BAG, Urteil v. 3.12.2019, 9 AZR 78/19
Leitsätze (amtlich)
Ein öffentlicher Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine ermessensfehlerfrei unbeschränkt ausgeschriebene Stelle außerhalb des nach Art. 33 Abs. 2 GG durchzuführenden Bewerbungs- und Auswahlverfahrens vorab einem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuweisen, um dessen Anspruch auf Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 n. F. SGB IX zu gewährleisten.
Sachverhalt
Die Klägerin ist beim Land als Lehrerin beschäftigt. Seit September 2012 ist sie arbeitsunfähig krank. 2 Wiedereingliederungsversuche sind gescheitert Nach einer amtsärztlichen Untersuchung stellte der Amtsärztliche Dienst fest, dass mit einer Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit als Lehrerin nicht zu rechnen sei; sie könne maximal leichte Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastung, Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit ausüben. Daraufhin bewarb sich die Klägerin erfolglos auf verschiedene Stellen, die der Beklagte ausgeschrieben hatte und für die sie laut amtsärztlicher Untersuchung geeignet war. In diesem Zusammenhang sandte dieser ihr auch eine Ausschreibung zu, mit der für die Tätigkeit als "Lehrer-Kulturagent/Kulturagentin" 10 Stellen ausgeschrieben wurden und bat sie, sich zu überlegen, ob sie in der Lage sei, die Tätigkeit als Kulturagentin (ohne Lehrunterricht) auszuüben und sich dann darauf zu bewerben, was sie auch tat. Mit Bescheid vom 14.3.2016 wurde ein Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin von 30 festgestellt und mit Bescheid im September 2016 wurde sie mit Wirkung ab dem 18.3.2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Sie klagte nun auf leidensgerechte Beschäftigung. Sie vertrat die Auffassung, der Beklagte sei verpflichtet, sie leidens- und behinderungsgerecht zu beschäftigen. Sie sei in der Lage, Tätigkeiten der Wertigkeit der EG 11 TV-L auf Grundlage ihrer Ausbildung und Qualifikation sowie ihrer beruflichen Erfahrung auszuüben, insbesondere die Aufgaben einer Kulturagentin wahrzunehmen. Dagegen brachte der Beklagte vor, dass für die Stelle als Kulturagentin ein Beschäftigungsanspruch der Klägerin bereits wegen des noch laufenden Auswahlverfahrens und des nach Art. 33 Abs. 2 GG bei der Auswahlentscheidung zu beachtenden Grundsatzes der Bestenauslese ausscheide.
Die Entscheidung
Die Klage hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Das Gericht entschied, dass die Klägerin weder nach § 241 Abs. 2 BGB noch aufgrund ihrer Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX a. F. (= § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX n. F.) Anspruch auf die begehrte leidensgerechte Beschäftigung habe.
Es führte hierzu zunächst aus, dass der Beklagte nicht gem. § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sei, die Klägerin als Kulturagentin zu beschäftigen. Zwar sei nach § 241 Abs. 2 BGB jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet, sodass es in Fällen, wenn der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage sei, die geschuldete Leistung zu erbringen, der Arbeitgeber sein Direktionsrecht gem. § 106 GewO neu ausüben müsse, um dem leistungsgeminderten Arbeitnehmer eine Tätigkeit zu übertragen, zu deren Erbringung dieser noch in der Lage sei. Das Gebot der Rücksichtnahme begründe jedoch keine Verpflichtung zu einer vertragsfremden Beschäftigung. Der Arbeitgeber könne lediglich gehalten sein, dem Wunsch des Arbeitnehmers nach einer Vertragsanpassung nachzukommen. Im vorliegenden Fall verlangte die Klägerin jedoch keine Vertragsänderung, sondern unmittelbar eine vertragsfremde Beschäftigung, da sie ursprünglich als Lehrerin eingestellt worden war und sie mit ihrer Klage eine Beschäftigung als Kulturagentin unter Ausschluss einer Tätigkeit als Lehrerin im Schuldienst begehrte.
Die Klägerin hatte, so das BAG weiter, auch keinen Anspruch gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX a. F. (= § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX). Hiernach haben zwar schwerbehinderte und mit ihnen gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können, woraus sich auch ein Anspruch auf anderweitige – auch vertragsfremde – Beschäftigung ergeben könne, wenn die vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen der Behinderung nicht mehr ausgeübt werden kann. Ein Anspruch scheide jedoch dann aus, wenn eine anderweitige Beschäftigung zwar in Betracht komme, sie dem Arbeitgeber aber unzumutbar oder für ihn mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden sei. Insbesondere sei der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des BAG nicht verpflichtet, einen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einzurichten.
Im vorliegenden Fall entschied das BAG zudem, dass der Anspruch der Klägerin auf Beschäftigung als Kulturagentin auch schon deshalb ausschied, weil ansonsten unzulässig in die Organisationsgewalt des Beklagten einge...