Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 27.10.2015; Aktenzeichen S 4 VG 13/12) |
LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 15.05.2019; Aktenzeichen L 4 VG 1/16) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Mai 2019 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin P. aus W. zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das vorgenannte Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache als Schädigungsfolge nach sexuellem Missbrauch inklusive Vergewaltigungen und verschiedenster sexualisierter Gewalttaten sowie nach körperlichen Folterungen durch den Vater und andere Personen in den Jahren 1975 bis 1986 eine dissoziative Identitätsstörung sowie depressive Störungen festzustellen sowie die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz mit einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 80 zu bewilligen. Diesen Anspruch hat das LSG verneint (Urteil vom 15.5.2019). Ein sexueller Missbrauch oder sonstige Gewalttaten gegen die Klägerin im Rahmen des häuslichen Milieus seien nach Anhörung der Klägerin und Vernehmung von Zeugen (Schwester, Brüder und Vater) nicht nachgewiesen. Für einen Vollbeweis eines sexuellen Missbrauchs durch den Vater seien zudem die Gutachten von Dr. S. und Dr. O. ungeeignet. Für die von der Klägerin behaupteten Gewalttaten durch Sektenmitglieder in Höhlen im S. und den sexuellen Missbrauch in einem Bordell in F. reiche zwar die Glaubhaftmachung gemäß § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung aus. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin auf die mit den Gewalttaten in Zusammenhang stehenden Tatsachen seien jedoch nicht glaubhaft. Insoweit ist das LSG den Ausführungen der Sachverständigen Dr. B. in ihrem Gutachten vom 8.4.2014 und ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 21.11.2014 und 26.3.2018 gefolgt. Nicht überzeugend seien hingegen die Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 29.7.2015 und des Sachverständigen Dr. O. vom 15.3.2017 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 24.7.2017 und 25.10.2018.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Zugleich hat sie für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin P. aus W. beantragt. Die Klägerin macht ausschließlich eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG geltend.
II
Der Antrag der Klägerin auf PKH ist abzulehnen.
Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall. Aus diesem Grund kommt auch die Beiordnung von Rechtsanwältin P. aus W. nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 29.8.2019 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 13.12.2017 - B 5 R 256/17 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - juris RdNr 12 f). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Senat lässt offen, ob die Klägerin den Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit der rechtlich maßgeblichen Umstände), der dem Urteil des LSG zugrunde liegt, hinreichend dargestellt hat. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdebegründung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen der Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes. Es ist nicht Aufgabe des BSG als Beschwerdegericht, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 3/17 B - juris RdNr 6 mwN).
Die Klägerin trägt vor, das LSG weiche von dem Urteil des Senats vom 17.4.2013 (B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20) ab. In dieser Entscheidung werde zu der Frage, ob ein Vollbeweis zum Nachweis der schädigenden Handlung erforderlich sei, ausgeführt (aaO, RdNr 41): "Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet." Ihr Vater, dessen angeblich "absolut glaubhafter Eindruck" vom LSG betont werde, scheide damit als Zeuge aus. Für die Geschwister gelte nach der zitierten Entscheidung des BSG (aaO, RdNr 42), dass das LSG hätte "näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen (bzw im vorliegenden Fall Missbrauchshandlungen) behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann." Dabei ergebe sich bereits auf den ersten Blick, dass zB die Annahme des LSG, dass ihre vier Jahre jüngere Schwester J. H. aufgrund des gemeinsamen Zimmers mit der Klägerin den sexuellen Missbrauch im häuslichen Bereich hätte mitbekommen müssen, nicht für alle Taten zutreffend sein könne. Das LSG führe vielmehr schlicht die Aussagen des Vaters (als denkbaren Haupttäter) der sexualisierten Gewalttaten und der weiteren Mitglieder aus dem geschlossenen Familienverbund ungefiltert als Grund dafür an, dass ernstzunehmende Zweifel an den Angaben der Klägerin bestünden. Hätte das LSG ohne Berücksichtigung der Angaben des Vaters und mit weitergehender Prüfung dazu, bei welchen im Raum stehenden Taten die Geschwister-Zeugen nicht anwesend gewesen seien, seine Entscheidung getroffen, wäre als Beweismaßstab nicht der Vollbeweis, sondern der Maßstab der Glaubhaftmachung nach den Grundsätzen der genannten BSG-Rechtsprechung anwendbar gewesen. Nach diesen Grundsätzen hätten die Gutachten der Sachverständigen Dr. S. und Dr. O. eine abweichende Bewertung und Berücksichtigung erfahren müssen. Jedenfalls hätte das LSG die Feststellung, dass es sich dem Ergebnis der beiden Gutachten Dr. S. und Dr. O. "nach der Vernehmung der Zeugen nicht anschließen" könne, nicht in dieser Form treffen können. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das LSG für die von ihr geschilderten Gewalttaten durch Sektenmitglieder in Höhlen im S. sowie den sexuellen Missbrauch in einem Bordell in F. den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung für ausreichend angesehen und trotzdem auch insoweit die von ihr geltend gemachten Ansprüche zurückgewiesen habe.
Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen hat die Klägerin keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bezeichnet. Sie benennt zwar einen abstrakten Rechtsatz aus der Entscheidung des Senats vom 17.4.2013 (aaO). Sie stellt ihm jedoch keinen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Urteil gegenüber. Sie trägt vielmehr nur vor, dass das LSG in ihrem Fall auf der Basis der zeugenschaftlichen Vernehmungen ihrer Geschwister und insbesondere des Vaters zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass ein Vollbeweis zum Nachweis des sexuellen Missbrauchs im häuslichen Bereich zu führen sei und dass die Glaubhaftmachung nicht ausreiche. Damit hat die Klägerin eine Divergenz nicht bezeichnet. Vielmehr geht ihr Vorbringen nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus. Denn die Bezeichnung einer Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt die Darlegung voraus, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG im angefochtenen Urteil infrage stellt, was nicht der Fall ist, wenn es einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr, zB BSG Beschluss vom 24.7.2019 - B 5 R 31/19 B - juris RdNr 51; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73). Deshalb hätte die Klägerin vertieft darauf eingehen müssen, dass das LSG im angefochtenen Urteil nicht lediglich die Tragweite der höchstrichterlichen Rechtsprechung verkannt, sondern dieser Rechtsprechung bewusst einen eigenen Rechtssatz entgegengesetzt hat (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 20.5.2019 - B 9 SB 64/18 B - juris RdNr 5; Senatsbeschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 23; Senatsbeschluss vom 1.6.2015 - B 9 SB 10/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 9.5.2019 - B 10 EG 18/18 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 9.4.2019 - B 1 KR 40/18 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73; BSG Beschluss vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f). Daran fehlt es. Im Kern kritisiert die Klägerin letztlich eine - vermeintlich - falsche Rechtsanwendung des LSG in ihrem Fall, indem sie meint, das Berufungsgericht habe, bezogen auf den von ihr behaupteten sexuellen Missbrauch im häuslichen Bereich, den anzuwendenden Beweismaßstab verkannt. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14).
Sofern die Klägerin insgesamt mit der Auswertung und Würdigung der Zeugenaussagen auch ihrer Geschwister und der drei vorliegenden Sachverständigengutachten durch das LSG nicht einverstanden ist, wendet sie sich im Rahmen der Divergenzrüge gegen dessen Beweiswürdigung. Diese ist jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzogen. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar - zB wie hier über eine Divergenzrüge - angegriffen werden (Senatsbeschluss vom 20.5.2019 - B 9 SB 64/18 B - juris RdNr 5; Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13613591 |