Beteiligte
Landeskreditbank Baden-Württemberg -Förderbank- |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (idF des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997, BGBl 1998 II S 387) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Flüchtlinge und deren Familienangehörige, die einem Drittstaat angehören, anwendbar, wenn diese nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 idF des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 kein Recht auf Freizügigkeit haben?
2. Wenn die Frage 1 zu bejahen ist:
Ist als Familienangehöriger iS des Art 1 Buchst f) i) der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 auch eine Person anzusehen, die mit einem als Arbeitnehmer tätigen anerkannten Flüchtling in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenlebt und ein gemeinsames Kind betreut und erzieht?
3. Wenn die Frage 1 zu bejahen ist:
Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 auch dann anwendbar, wenn ein Flüchtling unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert ist?
4. Wenn die Fragen 1 und 3 zu bejahen sind, die Frage 2 aber zu verneinen ist:
Stehen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Anspruch auf Familienleistungen auch bei Anerkennung als Flüchtling nicht rückwirkend, sondern erst mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entsteht?
Gründe
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld (Erzg) nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für ihre am 26. April 1993 in Deutschland geborene Tochter T. T. (T), und zwar für die Zeit vom 26. April 1993 bis 25. April 1995.
Die im Jahre 1958 geborene Klägerin ist srilankische Staatsangehörige. Sie ist am 2. April 1992 aus Sri Lanka nach Deutschland eingereist und hält sich seitdem ununterbrochen hier auf. Durch Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Stuttgart vom 14. Dezember 1994 (rechtskräftig seit dem 26. Januar 1995) wurde das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet, die Asylberechtigung der Klägerin festzustellen. Dies geschah durch Bescheid vom 22. März 1995. Am 16. Mai 1995 wurde der Klägerin ein Reiseausweis nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 – Genfer Flüchtlingskonvention (FlüAbK, BGBl 1953 II S 560) – ausgestellt; am selben Tag erhielt sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Zuvor war ihr Aufenthalt in Deutschland aufgrund des eingeleiteten Asylverfahrens gestattet.
Die Klägerin lebt mit dem ebenfalls aus Sri Lanka stammenden, im Jahre 1947 geborenen S. T. (ST) zusammen. Er ist der Vater von T. Die Klägerin bezeichnet sich als mit ST „religiös verheiratet”, gibt aber zugleich an, sie sei nach deutschem Recht „ledig” (vgl Antrag vom 2. September 1998 auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe). Auch ST ist unmittelbar aus Sri Lanka nach Deutschland eingereist und seitdem hier wohnhaft. Er wurde bereits im Jahre 1984 als Asylberechtigter anerkannt und besaß seitdem eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1996 ist er deutscher Staatsbürger. In der fraglichen Zeit lebte die Familie überwiegend von dem Einkommen des ST aus Arbeitnehmertätigkeit. Die Klägerin ist Hausfrau und bezog zeitweise Sozialhilfe.
Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Erzg für die ersten zwölf Lebensmonate ihres Kindes lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis sei (Bescheid vom 6. Dezember 1993). Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. März 1994). Das Sozialgericht (Urteil des SG vom 21. Januar 1998) und das Landessozialgericht (Urteil des LSG vom 4. August 1998) haben die Klage abgewiesen. Das LSG hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei erst ab dem 16. Mai 1995 im Besitz einer zum Bezug von Erzg berechtigenden Aufenthaltserlaubnis gewesen; für die vorangegangene Zeit lägen die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG in seiner bis zum 26. Juni 1993 geltenden, hier aber weiter anzuwendenden Fassung nicht vor. Hierauf könne auch im Hinblick auf die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (EWGV 1408/71) nicht verzichtet werden. Erst mit der bestandskräftigen Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, der Ausstellung eines Reiseausweises und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis werde dokumentiert, daß die Klägerin dem persönlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 unterfalle. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch auf Erzg nach Art 3 EWGV 1408/71 einen Sachverhalt voraussetze, der über die Grenzen Deutschlands hinaus einen Bezug zu anderen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft (EG) aufweise.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71. Aus diesen Vorschriften ergebe sich ein europarechtliches Diskriminierungsverbot, das den Anspruch von Flüchtlingen und deren Familienangehörigen auf Familienleistungen wie dem Erzg auch für eine Zeit begründe, in der diese noch keine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Der Anspruch entstehe bereits mit Erfüllung der Voraussetzungen für die Asylberechtigung und nicht erst mit deren formeller Anerkennung durch behördliche oder gerichtliche Entscheidung.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Januar 1998 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. August 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Erziehungsgeld für die ersten beiden Lebensjahre ihrer Tochter in Höhe von jeweils 600 DM monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts sind zweifelhaft und entscheidungserheblich. Allein nach den Regelungen des BErzGG steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er scheitert daran, daß die Klägerin in der fraglichen Zeit weder eine Aufenthaltsberechtigung, eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Aufenthaltsbefugnis hatte, sondern nur im Besitz einer Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens war. Ein solcher Aufenthaltstitel reicht nach § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG in der Fassung (aF) des Art 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (AuslRNG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S 1354), der auf vor dem 27. Juni 1993 geborene Kinder anwendbar bleibt, für den Anspruch eines nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) besitzenden Ausländers auf Erzg nicht aus.
1. Nach nationalem Recht ist die ablehnende Verwaltungsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß der Besitz eines der genannten Aufenthaltstitel iS eines Verwaltungsakts mit Wirkung für den Bezugszeitraum des Erzg auch bei Ausländern vorausgesetzt wird, die später als asylberechtigt anerkannt werden, und dies auch noch für die Zeit nach der Anerkennung gilt, in der bereits gemäß § 68 Abs 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) ein Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis besteht (BSGE 70, 197, 199 = SozR 3-7833 § 1 Nr 7; BSG SozR 3-7833 § 1 Nrn 10, 12 und 18 sowie Urteile vom 9. September 1992, 14b/4 REg 10/91, 14b/4 REg 14/91 und 14b/4 REg 24/91). Das materielle Aufenthaltsrecht sowohl des Asylbewerbers als auch das des bereits anerkannten Asylberechtigten steht dem Besitz des Aufenthaltstitels nicht gleich; die Erteilung des Aufenthaltstitels hat nur Wirkung für die Zukunft. Mit der Gestattung des Aufenthalts zur Durchführung des Asylverfahrens nach § 20 AsylVfG ist dem aus Art 16 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) folgenden einstweiligen Bleiberecht in diesem Stadium des Verfahrens Genüge getan (BVerfG vom 7. Juli 1983, NVwZ 1983, 603, 604). Anerkannte Asylanten können eine Nachzahlung von Sozialleistungen, die ihnen bei einer sofortigen Anerkennung zugestanden hätten, nur verlangen, soweit das in dem jeweils maßgebenden Leistungsgesetz vorgesehen ist. Das ist im BErzGG nicht der Fall.
Als Anspruchsvoraussetzung für das Erzg hat der Gesetzgeber bei Ausländern einen gesicherten Aufenthaltsstatus vorgeschrieben, der in Form eines Aufenthaltstitels iS des § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF – ebenso wie nach § 1 Abs 1a BErzGG in der ab 27. Juni 1993 geltenden Fassung (nF) des Art 4 Nr 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I S 944) – bei Beginn des Leistungszeitraums vorliegen muß. Die ausländerbehördliche Entscheidung über das Aufenthaltsrecht hat insoweit Tatbestandswirkung für den Anspruch auf Erzg (vgl Urteile des Senats aaO). Daran hält der Senat fest. Da die Klägerin im streitigen Zeitraum nur über eine Aufenthaltsgestattung verfügte, konnte ihr nach dem BErzGG kein Erzg gewährt werden.
2. Die Klägerin kann den Erzg-Anspruch auch nicht unmittelbar aus dem FlüAbK ableiten, das in der Bundesrepublik Deutschland am 22. April 1954 in Kraft getreten ist (BGBl 1954 II S 619). Die Gleichstellung mit Deutschen ist im FlüAbK angeordnet in Art 23 für Leistungen der öffentlichen Fürsorge und in Art 24 für Leistungen der sozialen Sicherheit, insoweit jedoch „vorbehaltlich besonderer Bestimmungen, die Leistungen oder Teilleistungen betreffen, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden, sowie für Zuwendungen an Personen, die nicht die für die Gewährung einer normalen Rente geforderten Bedingungen der Beitragsleistung erfüllen” (Art 24 Nr 1 Buchst b) ii) FlüAbK). Eine Gleichstellung mit Deutschen nach Art 23 FlüAbK scheidet aus. Das Erzg kennt zwar nunmehr auch für die ersten sechs Monate Einkommensgrenzen. Es ist mit seiner Zielsetzung, die Hinwendung zum Kind in der ersten Lebensphase zu fördern und zu erleichtern, gleichwohl keine Leistung der öffentlichen Fürsorge. Das Erzg führt nach § 8 BErzGG nicht zu einer Minderung der Sozialhilfe; es wird also zusätzlich gewährt (BT-Drucks 10/3792, S 18). Das Gesamteinkommen liegt damit stets über dem Sozialhilfeniveau. Es handelt sich beim Erzg somit um eine Leistung der sozialen Sicherheit nach Art 24 Nr 1 Buchst b) FlüAbK. Nach Art 24 FlüAbK sind bei Sozialleistungen, die zum einen ausschließlich aus Steuern finanziert werden, wie dies beim Erzg der Fall ist, und zum anderen nicht zum Bereich der von Art 23 FlüAbK erfaßten Sozialhilfe gehören, „besondere Bestimmungen” auch auf anerkannte Flüchtlinge anzuwenden. „Besondere Bestimmungen” iS dieser Vorschrift sind sowohl Vorschriften für anerkannte Flüchtlinge als auch Vorschriften für Ausländer. Das FlüAbK gewährleistet somit keinen vom Erfordernis eines der in § 1 BErzGG genannten Aufenthaltstitel unabhängigen Anspruch auf Erzg, wie vom Senat bereits entschieden (BSGE 70, 197, 203 = SozR 3-7833 § 1 Nr 7; BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 10).
III
Der Klägerin kann ein Anspruch auf Erzg für den streitigen Zeitraum aber unter Umständen dann zustehen, wenn sie als Flüchtling (oder als Familienangehörige eines Flüchtlings) nach Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 die gleichen Rechte geltend machen kann wie Deutsche und andere Unionsbürger und es dem nationalen Gesetzgeber im Bereich der Familienleistungen (Art 1 Buchst u) i) EWGV 1408/71) verwehrt ist, den Zeitpunkt der Gleichstellung von der Erteilung eines bestimmten ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels abhängig zu machen.
Nach Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 stehen in einem Mitgliedstaat der EU wohnende Flüchtlinge sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene (Art 1 Buchst d) und Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71), soweit die Flüchtlinge Arbeitnehmer oder Selbständige sind, den Staatsangehörigen des Wohnstaates hinsichtlich des Anspruchs auf Familienleistungen (Art 4 Abs 1 Buchst h) EWGV 1408/71), zu denen auch das Erzg gehört (EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 – Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow – Slg I 4895, 4941), grundsätzlich gleich. Der Anspruch wäre begründet, wenn entweder die im Tenor des Beschlusses genannten Fragen zu 1) bis 3) oder aber die Fragen zu 1), 3) und 4) bejaht werden müßten, was der vorlegende Senat durch Auslegung der genannten Rechtsvorschriften unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht ohne verbleibende Zweifel entscheiden könnte.
Die Fragen 1) und 3) sind für einen ähnlichen, aber nicht in allen Teilen identischen Sachverhalt bereits im Verfahren B 14 EG 7/97 R, das dem EuGH durch Beschluß des Senats vom 15. Oktober 1998 zur Vorabentscheidung vorgelegt worden ist (Verfahren C-180/99 Addou), begründet worden. Die Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens machen zusätzlich die Beantwortung der Frage 2) und bei deren Verneinung die Beantwortung der Frage 4) erforderlich.
zu Frage 1):
Es kommt darauf an, ob die EWGV 1408/71 auf Flüchtlinge und deren Familienangehörige anwendbar ist, wenn diese nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 und dem Vertrag über die EU vom 7. Februar 1992 kein Recht auf Freizügigkeit haben.
Die EWGV 1408/71 sieht dem Wortlaut nach die uneingeschränkte Gleichbehandlung von Staatenlosen und Flüchtlingen mit Unionsbürgern im Bereich der sozialen Sicherheit vor (Art 2 Abs 1). Dieses Gleichstellungsgebot würde wörtlich verstanden im vorliegenden Fall dazu führen, daß sich die Klägerin als anerkannter Flüchtling darauf berufen könnte, ihr Status verbiete für sie und ihre Familienangehörigen eine Schlechterstellung im Vergleich zu Unionsbürgern, deren Erzg-Anspruch nicht vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis abhänge. Der Klägerin stünde – bei zusätzlicher Bejahung der Fragen 2) und 3) oder der Fragen 3) und 4) – ein Anspruch auf Erzg zu, da sie alle sonstigen materiellen Voraussetzungen dieses Anspruchs erfüllt (§ 1 BErzGG) und sie auch als Arbeitnehmerin iS des Art 1 Buchst a) EWGV 1408/71 anzusehen ist. Sie unterlag auch als nicht berufstätige Hausfrau nach § 3 Abs 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) wegen der Erziehung ihrer Tochter T der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VI in seiner bis zum 31. Mai 1999 gültigen Fassung gelten für die Zeit vom 1. Mai 1993 (vgl § 56 Abs 5 SGB VI) bis zum 30. April 1996 Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als gezahlt, da die Klägerin ihre Tochter seit deren Geburt erzogen hat (§ 56 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB VI), die Kindererziehungszeit der Klägerin zuzuordnen ist (§ 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI), die Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte (§ 56 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB VI) und die Klägerin dort seit ihrer Einreise ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 3). Die so begründete, allein auf einen Zweig der Sozialversicherung beschränkte Versicherungspflicht reicht für den Begriff des Arbeitnehmers iS des Art 1 Buchst a) EWGV 1408/71 aus (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - Rs C-262/96 Sürül). Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Einbeziehung der Staatenlosen und Flüchtlinge in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Davon hängt die Wirksamkeit dieser Gleichstellungsregelung ab. Wegen der insoweit aufgezeigten rechtlichen Zweifel nimmt der Senat auf die Begründung zur Frage 1) des Vorlagebeschlusses vom 15. Oktober 1998 - B 14 EG 7/97 R - Bezug.
zu Frage 2):
Im Zusammenhang mit der Frage 1) stellt sich die Frage 2). Sie ist dann von Bedeutung, wenn die Klägerin zwar als anerkannter Flüchtling und Arbeitnehmerin Unionsbürgern hinsichtlich des Anspruchs auf Familienleistungen grundsätzlich gleichzustellen ist, diese Gleichstellung aber nicht für den gesamten hier streitigen Anspruchszeitraum vom 26. April 1993 bis zum 25. April 1995 gilt. Die Gleichstellung könnte dann aber möglicherweise aus der Tatsache abzuleiten sein, daß die Klägerin mit einem als Arbeitnehmer tätigen Ausländer zusammenlebt, der bereits im Jahre 1984 als Flüchtling anerkannt worden ist. Die Frage ist allerdings nur dann von Interesse, wenn die „religiöse Heirat” zwischen der Klägerin und ST nach internationalem Ehe- und Familienrecht nicht als auch in der Bundesrepublik Deutschland wirksame Eheschließung anzusehen ist, die Klägerin und ST also nicht in einer „Ehe”, sondern nur in einer „eheähnlichen Lebensgemeinschaft” zusammenleben. Diese Problematik ist im bisherigen Verfahren nicht geklärt worden, weil es darauf unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung zum Erzg-Anspruch für Ausländer nicht ankam. Die Rechtsfrage kann auch weiterhin offenbleiben, wenn der EuGH die Frage 2) bejaht und eine Person, die als Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ein gemeinsames Kind betreut und erzieht, ebenso wie einen Ehepartner als „Familienangehörigen” des als Arbeitnehmer tätigen anderen Partners ansieht. Einstweilen soll – entsprechend der eigenen rechtlichen Wertung der Klägerin – davon ausgegangen werden, daß die Klägerin und ST Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft sind.
In der fraglichen Zeit war ST bereits als Asylberechtigter anerkannt. Er besaß eine Aufenthaltserlaubnis sowie eine Arbeitserlaubnis und war als Arbeitnehmer tätig. In Betracht kommt deshalb ein von dem Lebensgefährten ST als Arbeitnehmer abzuleitender Anspruch der Klägerin auf Erzg, wenn sie als „Familienangehörige” von ST anzusehen ist. Die Rechtslage ist klärungsbedürftig, weil eine eheähnliche Lebensgemeinschaft einer Ehe grundsätzlich nicht gleichzustellen ist. Für den Personenkreis der Wanderarbeitnehmer, die Unionsbürger sind, hat der EuGH entschieden, der Umstand, daß nicht der Ehemann als Arbeitnehmer, sondern die nicht erwerbstätige Ehefrau als Familienangehörige den Anspruch auf eine Familienleistung geltend mache, sei in diesem Zusammenhang unschädlich, da es gemeinschaftsrechtlich nicht darauf ankomme, welcher Familienangehörige nach den nationalen Vorschriften die Familienleistungen beanspruchen könne (EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 - Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg I 4895, 4941). Bei Bejahung der Frage 1) muß diese Rechtsprechung auf eine Fallkonstellation der vorliegenden Art übertragen werden, in der es nicht um Unionsbürger, sondern um Angehörige mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats geht. Daran knüpft sich die Frage, ob auch der Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau als „Familienangehöriger” iS des Art 1 Buchst f) i) EWGV 1408/71 anzusehen ist. Zwar überläßt das Gemeinschaftsrecht die Bestimmung der „Familienangehörigen”, zu denen auch „die als Haushaltsangehörige bezeichneten” Personen gehören, dem nationalen Recht (Becker, SGb 1998, 553, 558). Das BErzGG nimmt für die Begründung des Erzg-Anspruchs aber nur Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Kind und dem Erziehenden. Gefordert wird insofern grundsätzlich, daß dem Erziehenden die Personensorge für das Kind zusteht und er mit diesem in einem Haushalt lebt (§ 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG). Der EuGH hat aber in dem genannten Urteil vom 10. Oktober 1996 für den abgeleiteten Anspruch auf Erzg nicht auf das Verhältnis des Arbeitnehmers zum Kind, sondern auf jenes zwischen Arbeitnehmer und Erziehendem abgestellt. Zudem hat er sich – allerdings ausgehend von dem vorgelegten Sachverhalt – auch in seinen allgemeinen Ausführungen immer auf den „Ehegatten des Arbeitnehmers” bezogen. Insofern scheidet das BErzGG für die Festlegung der Eigenschaft als „Familienangehöriger” oder „Haushaltsangehöriger” wohl aus (Becker aaO). Allerdings geht das deutsche Recht – unabhängig von einzelnen Gesetzen – generell davon aus, daß eine „Familienbeziehung” zwischen unverheirateten Lebensgefährten nicht besteht. Sofern dies für maßgeblich gehalten wird, wäre die Klägerin nicht „Familienangehörige” ihres Lebensgefährten iS des Art 1 Buchst f) i) EWGV 1408/71. Außerdem ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß der EuGH das Gemeinschaftsrecht bisher so ausgelegt hat, daß eine Gleichstellung von ehelichen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften nicht gefordert wird (EuGH, Urteil vom 17. April 1986 - Rs 59/85 Reed, Slg 1986, 1296 zu EWGV 1612/68). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft im Bereich des BErzGG wie Eheleute behandelt werden, soweit es um die Berechnung der Höhe des Erzg geht. In beiden Fällen wird auch das Einkommen des anderen Elternteils für den Anspruch auf Erzg berücksichtigt (§§ 5 Abs 2, 6 Abs 3 BErzGG). Der EuGH wird zu entscheiden haben, ob allgemein oder zumindest aber aus dieser mitgliedstaatlichen Gleichstellung beider Lebensformen bezüglich eines Anspruchs auf eine Familienleistung auch eine gemeinschaftsrechtliche Gleichstellung abzuleiten ist.
zu Frage 3):
Sofern die Frage 1) vom EuGH bejaht wird, kommt es – unabhängig von der Antwort auf Frage 2) – für den Anspruch der Klägerin auf Erzg auch auf die Frage 3) an. Es ist entscheidungserheblich, ob die Gleichstellungsregelung des Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 nicht nur dann gilt, wenn ein anerkannter Flüchtling aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat wechselt, sondern auch schon dann, wenn er – wie die Klägerin und ihr Lebensgefährte – aus einem nicht zur EU gehörenden Staat (Drittstaat) in einen EU-Mitgliedstaat eingereist und seitdem dort geblieben ist, er also innerhalb der EU nicht gewandert ist (und dies auch nicht versucht hat) und deshalb kein EU-interner grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben ist.
Auch insoweit verweist der Senat auf seine Ausführungen in dem genannten Vorlagebeschluß (dort zu Frage 2).
zu Frage 4):
Sofern der EuGH die Fragen 1) und 3) bejaht, die Frage 2) aber verneint, kommt es für den Anspruch der Klägerin auf Erzg, der den Zeitraum von der Geburt des Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres betrifft und insgesamt in einer Zeit vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis liegt, auch auf die Frage 4) an. Mit Urteil vom 12. Mai 1998 (Rs C-85/96 Martinez Sala - Slg I 1998, 2691) hat der EuGH entschieden, daß die Gewährung von Erzg an einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats der Gemeinschaft nicht davon abhängig gemacht werden darf, daß dieser im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder -befugnis ist, soweit der Sachverhalt in den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des EGV falle. Überträgt man diesen Rechtssatz auf den vorliegenden Fall, so kommt es für die Gleichstellung der Klägerin, wenn die Fragen 1) und 3) zu bejahen sind, darauf an, von welchem Zeitpunkt an sie als Flüchtling iS der Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 anzusehen ist. Nach Art 1 Buchst d) EWGV 1408/71 wird der Begriff „Flüchtling” mit der Bedeutung verwandt, die in Art 1 FlüAbK festgelegt ist. Das FlüAbK selbst legt jedoch nicht fest, unter welchen Voraussetzungen der Flüchtlingsstatus anzunehmen ist, sondern überläßt dies innerstaatlichen Regelungen, was sich insbesondere aus Art 35 und 36 FlüAbK ergibt.
Das deutsche Ausländerrecht macht in § 51 Abs 2 Ausländergesetz (AuslG) deutlich, daß es vom Flüchtlingsbegriff des FlüAbK ausgeht. Nach dieser Regelung sind als Flüchtlinge anzusehen Asylberechtigte und sonstige Ausländer, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb Deutschlands als ausländische Flüchtlinge anerkannt sind. Nach § 2 Abs 1 AsylVfG genießt der Asylberechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Rechtsstellung nach dem FlüAbK. Dies sind nur Flüchtlinge, die dem Flüchtlingsbegriff des Art 1 FlüAbK unterfallen und die sich rechtmäßig im Gebiet des jeweiligen Konventionsstaates befinden. Das ist bei einem in das Bundesgebiet eingereisten Asylbewerber in aller Regel erst dann der Fall, wenn er als politisch Verfolgter unanfechtbar anerkannt worden ist (BVerfGE 60, 253, 290); zuvor kann er sich lediglich auf „das mit dem Antrag auf Asyl gesetzlich eintretende vorläufige Bleiberecht” (BVerfGE 67, 43, 59) berufen, das ihm zwar Sicherheit vor dem befürchteten Zugriff des angeblichen Verfolgerstaates gewährt, aber keine Freizügigkeit begründet (BVerfGE 80, 182, 187 f), und auch die sonstigen Rechte nach dem FlüAbK nicht auslöst. Darüber hinaus hat die Rechtsstellung als Flüchtling iS des Art 1 FlüAbK auch derjenige, der als „sonstiger politisch Verfolgter” nicht abgeschoben werden kann (sog „kleines Asyl”), wenn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder ein Gericht unanfechtbar festgestellt hat, daß ihm in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, bestimmte Gefahren drohen (§ 3 AsylVfG). Nach deutschem Ausländerrecht kann somit nicht die subjektive Wertung eines Betroffenen und seine Behauptung, Flüchtling zu sein, ausreichen. Als Flüchtling kann vielmehr nur derjenige angesehen werden, dessen Status im Rahmen eines förmlichen Verwaltungsverfahrens festgestellt oder in einem anderen Staat anerkannt worden ist. Hieran fehlt es bei der Klägerin zumindest für die Zeit vor dem 26. Januar 1995 (Rechtskraft der den Flüchtlingsstatus der Klägerin feststellenden Entscheidung des VG Stuttgart). Für den verbleibenden Zeitraum bis zum 25. April 1995 fehlt es an dem für die Begründung des Anspruchs auf Erzg konstitutiven Aufenthaltstitel.
Die dargestellten nationalen Regelungen über die Begründung des Flüchtlingsstatus stehen nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht. Denn das Gemeinschaftsrecht trifft hierzu keine eigenständigen Regelungen. Es geht allerdings davon aus, daß ein Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Asylberechtigung erforderlich ist. Die Mitgliedstaaten haben sich im Dubliner Übereinkommen (vom 15. Juni 1990, BGBl II S 792) verpflichtet, jeden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt sowie die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Prüfung geregelt.
Damit ist aber noch nicht geklärt, welche Konsequenzen das – aus der Bejahung der Fragen 1) und 3) folgende – gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung anerkannter Flüchtlinge in den Mitgliedstaaten der EU hat. Der EuGH wird zu klären haben, ob das Diskriminierungsverbot nationalen Regelungen entgegensteht, die den Anspruch eines anerkannten Flüchtlings auf eine Familienleistung vom Besitz eines bestimmten Aufenthaltstitels abhängig machen, der von Inländern nicht gefordert wird. Für den Anspruch auf Familienleistungen von Unionsbürgern und von türkischen Staatsangehörigen, die in einem Mitgliedstaat der EU als Arbeitnehmer tätig sind, hat der EuGH solche nationale Regelungen bereits als gemeinschaftsrechtswidrig bezeichnet (Urteil vom 12. Mai 1998 - Rs C-85/86 Martinez Sala - Slg I 1998, 2691 und Urteil vom 4. Mai 1999 - Rs C-262/96 Sürül). Falls eine solche nationale Regelung auch bei anerkannten Flüchtlingen unwirksam sein sollte, stellt sich die weitere Frage, ob das Gebot der Gleichbehandlung anerkannter Flüchtlinge dazu führt, daß auch für den Zeitraum vor der Anerkennung ein Anspruch auf Familienleistungen nicht mit der Begründung versagt werden darf, daß ein ausreichender Aufenthaltstitel bis dahin nicht vorgelegen hat. Anhand des Urteils in der Sache Martinez Sala läßt sich diese Frage nicht beantworten, weil dort die Unionsbürgerschaft von Anfang an bestanden hat, so daß eine Rückwirkung nicht zu erörtern war.
Fundstellen