Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des TVAng Bundespost auf Angestellte aus Beitrittsgebiet
Orientierungssatz
Es besteht kein sachlicher Grund, auf Arbeitnehmer, die auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages für die bei der Deutschen Bundespost beschäftigten Angestellten vom 21. März 1961 (TVAng) beschäftigt sind, nur deshalb weiterhin die Bestimmungen des Tarifvertrages Nr 401a zur Anpassung des Tarifrechts für Angestellte der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet an den TVAng (TVAng-Ost) anzuwenden, weil ihr Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist.
Normenkette
TVG § 1; EinigVtr Art. 8, 3, 9; GG Art. 3 Abs. 1-2, Art. 9 Abs. 3; EinigVtr Art. 20; ZPO § 256 Abs. 1; ArbGG § 11 Abs. 2; EinigVtr Art. 13 Abs. 2; EinigVtr Anlage I Kap. II B II Nr. 2 b; PostVerfG § 60 Abs. 1; ArbGG § 76 Abs. 1 S. 1; EinigVtr Anlage I Kap. VIII A; ArbGG § 76 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 3; EinigVtr Anlage I Kap. III B II; EinigVtr Anlage I Kap. XIX A III Nr. 1 A
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für die bei der Deutschen Bundespost beschäftigten Angestellten vom 21. März 1961 (TVAng) oder der seit 1. Januar 1991 geltende Tarifvertrag Nr. 401 a zur Anpassung des Tarifrechts für Angestellte der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet an den TVAng (TVAng-Ost) vom 27. November 1990 Anwendung findet. Beide Tarifverträge sind auf Arbeitnehmerseite von der Deutschen Postgewerkschaft abgeschlossen, deren Mitglied die Klägerin ist.
Die Klägerin war seit 16. März 1987 bei der Deutschen Post im Hauptpostscheckamt beschäftigt, das seinen Sitz im ehemaligen Ostberlin hatte. Diese Behörde wurde durch Verfügung des Bundesministers für Post und Telekommunikation mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 auf die Beklagte überführt und durch Verfügung der Beklagten vom 26. März 1991 mit Wirkung vom 1. April 1991 "aufbauorganisatorisch als selbständige Organisationseinheit aufgehoben". Vom gleichen Zeitpunkt an wurden die vom Hauptpostscheckamt wahrzunehmenden Aufgaben "in die Dienststellen des Postgiroamtes Berlin integriert". Das Postgiroamt liegt im ehemaligen Westberlin. Dort ist die Klägerin seit 1. April 1991 beschäftigt. Im April 1991 teilte die Beklagte der Klägerin schriftlich mit, daß sie mit Eingliederung des Hauptpostscheckamtes in das Postgiroamt Mitarbeiterin des Postgiroamtes sei. Die Klägerin wohnt weiterhin im ehemaligen Ostberlin.
Die Beklagte wendet auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin den TVAng-Ost an. Dieser bestimmt in § 1 Abs. 1 über seinen Geltungsbereich:
"Dieser Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmer, die
eine angestelltenversicherungspflichtige Tätig-
keit bei der Deutschen Bundespost ausüben und
deren Arbeitsverhältnisse in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet
sind, auch wenn für sie eine Versicherungspflicht
nicht besteht (Angestellte)."
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf ihr Arbeitsverhältnis finde seit 1. April 1991 der TVAng Anwendung, der günstigere Arbeitsbedingungen enthalte als der TVAng-Ost. Der TVAng bestimmt in § 1 Abs. 1 über seinen Geltungsbereich:
"Dieser Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmer, die
eine angestelltenversicherungspflichtige Tätig-
keit bei der Deutschen Bundespost ausüben, auch
wenn für sie eine Versicherungspflicht nicht be-
steht (Angestellte)."
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß auf das Beschäftigungsverhält-
nis zwischen ihr und der Beklagten seit dem
1. April 1991 der Tarifvertrag für Angestellte
bei der Deutschen Bundespost (Tarifgebiet West)
Anwendung findet.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat gemeint, der TVAng-Ost sei anzuwenden, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Beitrittsgebiet begründet worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und auf Antrag der Klägerin die Sprungrevision zugelassen. Es hat dies damit begründet, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe und die Auslegung eines Tarifvertrags betreffe, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Landesarbeitsgerichts Berlin hinaus erstrecke.
Mit der Sprungrevision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Der Revisionsschrift ist eine Erklärung der Beklagten beigefügt, in der diese der Sprungrevision zustimmt.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision hat Erfolg. A. Die Sprungrevision ist zulässig. I. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts unter Übergehung der Berufungsinstanz unmittelbar die Revision eingelegt werden (Sprungrevision), wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie vom Arbeitsgericht auf Antrag im Urteil zugelassen wird. Ist die Sprungrevision im Urteil zugelassen, so ist gemäß § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Zustimmung des Gegners der Revisionsschrift beizufügen. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 ArbGG darf das Arbeitsgericht die Sprungrevision nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und eine der dort bezeichneten Rechtsstreitigkeiten betrifft.
II. Das Arbeitsgericht hat die Sprungrevision auf Antrag der Klägerin im Urteil zugelassen. Der Revisionsschrift ist die Zustimmung der Beklagten zur Sprungrevision beigefügt. Zwar ist der Bevollmächtigte der Beklagten weder Rechtsanwalt noch Verbandsbevollmächtigter. Er konnte diese Erklärung jedoch rechtswirksam im Namen der Beklagten abgeben, weil insoweit kein Vertretungszwang gemäß § 11 Abs. 2 ArbGG besteht (vgl. BAGE 48, 235, 238 f. = AP Nr. 7 zu § 37 BAT, zu A II 1 und 2 der Gründe). Das Arbeitsgericht hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht. Daran ist der Senat gebunden (vgl. BAG Urteil vom 12. Februar 1985 - 3 AZR 335/82 - AP Nr. 4 zu § 76 ArbGG 1979, zu 2 b der Gründe; BAGE 40, 355 = AP Nr. 8 zu § 42 SchwbG). Die Rechtssache betrifft einen Rechtsstreit über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bereich des Landesarbeitsgerichts Berlin hinaus erstreckt (§ 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ArbGG). Dies trifft sowohl für den TVAng als auch für den TVAng-Ost zu. Diese Voraussetzung der Sprungrevision hatte der Senat nachzuprüfen (vgl. BAG, aaO).
B. Die Revision ist begründet. I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die sich aus dem TVAng ergebenden Rechte und Pflichten für ihr Arbeitsverhältnis gelten. Mit der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens dieser tariflichen Rechte und Pflichten wird der wesentliche Inhalt des zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses geklärt und eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien entzogen. Daraus ergibt sich das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin (vgl. BAGE 3, 303, 305 = AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG Urteil vom 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, zu A der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
II. Die Klage ist begründet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien seit 1. April 1991 der TVAng Anwendung.
1. Das Arbeitsgericht hat angenommen, die Geltungsbereiche beider Tarifverträge kollidierten nicht miteinander. Sehe man von dem besonderen Merkmal ab, das § 1 Abs. 1 TVAng-Ost gegenüber § 1 Abs. 1 TVAng zusätzlich enthalte ("deren Arbeitsverhältnisse in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet sind"), so erfaßten beide Tarifverträge nach ihrem Wortlaut alle Angestellten der Deutschen Bundespost. Aus Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag ergebe sich jedoch, daß der TVAng nur in den alten Bundesländern und Westberlin gelte, weil die Tarifvertragsparteien bisher seine Geltung in den neuen Bundesländern nicht vereinbart hätten. Die somit nur in den alten Bundesländern und dem ehemaligen Westberlin eingetretene Konkurrenz beider Tarifverträge hätten die Tarifvertragsparteien durch § 1 Abs. 1 TVAng-Ost gelöst. "Begründet" sei ein Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet, wenn es dort rechtlich "verwurzelt" sei. Dies sei der Fall, wenn für das Arbeitsverhältnis jetzt noch "Beitrittsgebietsrecht" fortgelte, worunter das dem früheren DDR-Recht nachfolgende "Einigungsvertrags-Bundesrecht" sowie etwaige besondere Nachfolge- bzw. Ersatzvorschriften zu verstehen seien (bundesrechtliche Arbeitsrechtsordnung mit den Maßgaben der Art. 8, 9, 20 EV i.V.m. Anlagen I und II des Einigungsvertrags, insbesondere also mit den Maßgaben der Kapitel III, Sachgebiet B, Abschnitt II Nr. 1, Kapitel VIII, Sachgebiet A, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 der Anlage I sowie der - soweit vorhanden - entsprechenden Maßnahmen der Anlage II). Die in § 1 TVAng-Ost getroffene Regelung spreche gegen die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten räumlich getrennte Tarifgebiete vereinbaren wollen. Sie verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie sei vielmehr durch die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) gedeckt.
Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts fällt die Klägerin in den persönlichen Geltungsbereich des TVAng.
2. Nach § 1 Abs. 1 TVAng gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer, die eine angestelltenversicherungspflichtige Tätigkeit bei der Deutschen Bundespost ausüben. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin.
a) Die Klägerin ist Arbeitnehmerin der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis war durch Arbeitsvertrag vom 23. März 1987 mit der Deutschen Post der ehemaligen DDR begründet worden. Das Hauptpostscheckamt, in dem die Klägerin beschäftigt war, wurde gemäß Art. 13 Abs. 2 des Einigungsvertrages auf die Beklagte überführt (Verfügung des Bundesministers für Post und Telekommunikation vom 1. Oktober 1990, 136/1990, unter II.4 Amtsbl. 1990, 1444 vom 1. Oktober 1990). Dadurch wurde die Klägerin gemäß der Regelung in Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag Arbeitnehmerin der Beklagten (vgl. dazu BVerfGE 84, 133, 147, zu C III 2 der Gründe).
b) Seit dem 1. April 1991, dem Zeitpunkt der Aufhebung des Hauptpostscheckamtes, wird die Klägerin im Postgiroamt beschäftigt. Der Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses, der grundsätzlich am Sitz der Dienststelle anzunehmen ist (vgl. BAG Urteil vom 3. Dezember 1985 - 4 AZR 325/84 - AP Nr. 5 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel), befindet sich seit diesem Zeitpunkt im räumlichen Geltungsbereich des TVAng.
c) Die Klägerin, deren Tätigkeit unstreitig angestelltenversicherungspflichtig ist, fällt unter den persönlichen Geltungs bereich des TVAng. Da der TVAng anders als der TVAng-Ost keine weitere Bestimmung über seinen persönlichen Geltungsbereich enthält, fallen unter ihn alle Personen, die unter seinen räumlichen, zeitlichen, betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich fallen (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 203 VI 1). Dazu gehört die Klägerin. Sie ist Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft. Die Beklagte ist gemäß § 60 Abs. 1 PostVerfG in den zwischen dieser Gewerkschaft und dem früheren Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen geschlossenen TVAng eingetreten.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht der TVAng-Ost Anwendung.
Gemäß § 1 Abs. 1 TVAng-Ost gilt dieser von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossene Tarifvertrag für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet begründet sind. Diese gegenüber dem § 1 Abs. 1 TVAng jüngere und speziellere Tarifnorm findet entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin seit 1. April 1991 keine Anwendung mehr.
a) Der Fall gibt dem Senat keinen Anlaß, dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. inwieweit der Tarifauslegung des Arbeitsgerichts unter dem Gesichtspunkt der herkömmlichen Kriterien der Tarifauslegung (vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) im einzelnen zu folgen ist. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin fällt jedenfalls seit 1. April 1991 nicht mehr in den Geltungsbereich des TVAng-Ost. Dies ergibt sich aus dessen verfassungskonformer Auslegung. Die Anwendung des TVAng-Ost auf das Arbeitsverhältnis der auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des TVAng beschäftigten Klägerin verstieße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), denn die Klägerin würde allein deshalb anders behandelt als die übrigen Arbeitnehmer, für die dieser Tarifvertrag gilt, weil ihr Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist. Dafür gibt es entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keinen sachlich einleuchtenden Grund.
aa) Die Tarifvertragsparteien haben im Rahmen der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Tarifautonomie die Befugnis, für ihre Mitglieder die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln. Hierbei steht ihnen zwar grundsätzlich ein weiter Regelungsspielraum zur Verfügung. Gleichwohl bestehen bei der tariflichen Normsetzung verfassungsrechtliche Grenzen der Regelungsbefugnis. Die Tarifvertragsparteien haben insbesondere Art. 3 GG zu beachten, der es verbietet, in einem Tarifvertrag gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln (vgl. BAGE 1, 258, 260 ff. = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAGE 29, 122 = AP Nr. 111 zu Art. 3 GG; BAGE 50, 137, 141 ff. = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG).
bb) Allerdings würde die Regelung des persönlichen Geltungsbereichs des TVAng-Ost in der Auslegung, die das Arbeitsgericht vorgenommen hat, nicht gegen das gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG speziellere Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. Danach darf niemand wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden. Es muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem der aufgeführten Gründe und der Benachteiligung bestehen. Verboten ist somit die bezweckte Benachteiligung. Die Bestimmung schützt jedoch nicht gegen Nachteile, die infolge anderer Differenzierungsmerkmale entstehen (vgl. BVerfGE 2, 266, 286; 75, 40, 70; BVerwGE 75, 86, 96).
Die Tarifvertragsparteien, deren beider Tarifwerke unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Art. 3 GG als Einheit angesehen werden müssen, haben durch die Regelung des § 1 Abs. 1 TVAng-Ost die Arbeitnehmer des Beitrittsgebiets nicht wegen ihrer Heimat oder ihrer Herkunft benachteiligen, sondern durch ungleiche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in beiden Teilen Deutschlands Rechnung tragen wollen. Der TVAng-Ost läßt jedoch erkennen, daß nach und nach die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen in der gesamten Bundesrepublik erreicht werden soll. Dementsprechend heißt es im Einleitungssatz zum TVAng-Ost, dieser werde "zur Anpassung des Tarifrechts für Angestellte der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet an den TVAng" geschlossen. Dies schließt eine Diskriminierungsabsicht gegenüber den Angestellten, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet sind, aus.
b) Die Einbeziehung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin in den persönlichen Geltungsbereich des TVAng-Ost würde jedoch zu deren nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung mit anderen auf Dauer im Geltungsbereich des TVAng beschäftigten Arbeitnehmern führen. Darin läge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Klägerin würden dadurch ungünstigere Arbeitsbedingungen zugemutet als anderen Arbeitnehmern, für die der TVAng gilt. Dafür gäbe es keinen sachlichen Grund.
aa) Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung ist anzunehmen, wenn sich für die vorgenommene Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist (vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 33, 367, 384; 71, 39, 58). Willkür ist aber keine Frage der subjektiven Motivation, sondern der objektiven Unangemessenheit einer Regelung im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation (BVerfGE 2, 266, 281; 4, 144, 155; 42, 64, 73 = AP Nr. 4 zu § 139 ZPO, zu B I der Gründe; BVerfGE 51, 1, 26 f.; 55, 72, 88; 72, 141, 150). Dabei haben die Tarifvertragsparteien weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sie brauchen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt vielmehr, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (BVerfGE 3, 58, 135; 33, 44, 51; 54, 11, 25 f. = AP Nr. 116 zu Art. 3 GG, zu B I der Gründe; BVerfGE 71, 39, 58; 75, 108, 157).
bb) Die Arbeitsbedingungen nach dem TVAng-Ost sind ungünstiger als die nach dem TVAng.
Die Klägerin würde durch die Anwendung des TVAng-Ost gegenüber Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse nicht im Beitrittsgebiet begründet sind, nicht nur durch die immer noch niedrigere Vergütung benachteiligt. Ein Vergleich zeigt, daß im TVAng-Ost auch andere Leistungen fehlen, die der TVAng vorsieht. Während nach §§ 38 und 39 des TVAng die Angestellten der Deutschen Bundespost unter den dort im einzelnen geregelten Voraussetzungen einen Anspruch auf Jubiläumszuwendungen und Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen haben, bestehen für die dem TVAng-Ost unterliegenden Arbeitsverhältnisse diese Ansprüche nicht. Weiterhin gelten die in den §§ 46 bis 54 TVAng enthaltenen Regelungen über die Beendigung und Änderung von Arbeitsverhältnissen nicht für die Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnis der TVAng-Ost Anwendung findet. Auch in der derzeit gültigen Fassung des TVAng-Ost vom Mai 1992 ist noch keine Gleichstellung der tariflichen Arbeitsbedingungen vollzogen worden. So gibt es beispielsweise nach wie vor nach dem TVAng-Ost keinen Anspruch auf Beihilfe wie ihn § 39 TVAng vorsieht.
cc) Für Unterschiede dieser Art und dieses Gewichts gibt es bezogen auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin keine sachliche Rechtfertigung. Die von der Beklagten vorgetragenen und vom Arbeitsgericht anerkannten Gründe berechtigen nicht dazu, Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet worden ist, die aber auf nicht absehbare Zeit im räumlichen Geltungsbereich des TVAng tätig sind, tarifrechtlich anders zu behandeln als die übrigen dem Geltungsbereich des TVAng unterliegenden Arbeitnehmer.
Die mit dem TVAng-Ost nach dem Einleitungssatz bezweckte Anpassung des Tarifrechts für Angestellte der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet an den TVAng erlaubt diese Unterscheidung nicht. Zwar sind die Tarifvertragsparteien rechtlich nicht gehindert, regional unterschiedliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, um unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Vielfach werden die tatsächlichen Unterschiede zu solchen Differenzierungen zwingen. Der Einigungsvertrag hat dieser im Zeitpunkt der deutschen Einheit im Verhältnis zwischen den alten und den neuen Bundesländern eingetretenen Sachlage dadurch Rechnung getragen, daß er die Erstreckung der in den alten Bundesländern geltenden Arbeitsbedingungen für den öffentlichen Dienst auf das Beitrittsgebiet von einer Vereinbarung der Tarifvertragsparteien abhängig gemacht hat (Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag). Vorliegend geht es jedoch nicht um den Vergleich der tariflichen Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer in den alten und den neuen Bundesländern, sondern um die Frage, ob ein sachlicher Grund dafür besteht, auf Arbeitnehmer, die auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des TVAng beschäftigt sind, nur deshalb weiterhin die Bestimmungen des TVAng-Ost anzuwenden, weil ihr Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist. Solche Gründe sind nicht ersichtlich.
Das Arbeitsgericht meint, bei Umsetzungen oder Versetzungen ergäben sich erhebliche Schwierigkeiten, wenn nach den üblichen Kollisionsnormen verfahren würde, insbesondere würden dadurch der Austausch von Arbeitnehmern aus Altgebiet und Beitrittsgebiet zwecks Fortbildung sowie die Dynamik der Verwaltung behindert werden. Dieser Gesichtspunkt greift im vorliegenden Fall nicht durch. Ein sachlicher Grund dafür, warum einem Arbeitnehmer, der in den räumlichen Geltungsbereich des TVAng versetzt, dort also auf Dauer beschäftigt wird, die in diesem Tarifvertrag enthaltenen Arbeitsbedingungen vorenthalten werden sollen, ist nicht ersichtlich. Der Grund, einem Arbeitnehmer die ungünstigeren Arbeitsbedingungen des TVAng-Ost zuzumuten, ist entfallen, wenn er künftig auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des TVAng beschäftigt werden soll. Allein daß das Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist, erklärt nicht einleuchtend, warum dem Arbeitnehmer, der auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des TVAng beschäftigt wird, die auf die dortigen Bedürfnisse zugeschnittenen Arbeitsbedingungen, die für alle anderen dort beschäftigten Arbeitnehmer gelten, vorenthalten werden sollen. Demgegenüber versagt auch das weitere Argument des Arbeitsgerichts, es sei vertretbar und deshalb vom Ermessen der Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt, die Klägerin mit den Arbeitnehmern gleichzustellen, die ihre Tätigkeit weiterhin im Beitrittsgebiet ausüben. Es läßt sich nicht einleuchtend erklären, warum die Klägerin, nachdem sie im Geltungsbereich des TVAng arbeitet, weiterhin mit den Arbeitnehmern im Beitrittsgebiet gleichbehandelt werden soll, wenn dies nur um den Preis ihrer auf unbestimmte Zeit angelegten Ungleichbehandlung am neuen Arbeitsplatz möglich ist. Auch der vom Arbeitsgericht zur Bestärkung seiner Auffassung herangezogene Gesichtspunkt, die öffentlichen Arbeitgeber hätten wegen der Vergrößerung ihrer Verwaltungen nun auch Aufgaben für das Beitrittsgebiet mitzuerledigen, greift nicht durch. Er liefert keinen sachlichen Grund für die individuelle Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet sind, die aber auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des TVAng beschäftigt werden.
Auch andere Gesichtspunkte rechtfertigen die Unterscheidung nicht. Daß auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Bestimmungen des früheren DDR-Rechts und des Einigungsvertrags anzuwenden sind, ist unerheblich. Gegenüber den Nachteilen, die der Klägerin bei Anwendung des TVAng-Ost entstünden, ist dies ein formaler Gesichtspunkt, dem kein Gewicht beikommt. Ebensowenig kommt es darauf an, daß die Klägerin weiterhin im früheren Ostberlin wohnt. Die Kostenvorteile, die sich daraus bis zur Angleichung der Lebensverhältnisse in beiden Teilen Deutschlands ergeben mögen, könnte sich auch ein im ehemaligen Westberlin beschäftigter Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nicht im Beitrittsgebiet begründet ist, verschaffen, indem er dorthin umzieht. Schließlich wird die unterschiedliche Behandlung der Klägerin auch nicht dadurch gerechtfertigt, daß die Angleichung der Arbeitsbedingungen in Ost und West beabsichtigt ist und der jetzige Zustand somit nur für eine Übergangszeit gelten soll. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem dieses gemeinsame Ziel der Tarifvertragsparteien erreicht ist, müssen zwar unterschiedliche Arbeitsbedingungen in Ost und West hingenommen werden. Daraus folgt jedoch nicht das Recht der Tarifvertragsparteien zur individuellen Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet sind, die aber auf Dauer im räumlichen Geltungsbereich des TVAng beschäftigt werden.
dd) Keiner Stellungnahme des Senats bedarf die vom Arbeitsgericht zum Ausdruck gebrachte Befürchtung, nicht nur bei "Versetzungen", sondern auch bei "Umsetzungen" ergäben sich erhebliche Schwierigkeiten, wenn nach den üblichen Kollisionsnormen verfahren werde, insbesondere werde dadurch der Austausch von Arbeitnehmern aus Altgebiet und Beitrittsgebiet zwecks Fortbildung behindert. Im vorliegenden Fall geht es nur um eine Beschäftigung auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich des TVAng. Was bei vorübergehender Beschäftigung (eine solche scheint das Arbeitsgericht mit "Umsetzung ... zwecks Fortbildung" zu meinen) gilt, war nicht zu entscheiden.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Armbrüster
Ostkamp Stenzel
Fundstellen
ZAP, RNB-Nr 8/93 (S) |
ZTR 1992, 510-511 (ST1) |
ZfPR 1993, 58 (L) |