Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine einklagbare Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung zum Einschreiten gegen rechtswidrige Ermächtigungen aus Sicherstellungsauftrag
Leitsatz (amtlich)
§ 75 Abs 2 SGB 5 begründet keine einklagbare Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung, zugunsten einzelner Vertragsärzte gegen rechtswidrige Ermächtigungen einzuschreiten.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB V § 75 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.07.1995; Aktenzeichen L 11 Ka 163/94) |
SG Köln (Entscheidung vom 24.11.1994; Aktenzeichen S 19 Ka 25/94) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 1995 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat den Beklagten deren außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, der als Vertragsarzt eine Dialysepraxis betreibt, wendet sich gegen die Ermächtigung des zu 5 beigeladenen Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation zur Durchführung ambulanter Dialysebehandlungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung. Hilfsweise begehrt er, die Kassenärztliche Vereinigung ≪KÄV≫ (Beklagte zu 2) zu verpflichten, gegen die vom Berufungsausschuß (Beklagter zu 1) erteilte Ermächtigung in geeigneter Weise vorzugehen. Die Vorinstanzen haben eine Klagebefugnis verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht macht der Kläger geltend, die Frage, ob ein Vertragsarzt gegen eine offensichtlich den Vorrang der niedergelassenen Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung mißachtende Ermächtigung gerichtlich vorgehen oder zumindest seine KÄV zum Einschreiten zwingen könne, komme grundsätzliche Bedeutung zu. Darüber hinaus rügt er Mängel des Verwaltungsverfahrens.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben.
Der Senat hat mit Urteil vom 15. Mai 1991 (BSGE 68, 291 = SozR 3-1500 § 54 Nr 7) in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung entschieden, daß niedergelassene Ärzte grundsätzlich nicht befugt sind, gegen Beschlüsse der Zulassungsgremien zu klagen, mit denen Krankenhausärzte oder ärztlich geleitete Einrichtungen zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt worden sind. Die durch diese Entscheidung geklärte Frage der Klagebefugnis erlangt entgegen der Ansicht des Klägers nicht dadurch (erneut) grundsätzliche Bedeutung, daß sich seit dem genannten Urteil die Konkurrenzsituation zwischen den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten durch eine weitere Erhöhung der Arztzahlen bei gleichzeitiger Budgetierung der für die Honorierung vertragsärztlicher Leistungen zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungen verschärft hat. Das Fehlen einer rechtlichen Beschwer auf seiten des durch eine Ermächtigung unter Umständen wirtschaftlich betroffenen niedergelassenen Arztes ist damit begründet worden, daß die Ermächtigungsvorschriften auch nicht mittelbar die individuellen Interessen, insbesondere die Vergütungsinteressen der zugelassenen Vertragsärzte im Blick haben, sondern im öffentlichen Interesse der Gewährleistung einer ausreichenden und zweckmäßigen ambulanten ärztlichen Versorgung der versicherten Bevölkerung zu dienen bestimmt sind. Hiernach ist das Ausmaß einer von der Entscheidung der Zulassungsinstanzen möglicherweise ausgehenden Beeinträchtigung beruflicher und wirtschaftlicher Interessen des einzelnen Vertragsarztes für die Frage der Klagebefugnis ohne Belang.
Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache auch nicht deshalb zu, weil sich der Senat in dem Urteil vom 15. Mai 1991 (aaO) nicht dazu geäußert hat, ob die genannte Rechtsprechung auch dann gilt, wenn der Berufungsausschuß die Bedarfslage und den Vorrang der niedergelassenen Ärzte überhaupt nicht beachtet hat und seine Entscheidung deshalb offensichtlich rechtswidrig ist. In dem zwischenzeitlich ergangenen Senatsurteil vom 28. August 1996 – 6 RKa 37/95 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) ist klargestellt worden, daß eine Ausnahme von der zuvor dargestellten grundsätzlichen Rechtsposition allenfalls in solchen Fällen in Betracht zu ziehen sein könnte, in denen der niedergelassene Arzt geltend macht und schlüssig geltend machen kann, die Ermächtigung sei willkürlich oder gar in der gezielten Absicht erteilt worden, ihn zu benachteiligen. Ob bei einem derartigen Sachverhalt ausnahmsweise eine Klagebefugnis des mittelbar betroffenen Vertragsarztes anzuerkennen wäre, hat der Senat in der genannten Entscheidung offengelassen. Nachdem die Beschwerde keine entsprechenden Tatsachen vorträgt, wäre diese Frage auch im vorliegenden Fall in einem etwaigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig ist schließlich die Frage, ob der Vertragsarzt aus seinem Mitgliedschaftsverhältnis zur KÄV beanspruchen kann, daß diese zu seinen Gunsten gegen rechtswidrige Ermächtigungsentscheidungen einschreitet. Der Senat hat hierzu zwar bisher nicht ausdrücklich Stellung genommen. Daß ein derartiger Anspruch nicht besteht, kann aber im Hinblick auf die gesetzlichen Vorschriften, welche die Rechtsstellung und Funktion der Kassenärztlichen Vereinigung regeln, und in Anbetracht der dazu ergangenen Rechtsprechung nicht zweifelhaft sein, so daß es insoweit keiner Entscheidung in einem Revisionsverfahren bedarf.
Eine einklagbare Verpflichtung der KÄV, gegen rechtswidrige Ermächtigungen vorzugehen, läßt sich nicht aus § 75 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ableiten. Nach dieser Vorschrift obliegt es den KÄVen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen. Die Pflicht zur Rechtswahrnehmung besteht nicht allein gegenüber den Krankenkassen, sondern in gleicher Weise gegenüber rechtlich verselbständigten Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, denen, wie den Zulassungs- oder den Prüfungseinrichtungen, Entscheidungsbefugnisse im Zusammenhang mit der Aufnahme und der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit übertragen sind. In Zulassungssachen zeigt sich das daran, daß den KÄVen neben Antrags- und Beteiligungsrechten im Verwaltungsverfahren (vgl ua § 27 Satz 2, § 37 Abs 2, § 45 Abs 3 Zulassungsverordnung für Kassenärzte) in § 96 Abs 4 Satz 1 SGB V ein eigenes Anfechtungsrecht gegen die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse eingeräumt wird und daß sie nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 30. November 1994 ≪SozR 3-2500 § 119 Nr 1≫) kraft ihrer Verantwortung für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung befugt sind, die Rechtswidrigkeit von Entscheidungen der Zulassungsgremien im Prozeß geltend zu machen, ohne eine darüber hinausgehende konkrete rechtliche Beschwer im Einzelfall nachweisen zu müssen. Die in § 75 Abs 2 SGB V beschriebene Aufgabe der KÄV beschränkt sich indessen auf die Wahrnehmung solcher Rechte und rechtlichen Interessen, die die Vertragsärzteschaft als Ganzes betreffen oder aus anderen Gründen von fallübergreifender Bedeutung sind. Sie beinhaltet keine Verpflichtung, wirtschaftliche Belange einzelner Ärzte, die keinen Bezug zu dem allgemeinen Interesse der Vertragsärzteschaft an einer gesetzes- und vertragskonformen Entscheidungspraxis aufweisen, im Zulassungsstreit geltend zu machen und zu vertreten (vgl Hess, Kasseler Komm, § 75 SGB V RdNr 33; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, 3. Aufl, § 75 SGB V RdNr 10; Peters/Hencke, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Aufl, § 75 SGB V RdNr 18; aA offenbar: Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl, § 75 SGB V RdNr C 75-26). Das schließt es nicht aus, daß die KÄV nach pflichtgemäßen Ermessen den Fall eines einzelnen Arztes aufgreift und zum Gegenstand der Rechtswahrnehmung gegenüber den Zulassungsgremien macht. Daraus, daß sie von Gesetzes wegen nicht vorrangig Belange einzelner Mitglieder, sondern Interessen der Gesamtheit der Vertragsärzte wahrzunehmen hat, ergibt sich aber zwangsläufig, daß der einzelne Vertragsarzt nicht die rechtliche Möglichkeit haben kann, die KÄV zu einer bestimmten, in seinem Interesse liegenden Haltung gegenüber Entscheidungen der Zulassungsinstanzen zu zwingen.
Aus dem Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers zur KÄV als einem öffentlich-rechtlichen Zwangsverband ergibt sich kein weitergehender Anspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht Mitgliedern einer gesetzlich installierten Zwangskörperschaft lediglich ein Abwehrrecht insofern zu, als sie von der Körperschaft die Beschränkung auf die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben verlangen können. Das einzelne Mitglied kann sich gegen solche Eingriffe in seine durch Art 2 Abs 1 Grundgesetz geschützte Handlungsfreiheit wehren, die sich nicht im Wirkungskreis legitimer Aufgaben halten oder bei deren Wahrnehmung nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird (BVerwGE 64, 115, 117; 64, 298, 301; jeweils mwN). Darum handelt es sich hier indessen nicht, weil der Kläger sich nicht gegen rechtswidrige Maßnahmen der KÄV verteidigt, sondern diese umgekehrt erst zu einem bestimmten Verhalten veranlassen will.
Soweit der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln begehrt, ist die Beschwerde unzulässig. Seine diesbezüglichen Rügen auf Seite 3 der Beschwerdebegründung beziehen sich auf angebliche Mängel des Verwaltungsverfahrens, die nicht zu den in § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abschließend aufgeführten Zulassungsgründen gehören.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1176605 |
SozR 3-2500 § 75, Nr. 8 |