Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Prozesskostenhilfe. Wechsel des beigeordneten Rechtsanwalts am letzten Tag einer Fristverlängerung. kein Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts. Verfahrensmangel. Feststellungsklage. Subsidiarität. Untätigkeitsklage. Erledigung des sachlichen Begehrens vor Klageerhebung. beabsichtigte Amtshaftungsklage. zivilgerichtlicher Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Beiordnung eines anderen Prozessbevollmächtigten am letzten Tag einer bereits verlängerten Beschwerdebegründungsfrist besteht nicht.

2. Die Erhebung einer Feststellungsklage ist subsidiär, wenn der behauptete Anspruch des Klägers auf Bescheidung seines Antrags im Wege der Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) gerichtlich geltend gemacht werden kann.

3. Macht der Kläger geltend, er benötige fachgerichtlichen Rechtsschutz zur Vorbereitung einer beabsichtigten Amtshaftungsklage, kann er im Falle der vor Klageerhebung bereits eingetretenen Erledigung seines ursprünglichen sachlichen Begehrens sogleich Amtshaftungsklage beim zuständigen Zivilgericht erheben (vgl BVerwG vom 27.3.1998 - 4 C 14.96 = BVerwGE 106, 295 und LSG Berlin-Potsdam vom 23.4.2013 - L 14 AL 194/10 = juris RdNr 27).

 

Normenkette

SGG §§ 55, 73a Abs. 1, §§ 88, 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 121

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 29.11.2021; Aktenzeichen L 11 AS 806/19)

SG Nürnberg (Gerichtsbescheid vom 21.11.2019; Aktenzeichen S 8 AS 662/19)

 

Tenor

Die Beiordnung der Rechtsanwältin G, K, wird aufgehoben.

Der Antrag des Klägers, ihm einen anderen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Dem Kläger wird hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29.11.2021 - L 11 AS 806/19 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29.11.2021 - L 11 AS 806/19 - wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

1. Dem Antrag der gemäß § 73a Abs 1 SGG iVm § 121 ZPO beigeordneten Rechtsanwältin vom 16.10.2022, ihre Beiordnung aufzuheben, ist stattzugeben. Nach § 48 Abs 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) kann der Rechtsanwalt die Aufhebung der Beiordnung beantragen, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen. Wichtiger Grund, der eine Entpflichtung des Rechtsanwalts rechtfertigen kann, ist eine nachhaltige und tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten. Ob die strengen Anforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an diesen Tatbestand stellt (siehe exemplarisch BFH vom 9.3.2016 - IV S 2/16 - juris RdNr 10 ff; BVerwG vom 29.11.2010 - 6 B 59/10 - juris RdNr 8; BGH vom 15.9.2010 - IV ZR 240/08 - juris RdNr 1 ff), am Tag der Antragstellung bereits erfüllt waren, mag dahinstehen. Denn der Kläger hat am Folgetag gegenüber der beigeordneten Rechtsanwältin den Widerruf der ihr erteilten Prozessvollmacht erklärt. Schon dies allein stellt einen wichtigen Grund iS des § 48 Abs 2 BRAO dar, weil die beigeordnete Rechtsanwältin ihn im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, für das Vertretungszwang besteht (vgl § 73 Abs 4 Satz 1 SGG), seitdem nicht mehr wirksam vertreten und die Beiordnung damit ihren Zweck nicht weiter erfüllen kann (so schon BSG vom 23.12.2016 - B 10 ÜG 25/16 B - juris RdNr 21; BFH vom 19.3.2013 - XI S 2/13 ≪PKH≫ - juris RdNr 8).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts; ein solcher Anspruch stand ihm auch bei Eingang seines diesbezüglichen Antrags am 17.10.2022 nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob ausnahmsweise die engen Voraussetzungen (dazu etwa BSG vom 23.12.2016 - B 10 ÜG 25/16 B juris RdNr 22; BFH vom 19.3.2013 - XI S 2/13 ≪PKH≫ - juris RdNr 10) eines solchen Anwaltswechsels erfüllt waren. Jedenfalls kam die Beiordnung eines neuen Prozessbevollmächtigten am letzten Tag der bereits verlängerten Beschwerdebegründungsfrist nicht in Betracht. Denn einem mit den umfangreichen Akten des Verfahrens nicht vertrauten Rechtsanwalt wäre es nicht möglich gewesen, noch am selben Tag nach eigenverantwortlicher Durchsicht und Gliederung des Streitstoffs eine Beschwerdebegründung zu erstellen. Dies wäre nur denkbar, wenn ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) einen vom Kläger selbst erstellten Entwurf übernommen und bei Gericht eingereicht hätte. Diese Vorgehensweise, auf die der klägerische Antrag möglicherweise abzielt, hätte indes den Anforderungen des Vertretungszwangs nicht genügt (stRspr; zuletzt BSG vom 25.8.2022 - B 9 SB 4/22 B - juris RdNr 9 mwN). Deshalb kann derjenige, dem ein Rechtsanwalt beigeordnet ist, von diesem auch nicht verlangen, einen Beschwerdebegründungsentwurf nach seinen Vorstellungen zu erstellen oder zu überarbeiten (vgl BGH vom 13.9.2013 - V ZR 136/13 - juris RdNr 4).

Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist wäre nach einem Anwaltswechsel nicht in Betracht gekommen. Sie wird nach § 67 Abs 1 SGG demjenigen gewährt, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Daran fehlt es hier schon deswegen, weil die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers fristgerecht begründet worden ist. Die von der dem Kläger im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwältin gefertigte Begründungsschrift ist am 16.10.2022 per beA form- und fristgerecht beim BSG eingegangen. Die zugelassene Vertreterin (§ 73 Abs 4 SGG) war hierzu vom Kläger mit Prozessvollmacht vom 19.7.2022 wirksam mandatiert worden. Der am 17.10.2022 erklärte Widerruf der Vollmacht wirkt nur ex nunc (vgl Schilken in Staudinger, BGB, 2019, § 168 RdNr 6), sodass die Geltung der zuvor vorgenommenen Prozesshandlungen davon unberührt bleibt. Fehlt es demnach schon an einer versäumten Rechtshandlung, kann diese auch nicht gemäß § 67 SGG nachgeholt werden.

Darüber hinaus ist aber auch kein Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen oder nach Aktenlage ersichtlich. Anders als bei der Einhaltung der Beschwerdefrist, stand die Bedürftigkeit des Klägers der Fristwahrung nicht mehr entgegen, denn der Senat hatte ihm bereits mit Beschluss vom 1.7.2022 PKH bewilligt und Rechtsanwältin G beigeordnet. Auch der (beabsichtigte) Anwaltswechsel am Tag des Fristablaufs stellt für sich genommen keinen Grund dar, der das Verschulden des Beteiligten ausschließen würde (vgl zur Mandatsniederlegung BFH vom 10.11.2015 - VII B 91/15 - juris RdNr 2 mwN). Andernfalls wäre die Einhaltung der von Gesetzes wegen nur einmal verlängerbaren Beschwerdebegründungsfrist letztlich in das Belieben des Beschwerdeführers gestellt.

Nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist bestand auch im Übrigen kein Bedürfnis für eine anderweitige Beiordnung. Ihr Sinn und Zweck hatte sich erledigt; weiterer Vortrag des Klägers - etwa auf die Beschwerdeerwiderung des Beklagten zu 1. replizierend - hätte seiner Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen können. Insoweit ist das sozialgerichtliche Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren in § 160a SGG anders ausgestaltet als dasjenige nach der FGO, das im Fall der Zulassung der Revision gemäß § 116 Abs 7 Satz 1 FGO als Revisionsverfahren fortgesetzt wird (dazu im Hinblick auf die mögliche Erledigung der Beiordnung nach Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde BFH vom 9.3.2016 - IV S 2/16 - juris RdNr 8).

3. Dem Kläger war antragsgemäß Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen LSG vom 29.11.2021 zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert war (§ 67 Abs 1 SGG). Ihm ist erst mit Beschluss des Senats vom 1.7.2022 PKH bewilligt und Rechtsanwältin G, K, beigeordnet worden. Daraufhin hat er, wirksam vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte (§ 73 Abs 4 SGG) unverzüglich Beschwerde erhoben und Wiedereinsetzung beantragt.

4. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht in der gebotenen Weise bezeichnet wird (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Beschwerde wird darauf gestützt, die Klage sei verfahrensfehlerhaft durch ein Prozessurteil anstelle eines Sachurteils abgewiesen worden (hierzu etwa BSG vom 15.4.2021 - B 4 AS 66/21 B - juris RdNr 2 mwN). Die Vorinstanzen seien zu Unrecht davon ausgegangen, dem Kläger fehle das Feststellungsinteresse und die von ihm erhobene Feststellungsklage sei nur subsidiär statthaft. Der Kläger habe in der Sache in zulässiger Weise beantragt,

"1. festzustellen, dass die Beklagte 1 beim Amtshandeln auf die Einreichung des Mietangebots für die Wohnung in der G Straße in N am Brand am 10.4.2013 durch den Kläger hin schwerstwiegend gegen die Amtspflicht zu rascher Sachentscheidung verstoßen hat, weil sie bis zum 1.8.2016 diese Entscheidung nach der bis zum 1.8.2015 gültigen Rechtslage hätte tätigen müssen, aber keine Entscheidung gefällt hat (Verzögerung 3 Jahre 3 Monate und 21 Tage), nach dem 1.8.2016 eine Weiterleitung des Antrags bzw. eine Entscheidung bis mindestens zum 3.2018 (gemeint: 19.8.2018) "mit Vorsatz verzögert hat (Verzögerung 2 Jahre und 19 Tage). und zudem an das falsche Jobcenter weitergeleitet wurde

2. festzustellen, dass die Beklagte 2 ebenfalls gegen die Amtspflicht zur rascher Sachentscheidung verstoßen hat, da sie sich langzeitig weigerte, zu dem an sie weitergeleiteten Mietangebot einen Entscheidung fällen bzw. eine Weiterleitung zu dem eigentlich zuständigen Jobcenter F unterlassen hat

3. dass die Beklagte 1 schwerwiegendst gegen die Amtspflicht zu rechtmäßiger Amtsausübung verstoßen hat, weil sie sich anstatt der gebotenen unverzüglichen Weiterleitung meines Antrags gemäß § 16 Abs 2 1 eine Weiterleitung erst nach mehrjährigem Schriftverkehr nach Säumigkeit von 5 Jahren vier Monaten erfolgte und zudem schwerwiegend gegen § 17 Abs 1 1. SGB I verstoßen wurde, weil sie die Weiterleitung im Endeffekt an ein nach der Rechtslage von 2018 örtlich unzuständiges Jobcenter tätigte".

Die behauptete Zulässigkeit der Klage ist indes nicht hinreichend dargetan. Der Kläger macht geltend, er benötige fachgerichtlichen Rechtsschutz zur Vorbereitung einer beabsichtigten Amtshaftungsklage gegen die Beklagten. Das LSG sei insoweit zu Unrecht von der Subsidiarität der Feststellungsklage ausgegangen. Er könne nicht darauf verwiesen werden, sogleich zivilgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, weil sein Antrag auf Zustimmung zu dem betreffenden Mietangebot auch bei Klageerhebung im Januar 2019 von den Beklagten noch nicht förmlich beschieden worden sei. Ungeachtet der Tatsache, dass das Mietangebot schon Ende April 2013 nicht mehr gültig gewesen sei, könne ihm daher nicht entgegengehalten werden, sein ursprüngliches Begehren habe sich bereits vor der Inanspruchnahme des primären (sozialgerichtlichen) Rechtsschutzes erledigt.

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob er dieser Argumentation folgt. Denn in diesem Fall hätte der Kläger seinen behaupteten Anspruch auf Bescheidung seines Antrags im Wege der Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) gerichtlich geltend machen können. Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, warum die Feststellungsklage gegenüber dieser Vorgehensweise nicht subsidiär gewesen sein sollte. Wollte man dagegen - mit dem LSG und entgegen der Beschwerde - auf die bereits 2013 eingetretene Erledigung des ursprünglichen sachlichen Begehrens abstellen, hätte der Kläger 2019 sogleich Amtshaftungsklage beim zuständigen Zivilgericht erheben können (vgl nur BVerwG vom 27.3.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295 - juris RdNr 17; LSG Berlin-Brandenburg vom 23.4.2013 - L 14 AL 194/10 - juris RdNr 27).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 Meßling

Burkiczak

B. Schmidt

 

Fundstellen

NZS 2023, 678

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