Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26.10.2016; Aktenzeichen L 1 R 471/15)

SG Hannover (Entscheidung vom 21.09.2015; Aktenzeichen S 6 R 418/13)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Im Streit steht eine Rente wegen Erwerbsminderung, insbesondere die Frage des Zeitpunkts des Eintritts des Versicherungsfalls.

Anträge der Klägerin auf eine solche Rentenleistung lehnte die Beklagte bereits in den Jahren 2001 und 2004 ab. Die Klägerin erlitt im Oktober 2006 einen - von der zuständigen Berufsgenossenschaft anerkannten - Arbeitsunfall, in dessen Zusammenhang sie medizinisch begutachtet wurde. Auch einen 2012 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab. Zwar sei das Leistungsvermögen der Klägerin für mindestens 12 Monate vollständig aufgehoben gewesen - so die Beklagte -, allerdings seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn im maßgeblichen Zeitraum von Juli 2006 bis März 2012 seien lediglich 12 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage ist die Klägerin vor dem SG erfolgreich gewesen. Es ist von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bei der Klägerin ausgegangen. Daher hätte es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedurft (Urteil vom 21.9.2015). Das LSG hat der Berufung der Beklagten stattgegeben, die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, die rentenrechtlich bedeutsamen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit der Klägerin seien erst 2012 eingetreten. Ihr Leistungsvermögen sei 2008 noch nicht in einem Maße herabgesunken gewesen, das eine Rentenleistung rechtfertige. Von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen hat es sich nicht überzeugen können. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 26.10.2016).

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und rügt Divergenz zwischen der Entscheidung des LSG und Entscheidungen des BSG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, denn die Klägerin bezeichnet weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch die Divergenz und die Verfahrensfehler formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtssicherheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 30.6.2017 - B 13 R 124/17 B - Juris RdNr 4 mwN).

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl Senatsbeschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Klägerin nicht gerecht. Sie formuliert bereits keine abstrakte Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Soweit ihre Ausführungen dahingehend zu verstehen sein sollen, dass sie es für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, "inwieweit bzw. unter welchen Voraussetzungen ein geringes geistiges Leistungsbild festgestellt wird, mit dem im Ergebnis kein auf dem Arbeitsmarkt noch wettbewerbsfähiges verwertbares berufliches Leistungsvermögen beschrieben werden kann", mangelt es bereits daran, dass sie mit dieser Formulierung keinen abstrakten Klärungsbedarf aufzeigt, sondern nur den aus ihrer Sicht konkreten Klärungsbedarf im vorliegenden Fall.

Dies wird insbesondere anhand ihrer Darlegungen zum Klärungsbedarf deutlich. Sie trägt vor, das SG habe sich zu Recht auf eine von ihm eingeholte sachverständige Stellungnahme bezogen, die belege, dass bei ihr die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung bereits im Juli 2008 vorgelegen hätten. Im Gegensatz dazu habe das LSG das kumulative Vorliegen ihrer Leistungseinschränkungen nicht hinreichend berücksichtigt. Letztlich macht sie somit keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, sondern rügt die Beweiswürdigung des LSG, auch wenn sie ausführt, es werde grundsätzlich die Auffassung vertreten, dass es der Entscheidung des Gerichts überlassen bleiben müsse, ob von einer "Aufsummierung ungewöhnlicher und schwerer Leistungseinschränkungen" ausgegangen werden könne. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG kann die Beschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG jedoch ausdrücklich nicht gestützt werden.

Auch mit der zweiten Formulierung, "unter welchen Umständen bzw. wann eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen aufgezeigt ist und vorliegt, aufgrund derer die Benennung zumindest einer Verweisungstägigkeit erforderlich wäre" gelingt ihr die Bezeichnung einer abstrakten Rechtsfrage nicht. Insoweit legt sie auch selbst dar, dass das BSG sich bereits in dem Beschluss vom 19.6. (korrekt: 19.12.) 1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) sowie der erkennende Senat in den Entscheidungen vom 19.10.2011 und 10.7.2012 (Urteil - B 13 R 78/09 R - BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr 16 und Beschluss - B 13 R 40/12 B) dazu verhalten habe. Ebenso wenig arbeitet sie einen erneuten Klärungsbedarf heraus.

2. Soweit sie im Hinblick auf die zuletzt benannte Frage zudem eine Abweichung des LSG von den Entscheidungen des BSG behauptet, mangelt es an einer hinreichenden Bezeichnung der Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.

Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrundes einer Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der die Entscheidung des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruht (Senatsbeschluss vom 3.2.2015 - B 13 R 261/14 B - Juris RdNr 9 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Es mangelt bereits an der Benennung eines abstrakten Rechtssatzes, mit dem das LSG von der zitierten Entscheidung des BSG abgewichen sein könnte. Auch insoweit handelt die Klägerin lediglich ab, dass das LSG aus ihrer Sicht die Sachverständigengutachten unzutreffend gewürdigt und fehlerhafte rechtliche Schlussfolgerungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG aus diesen gezogen habe. Sie beschreibt es als nicht nachvollziehbar, dass das LSG zu der Einschätzung gelangt sei, das Ausmaß der bereits zuvor festgestellten Erkrankungen habe nicht ausgereicht, um ihr Leistungsbild als derart eingeschränkt anzusehen, um von einer Erwerbsminderung bereits zu dem Zeitpunkt ausgehen zu können, den das SG angenommen habe. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass die Manifestation sowie Chronifizierung dann zu einer Aufhebung des Leistungsbildes geführt haben solle. Abgesehen davon, dass sie mit diesen Ausführungen wiederum die Beweiswürdigung des LSG angreift, handelt es sich bei diesem Vorbringen um eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge.

3. Auch den Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet die Klägerin nicht in der erforderlichen Weise.

Wer die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnen. Zudem müssen die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargetan und darüber hinaus muss dargestellt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4). Dabei ist zu beachten, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Sofern die Klägerin geltend macht, das LSG hätte den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nach § 109 SGG nicht als verspätet zurückweisen dürfen, kann hierauf gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden. Der in jener Bestimmung normierte Ausschluss der Rüge einer Verletzung des § 109 SGG gilt uneingeschränkt und damit für jeden Fall einer verfahrensrechtlichen Übergehung eines nach § 109 SGG gestellten Antrags (stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 129/78 - SozR 1500 § 160 Nr 34 S 30; BSG Beschluss vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - SozR 1500 § 160 Nr 67 S 72 ff; BSG Beschluss vom 25.5.2009 - B 5 R 126/09 B - Juris RdNr 5; BSG Senatsbeschluss vom 29.5.2012 - B 13 R 97/12 B - Juris RdNr 5).

Die Beschwerdebegründung leidet auch dann an einem Darlegungsmangel, wenn der Antrag nach § 109 SGG in der mündlichen Verhandlung letztlich als ein solcher auf die Ausübung des Fragerechts angesehen werden sollte, weil der nach § 109 SGG benannte Sachverständige nach Angaben der Klägerin bereits als sachverständiger Zeuge im erstinstanzlichen Verfahren gehört worden sei. Die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen stellt eine Gehörsrüge (§ 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG) dar. Daher müssen deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl allgemein zu dieser Voraussetzung Senatsbeschluss vom 20.1.1998 - B 13 RJ 207/97 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 22; vgl auch BSG Urteil vom 19.3.1991 - 2 RU 33/90 - BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftlich Fragen angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind (vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1; BSG Beschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - Juris RdNr 11, jeweils mwN).

Es kann hier offenbleiben, ob die Klägerin mit dem Antrag auf Anhörung des Arztes Dr. H. in der mündlichen Verhandlung dem Gericht Fragen benannt hat, die an diesen zu stellen seien und ob diese ggf objektiv sachdienlich gewesen sind (vgl zu diesem Erfordernis BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10). Denn jedenfalls legt die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dar, dass die Klägerin alles Erforderliche und Zumutbare getan hat, um die gewünschte Anhörung des Arztes zu erreichen. Ein Antrag auf Befragung eines Sachverständigen ist regelmäßig nicht mehr als rechtzeitig gestellt anzusehen, wenn er erst kurz vor der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung beim Gericht eingeht, dem Gericht damit ohne Vertagung weder genug Zeit bleibt, den Sachverständigen zum Termin zu laden noch von ihm eine schriftliche Antwort auf die kurzfristig gestellten Fragen zu erhalten (vgl BSG Beschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - Juris RdNr 12). Dies gilt erst Recht, wenn ein solcher Antrag erst in der mündlichen Verhandlung angebracht wird. Insoweit hätte es näherer und stichhaltiger Darlegung bedurft, warum der Antrag nicht vor der mündlichen Verhandlung gestellt werden konnte, sondern erst in dieser. Daran fehlt es.

Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend machen will, § 103 SGG sei vom LSG auch deswegen verletzt worden, weil der sachverständige Zeuge Dr. S. nicht noch einmal gehört worden sei, mangelt es bereits an Darlegung, sie habe insoweit einen Beweisantrag gestellt, den sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten habe.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11205288

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