Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Repräsentative Einzelfallprüfung. Statistische Vergleichsprüfung. Honorarkürzung. Unwirtschaftlichkeit. Prüfungsausschuss. Amtsermittlungspflicht. Entbindung. Beschwerdeausschuss. Verkürzte Anhörung

 

Orientierungssatz

1. Eine repräsentative Einzelfallprüfung, die für ein Vorquartal kein unwirtschaftliches Verhalten ergeben hat, führt nicht prinzipiell dazu, dass im Folgequartal Honorarkürzungen wegen Unwirtschaftlichkeiten, die im Wege einer statistischen Vergleichsprüfung ermittelt worden sind, schlechthin nicht verhängt werden dürfen.

2. Die Frage, "unter welchen Voraussetzungen der Prüfungsausschuss von seiner Verpflichtung zur Amtsermittlung entbunden" ist, ist in dieser Allgemeinheit einer grundsätzlichen Klärung entzogen.

3. Hat der Beschwerdeausschuss den betroffenen Ärzten hinreichend Gelegenheit gegeben, ihren Standpunkt vorzutragen, kann sich eine evtl unzulässig verkürzte Anhörung im Verfahren vor dem Prüfungsausschuss auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des allein zu überprüfenden Bescheides des Beschwerdeausschusses nicht auswirken.

 

Normenkette

SGB 5 § 106 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB 10 § 24 Abs. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.02.2003; Aktenzeichen L 10 KA 44/02)

SG Düsseldorf (Urteil vom 24.04.2002; Aktenzeichen S 2(17) KA 341/01)

 

Tatbestand

Die in einer Gemeinschaftspraxis in Bonn niedergelassenen Kläger wenden sich gegen Kürzungen ihres Honorars im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung in den Quartalen II/2000 und III/2000.

Der Kläger zu 1. ist als fachärztlicher Internist, der Kläger zu 2. als hausärztlicher Internist und die Klägerin zu 3. als Ärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Der Prüfungsausschuss kürzte die Honorarforderung der Kläger bei Leistungen nach den Gebührenordnungsnummern 2, 17, 18, 60, 378, 384, 668, 686, 687 und 689 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) bei Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um Werte zwischen 122 % und 489 %. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies die Widersprüche ua mit dem Hinweis auf die in den beiden streitbefangenen Quartalen deutlich überdurchschnittlichen Gesamtfallwerte der Gemeinschaftspraxis zurück. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet. Die allein als Zulassungsgrund angeführte grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen ist entweder nicht hinreichend dargelegt worden oder liegt tatsächlich nicht vor.

Wer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung begehrt, muss gemäß den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnen (BVerfGE 91, 93, 107; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 ff). Ferner muss dargelegt werden, inwieweit diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Dem wird die Beschwerdebegründung hinsichtlich der Rügen zu 2. bis 5. nicht hinreichend gerecht.

Mit ihrer Rüge zu 2. halten die Kläger für grundsätzlich bedeutsam, ob der im Wege einer statistischen Vergleichsprüfung geführte Anscheinsbeweis einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise dann erschüttert sein kann, wenn das Abrechnungsverhalten der betroffenen Ärzte in den Vorquartalen im Wege einer repräsentativen Einzelfallprüfung untersucht worden ist, die keine Beanstandungen ergeben hat. Der Beschwerdebegründung lässt sich insoweit jedoch nicht entnehmen, inwieweit die rechtlichen Konsequenzen einer repräsentativen Einzelfallprüfung in Vorquartalen für eine nach der Methode der statistischen Vergleichsbetrachtung (§ 106 Abs 2 Nr 1 SGB V) durchgeführten Prüfung in den streitbefangenen Quartalen generell, dh über den Einzelfall der Kläger hinausgehend, vom Bundessozialgericht (BSG) im Interesse einer einheitlichen Rechtsentwicklung im Bundesgebiet geklärt werden müssten. Losgelöst von den Besonderheiten des hier zu entscheidenden Falles liegt auf der Hand, dass eine repräsentative Einzelfallprüfung, die für ein Vorquartal kein unwirtschaftliches Verhalten ergeben hat, nicht prinzipiell dazu führen kann, dass im Folgequartal Honorarkürzungen wegen Unwirtschaftlichkeiten, die im Wege einer statistischen Vergleichsprüfung ermittelt worden sind, schlechthin nicht verhängt werden dürften. Insoweit bedarf es der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht. Ein dieses Ergebnis legitimierender Rechtssatz stünde nämlich in nicht auflösbarem Widerspruch zu dem vom Senat stets betonten Grundsatz, dass das Behandlungs- und Verordnungsverhalten aller Vertragsärzte in jedem Quartal einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen muss (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51 S 273/274 mit weiteren Nachweisen).

Alle übrigen in diesem Zusammenhang möglicherweise relevanten Umstände, etwa die Gründe für den Verzicht auf eine statistische Vergleichsbetrachtung in den Vorquartalen und die Beziehung zwischen den in den Vorquartalen einzelfallmäßig geprüften und den später nach der statistischen Vergleichsprüfung untersuchten Leistungen entziehen sich einer rechtsgrundsätzlichen, dh vom konkreten Einzelfall zu lösenden Bewertung. Die Kläger legen nicht dar, wieweit die von ihnen angestrebte Überprüfung der Rechtsauffassung des Landessozialgerichts (LSG), dass sich in ihrem Fall ein Vertrauensschutz durch die repräsentative Einzelfallprüfung in den Vorquartalen nicht gebildet habe, über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sein könnte.

Dasselbe gilt für die Bildung geeigneter Vergleichsgruppen und die Zuordnung des einzelnen Arztes zu einer richtig gebildeten Vergleichsgruppe, die die Kläger mit der Rüge zu 3. beanstanden. Hinsichtlich der generell an die Bildung von Vergleichsgruppen im Rahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung anzulegenden Maßstäbe zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, inwieweit angesichts der jüngsten Entscheidung des Senats gerade zu dieser Frage (Urteil vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 1/02 R - = SozR 3-2500 § 106 Nr 57) noch Klärungsbedarf besteht. Dass sich der Senat zu den Untergruppen der Internisten auf der Grundlage der zum 1. Oktober 1999 neu gefassten Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 8. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KÄV) und insbesondere zu der Richtigkeit der Zuordnung einer aus einem fachärztlichen Internisten, einem hausärztlichen Internisten und einer Allgemeinmedizinerin bestehenden fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis zur Untergruppe der "fachärztlichen Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung" noch nicht geäußert hat, begründet für sich nicht die Notwendigkeit einer Revisionsentscheidung. Das gilt umso mehr, als die nun beanstandete Zuordnung der Gemeinschaftspraxis der Kläger mit diesen abgestimmt worden ist, und die Auslegung und Anwendung der für die Bildung der Untergruppen und die Zuordnung der einzelnen Ärzte maßgeblichen Prüfvereinbarung nach § 162 SGG nicht revisibel sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Prüfvereinbarung für den Bezirk der KÄV Nordrhein mit Bundesrecht unvereinbar sein könnte, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

Klärungsbedürftigkeit und Bedeutung über den Anlassfall hinaus sind weiterhin nicht hinreichend dargelegt, soweit die Kläger die Behandlung sog kompensatorischer Minderaufwendungen beanstanden (Rüge zu 4.). Die insoweit maßgeblichen Grundsätze hat der Senat in dem bereits erwähnten Urteil vom 11. Dezember 2002 (SozR aaO, S 325) zusammenfassend dargestellt. Die Frage, "unter welchen Voraussetzungen der Prüfungsausschuss von seiner Verpflichtung zur Amtsermittlung entbunden" ist, ist in dieser Allgemeinheit einer grundsätzlichen Klärung entzogen, weil der Umfang dieser Verpflichtung entscheidend von den Umständen des Einzelfalles, von den statistischen Vergleichsdaten und dem Vorbringen der betroffenen Ärzte abhängt. Soweit die Kläger geltend machen, die Entscheidung des LSG laufe auf eine "einseitige Verlagerung der Darlegungs- und Nachweispflicht auf die betroffenen Vertragsärzte" hinaus, setzen sie sich nicht hinreichend damit auseinander, dass nach der Rechtsprechung des Senats die Ärzte, die sich auf kompensatorische Minderaufwendungen berufen, diese und den kausalen Zusammenhang zu den nachgewiesenen Überschreitungen in anderen Leistungsbereichen darlegen müssen (SozR aaO, S 325). Das gilt vor allem, wenn die von den Ärzten behaupteten Einsparungen nicht statistisch greifbar sind, die Ärzte vielmehr nur behaupten, sie würden sonografische Untersuchungen dort einsetzen, wo andere Ärzte teurere Röntgenleistungen oder computertomografische bzw kernspintomografische Leistungen in Auftrag gäben. Wenn die Kläger diese Leistungen selbst erbringen dürften und ihre Anwendungsfrequenz insoweit hinter den entsprechenden Vergleichswerten der Fachgruppe zurückbliebe, könnten die Prüfgremien gehalten sein, dem nachzugehen. Diese Voraussetzung liegt aber nicht vor, weil die Kläger die Leistungen, hinsichtlich derer sie Einsparungen geltend machen, gar nicht selbst erbringen.

Schließlich legen die Kläger die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Klärung auch im Zusammenhang mit dem Gesamtfallwert (Rüge zu 5.) nicht ausreichend dar. Auch insoweit enthält das Senatsurteil vom 11. Dezember 2002 Ausführungen, mit der sich die Beschwerdebegründung nicht näher auseinandersetzt. Ob die für den typischen Regelfall vom Senat gebilligte Erwägung, eine deutliche Überschreitung beim Gesamtfallwert gebe Hinweise auf die Bewertung von Abrechnungsauffälligkeit in bestimmten Sparten oder bei einzelnen Leistungen als unwirtschaftlich (SozR aaO, S 324), in besonders gelagerten Einzelfällen zu modifizieren sein könnte, entzieht sich einer generellen Beurteilung. Die Kläger nehmen eine Ausnahme für sich mit der Begründung in Anspruch, im Falle einer fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis, die mit fachärztlichen Internisten verglichen werde, obwohl in ihr mehr Hausärzte als Fachärzte tätig seien, müsse ein höherer Gesamtfallwert akzeptiert werden. Weshalb diese ganz auf die spezielle Praxissituation in den streitbefangenen Quartalen zugeschnittene Fragestellung in einem Revisionsverfahren aufgegriffen werden müsste, legen die Kläger nicht dar.

Die Rüge zu 1. hinsichtlich der systematischen Vereitelung der Anhörung (§ 24 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫) durch den Prüfungsausschuss ist zulässig. Der Beklagte räumt selbst ein, dass regelmäßig so verfahren wird, wie die Kläger beanstanden, dass also die betroffenen Ärzte von Prüfanträgen erst unterrichtet werden, wenn der Prüfungsausschuss schon darüber entschieden hat. Diese Verlagerung der Auseinandersetzung mit den im Rahmen der Anhörung vorgebrachten Einwendungen der betroffenen Ärzte in das Abhilfeverfahren, in dem sich der Prüfungsausschuss generell und auch im Fall der Kläger mit dem Standpunkt der betroffenen Ärzte befasst, bevor er die Angelegenheit an den beklagten Beschwerdeausschuss weitergibt, wird mit verwaltungspraktischen Erwägungen begründet. Ob diese berechtigt sind, könnte in dem von den Klägern angestrebten Revisionsverfahren nicht überprüft werden. Insoweit fehlt es an der für die Zulassung der Revision notwendigen Klärungsfähigkeit. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren ist nur der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses (BSGE 78, 278, 279 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 194 f; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 39 S 216). Wenn der Beschwerdeausschuss seinerseits den betroffenen Ärzten hinreichend Gelegenheit gegeben hat, ihren Standpunkt vorzutragen, kann sich eine evtl unzulässig verkürzte Anhörung im Verfahren vor dem Prüfungsausschuss auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des allein zu überprüfenden Bescheides des Beschwerdeausschusses nicht auswirken. Dafür, dass von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen sei, wenn der Prüfungsausschuss regelmäßig die betroffenen Ärzte lediglich im Abhilfeverfahren anhört, ist dem Wortlaut des § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X ("ist unbeachtlich") nichts zu entnehmen. Mit der Rechtsprechung des Senats, dass im gerichtlichen Verfahren nur der Bescheid des Beschwerdeausschusses und nicht derjenige des Prüfungsausschusses zu überprüfen ist, wäre eine solche Ausnahme zudem nicht vereinbar.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Absätze 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755883

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