Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 15.12.1997) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1997 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht.
Tatbestand
I
Umstritten ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.
Die Klägerin beschäftigte den Studenten R. während seines Studiums in der Zeit von November 1988 an. Bis November 1990 sah sie ihn in der Beschäftigung als versicherungsfrei an. Schon im November 1989 hatte die AOK für den Märkischen Kreis (AOK), die Rechtsvorgängerin der Beklagten, bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Zeit bis September 1989 durchgeführt, ohne die angenommene Versicherungsfreiheit des R. zu beanstanden. Mit Bescheid vom 10. August 1992 entschied die AOK aufgrund einer erneuten Betriebsprüfung, R. sei seit Beginn seiner Beschäftigung in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung versicherungspflichtig sowie in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig und forderte Beiträge für die Zeit nach Abschluß der vorhergehenden Betriebsprüfung vom 1. Oktober 1989 bis 30. November 1990 nach (Bescheid vom 10. August 1992). Die Klägerin ließ den Beitragsbescheid bindend werden und zahlte die Beiträge. Anschließend versuchte sie vergeblich, von R. die auf ihn entfallenden Beitragsanteile zu erlangen. Eine Klage gegen R. vor dem Arbeitsgericht wurde abgewiesen.
Im April 1993 beanspruchte die Klägerin von der AOK einen Betrag in Höhe der für R. abgeführten Arbeitnehmeranteile. Sie machte geltend, die späte Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und damit der Ausschluß des Lohnabzuges der Arbeitnehmeranteile seien auf die unzutreffende Beurteilung bei der Betriebsprüfung im November 1989 und einer damals vorgelegten Abrechnung für Oktober 1989 zurückzuführen. Der Betrag werde unter dem Aspekt des sozialrechtlichen „Wiederherstellungsanspruchs” geltend gemacht. Die Klägerin verlangte eine Entscheidung der AOK durch Verwaltungsakt. Die AOK lehnte eine Erstattung der Beiträge ab (Bescheid vom 11. August 1993, Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1994). Ein Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht. Eine Schadensersatzpflicht wegen positiver Forderungsverletzung sei nicht begründet.
Die Klägerin hat Klage vor dem Sozialgericht (SG) erhoben. Sie hat die Aufhebung der Bescheide und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Geldbetrages beantragt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. März 1997). Zugunsten der Klägerin sei der Bescheid dahin auszulegen, daß mit ihm über die teilweise Rücknahme des Beitragsbescheids vom 10. August 1992 entschieden worden sei. Die Klägerin habe keinen Schadensersatzanspruch. Ein solcher ergebe sich nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Eine Geldleistung könne mit ihm nicht erreicht werden. Auch aus positiver Forderungsverletzung ergebe sich kein Schadensersatzanspruch. Es könne dahingestellt bleiben, ob eine positive Forderungsverletzung im Sozialrecht als Anspruchsgrundlage in Betracht komme. Jedenfalls sei hier keine der Klägerin gegenüber bestehende Pflicht verletzt worden.
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) darauf hingewiesen, daß für Schadensersatzklagen die ordentlichen Gerichte zuständig seien, und um Mitteilung gebeten, falls ein Verweisungsantrag gestellt werde. Vor dem LSG hat die Klägerin schriftsätzlich beantragt, das Urteil des SG abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1994 zu verurteilen, an sie 5.691,27 DM nebst 7 % Zinsen seit dem 13. Mai 1993 zu zahlen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Vorsorglich hat sie ferner beantragt, „für den Fall der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts” den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Das LSG hat durch Beschluß vom 15. Dezember 1997 den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des SG an das zuständige Landgericht verwiesen. Das SG habe zu Unrecht angenommen, die angefochtenen Bescheide seien Bescheide iS des § 44 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren (SGB X) über die teilweise Rücknahme des Beitragsbescheides vom 10. August 1992. Eine Überprüfung dieser Bescheide habe die Klägerin nie verlangt. Die Beklagte habe deshalb nur über einen von der Klägerin behaupteten Herstellungsanspruch entschieden. Er komme jedoch nicht in Betracht, weil mit ihm nur verlangt werden könne, was Gegenstand einer zulässigen Amtshandlung sein könne. Die Klägerin wolle einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Der von ihr erhobene Anspruch sei jedoch kein sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch und unterscheide sich von Ansprüchen, deren Verfolgung im Sozialrechtsweg zulässig sei. Für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten sei der ordentliche Rechtsweg gegeben (Art 34 Satz 3 des Grundgesetzes ≪GG≫, § 40 Abs 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫). Wenn der beschrittene Rechtsweg unzulässig sei, sei der Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Es handele sich hier nicht um einen Fall mehrfacher Klagebegründung mit der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für wenigstens einen selbständigen Klagegrund, sondern um einen prozessualen Anspruch, der nur von Anspruchsgrundlagen getragen sein könne, für die die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben sei.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die unmittelbar beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt worden ist. Mit ihr macht die Klägerin geltend: Das SG habe in der Hauptsache entschieden. Deshalb habe das LSG den beschrittenen Rechtsweg nicht mehr beanstanden dürfen. Mit dem LSG Baden-Württemberg (Die Beiträge 1994, 215) sei von der Zulässigkeit des Rechtswegs auszugehen. Die Rechtsprechung des BSG (BSGE 50, 25, 29 = SozR 2200 § 172 Nr 4) sei bekannt.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluß des LSG vom 15. Dezember 1997 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluß für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist zulässig. Sie konnte wirksam unmittelbar bei dem BSG eingelegt werden. Der beschließende 12. Senat tritt der Ansicht des 11. Senats bei (vgl dessen Beschluß vom 12. Mai 1998 – B 11 SF 1/97 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Die Beschwerde ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt. Seine Entscheidung verletzt § 17a Abs 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Nach dieser Vorschrift prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Hier hat das SG eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen. Es hat die Anfechtungsklage gegen den Verwaltungsakt vom 11. August 1993 sowie die Leistungs- und Verpflichtungsklage als sachlich unbegründet abgewiesen.
Soweit das SG über die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche entschieden hat, ist damit eine Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs ausgeschlossen. Die Ansicht des LSG, weil hier der Sache nach Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung geltend gemacht werde und für diesen Anspruch nach Art 34 Satz 3 GG und § 17 Abs 2 Satz 2 GVG der Rechtsweg zu den Zivilgerichten gegeben sei, könne vom Berufungsgericht über die Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden werden, ist unzutreffend. Das SG hat über einen Anspruch auf Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung nach § 839 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), dessen Geltendmachung vor den ordentlichen Gerichten nach Art 34 Satz 3 GG nicht ausgeschlossen werden kann, nicht entschieden. Es hat über einen Sachverhalt entschieden, aufgrund dessen zwar auch ein Anspruch aus § 839 Abs 1 BGB in Betracht kommt. Die Klägerin hatte jedoch andere Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch behauptet. Darüber haben die Beklagte durch Verwaltungsakt und das SG durch Urteil sachlich entschieden. Damit ist nicht ohne weiteres über einen möglichen Anspruch aus Amtspflichtverletzung nach § 839 Abs 1 BGB entschieden worden. Hinsichtlich des Anspruchs auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung aus § 839 Abs 1 BGB und der Ansprüche aus Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten kann eine Anspruchskonkurrenz bestehen. Das LSG räumt selbst ein, von einem anderen Gericht (LSG Baden-Württemberg, Die Beiträge 1994, 215) sei in einem vergleichbaren Fall ein sozialrechtlicher Anspruch auf Schadensersatz aufgrund positiver Forderungsverletzung als möglich angesehen worden. Soweit die Klägerin einen Herstellungsanspruch geltend gemacht hat, ist dieser Anspruch neben einem Anspruch wegen Amtspflichtverletzung jedenfalls nicht denknotwendig ausgeschlossen (vgl BGHZ 103, 242 mwN).
Da die in § 17 Abs 2 Satz 1 GVG vorgesehene umfassende Entscheidung des Gerichts über alle Ansprüche aus einem Lebenssachverhalt die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Ansprüche nach Art 34 Satz 3 GG nicht berührt, ist eine einheitliche Entscheidung in den Fällen, in denen eine Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung und aus sonstigen Anspruchsgrundlagen gegeben ist, nicht möglich, wenn nicht auch für die anderen Ansprüche der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Das SG hat hier die von der Klägerin behaupteten Anspruchsgrundlagen als öffentlich-rechtlich qualifiziert und die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtbarkeit angenommen. Daran ist das LSG gebunden. Ob solche Ansprüche bestehen, ist keine Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges, sondern eine Frage der Begründetheit der Berufung.
Das LSG war auch nicht befugt, den Rechtsstreit hinsichtlich eines Anspruchs aus § 839 Abs 1 BGB an das Landgericht zu verweisen. Die Klägerin hat zwar im Berufungsverfahren hilfsweise die Verweisung an das zuständige Gericht beantragt. Dieser Antrag ist aber bisher dahin eingeschränkt, daß nur für den Fall der sachlichen Unzuständigkeit eine Verweisung beantragt wird. Aufgrund der Entscheidung des SG besteht eine sachliche Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Das LSG könnte auch nicht von Amts wegen die Klage wegen des Anspruchs aus § 839 Abs 1 BGB an das Landgericht verweisen. Die Klägerin hat diesen Anspruch bisher nicht eindeutig geltend gemacht, sondern sozialrechtlich begründete Ansprüche im Sozialrechtsweg verfolgt. Soweit sie einen Anspruch aus Amtspflichtverletzung geltend machen will, ist es ihr unbenommen, Klage vor dem Landgericht zu erheben. Wie sich aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt, ist ihr die bisherige Rechtsprechung des Senats in BSGE 50, 25, 29 = SozR 2200 § 172 Nr 4 bekannt.
Hiernach war der angefochtene Beschluß des LSG aufzuheben. Dieses wird nunmehr in dem bei ihm anhängig gebliebenen Hauptsache-Verfahren über die von der Klägerin im Sozialrechtsweg geltend gemachten Ansprüche in der Sache zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen