Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 31.10.2019; Aktenzeichen L 1 KR 663/18)

SG Darmstadt (Entscheidung vom 29.08.2018; Aktenzeichen S 10 KR 562/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Beendigung eines im Rahmen des Persönlichen Budgets mit Wirkung von Dezember 2016 geschlossenen Vertrags ("Zielvereinbarung") über die Erbringung von häuslicher Krankenpflege.

Das LSG hat nach in erster Instanz erfolgter Abweisung der Anfechtungsklage gegen die die Zielvereinbarung aufhebenden Bescheide und im Berufungsverfahren "hilfsweise" erweiternd erhobener Feststellungsklage mit dem Begehren, die Unwirksamkeit der Kündigung festzustellen, ua entschieden, dass die bei der beklagten AOK versicherte, an einer Muskeldystrophie leidende Klägerin - vertreten durch ihren Vater - in vielfältiger Art und Weise gegen die in der Zielvereinbarung getroffenen Regelungen verstoßen habe. Nach der Zielvereinbarung habe das Persönliche Budget dazu dienen sollen, die notwendigen Leistungen der speziellen Krankenbeobachtung im Rahmen häuslicher Krankenpflege bestmöglich in selbstbestimmter Form durch geeignetes Personal sicherzustellen und das zur Verfügung gestellte Geld zweckgebunden zu verwenden. Bereits nach den klägerseitigen Angaben seien entgegen den Vorgaben der Zielvereinbarung mangels vertragswidrig nicht abgeschlossener Arbeitsverträge mit zwei genannten Personen nicht die in der Zielvereinbarung aufgeführten Fachkräfte für die Klägerin tätig geworden. Vielmehr habe die Klägerin den Pflegedienst p. beauftragt, der wiederum den Vater der Klägerin mittels Arbeitsvertrags angestellt habe. Der Vater habe allein die Pflege der Klägerin ausgeführt, ohne über entsprechende Qualifikationen zu verfügen. Die Klägerin habe somit das Persönliche Budget zweckentfremdet eingesetzt. Aufgrund der Wirksamkeit der hilfsweise von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung der Zielvereinbarung mit einer einmonatigen Kündigungsfrist zum 30.6.2017 sei die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beendigung durch Kündigung unbegründet und daher abzuweisen (Urteil des LSG vom 31.10.2019).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin in Bezug auf den die Feststellungsklage abweisenden Teil des Urteils Beschwerde zum BSG eingelegt und rügt Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 SGG). Die Verwerfung erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. (BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 16.3.1979 - 10 BV 127/78 - SozR 1500 § 160a Nr 34; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Es bestehen schon erhebliche Zweifel daran, dass die von der Klägerin erhobenen Rügen überhaupt entscheidungserheblich sein können, da sie sich auf eine nur "hilfsweise" erhobene Feststellungsklage beziehen, die Klägerin aber bereits mit ihrem Hauptantrag durchgedrungen ist. Für die Entscheidung des LSG über einen Hilfsantrag war damit an sich kein Raum mehr.

Sieht man den "hilfsweise" gestellten Antrag dagegen der Sache nach als weiteren selbstständigen Antrag an, gilt Folgendes: Die Klägerin beruft sich darauf, dass das LSG gegen ihr Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG verstoßen habe, weil es den bisherigen, teils auch korrigierenden Klägervortrag in "seiner Gesamtheit missachtet und nicht ausreichend gewürdigt" habe. Aus einer missverständlichen Kommunikation zwischen Beklagter und der Firma p. dürften für sie keine nachteiligen Rechtsfolgen erwachsen.

Damit legt die Klägerin die gerügte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht - wie erforderlich - substantiiert dar. Um diesen Anspruch und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens zu wahren, darf das Gericht zwar seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B). Derartige Gesichtspunkte oder ein verhindertes Vorbringen legt die Klägerin aber schon deswegen nicht ausreichend dar, weil sie nicht vorträgt, was sie ohne die vermeintliche Gehörsverletzung noch zur Sache hätte ausführen wollen und wie sich dadurch die vom LSG verkündete Urteilsformel zu ihren Gunsten hätte verändern können (vgl hierzu allgemein Keller in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 62 RdNr 11a ff mwN). Soweit die Klägerin die Bewertung der Sach- und Rechtslage durch das LSG beanstandet, rügt sie im Kern eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) bzw eine fehlerhafte Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Auf letztere kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indessen von vornherein nicht gestützt werden. Einen für die Verletzung des § 103 SGG erforderlichen, vom LSG zu Unrecht übergangenen Beweisantrag hat die Klägerin nicht bezeichnet.

Soweit erneut vorgetragen wird, dass der Vater der Klägerin nur im Rahmen der Krankenpflege für die Klägerin bei der Firma p. angestellt worden sei, weil die Klägerin keine anderen Pflegepersonen toleriere und nochmals hervorgehoben wird, dass die Anstellung anderer, weiterer Personen nie geplant gewesen sei, handelt es sich lediglich um die Wiederholung von Sachvortrag, auf den das LSG eingegangen ist und gewürdigt hat (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Eine Verletzung von rechtlichem Gehör ist diesbezüglich nicht ersichtlich.

Eine mögliche unterlassene Anhörung der Klägerin vor Ausspruch der Kündigung der Zielvereinbarung ist - unabhängig von der rechtlichen Erforderlichkeit und einer Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren - kein Grund für eine Zulassung der Revision. Denn ein Verfahrensmangel, der nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, setzt voraus, dass infolge unrichtiger Anwendung oder Nichtanwendung einer prozessrechtlichen Vorschrift das Gerichtsverfahren fehlerhaft geworden ist (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 160 RdNr 16a ff mwN), also ein Verstoß gegen eine Verfahrensnorm vorliegt, die den Weg zum Urteil betrifft. Eine Rüge der Verletzung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, wie eine fehlende Anhörung nach § 24 SGB X, gehört dazu offenkundig nicht.

Letztlich wendet sich die Klägerin lediglich gegen die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils. Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann indes die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13976030

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