Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 22.03.2018; Aktenzeichen S 1 R 5091/15) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 13.10.2021; Aktenzeichen L 6 BA 86/18) |
Tenor
Die Beschwerden der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. und 2. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Oktober 2021 werden als unzulässig verworfen.
Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1. und 2. tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 12.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 559 231,26 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die in Folge einer Betriebsprüfung festgesetzte Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen in Höhe von 559 231,26 Euro.
Die klagende, im Jahr 2009 aufgelöste Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, deren einzige Gesellschafter die Beigeladenen zu 1. und 2. waren, betrieb in der Zeit vom 1.1.2002 bis zum 30.6.2009 den Handel mit Haushaltswaren, ab 2003 auch den An- und Verkauf von Telekommunikationsanträgen sowie ab 2008 auch die Verlagswerbung mittels Haustürwerbung. Dazu unterhielt sie Verträge mit zahlreichen sog Werbern und Teileleuten, die sie als selbstständige Handelsvertreter führte und für die sie keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtete. Der Beigeladene zu 2. wurde insoweit nach Ermittlungen des Hauptzollamts wegen des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, das Verfahren gegen die Beigeladene zu 1. wurde gegen eine Geldauflage nach § 153a StPO eingestellt. Die zunächst an die Beigeladenen zu 1. und 2. als Gesellschafter adressierten Betriebsprüfungsbescheide hob die Beklagte auf Hinweis des Gerichts, dass richtiger Adressat der Bescheide die Klägerin und nicht deren Gesellschafter seien, im jeweiligen Klageverfahren auf.
Die Beklagte forderte mit dem angefochtenen Betriebsprüfungsbescheid vom 19.3.2015 und Widerspruchsbescheid vom 18.8.2015 Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von 1 571 883,94 Euro nach. Das SG hat die Bescheide insoweit aufgehoben, als nicht 12 im Urteil näher bezeichnete Personen betroffen waren, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil des SG Landshut vom 22.3.2018). Die Berufung ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, für den im Berufungsverfahren allein geltend gemachten Einwand, der Betriebsprüfungsbescheid sei rechts- und verfassungswidrig, weil er seine Funktion als Grundlagenbescheid im Verfahren nach § 76 SGB IV nicht erfüllen könne, fehle es an einer Rechtsgrundlage. Das Verfahren zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen sei zweigeteilt. Die Rentenversicherungsträger erfüllten in Betriebsprüfungsverfahren die Kontrollfunktion in den Betrieben, Gläubiger der Beitragsforderung seien aber die Krankenkassen als Einzugsstellen. Dass der angefochtene Bescheid "ein Verhalten abverlange", das rechtmäßigerweise nicht mehr durchgesetzt werden könne, sei am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips nicht zu beanstanden. Leistungsverweigerungsrechte wie insbesondere die Verjährung müssten gegenüber dem Gläubiger, hier der Krankenkasse geltend gemacht werden. Insofern könne dahinstehen, inwieweit Ansprüche nach § 128 HGB, § 823 Abs 2 BGB, §§ 266a, 15 StGB bei Bescheiderlass nach § 159 HGB und § 195 BGB verjährt gewesen seien. Verjährung nach § 25 SGB IV sei jedenfalls nicht eingetreten.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wenden sich die Klägerin sowie die Beigeladenen zu 1. und 2. mit ihren Beschwerden.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1. und 2. haben die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Beschwerdeführer führen mit der Beschwerdebegründung aus, das LSG habe gegen die "Grundordnung des Verfahrens" verstoßen, indem es die Kompetenzverteilung zwischen der Beklagten und den zu 3. bis 12. beigeladenen Krankenkassen nicht hinreichend beachtet haben. Damit legen die Beschwerdeführer weder einen Verstoß gegen ein Verfahrensrecht im unmittelbar vorangehenden Rechtszug dar noch wird hinreichend deutlich, welches Verfahrensrecht sie mit dem Begriff "Grundordnung des Verfahrens" überhaupt als verletzt ansehen. Sie behaupten vielmehr die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung, weil die angefochtenen Bescheide formell rechtswidrig seien. Damit können sie eine Zulassung der Revision nicht erreichen.
Auch mit dem Vortrag, das LSG habe die Beteiligtenfähigkeit der Klägerin im Verwaltungsverfahren nicht hinreichend geprüft, weil ihr gegenüber nicht mittels Bescheid eine Nachforderung habe festgesetzt werden dürfen, machen die Beschwerdeführer lediglich die formelle Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide und keinen Verfahrensmangel im Verfahren vor dem LSG geltend. Gegen welche Vorschrift des sozialgerichtlichen Verfahrens das LSG damit verstoßen haben soll, wird aus ihren Ausführungen nicht hinreichend deutlich. Soweit die Beschwerdeführer ausführen, dass für die Durchsetzung der Ansprüche der Krankenkassen der Zivilrechtsweg nicht eröffnet sei, wird nicht deutlich, was sie damit im Verfahren vor den Sozialgerichten beanstanden. Soweit der Vortrag dazu dient, noch einmal auszuführen, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig oder unwirksam, wird weiterhin kein Verfahrensfehler deutlich.
Auch die Rüge des Fehlens der Urteilsgründe ist nicht hinreichend dargetan. Nach § 128 Abs 1 Satz 2 SGG sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Aus den Entscheidungsgründen muss ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Dass dies nicht der Fall wäre oder das angefochtene Urteil überhaupt keine Begründung enthalte, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Soweit die Beschwerdeführer eine Auseinandersetzung mit einzelnen Argumenten vermissen, übersehen sie, dass ein Gericht nicht jeden Gesichtspunkt abhandeln muss (BSG Beschluss vom 27.6.2018 - B 13 R 273/16 B - juris RdNr 39; BSG Beschluss vom 26.5.2011 - B 11 AL 145/10 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 24.2.2010 - B 13 R 547/09 B - juris RdNr 10 mwN).
Schließlich ist auch die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) in einer mündlichen Verhandlung (§ 124 Abs 1 SGG) nicht hinreichend dargetan. Soweit die Beschwerdeführer den Satz "Der Zeitpunkt der Auflösung der GbR ist nicht streitgegenständlich." in der angefochtenen Entscheidung als überraschend empfinden, reicht dies zur Darlegung einer Überraschungsentscheidung nicht. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung mehrerer vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 RdNr 18 mwN). Die Beschwerdeführer weisen aber selbst darauf hin, dass im Erörterungstermin der Zeitpunkt der Auflösung der Klägerin geklärt worden sei. Aus ihren Ausführungen wird weder deutlich, welches Überraschungsmoment dem beanstandeten Satz dennoch anhaftet noch welche Entscheidungsrelevanz er nach der materiellen Rechtsauffassung des LSG hat oder was sie in Kenntnis des Satzes in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG noch hätten vortragen wollen.
Welchen Verfahrensmangel die Beschwerdeführer mit ihren Ausführungen zum Willkürverbot geltend zu machen meinen und inwiefern "lediglich ergänzend"e Ausführungen des LSG geeignet sind, einen erheblichen Verfahrensmangel zu begründen, wird ebenfalls nicht hinreichend deutlich.
2. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Daran fehlt es. Die Beschwerdeführer tragen nicht vor, warum es im angestrebten Revisionsverfahren einer Gesellschaft gegen die den Betrieb prüfende Deutsche Rentenversicherung um öffentlich-rechtliche Beitragspflichten auf die aufgeworfene Rechtsfrage ankommen soll, ob die Einzugsstellen zivilrechtliche Ansprüche gegen Gesellschafter oder Geschäftsführer auf dem Zivilrechtsweg geltend machen können.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 sowie § 162 Abs 3 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Heinz U. Waßer Padé
Fundstellen
Dokument-Index HI15203327 |