Entscheidungsstichwort (Thema)
Bürgenhaftung für Mindestlohn
Leitsatz (amtlich)
- Unternehmen iSv. § 1a AEntG sind Bauunternehmen.
- Die in § 1a AEntG geregelte Bürgenhaftung des Bauunternehmers ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.
- § 1a AEntG ist nicht offenkundig mit der durch Art. 49 EG geschützten Dienstleistungsfreiheit vereinbar. Dem EuGH wird daher im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt, ob Art. 49 EG der in § 1a AEntG angeordneten Bürgenhaftung von Bauunternehmen entgegensteht, wenn der Entgeltschutz der Arbeitnehmer nicht vorrangiges oder nur nachrangiges Ziel des Gesetzes ist.
Orientierungssatz
- Der Ausschluß der Einrede der Vorausklage ändert nichts an der Abhängigkeit der Bürgschaftschuld von der Hauptschuld (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Bürge kann daher unabhängig von Erklärungen des Schuldners der Hauptschuld deren Bestehen bestreiten. Dem steht ein gegen den Schuldner in Rechtskraft erwachsenes Urteil nicht entgegen. Die Rechtskraft einer dem Gläubiger günstigen Entscheidung gegen den Schuldner wirkt nicht gegenüber dem Bürgen (im Anschluß an BGH 28. Februar 1989 – IX ZR 130/88 – BGHZ 107, 92).
- Die Ausschlußfrist des § 16 BRTV-Bau ist keine international zwingende Eingriffsnorm iSv. Art. 34 EGBGB. Die Ausschlußfrist dient vorrangig der Rechtssicherheit beider Vertragsparteien, nicht aber einem weitergehenden öffentlichen Interesse.
- § 1a AEntG bezweckt die Durchsetzung des durch die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe in der jeweils geltenden Fassung festgesetzten Mindestlohns auf Baustellen. Die Bürgenhaftung soll Bauunternehmer im eigenen Interesse veranlassen darauf zu achten, daß die beauftragten Nachunternehmer die nach § 1 AEntG geltenden zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten. Die durch § 1a AEntG gesicherten Mindestlöhne im Baugewerbe sollen ihrerseits Wettbewerbsvorteile ausländischer Unternehmen aus Ländern mit deutlich niedrigerem Lohnniveau ausgleichen und so die Bautätigkeit in Deutschland den inländischen Arbeitslosen zugute kommen lassen (BT-Drucks. 13/2414 S 7). § 1a AEntG dient ferner der Sicherung der Tarifautonomie. Schließlich soll durch das Arbeitnehmerentsendegesetz insgesamt einer Verschlechterung der Situation der Klein- und Mittelbetriebe der deutschen Bauwirtschaft entgegengewirkt werden.
- Der Begriff Unternehmer in § 1a AEntG ist einschränkend auszulegen. Nicht jeder Unternehmer iSv. § 14 Abs. 1 BGB, der eine Bauleistung in Auftrag gibt, wird vom Geltungsbereich des § 1a AEntG erfaßt. Zweck des Gesetzes ist vielmehr, Bauunternehmer, die sich verpflichtet haben, ein Bauwerk zu errichten, und dies nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigen, sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen eines oder mehrerer Subunternehmen bedienen, als Bürgen haften zu lassen. Da diesen Bauunternehmen der wirtschaftliche Vorteil der Beauftragung von Nachunternehmern zugute kommt, sollen sie für die Lohnforderungen der dort beschäftigten Arbeitnehmer nach § 1a AEntG einstehen. Diese Gesetzeszwecke treffen auf andere Unternehmer, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben, nicht zu. Diese beschäftigen keine eigenen Bauarbeitnehmer. Sie beauftragen auch keine Subunternehmer, die für sie eigene Leistungspflichten erfüllen. Bauherren fallen daher nicht in den Geltungsbereich des § 1a AEntG.
- § 1a AEntG verstößt nicht gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit. Die in § 1a AEntG geregelte Bürgenhaftung greift zwar in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein, wonach alle Deutschen das Recht haben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit ist jedoch durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist zur Erreichung der gesetzlichen Ziele geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn. Für die von § 1a AEntG erfaßten Bauunternehmer bestehen ausreichend rechtliche Möglichkeiten, das Haftungsrisiko einzugrenzen.
- Die in § 1a AEntG angeordnete Bürgenhaftung ist mit der durch Art. 49 EG (Amsterdamer-Fassung, vormals Art. 59 EG-Vertrag) gewährleisteten Freiheit des Dienstleistungsverkehrs nicht offenkundig vereinbar. Die Bürgenhaftung aus § 1a AEntG kann wegen der angezeigten Kontrollen und Nachweispflichten die Erbringung von Bauleistungen in Deutschland durch Bauunternehmen aus Mitgliedstaaten negativ beeinflussen.
Um die Anwendbarkeit des § 1a AEntG einer Klärung zuzuführen, wird gem. Art. 234 EG der EuGH zur Vorabentscheidung über folgende Frage angerufen:
Steht Art. 49 EG (vormals Art. 59 EG-Vertrag) einer nationalen Regelung entgegen, nach der ein Bauunternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers oder eines Nachunternehmers zur Zahlung des Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien wie ein Bürge haftet, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, wenn das Mindestentgelt den Betrag erfaßt, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist (Nettoentgelt), wenn der Entgeltschutz der Arbeitnehmer nicht vorrangiges oder nur nachrangiges Ziel des Gesetzes ist?
Normenkette
AEntG §§ 1, 1a; GG Art. 12; EG Art. 49, 234; BGB §§ 765, 767, 771
Verfahrensgang
Tenor
- Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 49 EG (vormals Art. 59 EG-Vertrag) einer nationalen Regelung entgegen, nach der ein Bauunternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers oder eines Nachunternehmers zur Zahlung des Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien wie ein Bürge haftet, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, wenn das Mindestentgelt den Betrag erfaßt, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist (Nettoentgelt), wenn der Entgeltschutz der Arbeitnehmer nicht vorrangiges oder nur nachrangiges Ziel des Gesetzes ist?
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über Arbeitsvergütung.
Der Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Portugal. Er war in der Zeit vom 21. Februar 2000 bis zum 15. Mai 2000 als Arbeitnehmer der Beklagten zu 1), einem Bauunternehmen mit Sitz in Figuera da Foz, Portugal, als Maurer auf einer Baustelle in Berlin tätig. Die Beklagte zu 1) führte auf dieser Baustelle für die Beklagte zu 2), die ein Bauunternehmen betreibt, Beton- und Stahlbetonarbeiten aus. In dem zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag vom 21. Februar 2000 ist folgendes vereinbart:
“…
3. Klausel – Entsendebefristung
1. Die Entsendezeit in die Bundesrepublik Deutschland beträgt voraussichtlich sechs Monate, bzw. erfolgt für die Zeitdauer der Bauarbeiten, welche mehr/weniger als sechs Monate beginnend am 21. Februar 2000 bis zum 15. Mai 2000 dauern werden.
…
4. Klausel – Arbeitszeit
1. Unter Berücksichtigung der auf die Erbringung von Arbeitsleistungen in Deutschland anwendbaren Rechtsvorschriften sowie der Besonderheiten der auszuübenden Tätigkeit vereinbaren die Parteien eine regelmäßige Arbeitszeit von acht Stunden täglich, von Montag bis einschließlich Samstag, mithin 48 Stunden wöchentlich und 208 im Monat, gem. dem deutschen Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994.
2. Die tägliche Arbeitszeit kann jedoch auf zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Monaten oder innerhalb von 24 Wochen acht Stunden pro Tag von Montag bis Samstag nicht überschritten werden.
…
7. Klausel – Pflichten des Arbeitnehmers
…
3. Die Einkommenssteuer ist in Deutschland zu entrichten, wobei er (der Arbeitnehmer) damit einverstanden ist, daß die erste Vertragspartei sie an der Quelle einbehält und in seinem Namen den entsprechenden Betrag entrichtet.
…
9. Klausel – Vergütung
1. Der Arbeitnehmer erhält einen monatlichen Bruttolohn von 220.000,00 (portug.) Escudos, zahlbar nach dem 15. (fünfzehnten) eines jeden Monats.
…
10. Klausel – Mindestlohn
…
7. Die rechtliche Behandlung der Sozialabgaben sowie Besteuerung der Aufwandsentschädigung für die Entsendung ins Ausland erfolgt nach dem portugiesischen Sozialversicherungsrecht sowie nach dem deutschen Steuerrecht, soweit die Parteien eine günstigere Regelung mit Minimalabgaben wünschen.
…
14. Klausel – Anwendbares Recht
1. Arbeitgeberin und Arbeitnehmer wählen das portugiesische Recht.
…”
In der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl. I S 1894) ist bestimmt:
“Auf Grund des § 1 Abs. 3a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), der durch Artikel 10 Nr. 1d des Gesetzes vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3843) eingefügt worden ist, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, nachdem es den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie den Parteien des Tarifvertrages nach § 1 dieser Verordnung Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben hat:
§ 1
Die in der Anlage 1 zu dieser Verordnung aufgeführten Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung eines Mindestlohnes im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) vom 26. Mai 1999, abgeschlossen zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V., Kronenstraße 55-58, 10117 Berlin, und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., Kurfürstenstraße 129, 10785 Berlin, einerseits sowie der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Bundesvorstand, Olof-Palme-Straße 19, 60439 Frankfurt am Main, andererseits finden auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, die unter seinen am 1. September 1999 gültigen Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringt. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre im Geltungsbereich der Rechtsverordnung beschäftigten Arbeitnehmer.
…
§ 4
…
Diese Verordnung tritt am 1. September 1999 in Kraft und am 31. August 2000 außer Kraft.
Anlage 1 (zu § 1)
Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung eines Mindestlohnes im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) vom 26. Mai 1999
…
§ 2 Lohn der Berufsgruppe VII 2/Mindestlohn
(1) Der Gesamttarifstundenlohn (GTL) der Berufsgruppe VII 2 (Die Definition der Berufsgruppe VII 2 im Anhang zum Bundesrahmentarifvertrag lautet wie folgt: Dies sind Arbeitnehmer, die einfache Bauarbeiten verrichten, in den ersten sechs Monaten ihrer Tätigkeit.) setzt sich aus dem Tarifstundenlohn (TL) und dem Bauzuschlag (BZ) zusammen. Der Bauzuschlag beträgt 5,9 v.H. des Tarifstundenlohnes. Der Bauzuschlag wird gewährt zum Ausgleich der besonderen Belastungen, denen der Arbeitnehmer insbesondere durch den ständigen Wechsel der Baustelle (2,5 ) und die Abhängigkeit von der Witterung außerhalb der gesetzlichen Schlechtwetterzeit (2,9 ) ausgesetzt ist; er dient ferner in Höhe von 0,5 v.H. dem Ausgleich von Lohneinbußen, die sich in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit ergeben. Der Bauzuschlag wird für jede lohnzahlungspflichtige Stunde, nicht jedoch für Leistungslohn-Mehrstunden (Überschußstunden im Akkord), gewährt.
(2) Der Tarifstundenlohn, der Bauzuschlag und der Gesamttarifstundenlohn betragen:
|
TL |
BZ |
GTL |
|
DM |
DM |
DM |
a) |
17,47 |
1,03 |
18,50 |
im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, ausgenommen die Gebiete der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen |
b) |
15,37 |
0,91 |
16,28 |
im Gebiet der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen |
(3) Der Gesamttarifstundenlohn der Berufsgruppe VII 2 ist zugleich Mindestlohn im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AEntG für alle von dem persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfaßten Arbeitnehmer. Höhere Lohnansprüche auf Grund anderer Tarifverträge oder einzelvertraglicher Vereinbarungen bleiben unberührt.
(4) Der Anspruch auf den Mindestlohn wird spätestens zur Mitte des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den er zu zahlen ist.
…”
Nach dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) festgesetzten Umrechnungskurs entsprechen 200,482 portugiesische Escudos 1,00 Euro.
Mit seiner am 4. September 2000 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten Klage hat der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung rückständiger Arbeitsvergütung verlangt. Er hat geltend gemacht, im Februar 2000 75 Stunden gearbeitet zu haben. Hierfür stünden ihm 687,50 DM zu. Auf diesen Betrag habe die Beklagte zu 1) insgesamt 510,00 DM geleistet, so daß er noch 177,50 DM zu fordern habe. Für den Monat März 2000 stünden ihm 2.200,00 DM sowie weitere 205,90 DM für 39 Überstunden zu. Hierauf habe die Beklagte zu 1) insgesamt 2.000,00 DM bezahlt, so daß noch 405,90 DM offen seien. Die Lohnforderung für April betrage 2.200,00 DM zuzüglich 174,16 DM für 19 geleistete Überstunden. Hierauf habe die Beklagte zu 1) insgesamt 250,00 DM geleistet, so daß noch 2.124,16 DM geschuldet seien. Im Mai 2000 habe er insgesamt acht Überstunden erbracht, so daß ihm für seine Tätigkeit in diesem Monat bis 15. Mai 2000 insgesamt 1.311,67 DM zustünden. Hierauf habe die Beklagte zu 1) nichts bezahlt. Die noch offenen Lohnforderungen betrügen daher 4.019,23 DM. Hierbei handele es sich um einen Nettobetrag, da zwischen den Parteien eine Nettolohnzahlungsvereinbarung getroffen worden sei. Dies habe der Generalhandlungsbevollmächtigte der Beklagten zu 1) im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht bestätigt.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte zu 1) sei als Arbeitgeberin zur Lohnzahlung verpflichtet, die Beklagte zu 2) hafte gem. § 1a Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) als Bürgin für die geltend gemachten Lohnforderungen. Die Vorschrift des § 1a ist durch das Gesetz zu Korrekturen der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S 3843) neu in das AEntG eingefügt worden und zum 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Nach dieser Bestimmung haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2a, 3 Satz 2 und 3 oder Abs. 3a Satz 4 und 5 wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Das Mindestentgelt umfaßt dabei den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist (Nettoentgelt).
Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 4.019,23 DM netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes vom 12. August 2000 zu zahlen;
- die Beklagte zu 1) zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 21. Februar 2000 bis 15. Mai 2000 eine Lohnabrechnung zu erteilen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte zu 1) ist der Klage nicht mit Sachargumenten entgegengetreten. Die Beklagte zu 2) hat die Auffassung vertreten, die Nettolohnforderung sei nicht schlüssig geltend gemacht. Arbeitsvertraglich sei ein Bruttolohn von 220.000,00 portugiesischen Escudos vereinbart worden. Die von dem Vertreter der Beklagten zu 1) vor dem Arbeitsgericht abgegebene Erklärung zu der angeblichen Nettolohnvereinbarung sei unwirksam. Die vorgelegte Generalhandlungsvollmacht habe ihn hierzu nicht berechtigt. Weiterhin bestreite sie die vom Kläger behaupteten Überstunden. Es sei nicht feststellbar, wie viele Stunden der Kläger monatlich gearbeitet habe. Eine Aufschlüsselung fehle. Im übrigen scheide ihre Haftung aus, weil § 1a AEntG einen unzulässigen Eingriff in die durch Art. 12 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit enthalte sowie gegen die im EG-Vertrag gewährleistete Dienstleistungsfreiheit verstoße. Sie bezieht sich für ihre Rechtsauffassung auf Gutachten deutscher Hochschullehrer, nämlich des Professors Dr. Peter Badura, Universität München, zur Verfassungswidrigkeit des § 1a AEntG und des Professors Dr. Volker Rieble, Universität Mannheim, zur Vereinbarkeit der Bürgenhaftung mit EG-Recht.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten zu 2) das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, soweit das Arbeitsgericht die Beklagte zu 2) zur Zahlung von Überstundenvergütung und zu einer gesamtschuldnerischen Haftung verurteilt hat. Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zu 2) zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte zu 2) mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
B. Der Senat ruft gemäß Art. 234 EG den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit der Bitte um Vorabentscheidung an. Die vom Kläger gegen die Beklagte zu 2) erhobene Zahlungsklage ist nur begründet, wenn die Beklagte zu 2) gemäß § 1a AEntG für den Lohnanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1) haftet. Die Vereinbarkeit dieser Haftungsregelung mit der durch Art. 49 EG gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit ist nicht offenkundig.
Die vom Kläger erhobene Nettolohnklage ist zulässig, denn sie ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO).
- Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 21. Februar bis zum 15. Mai 2000 von einer regelmäßigen Arbeitszeit des Klägers von arbeitstäglich acht Stunden bei sechs Arbeitstagen je Woche auszugehen. Die Revision hat hiergegen keine Rügen erhoben.
- In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 21. Februar 2000 haben der Kläger und die Beklagte zu 1) allerdings keinen Nettolohn, sondern einen Bruttolohn vereinbart. Von der Wirksamkeit dieser Vereinbarung ist trotz der von dem Vertreter der Beklagten zu 1) im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht abgegebenen Erklärung im Verhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2) auszugehen. Soweit der Generalhandlungsbevollmächtigte der Beklagten zu 1) behauptet hat, zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) sei – entgegen dem schriftlichen Arbeitsvertrag – eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden, muß die Beklagte zu 2) dies nicht gegen sich gelten lassen. Die in § 1a AEntG geregelte Haftung der Beklagten zu 2) als Bürgin, die auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, bewirkt – die Anwendbarkeit dieser Vorschrift unterstellt – lediglich den Ausschluß der Einrede der Vorausklage (§ 771 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Wird der Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, aus der Bürgschaft in Anspruch genommen, kann er in diesem Verfahren einwenden, die erhobene Forderung bestehe nicht. Der Ausschluß der Einrede der Vorausklage ändert nichts an der Abhängigkeit der Bürgschaftschuld von der Hauptschuld (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Beklagte zu 2) hat daher unabhängig von der Erklärung des Vertreters der Beklagten zu 1) das Bestehen einer Nettomonatslohnvereinbarung bestreiten können. Dem steht auch das gegen die Beklagte zu 1) ergangene, noch nicht zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts nicht entgegen. Sogar die Rechtskraft einer dem Gläubiger günstigen Entscheidung gegen den Hauptschuldner wirkt nicht gegenüber dem Bürgen (BGH 28. Februar 1989 – IX ZR 130/88 – BGHZ 107, 92).
Gleichwohl ist die auf eine Nettolohnzahlung gerichtete Klage nicht wegen mangelnder Bestimmbarkeit der Forderungshöhe unzulässig. Der vom Kläger verlangte Nettostundenlohn von 10,58 DM ist nach den von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit nach § 561 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts niedriger als der Nettostundenlohn, der sich aus dem in der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl. I S 1984) festgelegten Mindestbruttostundenlohn von 18,50 DM ergibt (zur Wirksamkeit dieser Verordnung BVerfG 18. Juli 2000 – 1 BvR 948/00 – NZA 2000, 948; kritisch hierzu Scholz SAE 2000, 266 ff.).
Bei der Berechnung der geltend gemachten Lohnforderung hat das Landesarbeitsgericht allerdings zu Unrecht einen gerundeten Wechselkurs von portugiesischen Escudos zu DM zugrunde gelegt. Maßgeblich ist vielmehr der von der EZB festgesetzte Wechselkurs von 1 Euro zu 2)00,428 portugiesischen Escudos. Unter Berücksichtigung dieses Kurses verringert sich die Lohnforderung des Klägers auf 3.280,92 DM.
Die Lohnforderung des Klägers gegen die Beklagte zu 1), die der Bürgenhaftung der Beklagten zu 2) zugrunde liegt, ist nicht nach § 16 des für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom 3. Februar 1981 (BRTV-Bau) verfallen. Der BRTV-Bau findet auf das Arbeitsverhältnis des Kläger zur Beklagten zu 1) keine Anwendung.
In § 16 BRTV-Bau ist folgendes geregelt:
“
- Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
- Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.
”
- Die Beklagte zu 1) fällt nicht in den räumlichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 BRTV-Bau. Hiernach gilt der BRTV-Bau im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte zu 1) hat in der Bundesrepublik Deutschland keinen Betrieb. Der Sitz der Beklagten zu 1) ist in der Republik Portugal. Der Vertreter der Beklagten zu 1) in Deutschland, Herr M…, hat für die Beklagte zu 1) lediglich Post entgegengenommen und diese nach Portugal weitergeleitet. Der Kläger und die Beklagte zu 1) haben die Geltung des § 16 BRTV-Bau auch nicht vertraglich vereinbart. Auf das Arbeitsverhältnis findet nach Nr. 14 des Arbeitsvertrags portugiesisches Recht Anwendung.
Die Ausschlußfrist des § 16 BRTV-Bau ist nicht gem. Art. 34 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) als international zwingende Eingriffsnorm auf das Arbeitsverhältnis anwendbar.
- Nach Art. 34 EGBGB bleiben ohne Rücksicht auf die nach Art. 27 ff. EGBGB getroffene Rechtswahl und das hiernach auf den Vertrag anzuwendende Recht diejenigen Bestimmungen des deutschen Rechts unberührt, die den Sachverhalt zwingend regeln. Nicht alle nach deutschem Recht zwingenden Rechtsnormen sind allerdings zugleich gemäß Art. 34 EGBGB unabdingbar. Dies folgt für arbeitsrechtliche Vorschriften bereits aus Art. 30 Abs. 1 EGBGB. Danach darf die vereinbarte Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht den Schutz zwingenden deutschen Arbeitsrechts entziehen, sofern dieses ohne Rechtswahl nach den objektiven Anknüpfungen des Art. 30 Abs. 2 EGBGB anzuwenden wäre. Diese Bestimmung wäre, soweit es die Anwendbarkeit deutschen Rechts angeht, überflüssig, wenn jede vertraglich unabdingbare arbeitsrechtliche Norm über Art. 34 EGBGB auf das Arbeitsverhältnis einwirken würde. Inländische Gesetze sind deshalb nur dann Eingriffsnorm iSd. Art. 34 EGBGB, wenn sie entweder ausdrücklich (so zB § 98 Abs. 2 Satz 1 GWB) oder nach ihrem Sinn und Zweck ohne Rücksicht auf das nach den deutschen Kollisionsnormen anwendbare Recht gelten sollen. Erforderlich ist, daß die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden (Senat 12. Dezember 2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB Art. 30 Nr. 10; Senat 3. Mai 1995 – 5 AZR 15/94 – BAGE 80, 84, 92; MünchKommBGB/Martiny 3. Aufl. Art. 34 EGBG Rn. 6 f.).
- In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich § 16 BRTV-Bau nicht als Eingriffsnorm iSv. Art. 34 EGBGB. Tarifvertragliche Vorschriften sind zwar gem. Art. 2 EGBGB Gesetze im materiellen Sinne und damit auch mögliche Eingriffsnormen iSd. Art. 34 EGBGB (vgl. ErfK/Schlachter 3. Aufl. Art. 34 EGBGB Rn. 19). Mit der in § 16 BRTV-Bau geregelten Ausschlußfrist werden jedoch ungeachtet der Allgemeinverbindlicherklärung des BRTV-Bau keine bedeutenden Gemeinwohlinteressen verfolgt (ebenso zum gesamten BRTV-Bau Dörfler Die Nettolohnhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz Diss. Mannheim 2002, S 13; Fritzsche Die Vereinbarkeit des AEntG sowie der erfaßten Tarifverträge mit höherrangigem Recht Diss. Gießen 2001, S 164 ff.; sowie grundsätzlich zu für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen Gerken/Löwisch/Rieble BB 1995, 2370, 2374 f.; Wiedemann TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 73; aA Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 74; zweifelnd Wiedemann/Wank aaO § 5 Rn. 139 f.; zur Rechtslage vor der Neuregelung des Internationalen Privatrechts BAG 4. Mai 1977 – 4 AZR 10/76 – BAGE 29, 138, 146 f.). Die tarifliche Ausschlußfrist gilt sowohl für Ansprüche des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers. Sie verfolgt in erster Linie den Zweck, innerhalb der dort genannten kurzen Fristen Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen zu verschaffen. Die Vorschrift dient vorrangig der Rechtssicherheit beider Vertragsparteien, nicht aber einem weitergehenden öffentlichen Interesse.
Die Voraussetzungen der Bürgenhaftung der Beklagten zu 2) nach § 1a AEntG liegen vor.
§ 1a AEntG verstößt nicht gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit. Die in § 1a AEntG geregelte Bürgenhaftung greift zwar in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein, wonach alle Deutschen das Recht haben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit ist jedoch durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt.
§ 1a AEntG berührt die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit.
Art. 12 Abs. 1 GG ist eine besondere Ausprägung des umfassenderen, in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Er schützt die freie berufliche Betätigung und gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. Von diesem Schutzbereich her ist zu beurteilen, ob eine gesetzliche Vorschrift die besondere Freiheitsverbürgung dieses Grundrechts berührt und daher an ihm gemessen werden kann. In aller Regel kommt Art. 12 Abs. 1 GG als Maßstabsnorm nur für solche Bestimmungen in Betracht, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben. Dieser unmittelbare Bezug zu der beruflichen Betätigung besteht namentlich bei solchen Vorschriften, die in Form von Zulassungsvoraussetzungen die Ausübung eines Berufs bei ihrem Beginn oder bei ihrer Beendigung regeln oder die als sogenannte reine Ausübungsregelungen die Art und Weise bestimmen, wie die Berufsangehörigen ihre Berufstätigkeit im einzelnen zu gestalten haben (BVerfG 30. Oktober 1961 – 1 BvR 833/59 – BVerfGE 13, 181).
Die berufliche Betätigung muß nach der Rechtsprechung des BVerfG jedoch nicht unmittelbares Regelungsobjekt einer Norm sein, um sie an Art. 12 Abs. 1 GG messen zu können. Wie das BVerfG im Apotheken-Urteil ausgesprochen hat, muß angesichts des Wertes der freien menschlichen Persönlichkeit die Berufswahl als ein Akt der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Einzelnen von Eingriffen der öffentlichen Gewalt möglichst unberührt bleiben (BVerfG 11. Juni 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 403, 405). Der Schutz des Einzelnen vor Beschränkungen seiner freien Berufswahl wäre nur unvollkommen gewährleistet, wollte man nur solche Vorschriften am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich prüfen, die die berufliche Betätigung unmittelbar zum Gegenstand haben. Der besondere Freiheitsraum, den Art. 12 Abs. 1 GG sichern will, kann auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Freiheit der Berufswahl mittelbar zu beeinträchtigen, obwohl sie keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter tragen. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist bei Vorschriften ohne berufsregelnde Zielsetzung nach der Rechtsprechung des BVerfG berührt, wenn diese eine objektive Tendenz zur Regelung unternehmerischer Tätigkeiten haben (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7).
- § 1a AEntG ist keine unmittelbar berufsregelnde Norm. Die Bürgenhaftung berührt jedoch die Berufsfreiheit des auftraggebenden Unternehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG, indem sie die eigenverantwortliche Gestaltung unternehmerischen Tätigwerdens eingrenzt. Der Generalunternehmer muß im eigenen Interesse verstärkt darauf achten, daß seine Nachunternehmer die nach § 1 AEntG geltenden zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten und erfüllen (BT-Drucks. 14/45 S 17 f.). Das Gesetz beeinflußt über die Begründung der Haftungsfolgen die Auswahlentscheidungen von Generalunternehmern und Nachunternehmern, die ihrerseits mit der Ausführung von Bauleistungen weitere Nachunternehmer beauftragen. Eine objektive Tendenz zur Regelung unternehmerischen Handelns liegt damit vor. § 1a AEntG hat berufsausübungsregelnden Charakter.
Ein Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist nur nach Maßgabe von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig. Nach dieser Bestimmung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Berufsausübung eingeschränkt werden. Erforderlich ist, daß die in das Grundrecht eingreifende Norm kompetenzgemäß erlassen worden ist, durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BVerfG 23. Januar 1990 – 1 BvL 44/86 und 48/87 – BVerfGE 81, 156, 188; BVerfG 10. November 1998 – 1 BvR 2296/96 – BVerfGE 99, 202). Diese Voraussetzungen liegen vor.
- § 1a AEntG ist kompetenzgemäß erlassen worden. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.
Der durch § 1a AEntG bewirkte Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt.
Das Grundgesetz läßt dem Gesetzgeber im Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen ein erhebliches Maß an Freiheit und räumt ihm bei der Festlegung der zu verfolgenden arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Ziele eine ebenso weite Gestaltungsfreiheit wie bei der Bestimmung wirtschaftspolitischer Ziele ein (vgl. BVerfG 5. März 1974 – 1 BvL 27/72 – BVerfGE 37, 1, 21; 6. Oktober 1987 – 1 BvR 186/82 ua. – BVerfGE 77, 84; 17. November 1992 – 1 BvR 168/89 ua. – BVerfGE 87, 363). Der Gesetzgeber darf nach der Rechtsprechung des BVerfG Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen. Seine Gestaltungsfreiheit ist in den Fällen noch größer, in denen die Regelung – wie hier – keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter hat (BVerfG 23. Januar 1990 aaO; BVerfG 15. Dezember 1987 – 1 BvR 563/85 ua. – BVerfGE 77, 308).
Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele sowie unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Gebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will. Auch bei der Prognose und Einschätzung gewisser der Allgemeinheit drohender Gefahren, zu deren Verhütung der Gesetzgeber glaubt tätig werden zu müssen, billigt ihm das BVerfG einen Beurteilungsspielraum zu. Diesen überschreitet er nur dann, wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlbar sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können. Dies gilt entsprechend für die Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele (BVerfG 6. Oktober 1987 – 1 BvR 1086/82 ua. – BVerfGE 77, 84). Bei Regelungen, die den Teilarbeitsmarkt des Baugewerbes betreffen, ist bei der verfassungsrechtlichen Nachprüfung nach Auffassung des BVerfG besondere Zurückhaltung geboten, weil der Gesetzgeber bei der Wiederherstellung einer gestörten Ordnung in diesem Bereich auf besonders komplexe, schwer überschaubare und im einzelnen unklare Verhältnisse einwirken müsse (vgl. BVerfG 6. Oktober 1987 – 1 BvR 1086/82 ua. – BVerfGE 77, 84, 107).
§ 1a AEntG dient der wirksamen Durchsetzung des § 1 AEntG (BT-Drucks. 14/45 S 17).
Die verschuldensunabhängige Haftung des Bauunternehmers soll diesen veranlassen, verstärkt darauf zu achten, daß seine Nachunternehmer die nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten und tatsächlich erfüllen. Hierzu gehören insbesondere die verbindlichen Mindestlöhne, die nach § 1 Abs. 1 AEntG auch für ausländische Unternehmen gelten, die nach Deutschland Arbeitnehmer entsenden. Die Bürgenhaftung soll in Deutschland mehr Arbeitsplätze schaffen und Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft verhindern (vgl. BT-Drucks. 14/45 S 17). Eine Belastung kleiner und mittlerer Betriebe ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu befürchten, da nach deren Annahme die Generalunternehmer zukünftig verstärkt Aufträge an zuverlässige kleine und mittlere Unternehmen vergeben, von denen sie wüßten, daß sie die gesetzlichen Bestimmungen einhalten (Plenarprotokoll 14/14 vom 10. Dezember 1998 S 868 D). Razzien auf Baustellen seien dagegen zur Bekämpfung von Lohndumping und illegaler Beschäftigung ungeeignet, weil sie die Opfer und nicht die Täter träfen. Die Durchgriffshaftung trifft nach Auffassung der Regierungskoalition die Generalunternehmen, die wüßten, daß die von den Nachunternehmern angebotenen Preise mit vernünftigen Arbeitsbedingungen überhaupt nicht zu erbringen seien. § 1a AEntG richte sich gegen Schmutzkonkurrenz und diene damit dem Schutz kleiner Betriebe, die in der Vergangenheit vom Markt gedrängt worden seien (Plenarprotokoll 14/14 vom 10. Dezember 1998 S 877 C, D).
Die durch § 1 AEntG gesicherten Mindestlöhne im Baugewerbe sollen ihrerseits Wettbewerbsvorteile ausländischer Unternehmer aus Ländern mit deutlich niedrigerem Lohnniveau ausgleichen und so die Bautätigkeit in Deutschland den inländischen Arbeitslosen zugute kommen lassen (BT-Drucks. 13/2414 S 7). Weiterhin soll die Tarifautonomie gesichert werden. Diese sah die Gesetzgebung gefährdet, weil sich die Vertragsbedingungen der aus dem Ausland entsandten Bauarbeitnehmer nicht nach deutschem Tarifrecht gestalteten. Der vermehrte Einsatz ausländischer Arbeitnehmer auf deutschen Baustellen führte nach der Gesetzesbegründung zu einer bedrohlichen Verdrängung der Geltung deutschen Arbeitsrechts. Weiterhin sollte durch das Arbeitnehmerentsendegesetz einer Verschlechterung der Situation der Klein- und Mittelbetriebe der deutschen Bauwirtschaft entgegengewirkt werden. Deren wirtschaftliche Existenz war gefährdet, weil sie bei Bauausschreibungen wegen der in Deutschland bestehenden hohen Lohnkosten häufig keine Aufträge erhielten (vgl. BT-Drucks. 13/2414 S 7).
§ 1a AEntG ermöglicht Arbeitnehmern, im Falle der Insolvenz oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihres Arbeitgebers ihre Nettovergütungsansprüche beim Generalunternehmer oder einem anderen Vorunternehmer durchzusetzen. Diese haften auch für Lohnforderungen, die über den Dreimonatszeitraum der Gewährung von Insolvenzgeld (§ 183 Abs. 1 SGB III) hinausreichen. § 1a AEntG bewirkt zugleich eine finanzielle Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit. Soweit sie Insolvenzgeld leistet, erhält sie wegen des Übergangs der Arbeitsentgeltansprüche (§ 187 SGB III) mit dem Generalunternehmer oder anderen Nachunternehmern solvente Schuldner, bei denen sie sich schadlos halten kann (vgl. auch Rieble/Lessner ZfA 2002, 29, 77).
Die Sicherung des Mindestlohns durch die Bürgenhaftung nach § 1a AEntG führt schließlich auch zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen entsandter ausländischer Arbeitnehmer. Diese verdienen bei einer Entsendung nach Deutschland oftmals deutlich mehr als in ihren Heimatländern und erhalten für ihre Nettolohnansprüche einen weiteren Schuldner in Deutschland. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeitnehmer ist allerdings in der Gesetzesbegründung nicht als Gesetzeszweck genannt und damit nur notwendige Folge der Haftungsregelung.
Die Verfolgung dieser gesetzgeberischen Ziele dient dem Gemeinwohl. Die Wiederherstellung der aus Sicht des Gesetzgebers gestörten Ordnung auf dem Teilarbeitsmarkt des Baugewerbes mit dem Ziel der Sicherung eines geordneten Arbeitsmarkts und einer stabilen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Situation abhängig Beschäftigter ist ein hervorragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Mit § 1a AEntG werden auch nicht nur Einzelinteressen weniger Unternehmer verfolgt, sondern die Interessen zahlreicher Klein- und Mittelbetriebe der Bauwirtschaft in Deutschland. Angesichts der großen beschäftigungspolitischen Bedeutung, die diese Betriebe haben, dient deren Schutz dem Wohl der Gemeinschaft.
Bis zur Einführung des tariflichen Mindestlohns im Baugewerbe verdiente ein heimischer Bauarbeiter in der niedrigsten Lohngruppe 20,24 DM/Stunde. Der Stundenlohn entsandter portugiesischer Arbeitnehmer auf deutschen Baustellen lag demgegenüber zwischen 6,00 und 7,00 DM, der Lohn britischer oder irischer Arbeitnehmer zwischen 14,00 und 15,00 DM (Koberski/Asshoff/Hold AEntG 2. Aufl. Einl. Rn. 16). Auch im Jahre 2000 wurden noch Fälle mit Stundenlöhnen von 5,00 bis 8,00 DM entdeckt (Pressemitteilung der Bundesanstalt für Arbeit NZA 2001 Heft 7, IX). Dies macht deutlich, daß ohne die Einführung eines für alle Bauarbeiter verbindlichen Mindestlohns und dessen Absicherung durch die Haftungsregelung des § 1a AEntG tariftreue inländische Bauunternehmen angesichts des hohen Lohnkostenanteils bei der Ausschreibung von Bauleistungen ausländischen Mitbewerbern geradezu hoffnungslos unterlegen wären.
Mit dem Schutz des inländischen Baugewerbes geht das weitere arbeitsmarktpolitische Ziel des Gesetzes unmittelbar einher, die Arbeitslosigkeit in diesem Bereich abzubauen. Ein Gemeinwohlbelang von ebenfalls großer Bedeutung ist die Sicherung der finanziellen Stabilität der Träger der Sozialversicherung. Darüber hinaus darf der Gesetzgeber das Interesse an der Stärkung der Effektivität tariflicher Normsetzung berücksichtigen (BVerfG 6. Oktober 1987 – 1 BvR 1086/82 ua. – BVerfGE 77, 84, 107). Dies folgt schon aus Art. 9 Abs. 3 GG, der das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.
Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG entspricht noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
- Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, wenn die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist, die mit dem Gesetz verfolgten Ziele zu erreichen (BVerfG 14. März 1989 – 1 BvR 1033/82 ua. – BVerfGE 80, 1). Das Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann (vgl. BVerfG 16. März 1971 – 1 BvR 52/66 ua. – BVerfGE 30, 292, 316). Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen jedoch nicht weiter gehen, als es die sie legitimierenden öffentlichen Interessen erfordern (vgl. BVerfG 14. Dezember 1965 – 1 BvL 14/60 – BVerfGE 19, 330, 337). Erforderlich ist ein Eingriff in die Berufsfreiheit nur dann, wenn ein anderes, gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkendes Mittel fehlt (vgl. BVerfG 16. März 1971 aaO; 5. Mai 1987 – 1 BvR 724/81 ua. – BVerfGE 75, 246, 269; 14. März 1989 aaO). Schließlich darf der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen. Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. Je empfindlicher die Berufsausübenden in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werden, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen diese Regelung zu dienen bestimmt ist (BVerfG 16. März 1971 aaO).
Die in § 1a AEntG geregelte Bürgenhaftung ist zur Erreichung der gesetzlichen Ziele geeignet.
Die Sicherung des Mindestlohnanspruchs durch § 1a AEntG ist geeignet, Klein- und Mittelbetriebe der Bauwirtschaft vor Wettbewerbsverzerrungen zu schützen und die Arbeitslosigkeit in der Baubranche zu bekämpfen. Die Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren bewegen sich jedenfalls im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Soweit die Revision meint, § 1a AEntG nehme den Druck vom Nachunternehmer, den Mindestlohn zu zahlen, trifft dies nicht zu. Denn die Bürgenhaftung führt nicht zu einer Befreiung von der Lohnzahlungspflicht. Dem Bürgen ist vielmehr ein Rückgriff auf den Nachunternehmer möglich. Diesen Rückgriff geeignet zu sichern, ist eine Frage der privatautonomen Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zwischen General- und Nachunternehmer.
Die Haftungsregelung ist zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele erforderlich. Ein anderes gleich wirksames Mittel, das weniger einschränkend wirkt, steht nach der nicht zu beanstandenden Auffassung des Gesetzgebers nicht zur Verfügung.
Der von der Beklagten zu 2) aufgezeigte Weg eines gesetzlichen Abzugsverfahrens, bei dem der Hauptunternehmer bei jeder Werklohnzahlung an den Nachunternehmer einen bestimmten Teil in Abzug bringt und an die Sozialkasse der Bauwirtschaft auszahlt, hat nicht die gleiche Wirksamkeit wie § 1a AEntG. Er ist mit einem erheblichen Verwaltungsmehraufwand und damit einhergehenden Kosten verbunden. Auch die weiteren von der Beklagten zu 2) dargestellten Alternativen zur Bürgenhaftung stellen die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung nicht in Frage. In Betracht kommen eine Verstärkung und Ausweitung der Baustellenkontrollen durch die Gewerbeaufsicht, eine gesetzliche Regelung, die den Generalunternehmer nur bei Verschulden haften läßt und ihm die Exkulpation bei fehlendem Verschulden ermöglicht sowie eine Regelung, die die Nettolohnhaftung für den Fall der Insolvenz des Vertragsarbeitgebers ausschließt, oder den Generalunternehmer nur im Wege der Ausfallbürgschaft haften läßt. Diese zwar denkbaren, das Grundrecht der Berufsfreiheit weniger einschränkenden Maßnahmen sind jedoch nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht in gleicher Weise wie die verschuldensunabhängige Nettolohnhaftung geeignet, die gesetzgeberischen Ziele zu verwirklichen.
Die Auffassung des Gesetzgebers, die Bußgeldbewehrung einzelner Verstöße durch § 5 AEntG führe ebensowenig zu einer effektiven Durchsetzung der Normen des Arbeitnehmerentsendegesetzes wie eine Ausweitung der Baustellenkontrollen (BT-Drucks. 14/45 S 26), hält sich im Rahmen der Einschätzungsprärogative. Sie ist jedenfalls nicht offensichtlich verfehlt. Denn es ist nicht auszuschließen, daß die mit der Haftungsregelung bezweckte sorgfältigere Auswahl und Kontrolle der Nachunternehmer mittelfristig zu einem Rückgang der Auftragsvergabe an unzuverlässige oder unbekannte Unternehmen führt und damit die staatlichen Kontrollen auf den Baustellen ergänzt. Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Annahme, die zum 1. Januar 1998 erfolgte Anhebung des Bußgeldrahmens für die Nichtgewährung zwingender Arbeitsbedingungen habe in der Praxis bislang noch nicht in genügendem Maße zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften geführt. Der Gesetzgeber hat hier in zulässiger Weise von der ihm zustehenden wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Entschließungsfreiheit Gebrauch gemacht. Schließlich hält es sich im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative, eine verschuldensunabhängige umfassende Bürgenhaftung zur wirksamen Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs für erforderlich zu halten.
Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist verhältnismäßig im engeren Sinne. Da § 1a die Berufsausübungsfreiheit nicht unmittelbar regelt, sondern nur mittelbar berührt, hat der Gesetzgeber einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Der durch die Bürgenhaftung bewirkte Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG steht in einem noch angemessenen Verhältnis zu dem mit dieser Regelung verfolgten Zweck. Für die von § 1a AEntG erfaßten Bauunternehmer bestehen ausreichende rechtliche Möglichkeiten, das Haftungsrisiko einzugrenzen.
- Im Rahmen der Privatautonomie können Generalunternehmer und Nachunternehmer die Vorlage eines geeigneten Nachweises über die Erfüllung der Lohnforderungen der eingesetzten Arbeitnehmer für einzelne Monate vereinbaren. Bis zur Vorlage eines solchen Erfüllungsnachweises könnte nach entsprechender Vereinbarung ein Teil des vom Nachunternehmer zu beanspruchenden Werklohns einbehalten werden. Trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Nachunternehmer ist auch die Absicherung eines Teils des Haftungsrisikos des Generalunternehmers durch eine vom Nachunternehmer beizubringende Bankbürgschaft nicht ausgeschlossen. Vertraglich regelbar ist ferner ein Zustimmungsvorbehalt des Generalunternehmers für die Beauftragung weiterer Nachunternehmer durch den ersten Nachunternehmer. Denkbar ist weiterhin eine Regelung, wonach sich der erste Nachunternehmer bei einer Nachunternehmerkette verpflichtet, den Generalunternehmer von Forderungen der Arbeitnehmer weiterer Nachunternehmer auf Zahlung des Mindestlohns freizustellen. Durch Kontrollen der Bauleiter und Poliere des Generalunternehmens auf den Baustellen kann schließlich festgestellt werden, ob auf der Baustelle auch tatsächlich Arbeitnehmer des jeweils verpflichteten Nachunternehmers tätig sind. Dies gilt um so mehr, als auf größeren Baustellen sowohl der Generalunternehmer als auch etwaige Nachunternehmer in der Regel ständig anwesend sein werden, um die ordnungsgemäße Durchführung der Bauleistungen zu organisieren und zu überwachen.
- Die verschuldensunabhängige Haftung des Unternehmers kann durch keine noch so sorgfältige Auswahl und Überwachung der Nachunternehmer ausgeschlossen werden. Das führt jedoch nicht zur Unverhältnismäßigkeit dieser Haftungsregelung. Die Revision verkennt, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert ist, Gefährdungs- oder Garantiehaftungstatbestände für Sachverhalte oder Betätigungen einzuführen, von denen besondere Risiken für schutzbedürftige Gemeinwohlinteressen ausgehen. Ein übergeordnetes, auch den Gesetzgeber bindendes Rechtsprinzip der verschuldensabhängigen Haftung gibt es nicht (vgl. BVerfG 10. März 1976 – 1 BvR 355/67 – BVerfGE 42, 20, 36 f. zu einer Gefährdungshaftung für die Beschädigung öffentlicher Straßen und Wege nach Landesrecht).
- Der Beklagten zu 2) ist einzuräumen, daß durch § 1a AEntG ein nicht unbeachtlicher Kontroll- und Verwaltungsmehraufwand verursacht wird. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß der Generalunternehmer über § 1a AEntG auch das Insolvenzrisiko der Nachunternehmer trägt. Hierdurch wird der Bundesanstalt für Arbeit bei Insolvenz eines der Nachunternehmer ein Rückgriff gegen den Generalunternehmer ermöglicht, wenn sie nach §§ 183 ff. SGB III Insolvenzgeld leistet. Alle diese Beeinträchtigungen führen jedoch bei einer Gesamtabwägung nicht zur mangelnden Verhältnismäßigkeit des § 1a AEntG. Die Beklagte zu 2) berücksichtigt nicht genügend, daß wegen der aufgezeigten Auswahl- und Kontrollmöglichkeiten des Unternehmers einerseits, dem wirtschaftlichen Interesse an der Auftragsvergabe und dem Wissen um die teilweise offensichtliche Mißachtung der Mindestlohnbestimmungen andererseits eine besondere Verantwortungsbeziehung des Generalunternehmers zum Nachunternehmer und dessen Arbeitnehmern besteht. Diese läßt die vom Gesetzgeber gewählte Bürgenhaftung zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele trotz der für Generalunternehmer verbleibenden Haftungsrisiken jedenfalls nicht als offensichtlich verfehlt erscheinen.
- Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. § 1a AEntG erfaßt – wie oben ausgeführt (B III 1a der Gründe) – nur Bauunternehmer. Die von der Beklagten gerügte sachwidrige Gleichstellung von Bauherren und Bauunternehmern liegt damit nicht vor. Ein Verstoß gegen Art. 14 und 2 GG kommt nicht in Betracht. Art. 12 Abs. 1 GG ist insoweit das speziellere Grundrecht (BVerfG 12. Oktober 1994 – 1 BvL 19/90 – BVerfGE 91, 207).
Eine verfassungskonforme Einschränkung des Umfangs der Bürgenhaftung ist nicht geboten. § 1a AEntG verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Soweit im Schrifttum eine Begrenzung der Haftung auf zumutbare Erkennungs- und Abwehrmaßnahmen vertreten wird (ErfK/Schlachter 3. Aufl. § 1a AEntG Rn. 3), fehlen für eine solche Reduktion der Norm die notwendigen Voraussetzungen.
Eine verfassungskonforme Auslegung findet dort ihre Grenzen, wo sie dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes widerspricht. Im Wege der Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen sowie deren Sinn und Zweck jedoch mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfG 11. April 2000 – 1 BvL 2/00 – AP ArbGG 1979 § 26 Nr. 2). Eine Beschränkung auf zumutbare Erkennungs- und Abwehrmaßnahmen widerspricht sowohl dem Wortlaut des Gesetzes als auch dem Zweck der Regelung. Der Gesetzgeber wollte Generalunternehmer für die Lohnforderungen von Arbeitnehmern der Nachunternehmer gerade als selbstschuldnerische Bürgen haften lassen, um die von ihm festgestellten Mißstände im Baugewerbe effektiv zu bekämpfen (BT-Drucks. 14/45 S 17).
Die in § 1a AEntG angeordnete Bürgenhaftung ist mit der durch Art. 49 EG (Amsterdamer-Fassung, vormals Art. 59 EG-Vertrag) gewährleisteten Freiheit des Dienstleistungsverkehrs nicht offenkundig vereinbar.
- Nach Art. 49 EG ist die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, nach Maßgabe der Art. 50 ff. EG verboten. Dienstleistungen iSd. EG-Vertrags sind nach Art. 50 Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Dienstleistungen gelten insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche sowie freiberufliche Tätigkeiten. Nach Art. 50 Abs. 3 EG kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche der Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt. Bauunternehmen aus Mitgliedstaaten, die wie die Beklagte zu 1) in Deutschland für einen Generalunternehmer Bauarbeiten ausführen, erbringen Dienstleistungen iSv. Art. 49 EG.
§ 1a AEntG erscheint geeignet, die Erbringung von Dienstleistungen für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen zu behindern.
- Nach der Rechtsprechung des EuGH verlangt Art. 49 EG nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden auf Grund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (EuGH 25. Oktober 2001 – Rs C-49/98 – AP AEntG § 1 Nr. 8 [Finalarte]; 23. November 1999 – Rs C-369/96 – AP EG-Vertrag Art. 59 Nr. 1 [Arblade]). Soweit die Anwendung nationaler Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats auf Dienstleistende zusätzliche Kosten und weitere administrative und wirtschaftliche Belastungen zur Folge hat, ist dies geeignet, Dienstleistungen von den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Personen oder Unternehmen zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (EuGH 15. März 2001 – Rs C-165/98 – AP EWG Richtlinie Nr. 96/71 Nr. 2 [Mazzoleni]; 24. Januar 2002 – Rs C-164/99 – AP EG Art. 49 Nr. 4 [Portugaia Construçoes]).
- Die Bürgenhaftung aus § 1a AEntG kann besonders intensive Kontrollen und Nachweispflichten insbesondere ausländischer Nachunternehmer durch inländische Generalunternehmer auslösen. Hierdurch werden nicht nur bei den Generalunternehmern, sondern gleichfalls bei den Nachunternehmern zusätzliche Kosten und administrative Belastungen verursacht. Diese Belastungen behindern die Erbringung von Bauleistungen in Deutschland für Bauunternehmen aus Mitgliedstaaten und machen sie weniger attraktiv.
Nach Angaben der Urlaubs- und Lohnausgleichkasse der Bauwirtschaft in ihren Geschäftsberichten ist in der Zeit von 1997 bis 2001 die absolute Zahl ausländischer Bauarbeitnehmer aus Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR-Staaten) stark rückläufig gewesen (von 65.975 auf 15.581). Die Ursachen sind für den Senat nicht feststellbar. So kann es sein, daß, wie die Beklagte zu 2) geltend gemacht hat, in den Mitgliedstaaten, aus denen in den vergangenen Jahren vorwiegend Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt wurden (insbesondere Irland und Portugal), eine Verbesserung der Baukonjunktur eingetreten ist. Erheblich dürfte aber auch sein, wie beide Parteien übereinstimmend vorgetragen haben, daß der bürokratische Aufwand, der bei der Arbeitnehmerentsendung anfällt, Bauunternehmen aus Mitgliedstaaten von einem Tätigwerden in Deutschland abhält. Auf Grund des in Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen geltenden Beibringungsgrundsatzes konnten hierzu allerdings keine weitergehenden Feststellungen getroffen werden.
Parallel zu dem Rückgang der entsandten Bauarbeitnehmer aus Mitgliedstaaten hat sich die Zahl der in Deutschland tätigen Bauarbeitnehmer aus Nicht-EWR-Staaten, insbesondere aus Osteuropa, deutlich erhöht (von 4.490 auf 62.158). Auch für die Ursachen dieser Entwicklung gibt es im vorliegenden Verfahren auf Grund des Beibringungsgrundsatzes keine gesicherten Erkenntnisse. Nach Auffassung der Beklagten zu 2) besteht bei Generalunternehmern trotz der Haftungsregelung des § 1a AEntG aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse an ausländischen Nachunternehmen aus Billiglohnländern. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, daß den aus Nicht-EWR-Staaten nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern infolge illegaler Machenschaften rein tatsächlich effektiv weniger als der Mindestlohn ausbezahlt wird und für Generalunternehmer nur ein geringes Haftungsrisiko besteht.
Ob die von § 1a AEntG ausgehende Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt ist, erscheint fraglich.
- Der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz darf nur durch Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates tätigen Personen oder Unternehmen gelten, soweit dieses Interesse nicht bereits durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist (EuGH 25. Oktober 2001 aaO [Finalarte]; 24. Januar 2002 aaO [Portugaia Construçoes]). Die Regelung muß geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH 15. März 2001 aaO [Mazzoleni]; 24. Januar 2002 aaO [Portugaia Construçoes]). Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört der Schutz der Arbeitnehmer (EuGH 23. November 1999 aaO [Arblade]; 25. Oktober 2001 aaO [Finalarte]). Eine gesetzliche Regelung dient dem Schutz der Arbeitnehmer und ist damit geeignet, zwingende Gründe des Allgemeininteresses für eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu begründen, wenn sie der betroffenen Arbeitnehmerschaft einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt. Die Anwendung der Regelungen über den Mindestlohn auf Dienstleistende, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, liegt grundsätzlich im Allgemeininteresse und dient dem Schutz der Arbeitnehmer (EuGH 23. November 1999 aaO [Arblade]; 15. März 2001 aaO [Mazzoleni]).
- Gleichwohl kann es Umstände geben, unter denen die Anwendung solcher Schutzvorschriften mit Art. 49 EG nicht vereinbar ist. Dies gilt insbesondere für Bestimmungen, die zwar die Zahlung des Mindestlohns sicherstellen wollen, damit aber den Schutz inländischer Unternehmen verfolgen (EuGH 25. Oktober 2001 aaO [Finalarte]). Der Zweck einer gesetzlichen Regelung ist nach der Rechtsprechung des EuGH aus dem Inhalt der Norm objektiv zu ermitteln. Die in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers ist grundsätzlich nur ein Anhaltspunkt für das mit dem Gesetz verfolgte Ziel. Ausschlaggebend ist, ob die in Frage stehende Regelung bei objektiver Betrachtung den Schutz der Arbeitnehmer fördert (EuGH 25. Oktober 2001 aaO [Finalarte]). Die erklärte Absicht des Gesetzgebers kann jedoch zu einer eingehenderen Prüfung der Vorteile führen, die den Arbeitnehmern durch die von ihm getroffenen Maßnahmen angeblich gewährt werden (EuGH 24. Januar 2002 aaO [Portugaia Construçoes]).
Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen ist nicht offenkundig, daß die mit § 1a AEntG verfolgten Ziele die in dieser Bestimmung geregelte Bürgenhaftung und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können. Die Haftungsregelung des § 1a AEntG gewährt den Arbeitnehmern zwar einen tatsächlichen Vorteil, der zu ihrem Schutz beiträgt. Die Arbeitnehmer bekommen neben ihrem Arbeitgeber einen weiteren Schuldner für ihre Nettolohnforderung. Dies ist für sie von Vorteil, wenn ihr Arbeitgeber zahlungsunwillig oder zahlungsunfähig wird. Es darf allerdings nicht verkannt werden, daß der Vorteil nur begrenzt wirkt. Für die entsandten ausländischen Arbeitnehmer wird es in der Praxis oftmals schwer sein, diesen Lohnanspruch gegen den als Bürgen haftenden Unternehmer gerichtlich durchzusetzen. Da die Entsendung – wie hier – häufig nur wenige Monate für ein bestimmtes Bauvorhaben erfolgt, die ausländischen Arbeitnehmer in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und mit der Rechtslage in Deutschland nicht vertraut sind, ist die Durchsetzung des Bürgschaftsanspruchs vor einem deutschen Gericht mit beachtlichen tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden. Zudem wird dieser Schutz wirtschaftlich entwertet, wenn die rein tatsächliche Chance, in der Bundesrepublik Deutschland entgeltlich tätig zu werden, deutlich abnimmt.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß nach der Gesetzesbegründung Zweck der Haftungsregelung in § 1a AEntG ist, die Auftragsvergabe an Nachunternehmen aus sog. Billiglohnländern zu erschweren, um damit den deutschen Arbeitsmarkt im Bausektor zu beleben und die wirtschaftliche Existenz von Mittel- und Kleinbetrieben in Deutschland zu schützen und die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen. Diese Gesichtspunkte stehen nicht nur nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung im Mittelpunkt der Regelung, sie sind es vielmehr auch bei objektiver Betrachtung. Es gehört nicht zu den ausdrücklich erklärten Zielen des § 1a AEntG, ausländischen Arbeitnehmern aus sozialen Gründen den doppelten oder teilweise sogar dreifachen Lohn bei einer Tätigkeit auf Baustellen in Deutschland zu sichern. Objektive Regelungsabsicht war vielmehr, durch die Festsetzung eines Mindestlohns auf deutschen Baustellen und dessen Absicherung durch die Bürgenhaftung eine bestehende Wettbewerbsverzerrung im Baugewerbe auszugleichen und einem Lohndumping entgegenzuwirken. § 1a AEntG soll den deutschen Bauarbeitsmarkt vor ausländischer Billigkonkurrenz schützen. Das könnte mit Art. 49 EG nicht zu vereinbaren sein (so im Ergebnis Rieble/Lessner ZfA 2002, 29, 63 ff.; Dörfler aaO S 162 ff.).
Für den erkennenden Senat besteht gem. Art. 234 EG eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.
- Das Bundesarbeitsgericht entscheidet letztinstanzlich, seine Entscheidung kann nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden. Die Frage, ob § 1a AEntG mit Art. 49 EG vereinbar ist, ist entscheidungserheblich. Der Kläger kann seine Forderung gegen die Beklagte zu 2) nur auf § 1a AEntG stützen. Im Falle der Unanwendbarkeit dieser Vorschrift wäre die Klage gegen die Beklagte zu 2) abzuweisen, weil andere Anspruchsgrundlagen für die geltend gemachte Lohnforderung des Klägers nicht ersichtlich sind.
Die Pflicht zur Vorlage entfällt nicht deshalb, weil die Auslegung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt.
- Voraussetzung hierfür wäre die Überzeugung des innerstaatlichen Gerichts, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH selbst die gleiche Gewißheit besteht (sog. acte-clair-Theorie). Ob diese Möglichkeit besteht, ist unter Berücksichtigung der Eigenart des Gemeinschaftsrechts mit den besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung zu beurteilen (EuGH 6. Oktober 1982 – Rs 283/81 – Slg 1982, 3415, 3428; BAG 21. Mai 1992 – 2 AZR 449/91 – BAGE 70, 238, 261; 22. Juni 1993 – 1 AZR 590/92 – BAGE 73, 269, 291; 21. März 2002 – 6 AZR 108/01 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
- Die Voraussetzungen für eine derartige Offenkundigkeit sind hier nicht gegeben. Zwar hat der EuGH in den angeführten Entscheidungen Arblade, Mazzoleni, Finalarte sowie zuletzt Portugaia Construçoes zum Verhältnis des AEntG zur Dienstleistungsfreiheit Stellung genommen. Diesen Urteilen ist allerdings nicht mit einer Offenkundigkeit iSd. sog. acte-clair-Theorie zu entnehmen, daß der EuGH auch die Regelung des § 1a AEntG als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ansehen würde. Erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird im übrigen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Gericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (vgl. BVerfG 9. Januar 2001 – 1 BvR 1036/99 – NJW 2001, 1267).
- Bis zur Entscheidung über die Vorlagefrage wird das Verfahren gem. § 148 ZPO ausgesetzt.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Heel, Rolf Steinmann
Fundstellen
Haufe-Index 892021 |
BAGE 2004, 240 |
BB 2003, 633 |
MDR 2003, 461 |