Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfebedürftigkeit. Vorzeitiger Verbrauch einer einmaligen Einnahme. Jahressonderzahlung. Einkommen unterhalb der Höchsteinkommensgrenze. Kinderzuschlag. Einkommensbegriff. Bereite Mittel. Antragstellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Es trifft nicht zu, dass der zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führende „vorzeitige” Verbrauch einer einmaligen Einnahme (Jahressonderzahlung) bei der Prüfung, ob – wie es § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 BKGG verlangt – die Klägerin über Einkommen i.S. des § 11 SGB II unterhalb der Höchsteinkommensgrenze verfügt und durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit i.S. des § 9 SGB II vermieden wird, unberücksichtigt zu bleiben hat.
2. Der Einkommensbegriff des § 11 SGB II gilt im Rahmen des § 6a BKGG grundsätzlich „uneingeschränkt”, weshalb auch die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG zu den „bereiten Mitteln” auf den Kinderzuschlag nach Kindergeldrecht Anwendung findet.
3. Der Kinderzuschlag ist selbst gerade keine Leistung des SGB II, sondern eine familienpolitisch eigene Leistung.
4. Die weitreichenden Obliegenheitspflichten im Rahmen des SGB II setzen eine Antragstellung nach § 37 SGB II voraus, während der Gesetzgeber gerade keine Obliegenheiten vor dem tatsächlichen Eintritt der Hilfebedürftigkeit geschaffen hat.
5. Sinn und Zweck des § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKGG ist, einen SGB II-Leistungsbezug gerade zu vermeiden.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; BKGG § 6a Abs. 1 S. 1 Nrn. 3-4; SGB II §§ 9, 11, 34, 37
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Die Beklagte beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ohne die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes hinreichend darzulegen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Frage, "ob die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II a.F. (Urteil vom 29. November 2012, B 14 AS 33/12 R), dass eine (vorzeitig verbrauchte) einmalige Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg nur bedarfsmindernd berücksichtigt werden darf, soweit sie als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken, auch auf den Bereich des Kinderzuschlages anwendbar ist."
Die Beschwerde legt eine Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dar.
Aus der Darstellung des Sachverhalts ergibt sich, dass die Beteiligten sich in erster Linie darüber streiten, ob - wie es § 6a Abs 1 Satz 1 Nr 3 und 4 BKGG(hier anwendbar idF des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 7.12.2011, BGBl I 2592) verlangt - die Klägerin über Einkommen iS des § 11 SGB II unterhalb der Höchsteinkommensgrenze verfügt und durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit iS des § 9 SGB II vermieden wird. Hintergrund des Rechtsstreits ist danach, ob der zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führende "vorzeitige" Verbrauch einer einmaligen Einnahme (Jahressonderzahlung) bei dieser Prüfung unberücksichtigt zu bleiben hat. Die Beklagte hält dies unter Berufung auf ihre Verwaltungspraxis (vgl Ziffer 106a.23 Abs 4 Satz 12 und 13 der Durchführungsanweisung Kinderzuschlag - DA-KiZ - zum Stichwort "Bewilligungsabschnitt", zuletzt Stand September 2016) für angebracht, weil ein solcher Verbrauch aufgrund des Fehlens einer mit § 34 SGB II vergleichbaren Vorschrift ansonsten im Kinderzuschlagsrecht folgenlos bliebe.
Die von der Beklagten aufgeworfene Frage ist in der Rechtsprechung des BSG bereits entschieden. Einen gleichwohl verbliebenen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
§ 6a Abs 1 Satz 1 Nr 3 und 4 BKGG knüpft bereits nach seinem Wortlaut an das Einkommen und die Hilfebedürftigkeit iS des SGB II an. Nach der Rechtsprechung des BSG sind beide Sozialleistungen aufeinander bezogen und schließen sich wechselseitig aus (vgl zu dieser "Parallelität der Rechtsanwendung" BSG vom 17.2.2015 - B 14 KG 1/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 69 RdNr 14; BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 35/16 R - BSGE 124, 243 = SozR 4-4200 § 11 Nr 82, RdNr 25, 28). Der Einkommensbegriff des § 11 SGB II gilt dabei im Rahmen des § 6a BKGG grundsätzlich "uneingeschränkt" (so BSG vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 2 RdNr 14), weshalb auch die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG zu den "bereiten Mitteln" auf den Kinderzuschlag nach Kindergeldrecht Anwendung findet (BSG vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 2 RdNr 19 ff; BSG vom 17.2.2015 - B 14 KG 1/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 69 RdNr 18).
Die Beschwerde zeigt nicht auf, weshalb die gestellte Rechtsfrage weiterhin klärungsbedürftig ist. Soweit die Beklagte einen Klärungsbedarf aus dem Fehlen einer § 34 SGB II vergleichbaren Regelung im BKGG ableitet, setzt sich die Beschwerde nicht mit der Rechtsprechung des BSG auseinander, wonach der Kinderzuschlag selbst gerade keine Leistung des SGB II, sondern eine familienpolitisch eigene Leistung ist (BSG vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 11/07 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 1 RdNr 21; BSG vom 14.3.2012 - B 14 KG 1/11 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 3 RdNr 23; BSG vom 9.3.2016 - B 14 KG 1/15 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 6 RdNr 32) und die weitreichenden Obliegenheitspflichten im Rahmen des SGB II eine Antragstellung nach § 37 SGB II voraussetzen, während der Gesetzgeber gerade keine Obliegenheiten vor dem tatsächlichen Eintritt der Hilfebedürftigkeit geschaffen hat (BSG vom 14.3.2012 - B 14 KG 1/11 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 3 RdNr 24). Daneben fehlt auch eine Auseinandersetzung mit dem Sinn und Zweck des § 6a Abs 1 Satz 1 Nr 4 BKGG, einen SGB II-Leistungsbezug gerade zu vermeiden (vgl hierzu nur BSG vom 9.3.2016 - B 14 KG 1/15 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 6 RdNr 28), der aber Folge der einschränkenden Auslegung der Beklagten wäre.
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13287250 |