Tarifverträge sind schriftliche (§ 1 Abs. 2 TVG) Verträge zwischen einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft zur Regelung von Rechten und Pflichten der Vertragsschließenden, also der Tarifvertragsparteien (schuldrechtliche Teil: § 1 Abs. 1. Fall TVG) und zur Regelung von Inhalt, Abschluß und Beendigung von Arbeitsverhältnissen (normativer Teil: § 1 Abs. 1. Fall TVG) sowie von betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen (§ 1 Abs. 1. Fall TVG).
Grafisch läßt sich das wie folgt darstellen:
5.2.5.1 Grundsätzliches
Der Tarifvertrag hat vier Funktionsbereiche:
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Differenzierung von Lohn- und Gehaltsgruppen |
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Spezifizierung der Arbeitsverträge, Vertrauen, da Arbeitsbedingungen unverändert bleiben während der Laufzeit des TV, Personalkosten kalkulierbar |
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Verhinderung von Arbeitskämpfen während der Laufzeit |
Rechtsnatur des Tarifvertrages
Der Tarifvertrag hat eine rechtliche Doppelnatur. Im normativen Teil (vgl. § 1 Abs. 1 TVG) "ein für Dritte rechtsverbindlicher zweiseitiger kooperativer Normenvertrag", d.h. Gesetz im materiellen Sinne.
Im schuldrechtlichen Teil gegenseitiger, schuldrechtlicher Vertrag arbeitsrechtlichen Inhalts.
Rechtsgrund des Tarifvertrages
Zur dogmatischen Begründung wurden verschiedene Theorien entwickelt:
- Differenzierungstheorie (Tarifpartner handeln als Stellvertreter) Gegen diese Auffassung spricht: Wer einen Vertreter beauftragt, kann ihm den Auftrag auch wieder entziehen und an seiner Stelle selbst handeln. Dies ist aber beim Tarifvertrag nicht möglich (§ 4 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 TVG).
- Mandatarische Theorie: Die TV-Parteien können gem. § 317 BGB die Arbeitsbedingungen regeln. Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterwerfen sich durch ihren Verbandsbeitritt dem Gestaltungsrecht der Verbände. Diese schließen den TV im eigenen Namen und verpflichten sich selbst, nicht aber die Mitglieder ihres Verbandes (auch Verbandstheorie).
- Theorie nach Schaub: Den Koalitionen wurde in Art. 9 Abs. 3 GG das Recht übertragen, die Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen zu regeln und für die Tarifunterworfenen Rechtsnormen aufzustellen (§ 1 Abs. 1 TVG).
Folgerungen:
Grundsätzlich ist das BGB auf Abschlußänderungen und Beendigung des Tarifvertrages anzuwenden, sofern dies nicht dem TVG oder dem Charakter als Kollektivvertrag entgegensteht.Deshalb: §§ 145 ff BGB; §§ 119, 123 BGB (Anfechtung möglich), aber eine begründete Anfechtung kann den Tarifvertrag nicht rückwirkend vernichten (wie § 142 BGB vorsieht), da die Rechtsnormen des TV in der Vergangenheit schon auf die Arbeitsverhältnisse eingewirkt haben.
Bei Auslegung von Tarifverträgen (d.h. bei der Frage, welche unterschiedlichen Fallgestaltungen der einzelnen, vielleicht unklaren tarifvertraglichen Regelung unterfallen und welche nicht) unterscheiden zwischen schuldrechtlichem und normativem Teil. Die normativen Bestimmungen (und um diese geht es meist) sind nach der objektiven Methode wie Gesetze auszulegen.
Bei ergänzender Auslegung (d.h. bei der Frage, ob ein vom Tarifwortlaut nicht umfaßter Fall [Lücke] dennoch in die Vorschrift eingeordnet werden muss) ist zu unterscheiden, ob eine bewußte oder unbewußte Regelungslücke vorliegt, d.h.:
Haben die Tarifvertragsparteien den nicht vom Wortlaut umfaßten Fall bewußt nicht regeln wollen oder versehentlich eine Regelung unterlassen?
Die ergänzende Auslegung darf nur vorgenommen werden, wenn die Regelungslücke unbewußt ist. Bewußte Regelungslücken können nicht geschlossen werden, da sonst in die Tarifautonomie (und diese ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt) eingegriffen würde.
Eine spätere tarifliche Ordnung löst die frühere grds. ohne Nachwirkung ab, auch wenn die spätere die Arbeitsbedingungen verschlechtert (lex posterior derogat legi priori). Die Grenzen der Rückwirkung entsprechen der geltenden gesetzlichen Regelung.
Tarifzuständigkeit
Gewerkschaft und Arbeitgeberverband können nach herrschender Meinung einen Tarifvertrag nur im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit schließen. Wer in den Einzugsbereich des Verbandes fallen soll, besagt die jeweilige Satzung. Die Zuständigkeit ist vor allem für die Bewertung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen zu prüfen.
Tarifautonomie:
Sie soll im freien Spiel der Kräfte zu einem sachgerechten Ausgleich der Interessen führen. Deshalb werden aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Grundsätze abgeleitet:
- Der Gesetzgeber kann zwar die Ober- und Untergrenzen für die tarifvertragliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen setzen, aber: die Tarifvertragsparteien müssen sonst einen Gestaltungsspielraum haben;
- Neutralität des Staates und Kampfparität (vgl. § 116 AFG);
- Verbot einer Zwangsschlichtung im Arbeitskampf;
- Arbeitskämpfe dürfen nur mit dem Ziel geführt werden, einen Tarifvertrag herbeizuführen;
- Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.