Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsatzrüge. Abstrakt-generelle Rechtsfrage. GmbH-Geschäftsführer. Statusbestimmung. Gesellschaftsvertraglich eingeräumte Rechtsmacht. Beachtliche Sperrminorität
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge nicht, wenn darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht formuliert wird.
2. Das BSG hat bereits entschieden, dass die faktische Möglichkeit eines Geschäftsführers, durch weisungswidriges Verhalten einen Beschluss zu verhindern, sozialversicherungsrechtlich irrelevant ist, sondern es für die Statusbestimmung nur auf die gesellschaftsvertraglich eingeräumte Rechtsmacht ankommt.
3. Das BSG hat bereits entschieden, dass die Möglichkeit, die eigene jederzeitige Abberufung als Geschäftsführer zu verhindern, in der Regel eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer beachtlichen Sperrminorität ist.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, §§ 162, 169 Sätze 2-3
Verfahrensgang
SG Kiel (Entscheidung vom 15.02.2019; Aktenzeichen S 3 KR 194/17) |
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 10.11.2021; Aktenzeichen L 5 BA 15/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Beigeladene in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der klagenden GmbH aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die klagende GmbH betreibt ein Ingenieurbüro. Der Beigeladene ist seit 1.7.2006 als Prüfingenieur und seit 2010 als Kfz-Ingenieur für die Klägerin tätig. Seit 1.4.2016 ist er neben zwei weiteren Personen Mitgesellschafter der GmbH mit einem Stimmenanteil von 33,3 vH und zugleich (Mit-)Geschäftsführer der Klägerin. Im GmbH-Gesellschaftervertrag ist ua geregelt, dass Beschlüsse der Gesellschafterversammlung grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Beschlüsse über die Bestellung oder Abberufung von Geschäftsführern bedürfen einer 3/4-Mehrheit. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn die anwesenden oder vertretenen Gesellschafter mindestens 75 % des Gesellschaftskapitals repräsentieren. Dies gilt nicht bei einer wegen Beschlussunfähigkeit erneut einberufenen Gesellschafterversammlung. Auf den Statusfeststellungsantrag des Beigeladenen stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass er in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege (Bescheid vom 8.12.2016; Widerspruchsbescheid vom 17.5.2017). Das SG hat die Klage der Klägerin abgewiesen, das LSG ihre Berufung zurückgewiesen (SG-Urteil vom 15.2.2019; LSG-Urteil vom 10.11.2021). Der Beigeladene habe Gesellschafterbeschlüsse weder herbeiführen noch verhindern können. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Die Beschwerdebegründung vom 28.4.2022 stützt sich ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert auf Seite 4 der Beschwerdebegründung folgende Frage:
"Handelt es sich um eine 'echte' Sperrminorität, wenn aus den Regelungen des Gesellschaftervertrages folgt, dass ein geschäftsführender Gesellschafter hinsichtlich seiner Tätigkeit als Geschäftsführer in allen Bereichen der Gesellschaft ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindert kann und diese gesellschaftsrechtliche Rechtstellung beständig ist [?]"
Der Beigeladene sei zwar kein Mehrheitsgesellschafter. Gleichwohl könne er ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung faktisch dadurch verhindern, dass er einer Gesellschafterversammlung fernbleibe und dadurch deren Beschlussunfähigkeit bewirke. Zudem würden weder das GmbHG noch der Gesellschaftsvertrag Sanktionen für den Fall vorsehen, dass er sich weisungswidrig verhalten würde. Einzig denkbar sei seine Abberufung als Geschäftsführer. Dies könne er aber aufgrund seines Gesellschaftsanteils verhindern.
Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
Unabhängig davon legt die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit ihrer gestellten Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Das BSG hat sich wiederholt damit beschäftigt, inwieweit faktische Gestaltungsmöglichkeiten Einfluss auf die Frage des Vorliegens von Beschäftigung haben können. Hierauf hat auch das LSG in seinem Urteil auf Seite 10 f wiederholt hingewiesen und mehrere Entscheidungen des BSG zitiert. Unter anderem hat der Senat bereits ausdrücklich entschieden, dass die faktische Möglichkeit eines Geschäftsführers, durch weisungswidriges Verhalten einen Beschluss zu verhindern, sozialversicherungsrechtlich irrelevant ist. Danach kommt es für die Statusbestimmung nur auf die gesellschaftsvertraglich eingeräumte Rechtsmacht an (vgl BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 6/19 R - juris RdNr 19 mwN). Demgegenüber behauptet die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung ohne nähere Begründung, eine Entscheidung des BSG über eine mangels Sanktionsmöglichkeiten im GmbHG oder im Gesellschaftervertrag selbst bestehende Möglichkeit einer faktischen Verweigerung unliebsamer Beschlüsse durch den geschäftsführenden Gesellschafter stehe noch aus. Auch hinsichtlich der Möglichkeit, die eigene jederzeitige Abberufung als Geschäftsführer zu verhindern, hat der Senat bereits entschieden, dass dies in der Regel eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer beachtlichen Sperrminorität ist (vgl BSG Urteil vom 29.6.2016 - B 12 R 5/14 R - juris RdNr 39). Auch hiermit setzt sich die Klägerin im Rahmen der von ihr darzulegenden Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend auseinander.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.
Heinz Bergner Beck
Fundstellen
Dokument-Index HI15471153 |