Die Anordnung von Bereitschaftsarbeit ist keineswegs auf den medizinischen und pflegerischen Bereich beschränkt. Vielmehr findet man sie auch in einer Vielzahl anderer Sektoren, wie zum Beispiel im Feuerwehr- und Katastrophenschutz, in der Informationstechnologie, in der Sicherheitsbranche, in der Energieversorgung sowie im Transport- und Logistiksektor. Im öffentlichen Dienst sind insbesondere die Konzepte der "Rufbereitschaft" und des "Bereitschaftsdienstes" relevant, die unter den Begriff der "Sonderformen der Arbeit" fallen.
Eine gesetzliche Definition der Begriffe existiert nicht. Sie wurden im Laufe der Zeit durch gerichtliche Entscheidungen geprägt und später nahezu unverändert von den Tarifvertragsparteien übernommen.
In den vergangenen Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in mehreren Entscheidungen die arbeitszeitrechtliche Einordnung von Bereitschaftszeiten beleuchtet. Dabei hat der EuGH nicht nur klare Kriterien zur Abgrenzung von Arbeits- und Ruhezeiten bereitgestellt, sondern auch erheblichen Einfluss auf die praktische Anwendung dieser Regelungen genommen, wodurch die rechtlichen Rahmenbedingungen in den betroffenen Sektoren entscheidend geprägt wurden.
1.1 Europäische Ebene
In den letzten Jahren war die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG ein zentrales Thema innerhalb der EU. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, Konsultationsverfahren und nicht erfolgreich verlaufenen Verhandlungen mit den Sozialpartnern hat die EU-Kommission beschlossen, von weiteren Änderungsversuchen abzusehen.
Stattdessen hat die EU-Kommission eine Interpretation der EU-Arbeitszeitrichtlinie veröffentlicht, bei der die existierende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dargestellt wird sowie in weiteren Fällen, in denen aus Sicht der EU-Kommission Klarstellungsbedarf gesehen wird, ergänzende Erläuterungen auf Basis der bisherigen EuGH-Rechtsprechung erfolgen. Auch wenn klar ist, dass der Interpretation der EU-Kommission keine rechtliche (verbindliche) Bedeutung zukommt, kann sie als Auslegungshilfe insbesondere zum Thema Bereitschaft dienen.
Der EuGH befasst sich derzeit regelmäßig mit Vorabentscheidungsverfahren zur Abgrenzung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Angesichts der unterschiedlich arbeitszeitrechtlichen Behandlung ist diese Unterscheidung von hoher praktischer Relevanz. Dabei legt der Gerichtshof wichtige Kriterien fest, die den nationalen Gerichten als Orientierung dienen. Die Ergebnisse unterscheiden sich häufig erheblich von den etablierten Kriterien der deutschen Rechtsprechung und zeigen eine deutliche Neigung zur Einzelfallprüfung sowie zu einer restriktiven Bewertung der Zulässigkeit von Rufbereitschaft.
Mit Urteil vom 30.4.2020 ist entschieden worden, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich auch auf den polizeilichen Bereitschaftsdienst anwendbar ist. Dies gilt ausnahmsweise nicht, wenn unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände festzustellen wäre, dass die fraglichen Aufgaben im Rahmen außergewöhnlicher Ereignisse wahrgenommen werden, deren Schwere und Ausmaß Maßnahmen erfordern, die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sicherheit des Gemeinwesens unerlässlich sind und deren ordnungsgemäße Durchführung in Frage gestellt wäre, wenn alle Vorschriften der Richtlinie beachtet werden müssten.
1.2 Nationale Ebene
Der allgemeine Teil des TVöD enthält in seinen arbeitszeitrechtlichen Vorschriften (Abschn. II) Regelungen zu Bereitschaftszeiten (entspricht der arbeitszeitrechtlichen Arbeitsbereitschaft), Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Dabei ist sowohl die Arbeitsbereitschaft als auch der Bereitschaftsdienst arbeitszeitschutzrechtlich als Arbeitszeit zu werten. Sie müssen bei der Berechnung des zulässigen Umfangs der Arbeitszeit in vollem Umfang und nicht nur im Umfang des tatsächlichen Arbeitseinsatzes berücksichtigt werden. Bei der Rufbereitschaft ist hingegen nur die Zeit, in der die Arbeitsleitung tatsächlich erbracht wurde, als Arbeitszeit zu werten. Die Unterscheidung ist ebenfalls aufgrund unterschiedlicher Regelungen zur Vergütung von hoher praktischer Relevanz.
TVöD und TV-L definieren diese Instrumente – Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – als "Sonderformen der Arbeit". Die Definitionen von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft sind in § 7 Abs. 3 und § 7 Abs. 4 TVöD enthalten. Das Entgelt ist in § 8 Abs. 3 und § 8 Abs. 4 TVöD geregelt. Bereitschaftszeiten sind in § 9 TVöD/TV-L geregelt. Neben den Regelungen im Allgemeinen Teil des TVöD gibt es in zwei seiner Besonderen Teile eigene Regelungen oder Ergänzungen zum Allgemeinen Teil, die den besonderen Bedürfnissen in diesen Sparten geschuldet sind: