Verfahrensgang

SG Koblenz (Entscheidung vom 14.09.2020; Aktenzeichen S 15 U 18/18)

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.04.2022; Aktenzeichen L 3 U 253/20)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. April 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt A beizuordnen, wird abgelehnt. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Verletztenrente.

Das Sozialgericht (SG) hat unter Abänderung der ablehnenden Verwaltungsentscheidungen ua einen psychischen Gesundheitsschaden als weitere Unfallfolge des anerkannten Arbeitsunfalls festgestellt und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für einen begrenzten Zeitraum Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH zu gewähren (Urteil vom 14.9.2020). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert, soweit es einen psychischen Gesundheitsschaden als weitere Unfallfolge festgestellt hat. Zudem hat es den Zeitraum der Gewährung von Verletztenrente gegenüber dem Urteil des SG weitergehend begrenzt. Im Umfang der Abänderung des Urteils des SG hat das LSG die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.4.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt. Die Beschwerde begründet sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln.

II

1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unter Beiordnung von Rechtsanwalt A wird abgelehnt.

Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, können auf Antrag PKH erhalten, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO).

Daran fehlt es. Die durch den beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingelegte und begründete Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und hat daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (dazu 2.).

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt auch die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Klägerin macht geltend, das LSG habe die gebotene weitere Sachaufklärung (§ 103 SGG) unterlassen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die vor dem LSG anwaltlich vertretene Klägerin bezeichnet bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den sie im Verfahren vor dem LSG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion des Beweisantrags verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind (zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). So liegt es hier, wenn die Beschwerdebegründung auf Anregungen und Anträge in den Schriftsätzen vom 10.2.2021, 2.11.2021 und 16.2.2022 und damit auf solche vor der mündlichen Verhandlung am 12.4.2022 abstellt. Die Klägerin legt nicht dar, dass sie einen Beweisantrag gestellt hat, nachdem der Senat dort keinen weiteren Ermittlungsbedarf nach seiner Zwischenberatung gesehen hat. Dies wäre für eine Sachaufklärungsrüge jedoch erforderlich gewesen. Die Ansicht der Klägerin, das Gericht hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen, kann mangels Beweisantrags nicht zur Zulassung der Revision führen. Bloße Beweisanregungen sind im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Sachaufklärungsrüge ohnehin nicht ausreichend (zB BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN; allg zur Abgrenzung eines Beweisantrags von einer unbeachtlichen Beweisanregung BSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 = juris RdNr 4).

Ferner zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, warum das LSG sich aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2). Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind. Vor diesem Hintergrund besteht eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten nur dann, wenn vorhandene Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9).

Die Beschwerdebegründung rügt, dass das LSG mit nur wenigen Worten das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei der Klägerin bereits in einem recht frühen Stadium des Verfahrens abgelehnt und später pauschal den Kausalzusammenhang zum Arbeitsunfall abgelehnt habe. Ein Gutachten wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu der Feststellung einer Lungenembolie als Unfallfolge gelangt, aus der sich durch die Behandlung eine PTBS entwickelt habe. Hiermit zeigt die Beschwerdebegründung indes nicht hinreichend den maßgeblichen sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG auf. Erforderlich wäre die Darstellung des vom LSG festgestellten (§ 163 SGG) entscheidungserheblichen Sachverhaltes einschließlich der Verfahrensgeschichte gewesen, um das Beschwerdegericht in die Lage zu versetzen, den sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG nachzuvollziehen und das Vorliegen eines Aufklärungsmangels zu bewerten. Die Beschwerdebegründung hätte sich insbesondere mit den Ergebnissen der nach eigenem Vorbringen diversen eingeholten Gutachten auseinandersetzen und substantiiert ausführen müssen, inwiefern diese aus Sicht des LSG ungenügend waren und daher Anlass zu weiterer Sachaufklärung bestanden hätte. Nicht maßgeblich sind dagegen Ausführungen dazu, dass die Klägerin aus ihrer Sicht weiteren Aufklärungsbedarf ua durch Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens angenommen hat. Soweit sich die Klägerin mit ihrem Vorbringen damit auch gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz wendet, vermag dies die Zulassung der Revision nicht zu begründen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Roos

Karmanski

Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15523897

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