinweis von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist erfahren hatte, beantragte er für die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. Mai 1994, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung hat er anwaltlich versichert, er habe die Berufungsbegründung am frühen Nachmittag des 2. Mai 1994 unterschrieben und einem als Anwalts- und Notargehilfen ausgebildeten, seit über 15 Jahren beschäftigten Bürovorsteher mit der Anweisung ausgehändigt, die Übermittlung per Fax zu veranlassen. Der Mitarbeiter, der das Faxgerät fast täglich mehrmals bediene und bei dem Fehler bisher nie vorgekommen seien, habe die Faxnummer dem amtlichen Telefaxverzeichnis entnommen, jedoch versehentlich die in dem Verzeichnis unmittelbar über dem zutreffenden Anschluß abgedruckte Nummer des Gewerbeaufsichtsamts gewählt. Am Ende des Übermittlungsvorgangs habe der Mitarbeiter dem Faxgerät den Übermittlungsbericht mit dem Ergebnis o.k. entnommen und das Übermittlungsergebnis mitgeteilt. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat zur Glaubhaftmachung ferner eine entsprechende eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters vom 25. Mai 1994 vorgelegt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, begehrt die Beklagte weiterhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und demgemäß die Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landesarbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Beklagten kann Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden, weil die Voraussetzungen des § 233 ZPO nicht dargelegt sind.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem der Beklagten zuzurechnenden Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten. Dieser sei persönlich für die richtige Adressierung der Berufungsbegründung verantwortlich gewesen. Im Telefaxverfahren gehöre dazu auch die richtige Angabe der Empfängernummer. Diese habe er nicht seinem Büropersonal überlassen dürfen, ohne sie selbst zu überprüfen. Der Beklagten könne deshalb Wiedereinsetzung nicht gewährt werden.
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält jedenfalls im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
Die Beklagte hat die Berufung nicht fristgerecht begründet. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 4 ArbGG, § 193 BGB hätte die Berufungsbegründung spätestens am 2. Mai 1994 beim Landesarbeitsgericht eingehen müssen. Der Eingang per Telefax beim Gewerbeaufsichtsamt an diesem Tag konnte die Frist nicht wahren. Beim Landearbeitsgericht ging die Berufungsbegründung erst am 4. Mai 1994 und damit verspätet ein. Von der Versäumung der Frist geht auch die Beklagte aus.
Gegen die Fristversäumung hat die Beklagte zwar in zulässiger Weise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt; insbesondere hat sie den Antrag in der gebotenen Form (§ 236 ZPO) und innerhalb der hierfür geltenden Frist (§ 234 ZPO) gestellt. Ihr Antrag ist jedoch, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, sachlich unbegründet. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß die Fristversäumung auf einem Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten im Sinne von § 233 ZPO beruht, welches der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Fristgebundene Schriftsätze können mit Telefax fristwahrend übermittelt werden (vgl. BVerfGE 74, 228, 234 = AP Nr. 37 zu Art. 103 GG; BAG Urteil vom 14. September 1994 – 2 AZR 95/94 – BB 1995, 102, m.w.N.). Dabei darf der Anwalt das Absenden der Telekopie auch einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen (vgl. BGH Beschluß vom 28. Oktober 1993 – VII ZB 22/93 – AP Nr. 28 zu § 233 ZPO 1977). Allerdings ist der Anwalt gehalten, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen (vgl. BGH Beschluß vom 17. November 1992 – X ZB 20/92 – NJW 1993, 732, m.w.N.). Für die richtige Adressierung des Schriftsatzes trägt der Anwalt auch bei der Übermittlung per Telefax die persönliche Verantwortung; soweit er die Adressierung seinem Büropersonal überläßt, hat er sie selbst auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BGH Beschluß vom 10. Januar 1990 – XII ZB 141/89 – NJW 1990, 990). Streitig ist allerdings, ob dies auch für die Ermittlung der richtigen Telefaxnummer des zutreffend bezeichneten Empfängers gilt (bejahend Ebnet NJW 1992, 2985, 2988; vgl. auch BGH Beschluß vom 26. Mai 1994 – III ZB 35/93 – AnwBl 1994, 520; a.A. BVerwG Urteil vom 26. April 1988 – 9 C 271/86 – NJW 1988, 2814; vgl. auch BGH Beschluß vom 30. März 1994 – XII ZB 134/93 – AnwBl, aaO). Selbst wenn man aber annehmen wollte, der Anwalt müsse die zutreffende Telefaxnummer weder selbst feststellen noch selbst überprüfen, so ist doch nicht zu übersehen, daß bei der Ermittlung und der Eingabe der Empfängernummer leicht Fehler unterlaufen können, sei es daß – wie hier – die Nummer im Telefaxverzeichnis aus einer falschen Zeile entnommen wird, sei es daß bei der Ermittlung aus der Akte statt der Nummer des Gerichts die Nummer eines anderen Prozeßbeteiligten abgelesen wird (vgl. Senatsbeschluß vom 30. März 1995 – 2 AZR 1053/94 – n.v.) oder daß bei der Eingabe der richtig ermittelten Nummer versehentlich eine falsche Ziffer verwendet wird. Zur Vermeidung der Fristversäumung aufgrund solcher und ähnlicher Fehler hat der Anwalt die möglichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Dazu gehört die Anweisung an das Büropersonal, den Sendebericht nicht nur auf die vollständige und fehlerfreie Übermittlung des Textes, sondern auch auf die richtige Empfängernummer abschließend zu kontrollieren, denn die Verwendung der richtigen Empfängernummer kommt im Telefaxverkehr der Adressierung des Schriftsatzes gleich (ebenso BayObLG Beschluß vom 13. Oktober 1994 – 1 Z RR 39/94 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung 1994 unter der Nr. 56 vorgesehen).
Daß im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten eine solche Anweisung bestanden hätte, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß eine solch abschließende Kontrolle des Sendeberichts einschließlich der Empfängernummer erfolgt ist, denn andernfalls hätte der unterlaufene Ablesefehler festgestellt und die Berufungsbegründung dem Landesarbeitsgericht noch fristgerecht übermittelt werden können. Das Landesarbeitsgericht hat demnach die Berufung des Beklagten mit Recht gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 519b Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
Unterschriften
Etzel, Fischermeier, Röder, Dr. Roeckl
Richter am BAG Bröhl hat Urlaub
Etzel
Fundstellen
Haufe-Index 870880 |
NJW 1995, 2742 |
JR 1996, 44 |
NZA 1995, 805 |
Jur-PC 1995, 3440 |