Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldrechtliche, nicht im Gesellschaftsvertrag verankerte Stimmbindungsvereinbarung. Sperrminorität. Gesellschaftsrechtlicher Beschluss. Weisungsabhängigkeit. Sozialversicherungspflicht. Publizität des Handelsregisters
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine bloß schuldrechtliche, nicht im Gesellschaftsvertrag verankerte Stimmbindungsvereinbarung ist ebenso wenig ausreichend, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben, wie außerhalb des Gesellschaftsvertrags geschlossene Stimmrechtsvereinbarungen aller Gesellschafter einer GmbH.
2. Für die Regelung der Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag ist die notarielle Form eines satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses gemäß § 53 GmbHG und dessen Eintragung im Handelsregister nach § 54 GmbHG erforderlich.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; GmbHG §§ 53-54
Verfahrensgang
SG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 23.10.2019; Aktenzeichen S 42 BA 9/18) |
LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 23.10.2019; Aktenzeichen S 42 BA 9/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 124 306,21 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die zu 3. bis 5. beigeladenen Minderheitsgesellschafter in ihrer Geschäftsführertätigkeit für die klagende GmbH der Versicherungs- und Beitragspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterliegen und ob Insolvenzgeldumlage zu zahlen ist.
Vom Stammkapital der klagenden GmbH in Höhe von 25 000 Euro halten die Beigeladenen zu 3. und 5. je 8333 Euro, der Beigeladene zu 4. 8334 Euro. Alle drei sind zu Geschäftsführern mit eigenem Aufgabenbereich bestellt. Die Gesellschafterversammlung entschied nach dem Gesellschaftsvertrag mit einfacher Mehrheit. In zwei formlosen Gesellschafterbeschlüssen beschränkten die beigeladenen Gesellschaftergeschäftsführer 2009 die Abberufungsmöglichkeit von Geschäftsführern auf Fälle eines wichtigen Grundes und vereinbarten sie 2011 Einstimmigkeit und gegenseitiges Einvernehmen bei Gesellschafterbeschlüssen. Am 28.9.2017 (Handelsregistereintrag am 9.10.2017) änderten sie § 7 des Gesellschaftsvertrags und vereinbarten Einstimmigkeit für Beschlüsse im Zusammenhang mit der Geschäftsführung.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung forderte die Beklagte aufgrund Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 3. bis 5. in allen Zweigen der Sozialversicherung Sozialversicherungsbeiträge und Insolvenzgeldumlage für die Zeit vom 1.1.2012 bis 31.12.2015 in Höhe von 124 306,21 Euro nach (Bescheid vom 14.9.2017, Widerspruchsbescheid vom 29.1.2018). Die dagegen gerichtete Klage (SG-Urteil vom 23.10.2019) und Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, es fehle zur Einordnung der Tätigkeit der Gesellschaftergeschäftsführer als selbstständig im streitigen Zeitraum an einer im Gesellschaftsvertrag verankerten Sperrminorität. Der Gesellschafterbeschluss von 2011 reiche dafür nicht, er sei als Stimmbindungsvertrag im Sinne einer Innengesellschaft bürgerlichen Rechts einzuordnen, die jederzeit ordentlich kündbar und auch nicht im Handelsregister eingetragen sei. (Beschluss vom 27.5.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechend (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) hinreichend dargelegt.
Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin wirft auf Seite 8 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf: "Steht eine Sperrminorität, die sich aus einem einstimmigen und von allen Gesellschafter-Geschäftsführern gefassten gesellschaftsrechtlichen Beschluss ergibt, einer Weisungsabhängigkeit und damit der Sozialversicherungspflicht entgegen?"
Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur Sozialversicherungspflicht von GmbH-Gesellschaftergeschäftsführern (zuletzt BSG Urteile vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43; B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45; B 12 R 9/19 R - juris; BSG Urteil vom 10.12.2019 - B 12 KR 9/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 46, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) fehlt. Die Klägerin beschränkt sich auf den Hinweis, dass das BSG in den Urteilen vom 14.3.2018 (B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35) und vom 11.11.2015 (B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28) nicht darüber entschieden habe, ob ein einfacher Gesellschafterbeschluss geeignet sei, eine Sperrminorität zu begründen. Sie geht weder auf die Rechtsprechung des Senats ein, wonach eine "Schönwetter-Selbstständigkeit" lediglich in harmonischen Zeiten nicht anzuerkennen ist (BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 29 f; BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 32; BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 20), noch auf die die dort aufgestellten Grundsätze konkretisierende spätere Rechtsprechung. Danach ist eine bloß schuldrechtliche, nicht im Gesellschaftsvertrag verankerte Stimmbindungsvereinbarung ebenso wenig ausreichend, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG Urteile vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 = SozR 4-2500 § 7 Nr 26, RdNr 25 und B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28 RdNr 26; BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 22), wie außerhalb des Gesellschaftsvertrags geschlossene Stimmrechtsvereinbarungen aller Gesellschafter einer GmbH (BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 19). Aus der Beschwerdebegründung wird nicht hinreichend deutlich, inwiefern diese Rechtsprechung die aufgeworfene Frage nach der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einfacher Gesellschafterbeschlüsse nicht zu beantworten vermag. Die Klägerin beschränkt sich auf die Untersuchung der gesellschaftsrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen von Gesellschafterbeschlüssen und deren gesellschaftsinterne Wirkung, ohne auf deren sozialversicherungsrechtliche Relevanz einzugehen.
Es fehlt auch an Ausführungen dazu, ob die aufgeworfene Frage anhand der Rechtsprechung des Senats zur Relevanz der Publizität des Handelsregisters bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Abreden innerhalb einer GmbH (BSG Urteil vom 10.12.2019 - B 12 KR 9/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 46 RdNr 23 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) beantwortet werden kann. Das wäre insbesondere deshalb angezeigt gewesen, weil schon das LSG im angefochtenen Beschluss auf die Notwendigkeit der Regelung der geltend gemachten Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag, das Erfordernis der notariellen Form eines satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses gemäß § 53 GmbHG und dessen Eintragung im Handelsregister nach § 54 GmbHG hingewiesen hat. Die Ausführungen der Klägerin beschränken sich insofern auf die Behauptung, auf die Publizität des Handelsregisters komme es nicht an. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14297485 |