Verfahrensgang

SG Dresden (Entscheidung vom 23.06.2022; Aktenzeichen S 19 SB 268/21)

Sächsisches LSG (Urteil vom 20.10.2023; Aktenzeichen L 9 SB 107/22)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen die Absenkung des bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 100 auf 40 und begehrt einen GdB von 70. Diesen Anspruch hat das LSG unter Bezugnahme auf den Gerichtsbescheid des SG vom 23.6.2022 verneint. Zutreffend sei vom Beklagten für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, die Erkrankung der Schulter und den Zustand nach Rektumkarzinom sowie häufige Durchfälle und Bauchkrämpfe jeweils ein GdB von 20 und für die Sarkoidose ein GdB von 30 angesetzt und ein Gesamt-GdB von 40 gebildet worden(Urteil vom 20.10.2023) .

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel geltend.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensmangels(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind(vgl§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen(stRspr; zBBSG Beschluss vom 18.6.2018 - B 9 V 1/18 B - juris RdNr 4 mwN) . Diesen Anforderungen wird die Begründung des Klägers nicht gerecht.

Der Kläger trägt vor, dass die Absenkung des GdB von 100 auf 40 nicht zutreffend sei und ihm bei freier richterlicher Beweiswürdigung ein GdB von 70 zuerkannt werden müsse. Insofern gehe er davon aus, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, insbesondere in Bezug auf die Berechnung des GdB bei seinen gesundheitlichen Beschwerden.

Der Kläger versäumt es jedoch bereits, den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge. Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die entscheidungserheblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil des LSG selbst herauszusuchen(stRspr; zBBSG Beschluss vom 12.2.2018 - B 10 ÜG 12/17 B - juris RdNr 7 ;BSG Beschluss vom 29.9.2017 - B 13 R 365/15 B - juris RdNr 3 ) . Der pauschale Verweis des Klägers "auf den gesamten Akteninhalt" reicht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht aus(vglBSG Beschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 10 ) .

Zudem hat der Kläger aber auch keine Rechtsfrage iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts(vgl§ 162 SGG ) mit höherrangigem Recht bezeichnet(vglBSG Beschluss vom 22.12.2021 - B 9 SB 56/21 B - juris RdNr 6 ) . Vielmehr zielen die vom Kläger formulierten Problemstellungen im Kern letztlich auf Fragen der Beweiswürdigung und Sachaufklärung in seinem Einzelfall ab, also ein nach Auffassung des Klägers verfahrensfehlerhaftes Vorgehen des Berufungsgerichts. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG aber nicht zur Zulassung der Revision führen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Entsprechendes gilt für die Sachaufklärungsrüge. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG ist die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Sachaufklärungsrüge nicht erfolgreich dadurch umgehen, dass er sie in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung fasst. Der Kläger zeigt auch nicht auf, dass es hier um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei der die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrügen nicht greifen(vgl hierzu insgesamtBSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 45/20 B - juris RdNr 11 mwN) . Sofern er der "Berechnung des Grades der Behinderung" eine grundsätzliche Bedeutung beimessen wollte, setzt sich die Beschwerdebegründung schon nicht mit den einschlägigen Bestimmungen und der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinander(vgl hierzu zBBSG Urteil vom 16.12.2021 - B 9 SB 6/19 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 40 RdNr 37 mwN).

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , so müssen bei der Bezeichnung dieses Mangels(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht.

Der Kläger hat mit seiner Rüge, das LSG hätte weitere Gutachten einholen und den Sachverhalt weiter aufklären müssen, keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet. Soweit er mit seinem diesbezüglichen Vortrag eine mangelhafte Sachaufklärung(§ 103 SGG ) des LSG geltend macht, erfüllt sein Vorbringen nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge(vgl hierzu allgemein:BSG Beschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3 ) . Er versäumt es bereits, einen vor dem LSG bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu benennen, den das Berufungsgericht übergangen haben könnte(vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG; vgl zBBSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 9 SB 4/22 B - juris RdNr 11 ;BSG Beschluss vom 1.7.2019 - B 9 SB 19/19 B - juris RdNr 5 ) .

3. Schließlich war der Senat im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht verpflichtet, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, "sofern weiterer Sach- bzw Rechtsvortrag notwendig erachtet wird", vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäߧ 73 Abs 4 SGG . § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen(stRspr; zBBSG Beschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 15 mwN) .

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(vgl§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .

5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2,§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des§ 193 SGG .

Kaltenstein

B. Schmidt

Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16373457

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