BAG, Urteil vom 15.12.2022, 2 AZR 162/22

Leitsatz (amtlich)

Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können.

Sachverhalt

Die Klägerin, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, war bei der Beklagten seit dem 1. Januar 1999 beschäftigt und seit Mitte Dezember 2014 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Auf Initiative der Klägerin fand im Mai 2019 ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen. Gleichzeitig lud die Beklagte die Klägerin zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) ein. Diese teilte mit, dass sie daran teilnehmen wolle. Allerdings unterzeichnete sie die ihr diesbezüglich von der Beklagten übermittelte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. Die Klägerin erhielt dann eine Einladung zu einem bEM-Gespräch am 24. Juli 2019, in welchem sie darauf hingewiesen wurde, dass ohne ihre Unterschrift unter die vorformulierte Datenschutzerklärung ein bEM-Verfahren nicht durchgeführt werden könne. Auch in der Folgezeit wies die Beklagte die Klägerin mehrfach darauf hin, dass die Durchführung eines bEM ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht möglich sei. Zwischen dem 17. September 2019 und dem 29. Oktober 2019 war die Klägerin bei der Beklagten im Rahmen einer Wiedereingliederung tätig. Am 10. Dezember 2019 beantragte die Beklagte schließlich beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin. Nachdem diese erteilt worden war, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 2020 das Arbeitsverhältnis. Hiergegen hat nun die Klägerin Klage erhoben. Die Beklagte hat dagegen vorgebracht, die Kündigung sei aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt; denn die lang andauernde Erkrankung verbunden mit einer Stellungnahme der behandelnden Ärztin begründe eine negative Prognose. Zudem habe das Arbeitsverhältnis seit Jahren nur noch als sinnentleerte Hülle bestanden. Es könne der Klägerin kein ihrem Gesundheitszustand entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen werden. Insbesondere stelle die fehlende Bereitschaft der Klägerin, die datenschutzrechtliche Einwilligung zu unterzeichnen, einer fehlenden Zustimmung zur Durchführung eines bEM gleich. Ein milderes Mittel gegenüber der Beendigungskündigung sei nicht ersichtlich, was auch aufgrund der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung zu vermuten sei.

Die Entscheidung

Die Klage hatte vor dem BAG Erfolg. Das Gericht entschied, dass die vorliegende Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sei; denn die Beklagte habe nicht dargetan, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. Zwar könne sich der Arbeitgeber zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. Soweit jedoch für den Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Verpflichtung bestand, ein bEM durchzuführen und er dieser Verpflichtung nicht nachkam, sei er, so das BAG, darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Auch wenn die Durchführung eines bEM nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX sei, so konkretisiere es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da hierdurch mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden können.

Im Falle, dass der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen habe, ein bEM anzubieten, waren ihm hierbei jedoch Fehler unterlaufen, sei es nach Auffassung des Gerichts für den Umfang seiner Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu erkennen, die zu einer relevanten Verringerung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können. Dies könne beispielsweise dann der Fall sein, wenn der betreffende Arbeitnehmer gerade aufgrund der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch den Arbeitgeber einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt hatte.

Und dies lag im hier zu entscheidenden Fall vor; denn die Beklagte durfte die Einleitung des bEM-Verfahrens nicht davon abhängig machen, dass die Klägerin die von der Beklagten vorformulierte Datenschutzerklärung über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen sowie Gesundheitsdaten unterzeichnete. Somit oblag es der Beklagten darzulegen, dass auch mit Hilfe eines bEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können. Das BAG führte hierzu aus, dass § 167 Abs. 2 SGB IX die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen eines bEM erhob...

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