Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Untersuchungsgrundsatz. übergangener Beweisantrag. Unzulässigkeit von Beweisausforschungs- und Beweisermittlungsanträgen. Gewaltopferentschädigung. feindselige Willensrichtung des behandelnden Arztes. Darlegungsanforderungen. sozialgerichtliches Verfahren. Übernahme klägerischer Formulierungen in die Beschwerdebegründung durch den Prozessbevollmächtigten
Orientierungssatz
1. Beweisanträge, die so unbestimmt bzw unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen (hier zum Vorliegen einer feindseligen Willensrichtung eines behandelnden Arztes in einem OEG-Verfahren) zu verschaffen, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen (vgl BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R = NZS 2012, 230).
2. Die vom Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Beschwerdebegründung muss aus sich heraus erkennen lassen, dass er den Prozessstoff überprüft hat und die volle eigene Verantwortung für den Inhalt der Beschwerdebegründung übernimmt. Zum Nachweis hierfür genügt nicht die im Wesentlichen unveränderte Übernahme einer vom nicht postulationsfähigen Kläger verfassten Begründung (vgl BSG vom 15.4.1981 - 1 BA 23/81 = SozR 1500 § 160 Nr 44).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, §§ 103, 73 Abs. 4; OEG § 1
Verfahrensgang
SG Altenburg (Gerichtsbescheid vom 24.06.2014; Aktenzeichen S 8 VE 4248/13) |
Thüringer LSG (Urteil vom 16.04.2015; Aktenzeichen L 5 VE 934/14) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 16. April 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Leistungen der Opferentschädigung wegen einer nach ihrer Ansicht fehlerhaften orthopädischen Behandlung ihrer Skoliose in der ehemaligen DDR.
Ihren im Jahr 2013 beim Beklagten erfolglos gestellten Antrag auf Beschädigtenversorgung begründete die Klägerin mit der Behauptung, die sie in den Jahren 1986-1990 behandelnden Ärzte hätten notwendige Behandlungen unterlassen und sie über bestehende Behandlungsmöglichkeiten getäuscht (Bescheid vom 14.10.2013, Widerspruchsbescheid vom 4.12.2013).
Das SG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen, weil es an einem Angriff im Sinne des § 1 OEG fehle (Gerichtsbescheid vom 24.6.2014).
Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die seinerzeit an der Klägerin durchgeführte Behandlung in feindseliger Willensrichtung erfolgt wäre und daher einen Angriff im Sinne von § 1 OEG darstellen könne. Der anderslautende Vortrag der Klägerin sei unsubstantiiert und erschöpfe sich in Mutmaßungen, die dem Gericht keinen Anlass für weitere Ermittlungen böten. Unabhängig davon sei ein etwaiges Fehlverhalten der behandelnden Ärzte auch nicht kausal für die gesundheitliche Schädigung der Klägerin, weil sie von sich aus von einer möglichen Operation abgesehen habe (Urteil vom 16.4.2015).
Mit ihrer gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil erhobenen Beschwerde macht die Klägerin als Verfahrensmangel geltend, das Berufungsgericht sei ihren Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Die Klägerin führt persönlich aus, das Gericht habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der behauptete Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, ordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
Die Klägerin hat nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu bezeichnen und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160a RdNr 96 mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230; BSG Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B - BeckRS 2010, 65789 = Juris RdNr 12). Das gilt insbesondere für Beweisanträge, die so unbestimmt bzw unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen. Sie sind als Beweisausforschungs- bzw -ermittlungsanträge auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230 f mwN; BVerfG vom 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - DVBl 1993, 1002).
So läge es mit einem von der Beschwerde sinngemäß angeführten Beweisbegehren der Klägerin mit dem Ziel, die seinerzeit behandelnde Ärztin als Zeugin zu vernehmen. Nach der Beschwerdebegründung hat das LSG nämlich keine Anhaltspunkte für eine feindselige Willensrichtung gesehen. Tatsächlich hat das LSG in seinem Urteil im Einzelnen begründet, warum es die Behauptung der Klägerin, die Ärztin habe sie jahrelang ohne objektive und subjektive Heilungsabsicht in feindseliger Willensrichtung behandelt, als unsubstantiiert, dh nicht auf greifbare Anhaltspunkte gestützt, angesehen und eine Beweiserhebung zur Erforschung dieser Behauptung abgelehnt hat. Unter anderem hat das LSG angesichts des Vorwurfs, die behandelnde Orthopädin habe aus rein finanziellem Interesse gehandelt, nachvollziehbar auf die allgemein bekannte staatliche Struktur des Gesundheitswesens in der DDR verwiesen und es als Mutmaßung bezeichnet, die Ärztin könne gegen ihren Willen gezwungen worden sein, ohne Abschluss in der orthopädischen Sprechstunde zu arbeiten, um Straftaten für Dritte auszuüben (Regierung, Behörden, westliche Pharmakonzerne). Mit dieser stichhaltigen Begründung des LSG setzt sich die Beschwerde nicht ausreichend auseinander.
Soweit die Beschwerde geltend macht, das LSG hätte ein orthopädisches Gutachten zur Frage einholen müssen, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliege, so fehlt es im Übrigen an der Darlegung, warum es auf diese unter Beweis gestellte Frage vom maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG überhaupt ankam, weil das Berufungsgericht jedenfalls eine für einen Anspruch nach § 1 OEG erforderliche feindselige Angriffshandlung aus rein eigensüchtigen Motiven (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91-101 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17) ausgeschlossen hat.
Das umfangreiche weitere Vorbringen der Beschwerde ist schon formell unzulässig und unbeachtlich. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sich im zweiten Teil ihrer Beschwerdeschrift darauf beschränkt, deren in Ich-Form gehaltenen Vortrag unkommentiert und unter Beibehaltung von Stil und Duktus zum Inhalt ihres Schriftsatzes zu machen ("Die Beschwerdeführerin wünscht ausdrücklich, folgende Ausführungen zu machen"). Dies wird dem Vertretungserfordernis des § 73 Abs 4 SGG nicht gerecht. Auch bei der Nichtzulassungsbeschwerde soll der von § 160a SGG festgelegte Begründungszwang eine sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens gewährleisten und den Prozessbevollmächtigten anhalten, die Rechtslage gewissenhaft zu prüfen, um von aussichtslosen Beschwerden abzusehen. Daher muss die vom Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Beschwerdebegründung aus sich heraus erkennen lassen, dass er den Prozessstoff überprüft hat und die volle eigene Verantwortung für den Inhalt der Beschwerdebegründung übernimmt. Zum Nachweis hierfür genügt nicht die im Wesentlichen unveränderte Übernahme einer vom nicht postulationsfähigen Kläger verfassten Begründung wie im Fall der vorliegenden Beschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 44 mwN).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen