Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Notwendige Beiladung. Kostenerstattungsanspruch. Krankenbehandlung. Krankenhaus. Fahrtkosten. Familienheimfahrten
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Krankenhaus, das einen Versicherten zur vollstationären Behandlung aufgenommen hat, ist zu einer umfassenden und einheitlichen Gesamtleistung verpflichtet und darf sich nicht einzelnen Leistungen aus Kostengründen entziehen.
2. Wenn und solange das Krankenhaus die vollstationäre Versorgung durchführt, ist es auch zur Erbringung solcher Leistungen im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen verpflichtet, die es von vornherein nicht mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln, sondern nur durch Dritte erbringen kann
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2, §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2, § 169 Sätze 2-3; SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 S. 1, § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12; BPflV § 2 Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 2, S. 3, § 7 Sätze 1-2; KHEntgG § 2 Abs. 2 S. 1; Krankentransport-Richtlinie § 7 Abs. 2 S. 2; SGB IX §§ 14, 76, 102 Abs. 1 Nr. 4, § 115
Verfahrensgang
SG Chemnitz (Entscheidung vom 25.08.2020; Aktenzeichen S 11 KR 4/20) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 17.10.2023; Aktenzeichen L 9 KR 441/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrkosten für Heimfahrten im Zusammenhang mit einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die 2003 geborene und bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherte Klägerin war wegen einer psychischen Erkrankung in der Zeit vom 27.2. bis 31.7.2019 in stationärer Behandlung in einem Universitätsklinikum in D. Während des stationären Aufenthalts erfolgten planmäßig zahlreiche Beurlaubungsfahrten zu ihrem Wohnsitz in C. Mit ihrem Begehren auf Erstattung der hierdurch entstandenen Fahrkosten hatte die Klägerin bei der Beklagten und in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Heimfahrten der Klägerin seien vorliegend Bestandteil der ununterbrochenen und auf einem einheitlichen Behandlungsplan beruhenden vollstationären Behandlung gewesen und als solche von der Beklagten nicht zu erstatten. Von der abschließenden Regelung der Übernahme von Fahrkosten in § 60 SGB V umfasst seien nur medizinisch notwendige Fahrten zur stationären Behandlung, nicht jedoch weitere Fahrten "während" oder "als Teil" der Behandlung. Der Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs 5 SGB V iVm den Regelungen des SGB IX. Bei der vollstationären Krankenhausbehandlung habe es sich nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation gehandelt. Die Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich insofern nicht aus § 14 SGB IX als erstangegangener Rehabilitationsträger. Ein Rückgriff auf die Regelungen des SGB IX oder andere Leistungsgesetze für Annexleistungen sei daher nicht vorgesehen und eine Beiladung anderer Leistungsträger nicht veranlasst (Urteil vom 17.10.2023).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und des Verfahrensmangels (dazu 2.).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert folgende Fragen:
1. "Umfaßt der Kostenerstattungsanspruch im Rahmen einer Krankenbehandlung gem. § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V i.V.m. §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V auch Fahrtkosten in der Form von Familienheimfahrten, die im Zuge des während der vollstationären Krankenhausbehandlung durchgeführten Therapiekonzepts medizinisch indiziert sind?"
2. "Umfaßt § 7 Abs. 2 Satz 2 Krankenhaustransport-Richtlinie i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V auch privat entstehende Fahrtkosten, die Teil des Therapiekonzepts während der vollstationären Krankenhausbehandlung sind?"
Sie legt jedoch zu beiden Fragen die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar.
a) Klärungsbedürftig sind solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, auf die sich eine Antwort noch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht unmittelbar geklärt sind und auf die sich eine Antwort auch nicht zumindest mittelbar aus bereits vorhandenen höchstrichterlichen Entscheidungen finden lässt. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4).
b) Hinsichtlich der Frage zu 1. setzt sich die Klägerin nicht mit § 39 Abs 1 Satz 3 SGB V und den Regelungen des Krankenhausentgeltrechts sowie der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander.
Nach § 39 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind. Korrespondierend damit regelt § 2 Abs 2 Satz 1 BPflV (ebenso § 2 Abs 2 Satz 1 KHEntgG): Allgemeine Krankenhausleistungen sind die Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind.
Mit den in § 7 Satz 1 BPflV genannten Entgelten werden alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen vergütet (§ 7 Satz 2 BPflV; ebenso § 7 Abs 1 Satz 2 KHEntgG), dh auch die vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter iS des § 2 Abs 2 Satz 2 Nr 2 BPflV und KHEntgG (siehe BSG vom 29.8.2023 - B 1 KR 18/22 R - juris RdNr 15 mwN).
Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des BSG, dass das Krankenhaus, das einen Versicherten zur vollstationären Behandlung aufgenommen hat, zu einer umfassenden und einheitlichen Gesamtleistung verpflichtet ist und sich nicht einzelnen Leistungen aus Kostengründen entziehen darf. Wenn und solange das Krankenhaus die vollstationäre Versorgung durchführt, ist es auch zur Erbringung solcher Leistungen im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen verpflichtet, die es von vornherein nicht mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln, sondern nur durch Dritte erbringen kann (siehe BSG vom 12.11.2013 - B 1 KR 22/12 R - BSGE 115, 11 = SozR 4-2500 § 69 Nr 9, RdNr 16 ff; BSG vom 10.3.2015 - B 1 KR 2/15 R - BSGE 118, 155 = SozR 4-2500 § 39 Nr 23, RdNr 22; BSG vom 26.4.2022 - B 1 KR 15/21 R - BSGE 134, 132 = SozR 4-2500 § 107 Nr 3, RdNr 13; BSG vom 29.8.2023 - B 1 KR 18/22 R - juris RdNr 15).
Von diesem Grundsatz der Gesamtbehandlungsverantwortung des Krankenhauses regelt das Gesetz in § 2 Abs 2 Satz 3 BPflV und KHEntgG (abschließende und nicht analogiefähige) Ausnahmen nur für eine Dialyse unter den dort geregelten weiteren Voraussetzungen und für Leistungen der Dolmetscherassistenz bei Menschen mit Hörbehinderung (vgl BSG vom 29.8.2023 - B 1 KR 18/22 R - juris RdNr 16).
Die Klägerin legt nicht dar, inwiefern sich auf dieser Grundlage die von ihr aufgeworfene Frage nach einem (gesonderten) Anspruch auf Erstattung von Fahrkosten gegen die Krankenkasse für Familienheimfahrten, die im Zuge des während der vollstationären Krankenhausbehandlung durchgeführten Therapiekonzepts medizinisch indiziert sind, nicht beantworten lassen sollte.
c) Nach § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse ua die Fahrkosten bei Leistungen, die stationär erbracht werden. Damit korrespondierend regelt § 7 Abs 2 Satz 1 Buchst a der Krankentransport-Richtlinie(Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 12 SGB V) die Verordnung einer Krankenfahrt "bei Fahrten zu Leistungen, die stationär erbracht werden (§ 60 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 SGB V)". Satz 2 lautet: "Die Voraussetzungen nach Buchstabe b und c sind insbesondere dann gegeben, wenn die aus medizinischen Gründen gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung aus besonderen, beispielsweise patientenindividuellen, Gründen als ambulante Behandlung vorgenommen wird."
Die Klägerin zeigt nicht auf, inwiefern die Beantwortung der Frage zu 2. nach dem Wortlaut der vorgenannten Regelungen und unter Berücksichtigung der bereits aufgezeigten Regelungen zur Gesamtbehandlungsverantwortung des Krankenhauses (siehe oben RdNr 9 ff) zweifelhaft oder umstritten sein sollte.
2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 RdNr 2 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es vorliegend.
Die Klägerin rügt, das LSG hätte die Stadt C als Träger der Eingliederungshilfe notwendig zum Verfahren beiladen müssen.
Nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG sind Dritte dann beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung); für die Beiladung genügt die Möglichkeit der Leistungsverpflichtung (BSG vom 24.2.2016 - B 8 SO 18/14 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 24 RdNr 13 mwN). In der Rechtsprechung des BSG ist insoweit anerkannt, dass im Anwendungsbereich des § 14 SGB IX bei einem Rechtsstreit gegen den nach außen alleinzuständigen (hier erstangegangenen) Rehabilitationsträger alle anderen in Betracht kommenden anderen Rehabilitationsträger notwendig beizuladen sind (vgl BSG vom 26.10.2004 - B 7 AL 16/04 R - BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 12 ff; BSG vom 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 8 RdNr 16 mwN).
Die Klägerin macht geltend, es habe zumindest die Möglichkeit bestanden, dass der Klägerin ein Fahrkostenanspruch als Leistung zur Teilhabe zustehe (§ 76 iVm § 102 Abs 1 Nr 4 und § 115 SGB IX). Sie legt indes schon nicht schlüssig dar, inwieweit die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsauffassung - auf einem solchen Verfahrensmangel beruhen könnte. Sie setzt sich auch insofern nicht mit dem in § 39 Abs 1 Satz 3 SGB V geregelten Umfang des Krankenhausbehandlungsanspruchs und der insofern bestehenden Gesamtbehandlungsverantwortung des Krankenhauses auseinander (siehe oben RdNr 9 ff). Inwieweit ein darüber hinausgehender Anspruch auf Leistungen der sozialen Teilhabe nach dem SGB IX bestehen könnte, legt sie nicht dar. Die Besuchsfahrten waren nach der Entscheidung des LSG Teil des Behandlungskonzepts der (ununterbrochenen) vollstationären Krankenhausbehandlung. Allgemeine Krankenhausleistungen, einschließlich der Leistungen Dritter, sind aber durch die von der Krankenkasse gezahlte Vergütung abgegolten (§ 7 Satz 1 BPflV; vgl zu der Parallelvorschrift in § 7 Abs 1 Satz 1 KHEntgG zuletzt BSG vom 29.8.2023 - B 1 KR 18/22 R - RdNr 15 ff mwN).
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Bockholdt |
Fundstellen
Dokument-Index HI16233883 |